OGH 3Ob168/14y

OGH3Ob168/14y22.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien 20, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, und 2. W***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Dr. Reinhard Perstel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.414,56 EUR sA und Feststellung (20.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 25. Juli 2014, GZ 2 R 108/14s‑98, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 28. Februar 2014, GZ 14 Cg 98/11v‑93, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00168.14Y.1022.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der zweitbeklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Am 6. August 2008 ereignete sich in einem Schulgebäude ein Arbeitsunfall, bei dem die bei der klagenden Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt pflichtversicherte C***** (in der Folge: Verunfallte) bei der Verwendung der von der zweitbeklagten Partei hergestellten und von der erstbeklagten Partei vertriebenen Bodenpoliermaschine „W***** M***** LS“, getötet wurde: Das ‑ von der Verunfallten mit der Maschine überfahrene ‑ Stromkabel der Maschine gelangte in den Spalt zwischen dem Gehäuse und der Padantriebsscheibe und wickelte sich auf. Die Verunfallte, die keine festen Schuhe trug, kam zu Sturz; wegen Nichtloslassens des Totmannschalters schaltete sich die Maschine nicht ab, sodass die Verunfallte vom Stromkabel, dass sie sich zumindest über die Schulter gelegt hatte, stranguliert wurde.

Ausgehend von einem Mitverschulden der Verunfallten im Ausmaß von 50 % begehrte die klagende Partei von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand Zahlung von 10.414,56 EUR sowie die Feststellung, dass die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für sämtliche Pflichtleistungen, die die klagende Partei wegen des Unfalls zu erbringen habe, insoweit hafteten, als unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Verunfallten von 50 % in ihren Ansprüchen hiefür ein Deckungsfonds gegeben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine Haftung sei sowohl auf vertraglicher Grundlage (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) als auch auf deliktischer Grundlage (PHG) zu verneinen.

Ein Produktfehler (Konstruktions-, Produktions- oder Instruktionsfehler), für den die beklagten Parteien einzustehen hätte, liege nicht vor. Zwar gäbe es aus technischer Sicht Möglichkeiten zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen, doch bedürften diese noch weiterer Entwicklung bis zur allfälligen Marktreife. Die Maschine habe dem damaligen Stand der Technik entsprochen und deswegen die Sicherheitserwartungen der Benutzer ‑ professionelles Putzpersonal ‑ erfüllt, zumal diese über die Gefahren bei Benützung der Maschine aufgeklärt worden seien. Die Konstruktion der Maschine, insbesondere bezüglich des Totmannschalters, sei (auch heute noch) ausreichend. Mit den technischen Vorkehrungen werde die Gefahr eines Aufwickelns des Kabels weitgehend verhindert; greife diese Maßnahme nicht, werde eine Gefährdung durch Abschaltung der Maschine in kürzester Zeit minimiert. Mit dem Nichtauslassen des Totmannschalters (bei Kabelaufwicklung) sei nicht zu rechnen gewesen, zumal vergleichbare Fälle trotz häufiger Verwendung solcher Maschinen jahrzehntelang nicht vorgekommen seien. Die erstbeklagte Partei habe das Bedienpersonal korrekt instruiert. Die Bedienungsanleitung der zweitbeklagten Partei enthalte entsprechende Gefahrenhinweise. Die Begriffe „Einziehen“ oder „Verwickeln“ des Stromkabels wiesen inhaltlich auf dieselbe Gefahr hin. Insgesamt sei der Unfall auf das Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Umstände zurückzuführen.

Auch für eine Vertragsverletzung hafteten die beklagten Parteien nicht, weil sie ihren vertraglichen Nebenpflichten nachgekommen seien.

Schließlich sei eine Haftung der beklagten Parteien aus dem Ingerenzprinzip (Verkehrssicherungs-pflichten) zu verneinen. Da von der Maschine auch mechanische Gefahren ausgingen, gelange die Maschinen-Sicherheitsverordnung (MSV) zur Anwendung, die als Schutzgesetz zu qualifizieren sei. Ein Verstoß gegen deren Bestimmungen liege nicht vor: Die Verunfallte habe keine bestimmungsgemäße Verwendung vorgenommen. Die beklagten Parteien ‑ die zweitbeklagte Partei in Form des Totmannschalters in Verbindung mit den Sicherheitsanweisungen und die erstbeklagte Partei mit ihrer ausführlichen Schulung ‑ hätten auf eine unübliche Benutzungsweise Bedacht genommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Es übernahm die Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts und teilte dessen Rechtsansicht. Die Maschine habe zum Unfallszeitpunkt (2008) den berechtigten Sicherheits-erwartungen des erwartbaren Benutzerkreises entsprochen. Es sei weder ein Konstruktions- noch ein Produktions‑ noch ein Instruktionsfehler vorgelegen. Viele effektive Maschinen würden mehr oder weniger große Restgefahren aufweisen, denen entsprechend dem Stand der technischen Entwicklung zu begegnen sei, was hier auch geschehen sei. Dass eine Maschine seit mehr als 50 Jahren ‑ von mehreren Produzenten ‑ im Wesentlichen baugleich produziert werde (und kein Fall wie der vorliegende Unfall vorgekommen sei), spreche nicht für ein unzureichendes, vielmehr für ein sehr hohes Sicherheitsniveau und die krasse Außergewöhnlichkeit des Unfalls durch das Zusammenspielen mehrerer, zusammen höchst unwahrscheinlicher Umstände.

Nach den Feststellungen sei gerade auch die Verunfallte auf das Strangulationsrisiko hingewiesen worden. Dass das Überfahren des Stromkabels mit der Maschine gefährlich sei, sei evident und nach den Feststellungen auch dem Bedienpersonal bekannt gewesen. Dass der Totmannschalter grundsätzlich sehr effektiv sei, sei den Feststellungen eindeutig zu entnehmen, führe er doch (nach Loslassen) binnen 0,5 Sekunden zum völligen Stillstand der Maschine, während 2,5 Sekunden erforderlich seien, bis die Bedienperson zur Antriebsscheibe gezogen werde.

Auch Unfallrisiken, die sich aus vernünftigerweise vorhersehbaren außergewöhnlichen Situationen ergäben seien zu vermeiden. Darunter würden auch allerlei Zuwiderhandlungen gegen die Einweisung und/oder Betriebsanleitung fallen, allerdings wiederum nur im Rahmen des jeweiligen technischen Entwicklungsstandes bzw der berechtigten Sicherheitserwartungen. Diesen Anforderungen hätten die beklagten Parteien entsprochen.

In ihrer außerordentlichen Revision stellt die klagende Partei in den Vordergrund, dass offenkundig die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verunfallten enttäuscht worden seien und dass das Risiko, dass das Kabel eingezogen wird, durch einfache technische Möglichkeiten im Rahmen der Anpassung an den Stand von Wissenschaft und Technik hätte vermieden werden können.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage wird allerdings nicht aufgezeigt. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entschieden. Den Revisionsausführungen, die sich nur mehr auf eine Haftung nach dem PHG beziehen, ist kurz Folgendes zu entgegnen:

1. Ein Produkt ist nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, insbesondere (Z 2) angesichts des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden muss. Das Vorliegen eines Fehlers ist am Kriterium der Sicherheitserwartung durchschnittlicher Verbraucher dieses Produkts zu messen (OGH 7 Ob 49/01h = SZ 74/62 = ecolex 2001/238, 671 [ Ch. Rabl ] mwN; 8 Ob 21/11p = ZVR 2013/205, 371 [ Ch. Huber ]).

1.1. Das PHG unterscheidet zwischen Konstruktions-, Produktions‑ und Instruktionsfehlern (RIS‑Justiz RS0107606 [T1]). Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist (RIS‑Justiz RS0107606 [T8]). Entspricht zwar das technische Konzept, aber nicht das einzelne Stück den Erwartungen, weil der Produktionsprozess mangelhaft war, liegt ein Produktionsfehler vor (RIS‑Justiz RS0107606 [T1]). Ein Produktfehler kann weiters in einer unzureichenden Darbietung des Produkts, etwa dem Fehlen wichtiger Gebrauchshinweise, begründet sein (Instruktionsfehler, RIS‑Justiz RS0107606 [T2]).

1.2. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit wird dem Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts die Verpflichtung auferlegt, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert die Fehlerfreiheit des Produkts (RIS‑Justiz RS0110464); der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (RIS‑Justiz RS0071536). Erforderlich sind daher die Sicherheitsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern.

1.3. Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist nicht strikt auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auf alle Gebrauchsmöglichkeiten abzustellen, die bei objektiver Betrachtung aus der Perspektive des Herstellers als denkmöglich in Betracht zu ziehen sind, was selbst außergewöhnliche Nutzungen, die als noch sozialüblicher Abusus anzusehen sind, einschließt. Nur für objektiv unvorhersehbare oder geradezu absurde Nutzungen hat der Hersteller nicht einzustehen (RIS‑Justiz RS0107610).

2. Nach den Feststellungen entsprach die Maschine nicht nur zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, sondern auch zum Unfallszeitpunkt dem Stand der Technik, wodurch die Fehlerfreiheit indiziert ist.

2.1. Die Vorinstanzen sind zusätzlich auf die technischen Möglichkeiten eingegangen, die einen Unfall wie den vorliegenden verhindern hätten können.

Nach den Feststellungen wäre eine Verringerung des Spalts zwischen Antriebsscheibe und Gehäuse auf ein Maß, dass das Einziehen des Kabels unmöglich macht, zwar aus technischer Sicht möglich, aufgrund der elastischen Antriebsscheibe allerdings schwer realisierbar. Ein gewisses Spaltmaß muss beibehalten werden, da sonst das Lenken der Maschine nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus wäre das Schließen des Einzugspalts mit einem hochstehenden Steg möglich, doch auch dann könnte sich das Kabel um die Antriebsscheibe wickeln. Eine Abschrägung der Padscheibe könnte zwar eine Umwicklung des Kabels verhindern, allerdings könnte dann nicht mehr in Ecken poliert werden, wodurch der zweckmäßige Gebrauch der Maschine verhindert wird. Der Einbau eines Induktionssensors wäre zwar technisch möglich, würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gesamtkosten der Maschine übersteigen. Sonstige Maßnahmen zur Vermeidung eines möglichen Kabeleinzugs bedürfen nach den Feststellungen noch einer gesonderten technischen Entwicklungstätigkeit, die mit hohen Kosten verbunden ist.

2.2. Ob eine (weitere) Sicherungsmaßnahme nach objektiven Maßstäben zumutbar ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung beurteilen (RIS‑Justiz RS0107606 [T10]). Die Ansicht der Vorinstanzen, jede Maschine berge ein gewisses Restrisiko, dem im vorliegenden Fall durch Konstruktion und Instruktion ausreichend begegnet worden sei, während weitere Sicherheitsmaßnahmen nicht angezeigt gewesen seien, ist jedenfalls vertretbar.

2.3. Überzogene Sicherheitserwartungen stehen im Widerstreit mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit von Produkten am Markt sowie der technischen, vor allem aber auch wirtschaftlichen Machbarkeit. Jeder Mehrgewinn an Sicherheit verursacht Kosten. Würde bei allen Produkten die höchstmögliche Sicherheit verlangt, die technisch realisierbar ist, würde im Ergebnis nicht nur die Produktvielfalt beschränkt (weil nichts mehr auf den Markt gebracht werden könnte, was auch nur geringfügig weniger risikobehaftet ist), sondern damit auch die Leistbarkeit derartiger Produkte ( Koziol/Apathy/Koch , Haftpflichtrecht III 3 [2014] Rz 169).

3. Es ist nicht richtig, dass die Vorinstanzen den maßgebenden „Stand der Wissenschaft und Technik“ mit „Branchenüblichkeit“ gleichgesetzt hätten, wie die klagende Partei meint. Das Erstgericht hat auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens den Stand der Technik ermittelt; nach eben diesem Sachverständigengutachten entsprach die Maschine ‑ auch wenn sie gefährlich ist ‑ zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (und auch des Unfalls) dem Stand der Technik.

4. Wie bereits unter 1. erwähnt ist das Vorliegen eines Fehlers am Kriterium der Sicherheitserwartung durchschnittlicher Verbraucher eines Produkts zu messen. Entscheidend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen eines „idealtypischen“ durchschnittlichen Produktbenützers (RIS‑Justiz RS0071543 [T1]).

4.1. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist die Ansicht, die Sicherheitserwartung des durchschnittlichen Produktbenützers sei im vorliegenden Fall nicht enttäuscht worden, durchaus vertretbar. Maßgeblich sind die Sicherheitserwartungen professioneller Reinigungskräfte.

4.2. Die Maschine verfügt über einen ‑ auch heute noch dem Stand der Technik entsprechenden - Totmannschalter, der bei Loslassen die Maschine automatisch binnen 0,5 Sekunden zum Stillstand bringt. Nach den Feststellungen wurde die Verunfallte bei der Einschulung auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei Gefahr den Totmannschalter auszulassen, weiters darauf, dass das Kabel nicht um den Hals oder die Schulter gelegt werden soll, da ansonsten Strangulationsgefahr besteht. Außerdem wurde dem Bedienungspersonal bewusst gemacht, dass ein Überfahren des Kabels eine Gefahr darstellt.

5. Auch ein Instruktionsfehler ‑ infolge eines angeblich nicht ausreichenden Hinweises auf die mit der Verwendung der Maschine verbundenen Gefahren ‑ ist zu verneinen. In der Bedienungsanleitung findet sich der Hinweis auf die „Gefahr der Verwicklung des Kabels bei sich drehender Bürste“. Bei der Einschulung im Jahr 2005 wurde die Verunfallte auf dass Strangulationsrisiko hingewiesen, wenn das Kabel (zumindest) um die Schulter gelegt wird.

6. Mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) ist die außerordentliche Revision der klagenden Partei zurückzuweisen.

Da eine Rechtsmittelbeantwortung nicht freigestellt war, dient die von der zweitbeklagten Partei eingebrachte Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO).

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