OGH 5Ob135/14k

OGH5Ob135/14k26.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G***** Gemeinnützige Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen sämtliche Mieter des Hauses *****, darunter 1) Constanze H*****, 2) Bruno H*****, 3) Derin K***** und 4) Salar K*****, als Antragsgegner, Erst‑ bis Viertantragsgegner vertreten durch Mag. Elisabeth Nitsche, diese vertreten durch Mag. Philipp Ortbauer, beide Mietervereinigung Österreich, 1010 Wien, Reichsrats-straße 15, wegen § 22 Abs 1 Z 6b WGG über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. April 2014, GZ 40 R 287/13x‑30, mit dem infolge Rekurses der Erst- bis Viertantragsgegner der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 12. September 2013, GZ 2 Msch 1/13p‑19, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Antragstellerin, eine gemeinnützige Bauvereinigung im Sinn des WGG, ist Eigentümerin eines Wohn‑ und Geschäftshauses, das sie ab 2001 erbaute und 2003 fertigstellte. Die Antragsgegner sind sämtliche Mieter dieses Hauses. Es wurde nutzungsneutral über den Zeitverlauf konzipiert, indem standardgemäß Leerverrohrungen und Steckdosen verlegt wurden, um die einzelnen Räumlichkeiten für jegliche Nutzung heranziehen zu können. Die Ausstattung der im Erdgeschoß vorhandenen Fahrradabstellräume und des Kinderspielraums entspricht mit geringen Abweichungen dem allgemeinen Standard der Wohnhausanlage. Die Verrechnung der von den Mietern nach dem WGG zu zahlenden Entgelte erfolgte nach von der Antragstellerin festgelegten Nutzwerten. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 20. 7. 2006 wurde die förderbare Fläche reduziert, indem die Fläche von bis 30. 6. 2012 vermieteten Lager‑ und Büroräumlichkeiten nicht mehr in die Gesamtnutzfläche eingerechnet wurde. Die Antragstellerin widmete diese Räumlichkeiten im Jahr 2006 in Kinderwagen‑ und Fahrradabstellräume um, was zu einer geänderten Berechnung der Nutzwerte und einer anteiligen Erhöhung der monatlichen Kosten für die Mieter führte. Die Einnahmen aus der Vermietung wurden in den Betriebskostenabrechnungen als Einnahmen verbucht.

Die Antragstellerin begehrte im März 2012 bei der Schlichtungsstelle die Festsetzung der Nutzwerte nach § 16 Abs 4 WGG iVm § 9 WEG anhand eines vorliegenden Nutzwertgutachtens, das die ‑ hier umstrittenen ‑ in Allgemeinflächen umgewidmeten Lager‑ und Büroräumlichkeiten nicht berücksichtigte. Sie brachte vor, dass diese nur bis 30. 6. 2012 vermieteten Räumlichkeiten nach ihrer Räumung den Bewohnern zur Nutzung übergeben würden, die sich die Schlüssel dafür bei der Hausverwaltung abholen könnten.

Gegen die Entscheidung der Schlichtungsstelle über die Festsetzung der Nutzwerte nach dem Nutzwertgutachten riefen die Erst‑ bis Viertantragsgegner das Gericht an. Sie wendeten sich gegen die einseitige Widmungsänderung der vermieteten Lager- und Büroräumlichkeiten in Kinderwagen‑ und Abstellräume durch die Vermieterin, von der sie erst 2011 erfahren hätten. Die in der Anlage vorhandenen Allgemeinflächen seien völlig ausreichend. Trotz der am 20. 7. 2006 erfolgten Umwidmung seien die Räumlichkeiten seit 2006 bis 30. 6. 2012 vermietet gewesen. Um sie vermietbar zu machen, seien spezielle, den Mietern in der Baukostenendabrechnung angelastete Aufwendungen getätigt worden. Die Umwidmung erhöhe die laufenden monatlichen Entgelte der Mieter, denen die Räumlichkeiten noch gar nicht frei zugänglich seien.

Das Erstgericht stellte den Gesamtnutzwert mit „EUR“ 5.878 fest, wie er sich aus dem Nutzwertgutachten ergab. Nach § 9 Abs 1 WEG 2002 seien die Nutzwerte durch ein Gutachten eines Sachverständigen festzusetzen, der an die materielle Sach‑ und Rechtslage gebunden sei. Darunter sei der reale Zustand der Liegenschaft und der Baulichkeit sowie die von Amts wegen zu prüfende Vorfrage der Widmung aller Liegenschaftsteile zu verstehen. Die Umwidmung der ehemals als Büro und Lager vermieteten Räumlichkeiten in allgemeine Teile sei ungeachtet des im Vergleich zu sonstigen Allgemeinflächen weit höheren Standards dem Eigentümer offengestanden. Die rechtmäßig umgewidmeten Flächen unterlägen daher keiner Nutzwertfestsetzung.

Das Rekursgericht hob diesen Sachbeschluss zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und ließ den Revisionsrekurs zu. Die Aufteilung der Gesamtkosten habe nach § 16 Abs 1 WGG grundsätzlich nach dem Nutzflächenschlüssel zu erfolgen, nach dem ‑ was unstrittig sei ‑ auch bisher abgerechnet worden sei. Was zur Nutzfläche gehöre und wie sie zu berechnen sei, definiere § 16 WGG inhaltlich übereinstimmend mit § 17 MRG. Damit sei auf die Judikatur zu der zitierten mietrechtlichen Bestimmung zurückzugreifen, um die Frage der Zulässigkeit einer einseitigen Umwidmung von vermieteten Büro‑ und Lagerräumlichkeiten in Allgemeinflächen durch den Vermieter zu beantworten. Eine durch den Bau- und Ausstattungszustand eines Objekts objektiv indizierte Vermietbarkeit habe danach der Vermieter zu widerlegen, der zudem eine bereits erfolgte Widmung nicht einseitig ohne wichtigen Grund aufheben könne. Ein wichtiger Grund für die einseitige Widmung von als Büro‑ und Lagerräumlichkeiten gewidmeten und auch als solche vermieteten Objekten in Fahrrad- und Kinderwagenräume sei hier nicht vorgelegen. Der von der Antragstellerin vorgebrachte allenfalls zukünftige Bedarf an solchen Räumlichkeiten sei als wichtiger Grund nicht geeignet. Die Genehmigung der Umwidmung durch die Baubehörde ändere daran nichts, weil die Beurteilung nach materiellem Recht zu erfolgen habe. Die strittigen Räumlichkeiten seien daher als nutzwertrelevante Objekte in die Berechnung einzubeziehen, was die Einholung eines neuen Gutachtens erfordere. Das Erstgericht werde bei seiner neuen Entscheidung nicht bloß den Gesamtnutzwert, sondern auch die Nutzwerte der einzelnen Objekte (in Zahlen und nicht in Eurobeträgen) festzusetzen haben.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil gefestigte oberstgerichtliche Judikatur zur Frage der Berechtigung einer einseitigen Widmungsänderung als Grundlage der Betriebskostenverteilung durch den Vermieter im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Erst‑ bis Viertantragsgegnern beantwortete Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Das WGG gibt in § 16 Abs 1 die Aufteilung sämtlicher Kosten des Hauses nach dem Verhältnis der Nutzfläche des Miet‑ oder sonstigen Nutzungsgegenstandes zur Nutzfläche aller in Bestand oder sonstige Nutzung gegebenen oder hiezu geeigneten Wohnungen, Wohnräume und sonstigen Räumlichkeiten des Hauses vor. Was als Nutzfläche gilt, definiert ‑ im Wesentlichen übereinstimmend mit § 17 Abs 2 MRG§ 16 Abs 2 WGG.

2. Die im Gesetz normierten Durchbrechungen des Nutzflächenschlüssels lassen ihn jedoch nur als subsidiären Verteilungsschlüssel erscheinen (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht²², § 16 WGG Rz 2; 5 Ob 155/08t mwN = immolex 2009, 55/20 [Prader]). So ermöglicht § 16 Abs 3 WGG der Bauvereinigung, den Anteil des einzelnen Mieters oder Nutzungsberechtigten an den Gesamtkosten abweichend von der Regelung des Abs 1 auch im Verhältnis des Nutzwerts iSd § 2 Abs 8 WEG 2002 des Miet‑ oder Nutzungsgegenstandes zur Summe der Nutzwerte aller Miet‑ oder sonstigen Nutzungsgegenstände festzulegen.

3. Von dieser Möglichkeit hat die Antragstellerin im vorliegenden Fall durch Verrechnung nach Nutzwerten Gebrauch gemacht, wie sich aus den insofern übereinstimmenden Ausführungen der Parteien (ON 15, ON 33, AS 142 des Schlichtungsstellenakts) in Verbindung mit den der Schlichtungsstelle seitens der Antragstellerin vorgelegten Urkunden (AS 146 f des Akts) ergibt. Entgegen den Ausführungen des Rekursgerichts ist es somit nicht unstrittig, dass immer nach dem Nutzflächenschlüssel abgerechnet wurde. Es geht daher nicht um ein Abweichen von einem festgelegten Nutzflächenschlüssel durch eine Abrechnung nach Nutzwerten, sondern um die gerichtliche Festsetzung von Nutzwerten auf Antrag der Bauvereinigung nach § 16 Abs 4 Satz 1 WGG.

4. Auf diese Nutzwertfestsetzung sind nach § 16 Abs 4 Satz 2 WGG die §§ 8 bis 10 WEG 2002 anzuwenden. Für die Ermittlung der Nutzwerte sind somit diese Bestimmungen des WEG 2002 maßgeblich (Rudnigger/Wolfbeis in Illedits/Reich‑Rohrwig, Wohnrecht Kurzkommentar, § 16 WGG Rz 6; vgl Würth/Zingher/Kovanyi aaO Rz 5), soferne das WGG keine abweichenden speziellen Regelungen enthält. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass mit dem Inkrafttreten des § 16 WGG idF des 3. WÄG, BGBl 1993/800, am 1. 3. 1994 der Gleichklang zwischen den möglichen Aufteilungsschlüsseln für Bewirtschaftungskosten in MRG und WGG ‑ etwa durch die auch hier relevante Möglichkeit der Anwendung des Nutzwertschlüssels ‑ verloren gegangen sei, weshalb sich aus der Judikatur zum Nutzflächenschlüssel des § 17 Abs 1 MRG für zukünftige Probleme der Aufteilung von Bewirtschaftungskosten im WGG‑Bereich nichts gewinnen lasse (5 Ob 2248/96s; 5 Ob 291/99a; RIS‑Justiz RS0105705). Die vom Rekursgericht zitierte Judikatur zu § 17 MRG löst das Problem der Zulässigkeit der hier ausgesprochenen Widmungsänderung aus diesen Erwägungen nicht.

5. Im Bereich des WEG muss die Nutzwertfestsetzung zwingend alle wohnungseigentums-tauglichen und nicht als allgemeine Teile (§ 2 Abs 4 WEG 2002) gewidmeten Objekte erfassen (5 Ob 311/03a; 5 Ob 157/11s = wobl 2013/5; RIS‑Justiz RS0118850; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 9 WEG Rz 10 mwN). Es kommt nicht nur auf die abstrakte Wohnungseigentumstauglichkeit an, sondern auch auf die konkrete Widmung als Wohnungseigentumsobjekt, Zubehörwohnungseigentum oder allgemeiner Teil an (5 Ob 157/11s mwN = RIS‑Justiz RS0114928 [T9]). Die Nutzwertfestsetzung hat somit grundsätzlich den Widmungsakt nachzuvollziehen (5 Ob 157/11s), der im Stadium der Vorbereitung einer Wohnungseigentumsbegründung auch einseitig vom Wohnungseigentumsorganisator gesetzt werden kann (RIS‑Justiz RS0114928 [T6]).

6. Im WEG‑Bereich bedarf eine Änderung der Widmung von Wohnungseigentumsobjekten in allgemeine Teile des Hauses der Einigung aller Miteigentümer; ein Mehrheitsbeschluss reicht nicht aus (5 Ob 205/10y = RIS‑Justiz RS0114928 [T8]; T. Hausmann aaO § 9 WEG Rz 14 mwN). Eine einseitige Umwidmung könnte nur im Stadium der Vorbereitung der Wohnungseigentums-begründung durch den Wohnungseigentumsorganisator (vgl RIS‑Justiz RS0114928 [T6]) oder bei Begründung von vorläufigem Wohnungseigentum nach § 45 WEG durch den Alleineigentümer vorgenommen werden (vgl T. Hausmann aaO).

7. Im WGG‑Bereich bleibt die Rechtspostion einer Bauvereinigung ‑ ausgenommen im hier nicht vorliegenden Fall einer nachträglichen Wohnungseigentums-begründung ‑ als alleinige Eigentümerin der Liegenschaft aufrecht. Es gibt keine anderen Miteigentümer, die alle einer Widmungsänderung (verbunden mit einer Änderung des Verteilungsschlüssels) zustimmen müssten.

8. Im Gemeinnützigkeitsbereich schützt aber § 16 Abs 5 WGG die Mieter und Nutzungsberechtigten vor einseitigen Änderungen eines bereits festgelegten Verteilungsschlüssels. Das Abweichen von einem nach Abs 1 und 3 festgelegten Verteilungsschlüssel ist nur durch eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Bauvereinigung und allen Mietern und Nutzungsberechtigten (Z 1) oder im Fall der Festlegung eines Nutzwertschlüssels nach Abs 3 durch Entscheidung des Gerichts zulässig, wenn sich der Anteil durch Vorgänge, die einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen, oder durch Veränderung der Zuschläge oder Abstriche für werterhöhende oder wertvermindernde Unterschiede um mindestens 5 % geändert hat (Z 2).

9. Wählt die Bauvereinigung somit wie hier von Anfang an die Verrechnung nach bestimmten Nutzwerten, die sie den Mietern und Nutzungsberechtigten vorgibt, ist sie an diesen konkreten Schlüssel gebunden. Eine Abänderung ist nur unter den in § 16 Abs 5 WGG genannten Voraussetzungen zulässig. Damit ist auch eine einseitige Widmungsänderung (hier von sechs Jahre lang vermieteten Büro‑ und Lagerräumlichkeiten im Ausmaß von über 200 m² in Fahrrad- und Kinderwagenabstellräume) ausgeschlossen, die ‑ ohne diese Voraussetzungen zu erfüllen ‑ zu einer Änderung des festgelegten Verteilungsschlüssels führt.

10. Eine abweichende Vereinbarung iSd § 16 Abs 5 Z 1 WGG kann nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch durch inhaltlich übereinstimmende Einzelvereinbarungen (Summenvereinbarungen) zustande kommen (5 Ob 126/01t; 5 Ob 25/04v; 5 Ob 155/08t).

11. Im gerichtlichen Verfahren behauptet die Antragstellerin erstmals im Revisionsrekurs, dass alle Mietverträge eine Vereinbarung enthielten, wonach eine Änderung des Flächenausmaßes einer Wohnung oder sonstigen Räumlichkeit bis plus/minus 3 % gegenüber den im Stammdatenblatt angegebenen Ausmaß zu tolerieren sei. Die umstrittene Umwidmung von Büro und Lagerräumen fiele unter diese 3 % und reduziere den Nutzwertschlüssel um weniger als 2 %.

12. Diese angebliche Zustimmung sämtlicher Mieter bezieht sich aber nicht auf eine Änderung des festgelegten Nutzwertschlüssels als Folge einer Umwidmung, sondern auf ‑ offenbar baulich bedingte ‑ geringfügige Änderungen des Flächenmaßes einzelner Mietobjekte. Mit ihren Ausführungen verletzt die Antragstellerin aber ohnehin das in diesem Außerstreitverfahren nach § 22 Abs 4 WGG geltende Neuerungsverbot des § 37 Abs 3 Z 14 MRG. Ob hier tatsächlich eine nach § 16 Abs 5 Z 1 WGG zulässig geschlossene Vereinbarung vorlag, ist daher nicht weiter zu prüfen.

13. Dass Änderungen iSd § 16 Abs 5 Z 2 WGG eingetreten sind, behauptete die Antragstellerin nie.

14. Die einseitige, zu einer Änderung der Abrechnung führende Widmungsänderung war aus diesen Erwägungen nicht zulässig. Bei der Festsetzung des Nutzwertes hat diese im vorgelegten Nutzwertgutachten übernommene Widmung der Räumlichkeiten als allgemeine Teile des Hauses somit unbeachtlich zu bleiben. Das Rekursgericht hat daher dem Erstgericht zu Recht aufgetragen, ein ergänzendes Nutzwertgutachten einzuholen, das auch für die umgewidmeten Räumlichkeiten einen Nutzwert festsetzt.

15. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG.

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