OGH 4Ob105/14s

OGH4Ob105/14s17.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, *****, 2. Bundesbeschaffung GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 36.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. April 2014, GZ 1 R 12/14p‑15, womit der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 5. Dezember 2013, GZ 10 Cg 49/13f‑9, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird aufgetragen, über den Rekurs neuerlich zu entscheiden.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Begründung

Die Klägerin handelt mit Hygienepapieren.

Die Erstbeklagte und ‑ als zentrale Beschaffungsstelle im Sinn des § 2 Z 48b Bundesvergabegesetz 2006 ‑ die Zweitbeklagte schrieben im Juli 2010 den Abschluss einer Rahmenvereinbarung für die Beschaffung von Hygienepapier für den Zeitraum 2011 bis 2013 samt einmaliger Verlängerungsoption um weitere 12 Monate im offenen Verfahren europaweit aus.

Die Klägerin legte bei dieser Ausschreibung kein Angebot, begehrte aber mit Nachprüfungsantrag beim Bundesvergabeamt, die gesamte Ausschreibung sowie alle Unterlagen und Berichtigungen für nichtig zu erklären, und die Öffnung des Angebots sowie die Fortführung des Vergabeverfahrens zu verbieten.

Das Bundesvergabeamt wies diese Anträge mit Bescheid vom 3. 12. 2010 ab bzw zurück.

Am 1. 2. 2011 schlossen die Beklagten aufgrund des Vergabeverfahrens die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung für die Laufzeit vom 1. 3. 2011 bis 31. 12. 2013 mit einem dritten Unternehmen ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 6. 3. 2013 die vorangegangenen abweisenden Bescheide des Bundesvergabeamts auf und sprach aus, dass das Bundesvergabeamt die gesamte Ausschreibung für nichtig zu erklären gehabt hätte. Das Bundesvergabeamt sprach sodann mit Bescheid vom 24. 4. 2013 die Feststellung aus, der Zuschlag im Vergabeverfahren sei wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz, die hiezu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht nicht dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt worden. Die Rahmenvereinbarung vom 1. 2. 2011 wurde aber weder für nichtig erklärt noch aufgehoben.

Im Jahr 2013 schrieben die Beklagten für die Lieferung von Hygienepapier den Abschluss einer (neuen) mit 1. 1. 2014 beginnenden Rahmenvereinbarung aus. Die Klägerin beteiligte sich auch an diesem Verfahren nicht, weil sie Inhalte der Ausschreibungsunterlagen als diskriminierend erachtete.

Die Beklagten rufen aus der Rahmenvereinbarung mit der dritten Gesellschaft nach wie vor Waren ab.

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens beantragte die Klägerin, den Beklagten mittels einstweiliger Verfügung zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs (in eventu ohne den Hinweis auf den Wettbewerbszweck) bis zur Beendigung des zweiten Vergabeverfahrens Hygienepapiere bei der erwähnten dritten Gesellschaft zu kaufen, ohne zuvor eine den Geboten der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit, und Zweckmäßigkeit sowie dem Gleichbehandlungsgebot entsprechende Ausschreibung, welche insbesondere allen Bietern die Teilnahme an der Anbotslegung ermögliche, durchgeführt zu haben. Trotz der erwähnten behördlichen Entscheidungen verharrten die Beklagten in dem Vertragsverhältnis mit der dritten Gesellschaft. Die Erstbeklagte bestelle nach wie vor durch ihre Dienststellen Leistungen aus der Rahmenvereinbarung, ohne andere Angebote von Mitbewerbern, etwa der Klägerin einzuholen und zu vergleichen. Die Beklagten hätten die die Warenbestellungen faktisch durchführenden Dienststellen auch nicht davon informiert, dass die Zuschlagserteilung für nichtig erklärt worden sei und daher keine Verpflichtung mehr bestehe, aus der Rahmenvereinbarung mit der dritten Gesellschaft exklusiv zu bestellen. Da die Erstbeklagte bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens weiterhin Waren bei der dritten Gesellschaft aufgrund der mit dieser geschlossenen Rahmenvereinbarung beziehe, werde die Klägerin vom Markt ausgeschlossen. Sie habe keine Möglichkeit, bis zum Abschluss der neuen Rahmenvereinbarung, deren Ausschreibung bereits laufe, Warenlieferungen durchzuführen. Durch den fortgesetzten Bezug der Waren von ihrer Vertragspartnerin, der dritten Gesellschaft, förderten die Beklagten den (fremden) Wettbewerb dieser dritten Gesellschaft. Die Erstbeklagte fördere überdies als Alleineigentümerin der Zweitbeklagten deren aber auch den eigenen Wettbewerb, weil sie bei Mehreinnahmen der Zweitbeklagten weniger Geld aus allgemeinen Budgetmitteln zur Abdeckung der Jahresfehlbeträge oder Verluste der Zweitbeklagten aufwenden müsse. Die Klägerin stütze sich auf §§ 1 ff UWG und hilfsweise auf Selbstbindungsnormen als Rechtsgrundlagen. Für die Klägerin entstehe durch die Verhinderung ihrer Marktteilnahme bis zum Abschluss der neuen Rahmenvereinbarung ein unwiederbringlicher Schaden, der durch einen Schadenersatz nicht wieder gutzumachen sei, weil im Nachhinein weder dargetan noch beurteilt werden könnte, ob der Klägerin wegen verpasster Abschlussgelegenheiten ein Umsatzentgang entstanden wäre.

Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, die Rahmenvereinbarung mit der dritten Gesellschaft sei rechtsgültig geblieben. Die Erstbeklagte beziehe das Hygienepapier daher auf Basis einer gültigen Rahmenvereinbarung. Zwischen den Parteien bestehe kein Wettbewerbsverhältnis. Ein unwiederbringlicher Schaden für die Klägerin sei nicht zu erkennen.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren der Klägerin zur Gänze ab. Das Abrufen von Leistungen aus einer gültigen Rahmenvereinbarung sei zulässig und kein unlauteres Verhalten zu Zwecken des Wettbewerbs. Das laufende neue Vergabeverfahren berühre die Gültigkeit der bereits abgeschlossenen Rahmenvereinbarung nicht. Mangels eines unlauteren Verhaltens der Beklagten sei das Unterlassungsbegehren nicht berechtigt. Die Nichtteilnahme an laufenden Einkaufsvorgängen könne lediglich einen finanziellen Schaden verursachen, der keinesfalls unwiederbringlich sei.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Klägerin, mit dem sie das Sicherungsbegehren weiter verfolgte, als unzulässig zurück und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Mit dem Unterlassungsbegehren wolle die Klägerin verhindern, dass die Beklagten (künftig) Abrufe aus der am 1. 2. 2011 mit der dritten Gesellschaft geschlossenen Rahmenvereinbarung tätigen. Es stehe aber fest, dass diese Rahmenvereinbarung lediglich für eine Laufzeit bis zum 31. 12. 2013 abgeschlossen worden sei, sodass sie wegen Zeitablaufs seit 1. 1. 2014 nicht mehr gelte. Die Beklagten könnten daher seit diesem Jahr keine Abrufe aus dieser Rahmenvereinbarung tätigen, sodass das Rechtsschutzziel der Klägerin bereits erreicht und ihr Rechtsschutzinteresse seit 1. 1. 2014 weggefallen sei. Eine Entscheidung über das Unterlassungsbegehren könne daher auf ihre Rechtsstellung keine Auswirkungen mehr haben. Der Klägerin fehle daher das Anfechtungsinteresse. Der (nachträgliche) Wegfall der Beschwer führe zur Unzulässigkeit des noch am 23. 12. 2013 eingebrachten Rechtsmittels. Gemäß § 50 Abs 2 ZPO sei der Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aber nicht zu berücksichtigen. Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung habe aber mangels Handelns der Beklagten im geschäftlichen Verkehr einerseits und fehlenden unwiederbringlichen Schadens andererseits kein Erfolg beschieden sein können. Die Klägerin wäre daher mit dem Rekurs auch ohne den nachträglichen Wegfall ihrer Beschwer nicht durchgedrungen, weshalb sie den Beklagten die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen zu ersetzen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist im Hinblick auf die unzutreffende Verneinung ihres Rechtsschutzinteresses (Beschwer) im Rekursverfahren zulässig und im Sinn des in jedem Abänderungsantrag ‑ implizit ‑ enthaltenen Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse (Beschwer) fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch‑abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS‑Justiz RS0002495, vgl RS0041770, RS0043815). Auch für das Rekursverfahren gilt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses. Das Vorhandensein eines Rekursinteresses ist nicht eine Frage der Begründetheit des Rekurses, sondern seiner Zulässigkeit (RIS‑Justiz RS0043940). Bei Fehlen eines Beschwerdeinteresses ist der Rekurs zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0006880).

Das zu sichernde Unterlassungsbegehren der Klägerin ist darauf gerichtet, bis zur Beendigung des zweiten Vergabeverfahrens bestimmte Ankäufe zu unterlassen, ohne eine bestimmten Geboten entsprechende Ausschreibung durchgeführt zu haben. Das Sicherungsbegehren zielt also nicht speziell auf Käufe aus der mit 31. 12. 2013 befristeten Rahmenvereinbarung ab, sondern will generell Käufe derartiger Produkte ohne vorherige gesetzmäßige Ausschreibung verhindern. Dieses Sicherungsbegehren verfolgt die Klägerin auch im Rekursverfahren weiter. Eine Beschränkung auf Abrufe aus der bis 31. 12. 2013 befristeten Rahmenvereinbarung ist nicht zu erkennen, vielmehr strebt die Klägerin offensichtlich die fortdauernde Bindung der Beklagen an die von ihr näher ausgeführten Vergabegrundsätze an, die sie auch in der Folgeausschreibung verletzt sieht. Durch die Abweisung dieses Sicherungsbegehrens ist die Klägerin unabhängig vom Ablauf des Rahmenvertrags Ende 2013 beschwert. Die Zurückweisung des Rekurses mangels Beschwer ist daher nicht haltbar.

Hat das Rekursgericht einen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, anlässlich der Entscheidung über diesen ‑ seiner Ansicht nach verfehlten ‑ Zurückweisungsbeschluss gleich in der Sache selbst zu erkennen, wenn dadurch der Instanzenzug verschoben würde. Der Oberste Gerichtshof darf nicht sachlich über eine Frage entscheiden, über die er im Hinblick auf § 528 ZPO unter Umständen gar nicht zu entscheiden hätte (RIS‑Justiz RS0007037). Das Rekursgericht wird über den Rekurs der Klägerin daher meritorisch zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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