OGH 5Ob19/14a

OGH5Ob19/14a25.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑ Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin C***** J*****, vertreten durch Dr. Karl Erich Puchmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die Antragsgegner 1. H***** Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, 2. E***** M*****, 3. Mag. Dr. G***** E*****, 4. M***** E***** S*****, und 5. E***** C***** B*****, wegen § 52 Abs 1 Z 3 iVm § 17 WEG 2002, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin gegen den Beschluss (richtig: Sachbeschluss) des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 5. Dezember 2013, GZ 14 R 160/13t‑15, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG, § 52 Abs 2 WEG 2002 iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Der Antrag der Antragstellerin auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Im Revisionsrekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass betreffend die bisherige unentgeltliche Nutzung der Fassade zu Werbezwecken durch die Erstantragsgegnerin eine grundsätzlich auch die Antragstellerin bindende, konkludente Benützungsregelung vorliegt (vgl dazu etwa RIS‑Justiz RS0118456; 5 Ob 51/08y). Damit in Zusammenhang stehende Fragen sind daher hier nicht mehr zu erörtern.

2.1. Nach § 17 Abs 2 WEG 2002 kann jeder Wohnungseigentümer eine gerichtliche Regelung über die Benützung der verfügbaren allgemeinen Teile der Liegenschaft oder die gerichtliche Abänderung einer bestehenden Regelung aus wichtigen Gründen beantragen. Ob letztgenannter Fall vorliegt, ist Ermessensentscheidung im Einzelfall (vgl RIS-Justiz RS0101498).

2.2. Die Erstantragsgegnerin macht in ihrem Revisionsrekurs geltend, der Umstand, dass ein in einer Einkaufsstraße befindliches Geschäftslokal mit auffälligen Werbeeinrichtungen zu einem höheren Mietzins vergeben werden könne als ohne, sei kein wichtiger Grund im Sinn des § 17 Abs 2 Satz 1 WEG 2002. Dem ist zu entgegnen, dass die Erstantragsgegnerin insoweit einen maßgeblichen Sachverhaltsaspekt unberücksichtigt lässt. Das Erstgericht hat nämlich in tatsächlicher Hinsicht ‑ wenngleich teilweise disloziert ‑ festgestellt, dass die Antragstellerin „aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, ihr Bäckerei- und Süßwarengeschäft weiter zu betreiben“ (S 7 und 10 in ON 11). Die nunmehrige Vermietung ihres Geschäftslokals ist für die Antragstellerin also praktisch alternativlos und damit ist auch die Aufgabe des bisherigen Familienbetriebs verbunden, der anders als der geschäftliche Neubeginn eines Mieters (eher) ohne Werbeflächen ausgekommen sein mag. Diese Entwicklung macht aus sachlich und wirtschaftlich plausiblen Gründen eine Neubewertung der Verteilung verfügbarer Werbefläche erforderlich. Wenn die Vorinstanzen darin einen wichtigen Grund im Sinn des § 17 Abs 2 Satz 1 WEG 2002 erkannt haben, stellt dies jedenfalls keine als unvertretbar aufzugreifende Einzelfallbeurteilung dar.

2.3. Ob auch allein der Umstand, dass die Benützung der Werbeflächen der Erstantragsgegnerin bislang ohne ein den Miteigentümern zukommendes Benützungsentgelt zugestanden ist, eine Änderung der Benützungsregelung rechtfertigt, wie dies allenfalls aus 5 Ob 106/03d (immolex 2004, 84 = ImmZ 2004, 198 = MietSlg LV/25) ‑ bei allerdings gänzlich anderer Sachverhaltskonstellation ‑ abgeleitet werden könnte, muss daher nicht geprüft werden. Einen Verfahrensmangel wegen unterbliebener Anleitung und Belehrung bzw Überraschungsentscheidung durch das Erstgericht hat bereits das Rekursgericht abschließend verneint (RIS‑Justiz RS0050037; RS0030748).

3. Die Erstantragsgegnerin, die selbst insgesamt (nur) Miteigentümerin von 888/1739 Anteilen ist, inzwischen aber jahrelang praktisch 100 % der Werbeflächen nutzte, beanstandet nunmehr bei der vom Erstgericht gewonnenen Lösung das Ungleichgewicht zwischen zugedachter Werbefläche und der Größe der Miteigentumsanteile. Auch in diesem Punkt ist allerdings den Vorinstanzen dahin zu folgen, dass es hinsichtlich der Aufteilung der Fassaden als Werbefläche nicht allein auf die Miteigentumsanteile ankommen kann. Für diese Aufteilung ist vielmehr auch zu berücksichtigen, welche Wohnungseigentümer überhaupt an solchen Werbeflächen Interesse haben und wie sich die in Frage kommenden Geschäftslokale an der Hausfront darstellen, also inwieweit sich aus deren Erscheinungsbild ein plausibler Werbebedarf nachvollziehen lässt. Die Entscheidung soll insgesamt das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung sein, die persönliche und familiäre Verhältnisse ebenso berücksichtigt wie die Dringlichkeit des jeweiligen Bedarfs (vgl RIS-Justiz RS0101498 [insb T3 und T12]). Unter Bedachtnahme auf diese Aspekte erweist sich die vom Erstgericht gefundene Regelung als ausgewogene, jedenfalls aber als vertretbare Verteilung der Werbeflächen, die insbesondere dem straßenseitigen Erscheinungsbild der Geschäftslokale und den daraus resultierenden Werbebedarf auch der Erstantragsgegnerin angemessen berücksichtigt.

4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Frage, ob die Erstantragsgegnerin als frühere Mieterin des Geschäftslokals allenfalls einen höheren Mietzins im Hinblick auf die Werbemöglichkeit bezahlt hat, für die nunmehrige Änderung der Benützungsregelung zwischen den Wohnungseigentümern keine Relevanz zukommt, ist nicht zu beanstanden. Gegenteilige Rechtsprechung vermag die Erstantragsgegnerin in ihrem Rechtsmittel nicht anzuführen.

5. Es mag zutreffen, dass es die Rechtsprechung bei Benützungsregelungen beachtet hat, wenn sich (einzelne) Wohnungseigentümer Sondernutzungsrechte „erkauft“ haben (vgl 5 Ob 2017/96w). Das Erstgericht hat aber zur Frage, ob die Werbeflächen beim Wohnungseigentumserwerb der Erstantragsgegnerin preisbildend gewesen wären, eine Negativfeststellung getroffen (S 7 in ON 11), die die Erstantragsgegnerin in ihrem Rekurs nicht nachvollziehbar bekämpft hat und die folglich bindend ist. Die Ausführungen der Erstantragsgegnerin unter Punkt 5. des Rekurses waren keine taugliche Tatsachen- und Beweisrüge zu dieser Tatfrage.

6.1. Die Erstantragsgegnerin bemängelt letztlich noch, dass die Vorinstanzen kein Benützungsentgelt festgesetzt hätten, wofür diese im Wesentlichen deshalb keinen Anlass sahen, weil die Erstantragsgegnerin keinen darauf gerichteten Antrag gestellt habe.

6.2. Der Erstantragsgegnerin ist im Grundsatz zuzugestehen, dass es sich bei der gerichtlichen Benützungsregelung letztlich um eine von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung handelt, bei der unterschiedliche, nicht der jeweiligen Eigentumsquote entsprechende Nutzungsanteile finanziell durch die Festsetzung eines angemessenen Benützungsentgelts auszugleichen sind (5 Ob 2017/96w). Zur Festsetzung eines solchen Benützungsentgelts wird es, worin der Erstantragsgegnerin ebenfalls beizupflichten ist, in der Regel ‑ entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ‑ deshalb keines ausdrücklichen Antrags bedürfen, weil es sich dabei um eine Regelungsstreitigkeit handelt.

6.3. Im vorliegenden Fall hat sich allerdings ‑ ausgenommen die Erstantragsgegnerin ‑ kein anderer Mit- und Wohnungseigentümer aktiv am Verfahren beteiligt, woraus sich ein gewisses Desinteresse an der hier praktisch nur die Antragstellerin und die Erstantragsgegnerin betreffenden Benützungsregelung manifestiert. Das Erstgericht hat überdies, wie dies die Erstantragsgegnerin selbst zugestanden hat (S 5 in ON 12), die Frage eines Benützungsentgelts ausdrücklich erörtert und die Erstantragsgegnerin hat bis zuletzt im Revisionsrekurs diese Frage nur ganz allgemein angesprochen, aber keinerlei konkrete inhaltliche Ausführungen, namentlich zur allfälligen Angemessenheit eines Benützungsentgelts im Lichte der hier getroffenen Regelung, erstattet. In diesem Fall muss dieser Frage nicht weiter nachgegangen werden (vgl 5 Ob 192/10m). Dies gilt hier umso mehr, als das Rekursgericht den Bedarf nach der Festsetzung eines Benützungsentgelts auch materiell unter Hinweis auf die Ausgewogenheit der vom Erstgericht getroffenen Regelung verneinte (S 7 in ON 15).

7. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs unzulässig und folglich zurückzuweisen.

8. Mangels Freistellung durch den Obersten Gerichtshof war die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung verfrüht und vermag keinen Kostenersatzanspruch zu begründen (10 Ob 67/07w; 5 Ob 158/12i).

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