OGH 7Ob83/14b

OGH7Ob83/14b4.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen A***** M*****, geboren *****, vertreten durch die Mutter J***** M*****, Vater Kay W*****, vertreten durch Dr. Gerhard Fink und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 12. Februar 2014, GZ 2 R 17/14y‑33, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bleiburg vom 28. November 2013, GZ Pu 3/13b‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00083.14B.0604.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Die Minderjährige und ihr Vater sind deutsche Staatsbürger. Der Vater lebt in Deutschland. Die Mutter und die Minderjährige leben seit August 2010 in Österreich.

Am 20. 12. 2012, bei Gericht eingelangt am 9. 1. 2013, stellte der Vater den Antrag, den Unterhalt ab August 2010 neu zu bemessen. Aufgrund des Unterhaltsvergleichs vor dem Jugendamt Salzlandkreis vom 3. 11. 2008 habe er bis April 2011 272 EUR und von Mai bis Oktober 2011 334 EUR an Unterhalt geleistet. Bis 31. 10. 2011 sei er als Messebauer selbständig gewesen, seine steuerlichen Gewinne im genannten Zeitraum rechtfertigten die geleisteten Unterhaltszahlungen nicht. Ab November 2011 habe er Hartz IV bezogen. Am 18. 12. 2012 sei seine zweite Tochter geboren worden. Seit Mai 2013 habe er wieder eine Beschäftigung, beziehe aber nur ein geringes Einkommen.

Die von der Mutter vertretene Minderjährige begehrt, den Antrag abzuweisen. Für den Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 hätten keine Unterhaltsrückstände bestanden, die Leistungsfähigkeit des Vaters sei offenbar gegeben gewesen. Der Anspruch auf Unterhaltsherabsetzung sei verjährt.

Das Erstgericht wies den Antrag für den Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 ab. Die Entscheidung über das Mehrbegehren behielt es vor. Bis einschließlich Oktober 2011 sei beim Unterhaltspflichtigen die Leistungsfähigkeit offensichtlich voll gegeben gewesen, da er ansonsten den festgesetzten monatlichen Unterhaltsbeitrag nicht hätte leisten können.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Da der Vater den Unterhalt in Kenntnis seiner wirtschaftlichen Situation gezahlt habe, liege ein schlüssiger Verzicht auf einen allfälligen Rückforderungsanspruch vor. Der erst Anfang Jänner 2013 auf rückwirkende Unterhaltsherabsetzung gerichtete Antrag verstoße gegen Treu und Glauben. Da auch die Meinung vertreten werden könnte, dass der Unterhalt für die Vergangenheit an die Leistungsfähigkeit geknüpft werde, wozu oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Minderjährige beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Da das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat, ist der Revisionsrekurs zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Seit dem 18. 6. 2011 ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Verordnung (EG) 2009/4 des Rates vom 18. 12. 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) anzuwenden.

Nach Art 15 EuUVO bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Unterhaltsprotokoll (HUP) 2007 gebunden sind, nach diesem Protokoll. Es ist in der Union (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreiches) auf Grund des Ratsbeschlusses vom 30. 11. 2009 ab dem 18. 6. 2011 anwendbar. Unterhaltspflichten vor dem Zeitraum seines Inkrafttretens am 18. 6. 2011 sind nach den bisherigen Bestimmungen zu prüfen. Unterhaltspflichten für den Zeitraum danach richten sich hingegen nach dem HUP 2007 (7 Ob 116/12b, 2 Ob 217/12v, 2 Ob 218/12s, 1 Ob 125/13h je mwN).

Zu beurteilen sind hier Unterhaltspflichten für den Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011. Auf die Unterhaltspflichten für den Zeitraum August 2010 bis 17. 6. 2011 gelangt das von Österreich (und auch von Deutschland) ratifizierte Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegen Kinder anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatutübereinkommen; BGBl 1961/293), auf jene für den Zeitraum 18. 6. 2011 bis Oktober 2011 das HUP 2007 zur Anwendung.

Nach Art 1 Abs 1 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen wie auch nach Art 3 HUP 2007 ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wechselt sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden.

Unstrittig hat die Minderjährige seit August 2010 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, sodass die Unterhaltspflichten für den gesamten Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 nach österreichischem Recht zu beurteilen sind.

2. Jede Unterhaltsregelung, ob durch gerichtliche Entscheidung oder (gerichtlichen) Vergleich unterliegt der Umstandsklausel, sodass wesentliche Änderungen der Verhältnisse auf Antrag zu einer Neufestsetzung des Unterhaltsanspruchs führen (stRsp RIS‑Justiz RS0053297, RS0018984 [Unterhaltsvergleich]; vgl RS0047398).

3. Seit der zu 6 Ob 544/87 ergangenen Entscheidung eines verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs können Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden. Zutreffend folgerte daraus die Lehre, dass nun auch die Einstellung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht für die Vergangenheit möglich ist, sofern sich der maßgebliche Sachverhalt in der Vergangenheit verwirklichte (RIS‑Justiz RS0053283; 1 Ob 38/07f).

4. Bei einer Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit ist zu beachten, dass sie nicht in die materielle Rechtskraft einer vorangegangenen Unterhaltsentscheidung eingreifen darf.  Auch ein Unterhaltsvergleich ist ein materiell‑rechtliches Hindernis, das bis zu einer nicht bloß unbedeutenden Änderung der Verhältnisse einer neuerlichen Unterhaltsfestsetzung entgegensteht (5 Ob 241/10t, 1 Ob 152/13d; Gitschthaler Unterhaltsrecht 2 Rz 410 mwN).

5. Ob die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Unterhaltspflicht des Vaters für den Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 vorliegen, kann mangels jeglicher Feststellungen nicht beurteilt werden. Dies wird das Erstgericht nachzuholen haben, weil entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ein Unterhaltsherabsetzungsantrag nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Vater die Herabsetzung für einen Zeitraum begehrt, in dem er bereits Unterhalt geleistet hat. Eine Änderung der Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit hat im Übrigen nichts damit zu tun, ob infolge einer rückwirkenden Herabsetzung des Unterhalts bereits gezahlte Beträge rückgefordert werden können oder ob ein Rückforderungsanspruch daran scheitert, dass der Unterhaltspflichtige darauf (schlüssig) verzichtet oder der Unterhaltsberechtigte den Unterhalt im guten Glauben verbraucht hat. Diese Fragen sind im streitigen Verfahren zu klären (RIS‑Justiz RS0034788, 4 Ob 180/03b mwN).

6. Die Verjährungsfrage stellt sich schon deshalb nicht, weil der Vater die Neubemessung des Unterhalts ab August 2010 bereits in seinem im Jänner 2013 bei Gericht eingelangten Antrag begehrt.

Stichworte