OGH 3Ob31/14a

OGH3Ob31/14a21.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei E*****, vertreten durch Dr. Friedrich Reif‑Breitwieser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 25. November 2013, GZ 16 R 269/13t‑42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 29. Mai 2013, GZ 2 C 56/11s‑35, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00031.14A.0521.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 124,07 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Den Gegenstand des vorliegenden Oppositionsstreits bildet die Frage, ob der verglichene Unterhaltsanspruch der beklagten geschiedenen Ehegattin wegen einer Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann seit September 2011 ruht. Während das Erstgericht dies verneinte, bejahte sie das Berufungsgericht; die ordentliche Revision ließ es nachträglich wegen der von der Beklagten aufgezeigten Kritik einer Lehrmeinung an der Judikatur zum Ruhen von Unterhaltsansprüchen zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil darin keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt werden.

1.  Nach der ständigen Rechtsprechung ruht der Unterhaltsanspruch einer geschiedenen Ehegattin für die Dauer ihrer Lebensgemeinschaft unabhängig davon, ob sie von ihrem Partner Unterhaltsleistungen bezieht (RIS‑Justiz RS0047108; RS0047130). Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielt neben der Eheähnlichkeit auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist und das Zusammenspiel der Elemente Wohn‑, Wirtschafts‑ und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen, sondern der Wegfall eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen oder die Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein kann (RIS‑Justiz RS0047000; Linder in Gitschthaler/Höllwerth EuPR LebG‑Allgem Rz 13). Wie die maßgeblichen Kriterien für die Annahme einer Lebensgemeinschaft im konkreten Fall zu gewichten sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (3 Ob 139/13g mwN).

2. Eine Wohngemeinschaft liegt grundsätzlich vor, wenn die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung leben, die ihr dauernder gemeinsamer Lebensmittelpunkt sein soll; dem steht nicht entgegen, dass einer der beiden nicht jeden Tag in die Ehewohnung zurückkehrt, zB wegen (regelmäßiger) auswärtiger Berufstätigkeit (3 Ob 237/11s; 3 Ob 139/13g).

Im Ersturteil wird davon ausgegangen, dass der Mann schon seit mehreren Jahren wöchentlich bis zu vier Mal bei der Beklagten übernachtete; das bedeutet ‑ entgegen der Ansicht der Revision ‑ durchaus „regelmäßige Nächtigungen“ (vgl auch deren Vorbringen ON 9 S 4). Die Feststellungen für August 2012 rechtfertigen sogar die Schlussfolgerung, dass sich der Mann noch häufiger in der Wohnung der Beklagten aufhält, zu der eine auch nach außen gelebte seelische Beziehung besteht. Er nimmt dort aktiv am Familienleben der Beklagten und ihrer beiden Kinder teil. Der Mann verfügt selbst über eine Wohnung, die das Erstgericht als seinen „Hauptwohnsitz“ (einem Rechtsbegriff nach § 1 Abs 7 MeldeG) ansah.

Dennoch vertritt das Berufungsgericht die Rechtsansicht, auch der Mann habe seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung der Beklagten, weshalb dort eine Wohngemeinschaft gegeben sei. Darin ist wegen des naturgemäß gegebenen Spielraums bei derartigen Beurteilungen keine unvertretbare Fehleinschätzung zu erblicken. Unhaltbar ist es vielmehr, die ständigen Aufenthalte des Mannes in der Wohnung der Beklagten als bloße Besuche abzutun.

Gerade einer Lebensgemeinschaft als einer rechtlich nicht gesicherten Beziehung entspricht es, dass sich ein Partner nicht leicht entschließen wird, eine ihm zur Verfügung stehende Wohngelegenheit aufzugeben (3 Ob 186/09p mwN), weshalb deren Aufrechterhaltung keineswegs zwingend gegen eine Wohngemeinschaft spricht. Für die hier vorzunehmende Beurteilung kommt es auch nicht entscheidend darauf an, an welcher Anschrift und allenfalls wie eine Person polizeilich gemeldet ist, sondern auf die festgestellten faktischen Lebensverhältnisse der Beteiligten. Behauptungen und Feststellungen zur (überwiegenden) Nutzung seiner Wohnung durch den Mann, der nach eigenen Angaben als in der Reisebranche Berufstätiger immer wieder „beruflich unterwegs“ ist (ON 9 S 22), liegen aber nicht vor.

3. Der Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist sowohl von einer zwischenmenschlichen als auch einer wirtschaftlichen Komponente geprägt. Wenn auch ein Abstellen allein auf materielle Aspekte unter Ausblendung der seelischen Gemeinschaft unzulässig ist, dürfen die materiellen Aspekte dennoch nicht völlig vernachlässigt werden, weil sonst ein Zustand, wie er für das Zusammenleben von Ehegatten typisch ist, nicht mehr angenommen werden darf und die wirtschaftliche Bedeutung der Ehe für die Gatten nicht mehr ausreichend bedacht würde; ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Gemeinschaft ist daher unverzichtbar (3 Ob 241/13g mwN; vgl RIS‑Justiz RS0047035; RS0021733).

Das Vorliegen der zwischenmenschlichen Komponente einer Wirtschaftsgemeinschaft wird von der Revision zutreffend nicht bestritten.

Es steht zwar fest, dass die beiden sogenannte getrennte Kassen führen und selbständig ihre Kosten tragen, sodass ein gemeinsames Wirtschaften aus von beiden Seiten gespeisten Mitteln ebenso zu verneinen ist, wie finanzielle Beiträge eines für den anderen; allerdings gestalten sie ihr Zusammenleben nicht ohne jede Erbringung von Diensten für den jeweils anderen und ohne wechselseitige Teilhabe an den eigenen Gütern. Mögen darin jeweils für sich allein betrachtet nur unbedeutende Leistungen zu erblicken sein, so rechtfertigen sie dennoch im Rahmen einer lebensnahen Einschätzung über den langen Zeitraum der Beziehung die Annahme eines Mindestmaßes einer dauernden wirtschaftlichen Verbindung, wie sie auch der Gestaltung von Ehen zweier berufstätiger Gatten nicht unähnlich ist. Im Zusammenhalt mit der (wenn auch überwiegenden) zwischenmenschlichen Komponente liegt deshalb auch in der Bejahung einer Wirtschaftsgemeinschaft keine unvertretbare Fehleinschätzung des Berufungsgerichts.

4. Dem Ersturteil ist zu entnehmen, dass die Beklagte mit dem Mann im Jahr 2006 eine sexuelle Beziehung einging, aber nicht festgestellt werden konnte, dass diese nach einer Herzoperation beim Mann und psychischer Probleme der Beklagten ab dem Jahr 2011 fortbestand.

Der erkennende Senat hat erst jüngst wiederholt, dass das Erfordernis einer Geschlechtsgemeinschaft bei älteren Personen (RIS‑Justiz RS0047017) oder angesichts des Gesundheitszustands eines Partners (5 Ob 70/06i) verzichtbar sein kann (3 Ob 241/13g). Selbst wenn also die Negativfeststellung dahin zu verstehen sein sollte, dass die ursprünglich eingegangene intime Beziehung seit 2011 nicht mehr aufrecht ist, schließt dieser Umstand die Bejahung einer Lebensgemeinschaft nicht aus.

Ob es weiterhin zum Austausch von Intimitäten und Zärtlichkeiten kam, ist daher nicht entscheidungswesentlich.

5. Die Kritik Gitschthalers (bereits in Gitschthaler/Höllwerth EheG § 75 Rz 7 [2008]) veranlasste den Obersten Gerichtshof nicht, von seiner ständigen Judikatur zum Ruhen des Unterhaltsanspruchs wegen einer Lebensgemeinschaft abzugehen (seither: 3 Ob 186/09p; 3 Ob 139/13g; 3 Ob 241/13g). Dazu bietet auch der vorliegende Fall keinen Anlass, weil weiter zu bedenken ist, dass der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten eine Nachwirkung der ehelichen Beistandspflicht darstellt und daran festzuhalten ist, dass ein in Lebensgemeinschaft lebender Geschiedener nicht besser gestellt sein darf, als ein Wiederverheirateter, dessen Unterhalt nach § 75 EheG erlischt (vgl Linder EuPR LebG‑Rechtsfolgen/Außen Rz 2). Dem Umstand, dass im Fall einer Lebensgemeinschaft der Unterhaltsberechtigte keinen (anderen) Unterhaltsanspruch gegen einen Dritten erwirbt, wird dadurch Rechnung getragen, dass der Eintritt des Ruhens eine eheähnliche Gemeinschaft samt einem Mindestmaß an wirtschaftlicher Verbindung erfordert und es nach der Beendigung der Lebensgemeinschaft (nach Einmahnung) ‑ anders als nach § 75 EheG ‑ zum Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs kommt.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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