OGH 2Ob32/14s

OGH2Ob32/14s28.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** J*****, vertreten durch Dr. Helmut Sommer und Mag. Felix Fuchs, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Dr. G***** J*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterhalt (Streitwert: 9.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 7. Jänner 2014, GZ 4 R 362/13x‑47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 16. August 2013, GZ 1 C 40/11b‑41, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00032.14S.0428.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die 1975 geschlossene Ehe der Streitteile wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 3. 2. 2010 aus dem Verschulden des Beklagten geschieden. Die Klägerin hatte die Scheidungsklage am 21. 8. 2008 eingebracht. Sie zog am 2. 3. 2011 aus der Ehewohnung aus. Der Beklagte zahlte der Klägerin vom 1. 8. 2011 bis 31. 12. 2011 50 EUR und vom 1. 1. 2012 bis 31. 8. 2013 130 EUR an monatlichem Unterhalt.

Mit der am 30. 8. 2011 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten monatlichen Unterhalt von 250 EUR ab 1. 8. 2011.

Der Beklagte bestritt die Höhe des begehrten Unterhalts.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Leistung monatlichen Unterhalts von 234 EUR ab 1. 11. 2014 und wies das Mehrbegehren ab.

Zu der in dritter Instanz allein strittigen Frage nach der Einbeziehung fiktiver Mieteinnahmen des Beklagten in die Unterhaltsbemessungsgrundlage traf es folgende wesentliche Feststellungen:

Die ehemalige Ehewohnung befand sich in einem Haus des Beklagten. Ein aus einer früheren Beziehung stammender Sohn des Beklagten bewohnt seit dem Jahr 1999 eine Wohnung im Obergeschoß. Die Wohnung wurde von dem Sohn grundlegend renoviert. Die Geldmittel in Höhe von rund 1 Mio S hatte ihm seine damalige Ehefrau zur Verfügung gestellt. Noch vor vollständiger Rückzahlung dieses Betrags wurde die Ehe des Sohnes (im August 2008) geschieden. Um der Zahlungspflicht gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau (nunmehr in Form einer Ausgleichszahlung) nachkommen zu können, nahm der Sohn bei seinem Bruder ein Darlehen auf. Er leistet derzeit Rückzahlungsraten von monatlich 200 EUR.

Seit seinem Einzug im Jahr 1999 zahlte der Sohn dem Beklagten Miete. Die Höhe des Mietzinses wurde mehrfach geändert. Betrug sie bis April 2005 noch 463 EUR zuzüglich Betriebskosten von 110 EUR, so verringerte sie sich in den Folgejahren sukzessive auf 247 EUR zuzüglich 140 EUR an Betriebskosten. Im Jahr 2008 ersuchte der Sohn den Beklagten, für den Zeitraum der Kreditrückzahlung an seinen Bruder auf den Mietzins zu verzichten. Der Beklagte folgte diesem Ersuchen. In der „fünften Ergänzung zum Wohnungsmietvertrag“ vom 30. 12. 2008 lautet es:

In Anbetracht der finanziellen Belastung durch die Scheidung und der schon 1999 am Wohnhaus getätigten Investitionen wird auf den Mietzins bis zur Abdeckung des Kredites, der zur Deckung der Scheidungskosten aufgenommen wurde, verzichtet.

Die Betriebskosten wurden in dieser Vertragsergänzung mit 200 EUR festgelegt. Für den Verzicht spielt auch eine Rolle, dass der Sohn dem Beklagten bei der Gartenarbeit und beim Heranschaffen des benötigten Brennholzes behilflich ist.

Vor den Umbauarbeiten des Sohnes hätte die Wohnung im Obergeschoß nicht an Dritte vermietet werden können, vor allem, weil kein Badezimmer vorhanden war. Am Wohnungsmarkt wäre für die Wohnung derzeit ein Nettomietzins von 425 EUR erzielbar.

Der Sohn ist seit November 2009 (als Ehe-, Familien- und Lebensberater) ausschließlich selbständig berufstätig. Bis dahin arbeitete er noch als Angestellter halbtags in einem Bildungs- und Rehabilitationszentrum. Im November 2009 mietete der Sohn auch die Wohnung im Erdgeschoß des Hauses des Beklagten, die er beruflich als „Praxis“ benützt. Für diese Wohnung bezahlt er dem Beklagten einen monatlichen Mietzins von 256 EUR zuzüglich 200 EUR an Betriebskosten.

In rechtlicher Hinsicht ermittelte das Erstgericht die Unterhaltsbemessungsgrundlage unter Einbeziehung der Hälfte des fiktiven Mieterlöses für die Wohnung im Obergeschoß. Aufgrund der eigenen Pensionseinkünfte der Klägerin, ihrer Einkünfte an Zinserträgen, der von ihr bezogenen und auf einen Zeitraum von 39 Monaten aufgeteilten Abfertigung, sowie der auf einen Zeitraum von 12 Monaten angerechneten „Überzahlungen“ des Beklagten gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass der Klägerin (erst) ab 1. 11. 2014 ein monatlicher Unterhalt von 234 EUR gebühre.

Der abweisende Teil dieser Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Das im Übrigen vom Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, der Beklagte sei an die mit seinem Sohn getroffene Vereinbarung, für die Wohnung im Obergeschoß ab 1. 1. 2009 keinen Mietzins zu verlangen, gebunden. Eine Kündigung des Mietverhältnisses zwecks gewinnbringender Neuvermietung könne vom Beklagten auch nach Anspannungsgrundsätzen nicht erwartet werden. Es sei auszuschließen, dass die Vereinbarung in „unterhaltsmindernder Absicht“ geschlossen worden sei. Ohne Einbeziehung fiktiver Mieteinkünfte könnte der Klägerin frühestens ab Juni 2015 ein Unterhaltsanspruch zustehen. Dem Beklagten sei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 7. 8. 2013 keine Unterhaltsverletzung vorwerfbar. Eine gemäß § 406 ZPO grundsätzlich zulässige Verurteilung zu erst künftig fällig werdenden Unterhaltsleistungen setze aber voraus, dass der Unterhaltspflichtige mit zumindest einer bereits fälligen Unterhaltsleistung im Rückstand sei oder eine Unterhaltsverletzung unmittelbar drohe. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.

Über Antrag der Klägerin änderte das Berufungsgericht seinen Zulassungsausspruch nachträglich dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Die Klägerin weise „nicht ohne eine gewisse Berechtigung“ darauf hin, dass der „Mietverzicht“ erst vier Monate nach der Ehescheidung des Sohnes vereinbart worden sei. Darin könnte eine „Überschreitung des Ermessensspielraums“ des Beklagten mit der Rechtsfolge liegen, dass die nicht gezogenen Mieteinkünfte doch zu berücksichtigen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

1. Vorauszuschicken ist:

§ 406 zweiter Satz ZPO gestattet bei „Ansprüchen auf Alimente“ (also etwa Unterhaltsansprüchen) auch die Verurteilung zu Leistungen, die erst in Zukunft, also nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig werden. Damit der Zuspruch für die Zukunft erfolgen kann, genügt es bei diesen Ansprüchen, dass der Schuldner seine Verpflichtungen (einmal) verletzt hat oder eine solche Verletzung droht (9 Ob 13/03g; 3 Ob 57/05m; RIS‑Justiz RS0047184). Ob ein schutzwürdiges Interesse an einem Urteil auf Zuerkennung erst künftig fällig werdender Unterhaltsleistungen zu bejahen ist, richtet sich nach den Verhältnissen bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (1 Ob 588/88).

Im vorliegenden Fall lag zu diesem Zeitpunkt keine Unterhaltsverletzung vor. Der Beklagte hat aber die Berücksichtigung fiktiver Mieteinkünfte für die Wohnung im Obergeschoß bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage abgelehnt. Wäre er mit dieser Auffassung im Unrecht, stünde der Klägerin nach der insoweit maßgeblichen Berechnung des Erstgerichts ab 1. 11. 2014 ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 234 EUR zu. Angesichts der vom Beklagten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung geleisteten Beträge von monatlich 130 EUR würde dies bedeuten, dass eine Unterhaltsverletzung droht. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Klärung der künftigen Leistungspflicht des Beklagten ist unter diesen Umständen zu bejahen.

2. Der Unterhaltsschuldner hat alle Kräfte anzuspannen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können (6 Ob 164/13f; RIS‑Justiz RS0047686). Dieser Grundsatz gilt auch im Ehegattenunterhaltsrecht, sowohl bei aufrechter Ehe als auch nach erfolgter Scheidung für Unterhaltsansprüche nach den §§ 66 ff EheG (1 Ob 104/09i). Ein Verzicht auf die Geltendmachung von dem Unterhaltsschuldner zustehenden Ansprüchen darf nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen (vgl 1 Ob 104/09i; 2 Ob 246/09d; RIS‑Justiz RS0107086).

Die Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen setzt aber eine dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbare Pflichtverletzung voraus, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt (RIS‑Justiz RS0107086; RS0047495). Der Anspannungsgrundsatz dient als eine Art Missbrauchsvorbehalt, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung höherer Einkünfte versäumt wird (1 Ob 104/09i; RIS‑Justiz RS0047495 [T4]). Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen in rückschauender Betrachtung als bestmöglich erweist, sondern vielmehr alleine bedeutsam, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist (6 Ob 586/93; 6 Ob 116/00b; 1 Ob 104/09i). Nur wenn der Verzicht auf die Erzielung eines höheren Einkommens durch berücksichtigungswürdige Gründe gerechtfertigt ist, kommt der Anspannungsgrundsatz nicht zur Anwendung (3 Ob 63/13f; RIS‑Justiz RS0047566).

Ob die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltspflichtigen vorliegen, richtet sich stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (3 Ob 63/13f; 6 Ob 164/13f; RIS‑Justiz RS0007096 [T1]).

3. Im vorliegenden Fall sah sich der Beklagte mit dem Ersuchen seines Sohnes, ihm bis zur vollständigen Rückzahlung seiner Kreditverbindlichkeiten den Mietzins zu erlassen, konfrontiert. Nach den Feststellungen hatte der Sohn die besagte Wohnung unter Einsatz beträchtlicher Geldmittel in einen zur Erzielung von Mieteinkünften tauglichen Zustand versetzt. Schon in den Jahren 2005 bis 2008 wurde die Höhe des von ihm entrichteten Mietzinses einige Male reduziert, was auf schon damals bestehende finanzielle Probleme hindeutet. Nach der Scheidung seiner Ehe hatte der Sohn, der gleichzeitig eine berufliche Neuorientierung versuchte, an seine geschiedene Ehefrau eine Ausgleichszahlung zu leisten, wofür er einen Kredit benötigte.

Unter Berücksichtigung dieser konkreten Umstände des Einzelfalls hält sich das Ergebnis des Berufungsgerichts noch im Rahmen der erörterten Rechtsprechung. Bei der Prüfung, ob berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen, können nämlich auch wirtschaftsfremde Erwägungen Berücksichtigung finden, etwa wenn sie ‑ wie hier ‑ von einer moralischen Verpflichtung getragen sind. Darin liegen systemimmanente Schranken des Anspannungsgrundsatzes (6 Ob 586/93; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 102). Es ist also noch vertretbar, derzeit von einer Anspannung abzusehen.

Dass die Verzichtsvereinbarung erst geschlossen wurde, nachdem die Klägerin im August 2008 die Scheidungsklage eingebracht hatte, ist kein zwingender Hinweis auf eine „ausschließliche Benachteiligungsabsicht“ des Beklagten, worauf schon das Berufungsgericht mit vertretbarer Begründung verwiesen hat. Waren doch gerade zu diesem Zeitpunkt nach der ‑ ebenfalls im August 2008 erfolgten ‑ Scheidung der Ehe des Sohnes dessen finanzielle Probleme akut, während Beendigung und Ausgang des Scheidungsverfahrens zwischen den Streitteilen sowie die Auflösung des gemeinsamen Haushalts noch in ungewisser Zukunft lag.

4. Da Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zu lösen sind, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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