OGH 11Os11/14y

OGH11Os11/14y8.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fellner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Leo C***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 5. November 2013, GZ 38 Hv 106/13z‑12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, und des Verteidigers Dr. Pichler zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Nichtunterstellung der Taten unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Leo C***** hat durch die im Schuldspruch angeführten Taten (auch) die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gemäß § 207 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung von § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Deren Vollzug wird für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Leo C***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollzug für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Danach hat er zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten zwischen Herbst 2010 und Juni 2011 in N***** in zwei Angriffen an dem am 10. August 2007 geborenen, sohin unmündigen Lenny M***** ‑ seinem Enkel (US 3) ‑ geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er jeweils dessen entblößten Penis ohne notwendige Veranlassung gezielt mit dem Finger berührte und daran über eine gewisse Zeitspanne lang drei bis vier Schwenkbewegungen vollzog.

Unter einem wurde der Angeklagte (verfehlt, da sich der Freispruch nicht auf eine selbstständige Tat bezog; vgl RIS-Justiz RS0120128; RS0117261; RS0091051; RS0098416) vom Vorwurf, er habe durch die im Schuldspruch angeführten Tathandlungen die (in der Anklage ON 5 angeführten) Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Vorliegen einer geschlechtlichen Handlung mit der Behauptung in Abrede stellt, dass es dem äußeren Erscheinungsbild des angeklagten Verhaltens an jeglicher Sexualbezogenheit fehle und dieses die für die Strafbarkeit geforderte Erheblichkeitsschwelle im Hinblick auf Bedeutung, Intensität und Dauer der Tat nicht überschreite, unterlässt sie prozessordnungswidrig die gebotene methodisch vertretbare Ableitung aus dem Gesetz (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584 und 588), aus welchem Grund in Ansehung der konstatierten gezielten und ohne betreuungs- oder pflegespezifischen Grund erfolgten Berührungen des entblößten Penis des unmündigen Opfers (US 3 f und 6) lediglich von unerheblichen flüchtigen Berührungen auszugehen und ein (objektiver!) Sexualbezug (für den eine sexuelle Tendenz im Sinne eines spezifischen Lustbezugs nicht erforderlich ist) zu verneinen gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0095733 [T2 und T4]; RS0078135 [T1]; 12 Os 5/09s; Philipp in WK² StGB § 207 Rz 9).

Indem der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang (erstmals) eigenständige Erwägungen zur Interpretation der Tathandlungen als „altersgerechte Aufklärung“ anstellt und weiters ausführt, dass auch die fehlende Reaktion des bei den Vorfällen anwesenden Vaters des Opfers gegen die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle spreche, wendet er sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld lediglich gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und verfehlt damit die prozessordnungsgemäße Darstellung der geltend gemachten Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0118342).

Mit dem Vorwurf fehlender Feststellungen zu den Umständen und Beweggründen der Tat, aus denen sich eine eindeutige sexuelle Sinnbezogenheit ableiten ließe, moniert der Rechtsmittelwerber schließlich einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605 und 611), übergeht dabei jedoch prozessordnungswidrig die von den Tatrichtern getroffenen Konstatierungen, wonach der Angeklagte seine Handlungsweise als geschlechtliche Handlung erkannte (US 4, 5; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Im Einklang mit den schriftlichen Ausführungen des Erstgerichts, irrig vom Erfordernis einer tatsächlichen Aufsichtssituation auch im Fall des § 212 Abs 1 Z 1 StGB ausgegangen zu sein (US 5 f und US 8), zeigt die Rechtsrüge (formell Z 9 lit a; richtig Z 10 ‑ Ratz, WK-StPO § 281 Rz 647) der Staatsanwaltschaft zutreffend auf, dass der Angeklagte aufgrund der oben dargestellten Tathandlungen (US 3 ff, US 7) neben den vom Erstgericht bereits verurteilten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB auch die ‑ hiezu in echter Idealkonkurrenz stehenden (RIS-Justiz RS0095110 [T3]; RS0090725; Philipp in WK² StGB § 207 Rz 26) und gesonderte Feststellungen zum Ausnützen der Stellung des Angeklagten gegenüber dem (zu ihm in einem entsprechenden Verwandtschaftsverhältnis stehenden) Opfer nicht erfordernden (vgl dementgegen § 212 Abs 1 Z 2 StGB) ‑ Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB zu verantworten hat.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil in der Nichtunterstellung auch unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB sowie im Strafausspruch aufzuheben und in der Sache selbst auf einen Schuldspruch nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB zu erkennen, die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aber zu verwerfen. Einer gesonderten Aufhebung des verfehlten Freispruchs bedurfte es nicht.

Bei der Strafbemessung war erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen und zweier Vergehen, mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und die Geringfügigkeit der Übergriffe.

Die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion entspricht dem Unrechts‑ und Schuldgehalt der Taten; die Anwendung des § 43 Abs 1 StGB ergibt sich bereits daraus, dass der diesbezügliche erstgerichtliche Ausspruch in der Berufung der Staatsanwaltschaft unbekämpft blieb.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte