European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00015.14Y.0319.000
Spruch:
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Die Erstantragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin und mit der Zweitantragstellerin, einer deutschen Staatsangehörigen, am 20. August 2008 vor dem Standesamt Krefeld/Deutschland eine Lebenspartnerschaft nach dem (d)LPartG eingegangen. Beide haben ihren Wohnsitz in Wels.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 erklärten die Antragstellerinnen, die Erstantragstellerin wolle durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung des Samens eines Dritten ein Kind empfangen; dem stimme die Zweitantragstellerin ausdrücklich zu. Sie beantragten dem entsprechend beim Erstgericht
1. die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gerichtlich zu Protokoll zu nehmen (§ 8 Abs 1 Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) und
2. sie zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen zeitnahen Termin zu laden.
Das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb einer Ehe oder verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaft verstoße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung.
Das Erstgericht wies das Begehren der Antragstellerinnen zurück, weil nach § 2 Abs 1 FMedG eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob § 2 Abs 1 FMedG gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstoße, nicht vorliege.
Mit ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragstellerinnen, die Vorentscheidungen dahin abzuändern, dass ihrem Begehren stattgegeben werde.
Unter anderem über Antrag des erkennenden Senats gemäß Art 89 B‑VG (Art 140 B‑VG) vom 19. Dezember 2012, 3 Ob 224/12f, hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2013, GZ G 16/2013-16, G 44/2013-14, folgende Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden (Fortpflanzungsmedizingesetz ‑ FMedG), BGBl Nr 275/1992, als verfassungswidrig auf: 1. in § 2 Abs. 1 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“, 2. § 2 Abs. 2 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, und 3. § 3 Abs. 1 und 2 in der Stammfassung BGBl. Nr. 275/1992. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 2014 in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.
Rechtliche Beurteilung
Daraus folgt, dass der Revisionsrekurs zulässig und berechtigt ist, weil § 2 Abs 1 FMedG dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach § 8 Abs 1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, nicht mehr entgegensteht.
1. Der Oberste Gerichtshof hat schon im Aufhebungsantrag dargelegt, dass auf den Antrag noch § 8 Abs 1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111, anzuwenden ist, sodass für den konkreten Fall die gerichtliche Zuständigkeit für die Protokollierung der Zustimmung gegeben ist. Daran ist festzuhalten.
2. Auch wenn der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Aufhebung erst mit Ablauf des 31. Dezember 2014 in Kraft tritt, ist die aufgehobene Norm doch auf den „Anlassfall“, hier also auf den vorliegenden Antrag nicht anzuwenden (Art 140 Abs 7 B-VG; RIS-Justiz RS0054005; Mayer B-VG8 487).
3. Das bedeutet, dass der von den Vorinstanzen herangezogene Zurückweisungsgrund nicht aufrechterhalten werden kann, weshalb deren Beschlüsse aufzuheben waren. Gleichzeitig ist dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen; daher wird es die Antragstellerinnen zwecks Protokollierung ihrer Zustimmungen zu laden haben.
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