OGH 9ObA1/14h

OGH9ObA1/14h26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Kerschbaum Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 2.655,30 EUR sA (Revisionsinteresse 1.566,64 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Oktober 2013, GZ 11 Ra 66/13z‑18, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Juli 2013, GZ 10 Cga 88/12s‑13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00001.14H.0226.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 336,82 EUR (darin enthalten 56,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte auf die arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach sämtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis, soweit gesetzlich oder kollektivvertraglich nichts anderes vorgesehen ist, bei sonstigem Verfall spätestens am Ende des dritten Monats ab der Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind, berufen konnte, ist zutreffend. Es kann daher auf dessen Begründung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Den Ausführungen der Revision ist ergänzend Folgendes entgegenzuhalten:

I. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass zwischen der Frage der vertraglichen Unabdingbarkeit eines Anspruchs und der Frist für dessen Geltendmachung zu unterscheiden ist und dass auch bei unabdingbaren Ansprüchen eine kürzere als die dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist nach § 1486 ABGB für die Geltendmachung der Ansprüche vereinbart werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0034517 mzwN; zuletzt etwa 8 ObA 86/11x = DRdA 2013/22 [mit kritischer Anmerkung von Eypeltauer ]). Die vereinzelt gebliebene Entscheidung zu 4 Ob 7/74 (= ZAS 1975, 221 [mit ablehnender Besprechung durch Bydlinski ]), wonach dann, wenn der Kollektivvertrag keine Regelung enthält, zwingend die gesetzliche Frist als festgelegt gilt, ist überholt (RIS‑Justiz RS0070904; zuletzt 9 ObA 134/13s). Naturgemäß unterliegen aber auch vertragliche Verfallsklauseln ‑ wie jede andere vertragliche Vereinbarung ‑ der allgemeinen Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 879 ABGB. Sie sind dann als sittenwidrig zu erachten, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RIS‑Justiz RS0016688 mzwN).

II.1. Die wiederholte Kritik an der Rechtsprechung zur im Rahmen der Sittenwidrigkeitsgrenze zulässigen Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist stützt sich vor allem darauf, dass zwischen der Unabdingbarkeit des Anspruchs einerseits und der Dauer, in der dieser geltend gemacht werden kann, nicht unterschieden werden könne (vgl dazu zuletzt ausführlich Eypeltauer , Verfall und Verjährung im Arbeitsrecht, DRdA 2013, 377 ff [381]).

II.1.1. Dazu ist vorweg allgemein darauf zu verweisen, dass nicht nur im Gesetz selbst, sondern regelmäßig auch in den Kollektivverträgen und Einzelverträgen zwischen den Fragen, welche Ansprüche als solche bestehen sollen und wie lange diese geltend gemacht werden können, unterschieden wird.

II.1.2. Allgemein zivilrechtlich ist nun nicht bestritten, dass sich aus der Anordnung des § 1502 ABGB, wonach eine längere als die gesetzliche Verjährungsfrist grundsätzlich nicht vereinbart werden kann, e contrario ergibt, dass vertragliche Verkürzungen der Verjährungsfristen grundsätzlich zulässig sind, aber naturgemäß den allgemeinen zivilrechtlichen Prüfungsmechanismen etwa nach § 879 ABGB oder auch im Rahmen der Überprüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechen müssen (vgl dazu etwa Mader/Janisch in Schwimann , ABGB³ § 1502 Rz 6; Dehn in KBB³ § 1502 Rz 2; R. Madl in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 1502 Rz 9 uva; RIS‑Justiz RS0034782 mwN).

II.1.3. In der arbeitsrechtlichen Lehre und Literatur finden sich ‑ wie bereits dargestellt ‑ mehrere kritische Stimmen, die sich gegen die Zulässigkeit der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist bei zwingenden arbeitsrechtlichen Ansprüchen wenden (vgl etwa Eypeltauer aaO; Grillberger in Löschnigg , Angestelltengesetz 8 § 34 Rz 20; Pfeil in ZellKomm² § 34 Rz 21; Preiss in ZellKomm² § 1486 ABGB Rz 16; Strasser/Jabornegg , Arbeitsrecht II 4 , 147; anzumerken ist, dass zwischen der Zulässigkeit der Verkürzung der allgemeinen Verjährungsfrist des § 1486 ABGB und etwa der Verfallsfrist der § 34 AngG und § 1162d ABGB unterschieden werden muss ‑ s unten). Teilweise hält die Lehre aber auch ausdrücklich sachlich begründbare Verkürzungen (so ja auch die Rechtsprechung RIS‑Justiz RS0016688) der allgemeinen Verjährungsfrist für zulässig (Krejci in Rummel , ABGB³ § 1164 Rz 16), spricht sich für eine Ausweitung der Wirksamkeit solcher Verfallsklauseln im Sinn einer amtswegigen Wahrnehmung aus ( Marhold/Friedrich , Österr. Arbeitsrecht², 179 f) oder übernimmt diese Linie der Rechtsprechung ( Schrammel , Arbeitsrecht II 6 , 87; Windisch‑Graetz , Arbeitsrecht II 8 , 99 f).

II.1.4. Die Argumente der Kritiker, insbesondere von Eypeltauer (aaO), die auf die schwierige Lage des Arbeitnehmers im aufrechten Arbeitsverhältnis bei der „Geltendmachung“ von offenen Arbeitnehmeransprüchen hinweisen, mögen rechtspolitisch nachvollziehbar sein. Diese Überlegungen müssen aber letztlich vom Gesetzgeber mit anderen rechtspolitischen Interessen, etwa an einer möglichst raschen Abklärung strittiger Fragen oder ‑ etwa bei der Einstufung in einem KV ‑ der Einschätzung der tatsächlichen Kostenstruktur abgewogen werden.

II.1.5.1. De lege lata ist keine gesetzliche Regelung ersichtlich, die eine Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung in Arbeitsverträgen generell verbieten würde (vgl Preiss in ZellKomm² § 1486 ABGB Rz 67).

II.1.5.2. Aus § 1502 ABGB ergibt sich der Gegenschluss, dass zwar eine Verlängerung der Verjährungsfrist, nicht aber deren Verkürzung unzulässig ist.

II.1.5.3. Auch lassen die Sonderregelungen des § 11 Abs 2 Z 5 AÜG über die Unzulässigkeit von Verfalls ‑ und Verjährungsverkürzung bei überlassenen Arbeitskräften ebenso wie jene des § 26 Abs 8 AZG über die Hemmung vertraglicher Verfallsfristen bei fehlenden Arbeitsaufzeichnungen ‑ wie die Kritiker selbst erkennen ‑ den Schluss zu, dass sonst solche kürzeren vertraglichen Verfallsfristen zulässig sind.

II.1.5.4. Dass dem Gesetzgeber die Problematik rechtshistorisch bewusst war (vgl dazu etwa Holzer , Verfall und Verjährung von Entgeltansprüchen DRdA 1987, 141 unter Hinweis auf Ofner , Protokoll II, 256 f und 276 f), spricht im Hinblick auf die allgemeine Anordnung des § 1502 ABGB eher dafür, dass im Gesetzgebungsprozess letztlich doch bewusst keine Unterscheidung vorgenommen wurde. Wäre es doch ein Einfaches gewesen, den sich aus § 1502 ABGB aufdrängenden Schluss, dass Verjährungsfristen zwar nicht verlängert, aber verkürzt werden können, durch eine klare gesetzliche Anordnung hinsichtlich unabdingbarer Ansprüche auszuschließen.

II.1.5.5. Dass sich der Gesetzgeber durchaus bewusst ist, dass es gesonderter Anordnungen hinsichtlich der Unabdingbarkeit der Ansprüche dem Grunde nach einerseits und der Fristen für die Geltendmachung andererseits bedarf, zeigt etwa auch die Regelung des § 1164 ABGB. Diese bestimmt in differenzierter Weise, welche im ABGB für den Dienstvertrag festgelegten Bestimmungen nicht durch Vereinbarung zu Lasten der Dienstnehmer abdingbar sein sollen. § 1164 ABGB legt nun sowohl die Regelung nach § 1162b ABGB ‑ Anspruch auf Kündigungsentschädigung  ‑ als auch die Regelung nach § 1162d ABGB ‑ Frist zur Geltendmachung von Kündigungsentschädigungen ‑ als unabdingbar fest (ähnlich § 40 AngG). Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass mit der Festlegung eines unabdingbaren Anspruchs auch die an anderer Stelle geregelte Frist für dessen Geltendmachung unabdingbar wird, so hätte es dieser Aufnahme des § 1162d ABGB in § 1164 ABGB wohl nicht bedurft.

II.2. Die Kritiker machen ferner geltend, dass die kürzeren vertraglichen Verfallsfristen doch auch dort greifen würden, wo es um eindeutige und unbestreitbare Ansprüche des Arbeitnehmers gehen würde (vgl dazu etwa Eypeltauer aaO, 379). Dazu ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof stets betont hat, dass nur sachlich begründbare und die Geltendmachung nicht unzumutbar einschränkende Verkürzungen der gesetzlichen Verjährungsfrist vor dem Sittenwidrigkeitskalkül des § 879 ABGB Bestand haben können (RIS‑Justiz RS0016688), und auch bereits ausgesprochen hat, dass dann, wenn sich aus dem Verhalten des Arbeitgebers ergibt, dass dieser Kenntnis von den Ansprüchen hat, eine weitere „außergerichtliche Geltendmachung“ naturgemäß nicht erforderlich ist (vgl 8 ObA 34/07v = DRdA 2008/41 [ Eypeltauer ]; 9 ObA 21/13y).

II.3. Es fehlt also im Ergebnis an einer gesetzlichen Anordnung, die es rechtfertigen würde, allgemein von einer Unzulässigkeit der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen bei unabdingbaren Ansprüchen im Arbeitsverhältnis auszugehen. Die vorliegende Vereinbarung einer dreimonatigen Frist für die außergerichtliche schriftliche Geltendmachung kann unter dem Aspekt der strittigen Ansprüche auch nicht als unsachlich und gegen § 879 ABGB verstoßend angesehen werden. Im vorliegenden Fall war zwischen den Arbeitsvertragsparteien offenbar eine andere Einstufung als die von der Klägerin begehrte vereinbart. Die Umstände, die die tatsächliche Einstufung und damit auch die Kostenstruktur des Betriebs bestimmen, können damit nicht als so eindeutig und unbestreitbar gelten, dass der Arbeitgeber ohnehin von diesen Ansprüchen schon Kenntnis hatte. Vielmehr sind diese Ansprüche eben in der von den Vertragsparteien festgelegten Frist geltend zu machen und zu überprüfen.

III. Die Frage, inwieweit die konkrete vertragliche Vereinbarung gegen das „Transparenzgebot“ verstoßen haben könnte, bedarf schon deshalb keiner weiteren Erörterung, weil dies im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht geltend gemacht wurde.

IV. Insgesamt war daher der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO.

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