European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00010.14I.0225.000
Spruch:
Das als außerordentliche Revision zu behandelnde Rechtsmittel wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 6. 9. 2012 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 15. 3. 2012 auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, dass die Wartezeit nicht erfüllt sei.
In seiner gegen den Bescheid gerichteten Klage macht der Kläger geltend, zwei Forschungsstipendien in der Dauer von 17 Monaten seien nicht berücksichtigt worden. In der Folge brachte er vor, er habe am 15. 4. 2011 einen Verkehrsunfall erlitten, als er sich über Veranlassung des Arbeitsmarktservice auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch befunden habe. Aufgrund der Folgen dieses Unfalls sei er nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Da der Unfall als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei, entfalle die Wartezeit (§ 235 Abs 3 ASVG).
Die beklagte Partei wendete ein, es liege kein Arbeitsunfall vor. Aus einem Schreiben der AUVA Graz vom 24. 5. 2011 ergebe sich, dass der Unfall vom 15. 4. 2011 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde. Dagegen habe der Kläger keinen Einspruch erhoben. Gemäß dem Inhalt des Schreibens der AUVA werde der Unfall ‑ vorbehaltlich der Zustimmung durch den Leistungsausschuss ‑ nicht als Arbeitsunfall angesehen, da der zurückgelegte Weg nicht unter Versicherungsschutz gestanden sei (Blg ./1).
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
„Am 15. 4. 2011 hatte der (in Bleiburg wohnhafte) Kläger über Veranlassung des Arbeitsmarktservice V***** ein Vorstellungsgespräch bei der in Klagenfurt, St. Peter Straße, ansässigen G***** GmbH. Er benutzte den Zug bis Ebenthal/Klagenfurt und anschließend sein mitgenommenes Fahrrad. Als ihm bei dem Gespräch der Vorschlag unterbreitet wurde, ab dem folgenden Montag eine Arbeit als Büroangestellter aufzunehmen, erbat sich der Kläger Bedenkzeit und äußerte, er werde am Nachmittag noch einmal vorbeikommen, um seinen Entschluss bekanntzugeben. Nach dem Ende des Gesprächs um etwa 12:30 Uhr begab er sich ins Stadtzentrum von Klagenfurt, wo er eine Jause zu sich nahm. Gegen 13:00 Uhr fuhr er mit seinem Fahrrad auf der Völkermarkter Straße stadtauswärts, um sich in der St. Peter Apotheke einen bestimmten Tee zu besorgen. Als er feststellte, dass diese Apotheke geschlossen hatte, fuhr er weiter stadtauswärts bis zur Kreuzung mit dem Südring, um auf diesem wieder zurück in die St. Peter Straße zur G***** GmbH zu fahren. Auf der Höhe Völkermarkter Straße 160 wurde er gegen 13:40 Uhr von einem Pkw erfasst und dabei verletzt.
Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Kläger infolge des Bezugs von Notstandshilfe, Überbrückungshilfe und Krankengeld pflichtversichert. Am 24. 5. 2011 teilte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt dem Kläger mit, dass der Unfall vom 15. 4. 2011 nicht als Arbeitsunfall anzusehen sei, da der zurückgelegte Weg nicht unter Versicherungsschutz gestanden sei (Blg ./1).“
Rechtlich ging das Erstgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren wesentlich ‑ davon aus, dass ein einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall iSd § 176 Abs 1 Z 8 ASVG dann vorliege, wenn er sich in Fällen ereigne, in denen eine Person auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice eine Arbeits‑ oder Ausbildungsstelle aufsuche oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehe. Nach § 176 Abs 3 ASVG seien den iSd Abs 1 Z 8 tätig werdenden Personen Leistungen der Unfallversicherung aus einem bei dieser Tätigkeit eingetretenen Unfall auch zu gewähren, wenn sie nicht unfallversichert sind. Gemäß § 176 Abs 5 ASVG sei § 175 Abs 2 Z 1 ASVG entsprechend anzuwenden. Grundsätzlich stehe nur der (streckenmäßig oder zeitlich) kürzeste Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung unter Unfallversicherungsschutz, im vorliegenden Fall demgemäß nur der direkte Weg vom Wohnort des Klägers in Bleiburg zum Vorstellungsgespräch und zurück. Sollte der Kläger tatsächlich Zeit zum Abwägen seiner Entscheidung benötigt haben, sei dies seiner Privatsphäre zuzurechnen. Dies treffe auch auf die Fahrten ins Stadtzentrum und zur Apotheke zu, die ebenfalls eigenwirtschaftlichen Interessen dienten und deshalb nicht unter Unfallversicherungsschutz stehen. Jedenfalls stellten diese Fahrten einen erheblichen Umweg (Abweg) dar. Da der Unfall kein Arbeitsunfall iSd § 176 Abs 1 Z 8 ASVG iVm § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sei, könne sich der Kläger nicht auf den Entfall der Wartezeit berufen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es verwies auf die Richtigkeit der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 500a ZPO). Nach der zu § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ergangenen Rechtsprechung sei grundsätzlich nur der Arbeitsweg von der Wohnung des Versicherten zu seiner Arbeitsstätte geschützt. Allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse gewählte örtliche Abweichungen vom kürzesten Weg (Umwege, Abwege) seien in der Regel mangels besonders gegenteiliger Umstände nicht versichert. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt habe, als er sich nach Einnahme einer Mittagsjause und einer privaten Erledigung ein zweites Mal zur G***** GmbH begeben wollte. Beim Aufsuchen der Apotheke habe er sich somit bereits auf einem im privatwirtschaftlichen Interesse gewählten Abweg befunden, der nicht unter Unfallversicherungsschutz stehe. Da kein Fall der Unterbrechung des Arbeitswegs vorliege, komme es auf die Dauer der zwischen der Beendigung des Bewerbungsgesprächs und dem Unfall liegenden Zeitspanne nicht an.
Gegen diese Entscheidung richtet sich das als „ordentliche Revision“ bezeichnete Rechtsmittel des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
Soweit der Kläger in seiner in der Revisionsschrift enthaltenen Zulassungsbeschwerde eine Abänderung des Unzulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts dahin anstrebt, dass seine (ordentliche) Revision doch zugelassen werde, ist sie verfehlt, weil in Streitigkeiten in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO idF ZVN 2002, BGBl I Nr 76/2002) gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil ‑ wie hier ‑ nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat (ON 28), bedarf es einer Abänderung des Ausspruchs für die Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht in diesem Fall nicht. Das vorliegende Rechtsmittel des Klägers ist daher als außerordentliche Revision zu behandeln, deren Zulässigkeit vom Obersten Gerichtshof ausschließlich nach § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen ist (RIS Justiz RS0110049 [T8]).
Danach ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Prozessrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1. Gemäß § 235 Abs 3 lit a ASVG entfällt für Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit im Fall eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit die Wartezeit.
2. Dass dem ‑ nicht in Bescheidform ergangenen ‑ Schreiben der AUVA vom 24. 5. 2011 die Qualität eines die Gerichte bindenden rechtskräftigen Bescheids des zuständigen Trägers der Unfallversicherung über das (Nicht‑)Vorliegen eines Arbeitsunfalls zukomme, wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
3. Verrichtungen und Wege, die mit der Arbeitssuche zusammenhängen, sind grundsätzlich dem eigenwirtschaftlichen (nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegenden) Bereich der Arbeitssuche zuzurechnen (10 ObS 85/12s).
4. Als Ausnahme von diesem Grundsatz stellt § 176 Abs 1 Z 8 ASVG einen Unfall den Arbeitsunfällen gleich, der sich in Fällen ereignet, „in denen Personen auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice eine Arbeits‑ oder Ausbildungsstelle aufsuchen oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehen“. § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist „entsprechend“ anzuwenden (§ 176 Abs 5 ASVG).
5. Nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist der mit der Beschäftigung zusammenhängende direkte Weg zur oder von der Arbeits‑ oder Ausbildungsstätte versichert (RIS‑Justiz RS0084380), der in der Absicht zurückgelegt wird, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen bzw nach ihrer Beendigung wieder in den privaten Wohnbereich zurückzukehren. Ausgangs‑ und Endpunkt des Wegs ist somit der ständige Aufenthaltsort (10 Obs 209/95, SSV‑NF 9/98). Ereignet sich ein Unfall nicht auf dem Weg von der Wohnung (dem ständigen Aufenthaltsort), sondern etwa auf dem Weg von einem ausschließlich aus eigenwirtschaftlichen Interessen aufgesuchten weiter entfernten Gastlokal, ohne dass objektive Gründe einen sachlichen Zusammenhang dieses Abwegs mit der versicherten Tätigkeit herstellen, besteht kein Unfallversicherungsschutz, weil der Versicherungsschutz nur eingreift, wenn der Weg angetreten wird, um die versicherte Tätigkeit auszuüben oder eine Wohnfunktion in Anspruch zu nehmen. Bei Wegunfällen ist der Unfallversicherungsschutz dann zu verneinen, wenn sich der Unfall auf einer Phase des Wegs ereignete, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen dient (10 ObS 274/98m, SSV‑NF 12/107). Ob die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen (Abwegen) vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0084380 [T8]).
6. Wendet man diese Rechtsprechung „entsprechend“ (§ 176 Abs 5 ASVG) auf die auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice aufgesuchte Arbeitsstelle an, stehen demnach Unfälle auf Wegen zu oder von einem auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice geführten Vorstellungsgespräch unter Unfallversicherungsschutz, deren Ausgangs‑ bzw Endpunkt der Wohnort oder die Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ist (R. Müller in SV‑Komm § 176 Rz 59).
Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger zum Unfallszeitpunkt aber nicht auf einem derartigen Weg, sondern auf dem Weg von einer ausschließlich aus eigenwirtschaftlichen (privaten) Motiven aufgesuchten Apotheke zu den Räumlichkeiten der G***** GmbH. Die Ansicht der Vorinstanzen, ein den Arbeitsunfällen gleichgestellter Unfall iSd § 176 Abs 1 Z 8 ASVG liege (vor dem Hintergrund der örtlichen Gegebenheiten) schon im Hinblick auf diesen Ausgangspunkt nicht vor, weicht von den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht ab und stellt somit keine vom Obersten Gerichtshof iSd § 502 Abs 1 ZPO im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Der in der Revision vertretenen Meinung, es bestehe Versicherungsschutz bereits aus dem Grund, dass sich der Kläger (neuerlich) auf dem Weg zur „Arbeitsstätte“ befunden habe, auch wenn der Ausgangsort nicht seine Wohnung war, ist demgegenüber nicht zu folgen. Dass die Wegstrecke von der Apotheke kürzer ist, als jene von der Wohnung des Klägers (in Bleiburg), ist nicht maßgeblich.
7. Die Anerkennung des gegenständlichen Unfalls als Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG würde voraussetzen, dass er sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einer „die Versicherung begründenden Beschäftigung“ ereignet hätte. Bei seinem Vorbringen, der Versicherungsschutz sei infolge des zu bejahenden Zusammenhangs ‑ wenngleich er unterbrochen gewesen sein mag ‑ jedenfalls für die Wegstrecke von der Apotheke zur Arbeitsstätte „wieder aufgelebt“, übersieht der Revisionswerber, dass ein die Unfallversicherung begründendes Beschäftigungsverhältnis nicht bestand, sodass er sich im Unfallszeitpunkt nicht auf einem mit der Beschäftigung nach § 175 Abs 1 ASVG zusammenhängenden Weg befinden konnte. Ein Versicherungsschutz nach dieser Gesetzesstelle kommt demgemäß nicht in Betracht. Auf das diesbezügliche weitere Revisionsvorbringen ist daher nicht einzugehen.
8. Eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung wird auch nicht mit dem Vorbringen aufgezeigt, selbst wenn man die Fahrt von der Apotheke zur G***** GmbH nicht mehr im Zusammenhang mit dem vom Arbeitsmarktservice veranlassten Vorstellungsgespräch sehen wollte, bestehe Versicherungsschutz aufgrund der Tatsache, dass es sich dann um eine Arbeitssuche „aus Eigeninitiative“ gehandelt habe. Nach der jüngeren Rechtsprechung zu § 176 Abs 1 Z 8 ASVG kommt es für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes nämlich darauf an, ob der Arbeitslose vom Arbeitsmarktservice unter Sanktionsdrohung zum Aufsuchen einer Arbeits‑ oder Ausbildungsstelle angehalten und damit „hiezu veranlasst“ wurde (10 ObS 85/12s; zuletzt 10 ObS 56/13b mwN). Ausgehend vom Revisionsvorbringen wäre diese Voraussetzung gerade nicht erfüllt.
Die Revision ist aus diesen Gründen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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