OGH 10ObS274/98m

OGH10ObS274/98m18.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Hon.Prof.Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Manuel P*****, geboren am 26.7.1986, ***** vertreten durch Christine P*****, ebendort, diese vertreten durch Dr.Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hinterbliebenenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.März 1998, GZ 7 Rs 71/98g-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23.September 1997, GZ 29 Cgs 230/96t-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Mutter des Klägers und Versicherte Petra P***** war 1995 in *****, wohnhaft und war als Angestellte der M***** GmbH, welche ebenfalls in ***** das Animierlokal "V***** R*****" betrieb, teilzeitbeschäftigt. Zudem war sie als künftige Geschäftsführerin dieses Lokals, das von ihrem Vater und Gesellschafter geleitet wurde, vorgesehen. Im Rahmen ihres versicherten Dienstverhältnisses war sie verantwortlich für die Reinigung des Lokals, die Tätigung von Bestellungen sowie in Abwesenheit ihres Vaters auch zur Durchführung der täglichen Abrechnung am Morgen des täglich von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geöffenten Lokals. Im Oktober 1995 weilte der Vater von Petra P***** im Ausland, sodaß sich während dieser Abwesenheit dessen Tochter sowie der zweite Gesellschafter abwechselnd um die Belange des Lokals kümmern sollten. Am Abend des 21.10.1995 fuhr Petra P***** daher zunächst von ihrer Wohnung zur "V***** R*****", um dort die gewohnten Arbeiten zu erledigen. Irgendwann im Laufe der Nacht brach sie dann mit Freunden zu einer privaten Discotour auf, im Rahmen derer sie gegen 4.30 Uhr im Lokal "M***** V*****" in *****, eintraf und in Gesellschaft einiger Bekannter ein Getränk konsumierte. Kurz vor 6.00 Uhr früh (Schließzeit im Lokal "V***** R*****") rief Petra P***** eine dort arbeitende Beschäftigte an, um ihr baldiges Erscheinen zwecks täglicher Abrechnung abzukündigen. P***** lud die anwesende Runde ein, mit ihr zu fahren und in der "V***** R*****" noch etwas zu trinken. Schließlich brach sie in Begleitung dreier weiterer Personen auf und fuhr die Gruppe im PKW der Petra P***** Richtung Silberwaldstraße. Ob Petra P*****, die zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich alkoholisiert war, das Fahrzeug auch lenkte, kann nicht mehr festgestellt werden. Infolge überhöhter Geschwindigkeit kam das Fahrzeug auf diesem Weg ins Schleudern und stieß gegen einen Baum, wodurch sämtliche Insassen ums Leben kamen.

Das Lokal "M***** V*****" ist von der "V***** R*****" weiter entfernt als die Wohnung der Petra P*****. Das "M***** V*****" wurde nicht von der M***** GesmbH betrieben und hatte Petra P***** im Rahmen ihres Dienstverhältnisses mit dieser Firma dort nichts zu tun.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 13.11.1996 lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der Unfallversicherung nach seiner am 7.11.1995 verstorbenen Mutter ab.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stellte der Kläger das Begehren auf Zuerkennung der Waisenrente seit 8.11.1995.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß die zum Unfall führende Fahrt der Mutter des Klägers nicht auf einem unfallversicherungsgeschützten Weg stattgefunden und damit nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z1 ASVG zu beurteilen sei. Der Besuch des Lokals "M***** V*****" vor Fahrtantritt zur Arbeitsstelle stelle einen ausschließlich privat motivierten Abweg dar. Eine Risikoerhöhung durch Inkaufnahme eines (gegenüber der Wohnung) längeren Anfahrtsweges trotz der nach durchwachter Nacht zu erwartenden Übermüdung des Lenkers (sollte dieser nicht Petra P***** selbst gewesen sein und dieser, anders als die Genannte, nicht alkoholisiert gewesen sein), liege auf der Hand.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen und ausschließlich auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung nicht Folge. Es schloß sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Petra P***** sei von keinem ihrer beiden Wohnsitze (G***** bzw W*****) zu ihrem Arbeitsplatz gefahren; hätte sie die Fahrt von einem dieser Wohnsitze angetreten, wäre sie an der Unfallsstelle nicht vorbeigekommen. Sie befand sich daher auf einem nicht gesetzlich unfallversicherten Weg.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen "aufzuheben" (gemeint wohl: abzuändern) und der Klage stattzugeben; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen noch folgendes entgegenzuhalten:

Gemäß § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Außerhalb dieser Erwerbstätigkeit umfaßt der Unfallversicherungsschutz auch Wegunfälle. Dies sind Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG). Darunter ist grundsätzlich der Weg zwischen Arbeitsstätte und ständigem Aufenthaltsort (und umgekehrt) zu verstehen. Mit § 175 Abs 2 Z 7 ASVG hat der Gesetzgeber überdies auch Wege von der Arbeitsstätte nach Hause (und umgekehrt) oder zu einer anderen in der Nähe der Arbeitsstätte gelegenen Möglichkeit zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse während einer Arbeitspause geschützt. Während die Arbeitsstätte praktisch immer unzweifelhaft feststellbar ist, stellt sich im Rahmen der Wegprüfung auch die Frage, was unter dem zweiten Endpunkt des geschützten Weges, nämlich "Wohnung" bzw "ständigem Aufenthaltsort" des Arbeitnehmers zu verstehen ist. Ausgangspunkt der Betrachtung ist dabei die Wohnfunktion: Der Schutz der Unfallversicherung greift nur ein, wenn der Weg angetreten wird, um entweder die versicherte Tätigkeit auszuüben oder eine Wohnfunktion in Anspruch zu nehmen; bei Wegunfällen ist ein Unfallversicherungsschutz hingegen immer dann zu verneinen, wenn sich der Unfall in einer Phase des Weges ereignete, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen dient (SSV-NF 10/102, 10 ObS 348/97t, jeweils mit ausführlichen weiteren Nachweisen insbesondere auch aus dem Schrifttum). Der innere Zusammenhang zwischen einem Weg und der Versichertentätigkeit ist hiebei freilich nicht nur gegeben, wenn die versicherte Tätigkeit den alleinigen Grund für das Zurücklegen des Weges bildete. Diente der Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit sowohl der Versichertentätigkeit als auch eigenwirtschaftlichen Interessen ("gemischter Weg"), so ist entsprechend den von der Judikatur herausgearbeiteten Grundsätzen bei gemischten Tätigkeiten für den Versicherungsschutz bedeutsam, ob sich der zurückgelegte Weg eindeutig in zwei Teile zerlegen läßt, von denen der eine der versicherten und der andere der nicht versicherten Tätigkeit gedient hat. Soweit diese Aufteilung nicht möglich ist, besteht der innere Zusammenhang, wenn der Weg zwar nicht allein, jedoch zumindest auch wesentlich der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt war (10 ObS 162/97i ebenfalls mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Im vorliegenden Fall befand sich die Versicherte - wie unbestritten ist - nicht auf dem Weg von ihrer Wohnung (ihrem ständigen Aufenthaltsort) nahe der Arbeitsstätte in G*****, sondern auf dem Weg von dem ausschließlich aus eigenwirtschaftlichen (privaten) Motiven aufgesuchten und auch weiter entfernten Lokal "M***** V*****" - welches sie im Zuge einer "privaten Discotour" in der Nacht aufgesucht hatte - zum Arbeitsplatz, wobei auch hier die Einladung der sie begleitenden Runde, mit ihr in der "V***** R*****" noch etwas zu trinken, ausschlaggebend für die Fahrgemeinschaft zu viert Richtung G***** war. Für die Wahl dieses Um-(Ab-)weges waren somit ausschließlich private Gründe maßgebend. Damit ereignete sich aber der spätere Unfall nicht auf dem direkten Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte; dafür, daß objektive Gründe einen sachlichen Zusammenhang dieses Umweges (Abweges) mit der versicherten Tätigkeit (im Sinne der Grundsätze bei gemischten Tätigkeiten) herstellten, fehlt jeglicher Hinweis. Mit der Bestimmung des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist lediglich der direkte kürzeste Weg zum und vom Arbeitsplatz vom Versicherungsschutz umfaßt (SSV-NF 4/67). Die Fahrt - und zwar gleichermaßen, ob als (erheblich alkoholisierte) Lenkerin oder nur als Beifahrerin - von dem ausschließlich privaten Zwecken dienenden vorangegangenen Lokalbesuch zur Arbeitsstätte und damit der hiebei eingetretene Unfall der Versicherten und Mutter des Klägers wurden daher von den Vorinstanzen mangels sachlicher Verknüpfung dieses Verhaltens mit der versicherten Tätigkeit (vgl SSV-NF 10/7) zutreffend nicht als Arbeitsunfall mit Versicherungsschutz im Sinne des § 175 ASVG beurteilt. Hiedurch wurde auch nicht -wie in der Revision vermeint - ihr Recht als Bürger auf freie und selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebensstils (im Sinne des Art 8 MRK) grundrechtlich eingeschränkt, sondern bloß der nach § 175 Abs 1 ASVG geforderte sozialversicherungsrechtliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit beseitigt. Aufgrund dieser vom Obersten Gerichtshof in ständiger Judikatur herausgearbeiteten und vom Berufungsgericht beachteten Kriterien ist es auch nicht erforderlich, diese klare österreichische gesetzliche Rechtslage auf jene in der Bundesrepublik Deutschland, welche der Revisionswerber als weiter und weniger restriktiv als die österreichische erachtet, näher einzugehen (vgl hiezu nur Brackmann, Handbuch Sozialversicherung, Bd 3, SGB VII Rn 47 ff und 91).

Aus all diesen Erwägungen war dem Rechtsmittel daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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