OGH 9ObA142/13t

OGH9ObA142/13t19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Susanne Jonak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. H***** K*****, vertreten durch Mag. Monika Keki‑Angermann, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 2013, GZ 10 Ra 44/13h‑13, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 31. Jänner 2013, GZ 1 Cga 72/12g‑9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:009OBA00142.13T.1219.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.329,84 EUR (darin 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen dem Ausspruch des Obersten Gerichtshofs ist die Revision nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Die Begründung dieser Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der Kläger ist seit 1. 2. 1978 bei der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin (*****) als Flugverkehrskontroller/Flugverkehrsleiter tätig. Der in die Nachtstunden (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) fallende Teil der Dienstzeit der Flugverkehrsleiter ist bei der Beklagten jedenfalls seit 1981 so gestaltet, dass sie je nach Schicht entweder von 22:00 Uhr bis 2:00 Uhr oder von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr Pause haben. Jedenfalls seit Inkrafttreten des Nachtschwerarbeitsgesetzes (damals: Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz) mit 1. 7. 1981 wurde den Flugverkehrsleitern von der Beklagten bei einer ausreichenden Zahl von Nachtdiensten ein Zusatzurlaub iSd § 10a Abs 1 UrlG gewährt, obwohl die dafür erforderliche gesetzliche Voraussetzung einer mindestens sechsstündigen Schwerarbeit in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr nicht vorlag. Die Geschäftsleitung der Beklagten kannte die Pausengestaltung und akzeptierte sie. 2010 wurde eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in der die bestehende Übung bezüglich der Pausen festgehalten wurde. An der tatsächlichen Durchführung der Pausenregelung während des Nachtdienstes änderte sich dadurch nichts.

3. Entgegen dem Standpunkt der Beklagten waren die Vorinstanzen zum Begehren des Klägers, die weitere Anwendbarkeit der Urlaubsregelung des § 10a UrlG festzustellen, der Ansicht, dass die regelmäßige und vorbehaltlose Gewährung von Zusatzurlaubstagen nach dem NSchG eine betriebliche Übung darstellt, die durch schlüssige Zustimmung der Arbeitnehmer zum Bestandteil ihrer Einzelverträge geworden ist und durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht geändert wurde.

4. Die Frage, ob eine Betriebsübung besteht und zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wurde, kann stets nur anhand der konkreten Umstände beurteilt werden und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0014543 [T22]), sofern keine korrekturbedürftige grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt. Das ist hier nicht der Fall:

Für das Entstehen eines Anspruchs ist entscheidend, welchen Eindruck die Arbeitnehmer bei sorgfältiger Überlegung vom Erklärungsverhalten des Arbeitnehmers haben durften (RIS‑Justiz RS0014543 [T15]; RS0014489 [T4]). Es ist objektiv zu prüfen, ob die Arbeitnehmer auf die Verbindlichkeit der Vergünstigung vertrauen durften (8 ObA 18/12y; RIS‑Justiz RS0014489 [T1]). Auf das Vorhandensein eines Erklärungswillens auf Seiten des Arbeitgebers kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0014543 [T2]).

Selbst wenn im Verhalten des Arbeitgebers bloß eine Wissenserklärung zum Ausdruck kommt, ist auch in einem solchen Fall das Vertrauen des Arbeitnehmers hierauf zu schützen, wenn eine Wissenserklärung über die Rechtslage vorliegt, diese Erklärung dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, der Arbeitnehmer bezüglich dieser Erklärung im guten Glauben ist und eine nachhaltige „Vertrauensposition“ des Arbeitnehmers aufgrund dieser Erklärung vorliegt. Hiebei wird das geringere Gewicht des einen Gesichtspunkts durch das größere Gewicht des anderen aufgewogen: Die Erfüllungswirkung der Wissenserklärung ist aufgrund des positiven Vertrauensschutzes dann zu bejahen (RIS‑Justiz RS0014478). Dementsprechend führte in der Entscheidung 8 ObA 2292/96h eine irrtümlich von der kollektivvertraglichen Regelung abweichende Berechnung der Überstundenentlohnung über 15 Jahre hindurch aufgrund der überaus langen Dauer dieser Berechnung zu einer erheblich höheren Gewichtung des dem Arbeitgeber zuzurechnenden Verhaltens und der dadurch beim Arbeitnehmer dadurch bewirkten Vertrauensdisposition.

5. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte über einen noch viel längeren Zeitraum von nahezu 30 Jahren Zusatzurlaubstage nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz gewährt. Nach der dargestellten Rechtsprechung kann sie sich daher nicht erfolgreich darauf berufen, vor Abschluss der Betriebsvereinbarung im Irrtum über die Anwendbarkeit des Nachtschwerarbeitsgesetzes gewesen zu sein.

6. Mit ihrem Vorbringen, dass auch die Arbeitnehmer selbst angenommen hätten, dass sie Nachtschwerarbeiter seien und ihnen die Zusatzurlaubstage daher gesetzlich zustünden, weicht die Beklagte vom festgestellten Sachverhalt ab. Festgestellt wurde lediglich, dass die Flugleiter darauf vertrauten, im Fall von Nachtdiensten mit der zitierten Pausengestaltung Zusatzurlaubstage nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz zu erhalten (Ersturteil S 5, S 9), nicht jedoch, dass dieses Vertrauen auf einen vermeintlichen gesetzlichen Anspruch zurückzuführen ist.

7. Da die Revision damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, die einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979, zuletzt etwa 9 Ob 50/13p).

Stichworte