OGH 8ObA2292/96h

OGH8ObA2292/96h7.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Johann Meisterhofer und Mag.Christa Marischka in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der Firma Gebrüder H*****, Bauunternehmung GmbH & Co KG, ***** vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden Rudolf S*****, dieser vertreten durch Hermine F*****, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, diese vertreten durch Dr.Peter Keul und Dr.Alexander Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Gebrüder H*****, Bauunternehmung GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Juli 1996, GZ 11 Ra 83/96x-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.Dezember 1995, GZ 27 Cga 20/95d-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.871,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 811,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei beschäftigt 300 Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnisse der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe anzuwenden ist. Nach § 2 dieses Kollektivvertrages vom 17. Juli 1975 ist die Grundlage für die Berechnung der Aufzahlung für Überstunden der jeweilige kollektivvertragliche Stundenlohn plus 30 %. Im Oktober 1979 berechnete die beklagte Partei die Überstundengrundlöhne der Arbeitnehmer, indem sie den Normallohn mit der Anzahl der Überstunden multiplizierte und die Überstundenzuschläge mit 50 % vom Überstundengrundlohn auswies. Ab November 1979 berechnete sie die Übrstundengrundlöhne erstmals in der Form, daß sie den Normallohn mit der Anzahl der Überstunden multiplizierte und hiezu einen Zuschlag von 30 % addierte. Die Überstundenzuschläge wurden sodann mit 50 % von diesem um 30 % erhöhten Überstundengrundlohn ausgewiesen. Im Jahre 1979 kam es im Zusammenhang mit der Neuberechnung der Überstundenentlohnung zwischen Arbeitgeber und Belegschaft zu keinen Gesprächen; diese Neuberechnung erfolgte ausschließlich aus im internen Bereich der beklagten Partei gelegenen Gründen. Diese Berechnungsart wurde von der beklagten Partei bis März 1995 beibehalten.

Mit seiner Klage begehrte der Arbeiterbetriebsrat die Feststellung, daß die beklagte Partei den Überstundengrundlohn auf der Basis des jeweiligen kollektivvertraglichen Stundenlohnes plus 30 % für jene Arbeitnehmer zu berechnen und zu bezahlen habe, die diesen bereits bisher auf dieser Berechnungsgrundlage erhalten haben. Durch die jahrzehntelang praktizierte Form der Überstundenabrechnung und Zahlung und deren Annahme durch die Arbeitnehmer sei der erhöhte Überstundengrundlohn zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden. Die ab April 1995 vorgenommene Abänderung dahin, daß als Überstundengrundlohn der einfache Stundenlohn gelte, sei ohne Zustimmung der Arbeitnehmer erfolgt und daher unberechtigt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß im Jahre 1980 im Zuge der Umstellung der Lohnbuchhaltung durch ein fehlerhaftes Programm bereits der Überstundengrundlohn mit einem 30 %-igen Zuschlag berechnet worden sei. Dieser Fehler sei auch bei einer Umstellung der Lohnabrechnung auf EDV mitübernommen worden. Erst im Frühjahr 1995 sei die beklagte Partei im Zuge einer Rechnungslegung über Überstunden an eine Arbeitsgemeinschaft auf die unrichtige Berechnung des Überstundengrundlohnes aufmerksam gemacht worden. Eine Willenserklärung der beklagten Partei, "bereits den Überstundengrundlohn mit einem 30 %-igen Zuschlag zu versehen", sei nicht abgegeben worden. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf Fortleistung dieser irrtümlichen Zahlung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die beklagte Partei habe über nahezu 15 Jahre vorbehaltslos an die Arbeitnehmer einen Überstundengrundlohn auf Basis des Normallohnes samt einem Zuschlag von 30 % ausgezahlt und damit eine betriebliche Übung begründet. Aus dem Gesamtverhalten der beklagten Partei, die während dieses langen Zeitraumes die Überstunden aufgrund dieser Berechnungsart zur Auszahlung gebracht habe, hätten die Arbeitnehmer nicht schließen können, daß sie nur infolge eines Irrtums eine unrichtige Überstundenverrechnung vornehme. Auch wenn man nur von einer Wissenserklärung der beklagten Partei in bezug auf die Berechnungsart der Überstunden ausgehe, sei das Vertrauen der Arbeitnehmer in eine derartige Erklärung zu schützen. Dabei werde das geringere Gewicht des einen Gesichtspunktes durch das größere Gewicht des anderen aufgewogen. Betrachte man vor allem den Zeitraum, während dessen die Überstunden in der festgestellten Form bezahlt worden seien, liege es nahe, daß den Arbeitnehmern schon aus diesem Grund ein erhebliches und schutzwürdiges Vertrauen in diese Auszahlungsmodalität zuzubilligen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und billigte dessen Rechtsausführungen. Der Sachverhalt sei dadurch gekennzeichnet, daß die beklagte Partei die - vom Kollektivvertrag abweichende - Berechnung und Auszahlung des Überstundengrundlohnes 15 Jahre hindurch in derselben Art vorgenommen habe. Darin sei nicht bloß eine Wissenserklärung über die Art der Berechnung des Überstundengrundlohnes zu erblicken; es komme nicht darauf an, welchen Erklärungswillen die beklagte Partei bei dieser Vorgangsweise gehabt habe oder ob diesem Verhalten überhaupt ein Erklärungswille der beklagten Partei zugrundegelegen sei, entscheidend sei vielmehr, welchen Eindruck die Arbeitnehmer von dieser Art der Berechnung der Überstundenentlohnung haben mußten. Angesichts der langjährigen Übung hätten die betroffenen Arbeitnehmer nur den Eindruck einer Willenserklärung des Inhaltes gewinnen können, daß die beklagte Partei die Überstundenentlohnung so berechnen wolle, wie sie dies 15 Jahre hindurch getan habe. Anhaltspunkte dafür, daß diese Art der Überstundenverrechnung lediglich auf einen Irrtum der beklagten Partei zurückzuführen sei, hätten für die Arbeitnehmer nicht bestanden, zumal die Umstellung der Berechnung der Überstundenentlohnung im November 1979 zeitlich nicht mit der bereits ab Mai 1979 wirksam gewordenen Änderung des Kollektivvertrages zusammengefallen sei. Die Arbeitnehmer hätten aus dem Gesamtverhalten der beklagten Partei nicht auf einen Irrtum der Lohnverrechnung schließen können. Da der ausgezahlte Überstundengrundlohn auch nicht auffällig überhöht gewesen sei, hätten die Arbeitnehmer auf die Richtigkeit der Überstundenentlohnung vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen sei infolge der langjährigen Handhabung der Überstundenentlohnung in der festgestellten Form schutzwürdig. Von dem der Entscheidung Arb 9786 zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheide sich der nunmehr zu beurteilende wesentlich, weil ein Wille der beklagten Partei, die Berechnung des Überstundengrundlohnes nach den einschlägigen Kollektivvertragsbestimmungen vorzunehmen, nicht vorgelegen sei. Am ähnlichsten sei der zu beurteilende Sachverhalt dem der Entscheidung JBl 1985, 632; in jenem Fall habe der Arbeitgeber jahrelang über das kollektivvertragliche Ausmaß hinaus Urlaub gewährt, indem er den Urlaub nicht wie im Kollektivvertrag vorgesehen, nach Werktagen, sondern nach Arbeitstagen berechnet habe. Durch den Verbrauch des Mehrurlaubes seitens der Arbeitnehmer sei diese betriebliche Übung zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden, wobei es unerheblich gewesen sei, ob den Arbeitnehmern beim Verbrauch des Urlaubs bekannt gewesen sei, daß das im Kollektivvertrag vorgesehene Ausmaß überschritten wurde. Für den nunmehr zu beurteilenden Sachverhalt sei daraus zu folgern, daß die beklagte Partei durch die jahrelang vorgenommene Art der Berechnung der Überstundenentlohnung eine betriebliche Übung begründet habe, die durch die schlüssige Zustimmung der Arbeitnehmer zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben, ist für die Beurteilung der vorliegenden Sache nicht maßgeblich, welchen Erklärungswillen die beklagte Partei hatte, als sie im November 1979 die Überstundenentlohnung abweichend von der kollektivvertraglichen Regelung berechnete oder ob ihrer Vorgangsweise überhaupt ein Erklärungswille zugrundelag. Die von der Revisionswerberin vermißten Feststellungen darüber, aus welchem Grund der überhöhte Überstundengrundlohn ab diesem Zeitpunkt ausgezahlt wurde, sind daher entbehrlich. Angesichts des Umstandes, daß die von der beklagten Partei nunmehr als irrtümlich bezeichnete Berechnungsart 15 Jahre hindurch erfolgte, kommt der Frage, welche internen Vorgänge auf seiten der beklagten Partei zu der vom Kollektivvertrag abweichenden Berechnung des Überstundenentgeltes führten, keine entscheidungswesentliche Bedeutung mehr zu, wobei auch darauf hinzuweisen ist, daß ein Großteil der von der nunmehrigen Änderung der Berechnung betroffenen Arbeitnehmer damals wohl noch nicht bei der beklagten Partei beschäftigt war.

Auch wenn aus der Auszahlung von dem Kollektivvertrag nicht entsprechenden Überstundenentgelten kein Schluß auf den Willen der beklagten Partei, sich zu überkollektivvertraglichen Leistungen zu verpflichten, gezogen werden konnte und daher bloß eine konkludente Wissenserklärung vorlag (siehe Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff [93] zum ähnlichen Sachverhalt der Arb 8049), wird dieses "Minus" der Wissenserklärung als Vertrauenstatbestand durch die größere Intensität anderer Kriterien aufgewogen (siehe Bydlinski aaO 134). Angesichts des Umstandes, daß die nunmehr als irrtümlich bezeichnete Überstundenberechnung 15 Jahre lang unverändert aufrechterhalten wurde (und der Fehler des Lohnverrechners derart lange Zeit unentdeckt blieb), kann das dem Arbeitgeber zuzurechnende Erklärungsverhalten nicht bloß als leicht fahrlässig qualifiziert werden. Demgegenüber ist wohl auch von einem sorgfältigen Bauarbeiter kaum zu erwarten, daß er die Berechnung des Überstundenentgelts darauf prüft, ob sie dem Kollektivvertrag entspricht, so daß den Arbeitnehmern guter Glaube an die Richtigkeit der von der beklagten Partei vorgenommenen Überstundenberechnung wohl nicht abgesprochen werden kann. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, daß die vom Kollektivvertrag abweichende Berechnung des Überstundenentgeltes spürbare Auswirkungen auf das Lohnniveau der bei der beklagten Partei beschäftigten Arbeiter hatte; so betrug etwa die Lohndifferenz in dem von der beklagten Partei mit Beilage 2 dokumentierten Fall 1.480 S und damit fast 5 % des Monatsbruttolohnes von 32.762 S. Zieht man dazu noch die lange Dauer dieser Überstundenverrechnung in Betracht, dann muß die Rechtzeitigkeit der Aufklärung des Irrtums auch im Hinblick darauf verneint werden, daß die insgesamt höhere Entlohnung auch Auswirkungen auf die Bereitschaft der Arbeitnehmer gehabt haben konnte, am Arbeitsvertrag mit der beklagten Partei festzuhalten. Das Minus der bloßen Wissenserklärung wird daher ebenso wie in dem der Entscheidung DRdA 1986/2 zugrundeliegenden, vergleichbaren Fall durch die intensive Zurechnung an den Arbeitgeber und den anzunehmenden guten Glauben der Arbeitnehmer aufgewogen. Soweit Kerschner (DRdA 1986, 41 ff) und Ostheim (in "Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht" 199 ff [206]) in der Besprechung dieser Entscheidung Feststellungen über die konkrete Vertrauensdisposition der Klägerin vermissen, ist ihnen zu erwidern, daß solche Vertrauensdispositionen nicht nur darin bestehen können, daß der bisher gewährte Urlaub bei der Urlaubsplanung oder das bisher gewährte Entgelt beim Eingehen finanzieller Verpflichtungen zugrundegelegt wird, sondern auch darin, daß der Arbeitnehmer davon abgehalten wurde, den Arbeitgeber zu wechseln oder gar zum Wechsel zu diesem überkollektivvertragliche Leistungen gewährenden Arbeitgeber veranlaßt wurde. Darüber hinaus verbietet sich bei einem allen Arbeitnehmern gleichmäßig gewährten Vorteil schon aus Gründen der Gleichbehandlung eine Differenzierung der Bestandfestigkeit der Begünstigung danach, zu welchen Vertrauensdispositionen der einzelne Arbeitnehmer dadurch veranlaßt wurde (siehe den von Schwarz in der Besprechung der Entscheidung DRdA 1987/15 zu Recht hervorgehobenen "kollektiven Bezug" einer betrieblichen Übung; ebenso Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht5, 334). Im vorliegenden Fall führt anders als in dem der Entscheidung DRdA 1980/16 (Kerschner) = ZAS 1980/12 (Tomandl) zugrundeliegenden Sachverhalt schon die überaus lange Dauer der vom Kollektivvertrag abweichenden Berechnung des Überstundenentgeltes zu einer erheblich höheren Gewichtung des dem Arbeitgeber zuzurechnenden Verhaltens und der dadurch beim Arbeitnehmer bewirkten Vertrauensdisposition. Soweit in der zitierten Entscheidung dem Arbeitnehmer der gute Glaube mit der Begründung abgesprochen wurde, bei sorgfältiger Prüfung wäre ihm erkennbar gewesen, daß der Arbeitgeber ihm gegenüber nur eine vermeintliche Pflicht erfüllt, ist hingegen Kerschner beizupflichten, wenn er in der Entscheidungsbesprechung darauf hinweist, daß der Arbeitnehmer im allgemeinen einfach unreflektiert auf die Entgelthöhe vertrauen werde, ohne die Posten im einzelnen nachzuprüfen, was ihm sogar zumeist mangels juristischer Kenntnisse unmöglich sein werde.

Im Rahmen der von Bydlinski (aaO, 132) geforderten umfassenden beiderseitigen Interessenabwägung ist daher insbesondere die besonders lange Dauer der vom Kollektivvertrag abweichenden Überstundenverrechnung zu berücksichtigen, die zu einer hohen Gewichtung des dem Arbeitgeber zuzurechnenden Verhalten einerseits und der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Arbeitnehmers als Erklärungsempfänger andererseits führt und das "Minus" der Wissenserklärung als Vertrauenstatbestand soweit ausgleicht, daß sie als solche mit "Erfüllungswirkung" zu qualifizieren ist (siehe Bydlinski aaO 135).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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