OGH 10ObS186/13w

OGH10ObS186/13w17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Clemens Schnelzer, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65-67, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. September 2013, GZ 10 Rs 62/13f‑14, womit das Urteil des Landesgerichts Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Jänner 2013, GZ 8 Cgs 357/12h‑10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 185,76 EUR (darin 30,96 EUR USt) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 16. 6. 1985 geborene Kläger hat am 30. 7. 2007 einen Arbeitsunfall (Wegunfall) erlitten. Er stand seit dem Jahr 2006 in einer Ausbildung zum Biotrainer an der Biotrainerschule (nun: Z***** Gesundheitsakademie) in G*****. Zum Unfallszeitpunkt absolvierte er ein Praktikum und unterlag nach dem Bescheid des BMASK vom 20. 3. 2012, BMASK-425925/0002-II/A/3/2012 ‑ aufgrund seiner Tätigkeit als Volontär ‑ gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG der Teilversicherung in der Unfallversicherung, weil die Tätigkeit (im Wesentlichen) Zwecken seiner praktischen Ausbildung diente (er wollte sich praktische Kenntnisse und Fertigkeiten durch Handanlegen aneignen), wobei ihn keine Arbeitspflicht traf und er kein Entgelt erhielt (Blg ./1; vgl auch VwGH 22. 2. 2012, 2011/08/0114 [ARD 6253/10/2012]).

Mit Bescheid vom 12. 9. 2012 stellte die beklagte Partei fest, dass die Bemessungsgrundlage zur Berechnung von Geldleistungen wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls 8.035,20 EUR betrage und dem Kläger im Zeitraum vom 31. 7. 2007 bis 14. 7. 2008 wegen Ruhens (stationäre Pflege) keine Rente zustehe, danach jedoch eine solche von (inkl Zusatzrente) 583,71 EUR ab 15. 7. 2008, 603,51 EUR ab 1. 11. 2008, 612,51 EUR ab 1. 1. 2010, 619,97 EUR ab 1. 1. 2011 und 636,69 EUR ab 1. 1. 2012 (Blg ./B).

Die dagegen erhobene Klage ist auf Gewährung einer höheren Versehrten- und Zusatzrente aufgrund höherer Bemessungsgrundlage ‑ gemäß § 180 ASVG (Personen unter 30 Jahren) bzw § 182 ASVG (Unbilligkeit) ‑ gerichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erachtete ‑ den Bescheid wiederholend ‑ die dort angeführte Bemessungsgrundlage (gemäß § 182 iVm § 181 Abs 4 ASVG) von 8.035,20 EUR für maßgebend, weil sie unabhängig vom Alter des Versicherten zur Anwendung komme und nicht als unbillig anzusehen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Schon im Verwaltungsverfahren sei ‑ gemäß § 74 ASGG für das Sozialgericht verbindlich ‑ festgestellt worden, dass der Kläger zum Unfallszeitpunkt als Volontär gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG in der Unfallversicherung teilversichert gewesen sei. Das Berufungsvorbringen, wonach das Erstgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen habe, „in welches Sozialversicherungssystem der Kläger einzureihen“ sei, gehe daher ins Leere. Für den Kläger komme allein die feste Bemessungsgrundlage gemäß § 181 Abs 4 ASVG zur Anwendung. Dies auch nach dem geplanten Ende der Ausbildung, weil eine Anpassung gemäß § 180 ASVG nicht vorzunehmen sei, wenn die Bemessungsgrundlage - wie hier - nicht einkommensproportional ermittelt wurde, sondern sich ohnehin nach (alters- und ausbildungsunabhängigen) festen Beträgen richte, was sachgerecht und verfassungsrechtlich nicht bedenklich sei (R. Müller in SV-Komm § 180 Rz 1 f; B. Albert in DRdA 2001/36, 364). Hinsichtlich des § 182 ASVG habe der insoweit beweisbelastete Kläger in erster Instanz überhaupt kein Sachvorbringen dazu erstattet, aus welchen Gründen die nach festen Beträgen ermittelte Bemessungsgrundlage seinen wirtschaftlichen Verhältnissen im letzten Kalenderjahr vor dem Unfall nicht entsprochen hätte. Eine solche Diskrepanz sei auch aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich, weil sich daraus ergebe, dass der Kläger seit September 2006 in einem Ausbildungsverhältnis ohne Entgeltanspruch gestanden sei. Zutreffend habe das Erstgericht auch erkannt, die Festsetzung der Bemessungsgrundlage entsprechend der Jahresbeitragsgrundlage im Volontariat stelle kein unbilliges Ergebnis im Sinn des § 182 ASVG dar.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, ob bei Arbeitsunfällen eines Volontärs die Bestimmung des § 180 ASVG Anwendung finde, bisher noch nicht in oberstgerichtlicher Rechtsprechung beantwortet worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird dessen Aufhebung und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungs- oder Erstgericht beantragt.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die beklagte Partei, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Im Rechtsmittelverfahren strittig ist nur die Höhe der Bemessungsgrundlage. Dazu machte der Kläger schon in der allein erhobenen Rechtsrüge der Berufung zum einen geltend, es hätte die besondere Bemessungsgrundlage des § 180 ASVG ab dem Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung des Kläger herangezogen werden müssen (weil er nach Abschluss seiner Ausbildung zum Heilmasseur im Rahmen des ASVG versichert gewesen wäre); zum anderen sei durch § 182 ASVG eine Feststellung der Bemessungsgrundlage nach billigem Ermessen auch in Fällen ihrer Ermittlung nach festen Beträgen nach § 181 ASVG ermöglicht und könne daher nicht „rundweg“ mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Festsetzung nach dem Zweck des § 181 Abs 4 ASVG (im Fall des Klägers) nicht unbillig sei.

2. Der Revisionswerber hält selbst fest, dass sich der erkennende Senat bereits in der (von der Lehre jeweils zustimmend aufgenommenen) Entscheidung 10 ObS 214/00v, SSV-NF 14/109 (DRdA 2001/36, 363 [B. Albert]; Rudolf Müller in SV-Komm § 180 Rz 2 f) mit der ersten auch hier zu beantwortenden Frage befasst hat. Demnach ergibt sich schon aus dem Zweck des § 180 ASVG, dass eine Anpassung nach dieser Bestimmung ‑ entgegen dem weiter aufrecht erhaltenen Standpunkt des Klägers ‑ nicht vorzunehmen ist, wenn sich die Bemessungsgrundlage nach festen Beträgen richtet (RIS‑Justiz RS0109876 [T3]) und dementsprechend gar nicht einkommensproportional, sondern (ohnehin) nach (alters- und ausbildungsunabhängigen) festen Beträgen ermittelt wurde (Müller aaO § 180 ASVG Rz 2): Kann doch schon aufgrund der Systematik des Gesetzes eine Neuberechnung der Bemessungsgrundlagen nur für jene greifen, die einen variablen Teil im Sinn der §§ 178 und 179 ASVG enthalten (B. Albert in DRdA 2001/36, 364).

3. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass die Unanwendbarkeit der Bestimmung des § 180 ASVG ‑ über den in der Entscheidung 10 ObS 214/00v, SSV-NF 14/109 (DRdA 2001/36, 363 [zust B. Albert]) behandelten Fall eines hauptberuflich im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters tätigen Lehrlings hinaus ‑ in gleicher Weise auch für alle anderen Personen gilt, bei denen einkommensunabhängige Beitragsgrundlagen in der Unfallversicherung oder feste Bemessungsgrundlagen im Sinn der §§ 181 und 181b vorgesehen sind (Müller aaO § 180 ASVG Rz 3 aE).

4. Davon ausgehend, dass der gesamte angeführte Personenkreis (vgl dazu Müller aaO § 180 ASVG Rz 3), wenn der betreffende (Teil-)Versicherte zum Unfallszeitpunkt das 30. Lebensjahr noch nicht erreichte, gleichermaßen von dieser Ausnahme betroffen ist, kann den Revisionsausführungen zur behaupteten „eklatanten“ Gleichheitswidrigkeit nicht gefolgt werden; würde diese doch ‑ auch nach dem Standpunkt des Klägers ‑ nur dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber bloß „eine Gruppe“ von in Ausbildung stehenden jugendlichen Versicherten der Gefahr der „Unterversorgung“ im Fall eines Unfalls ausgesetzt und dabei zwischen den jeweils in Ausbildung stehenden Volontären, Schülern, Studenten, Ferialpraktikanten etc unterschieden hätte. Gerade das ist aber gar nicht der Fall.

5. Die Bemessungsgrundlage ist nach der ‑ vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung ‑ nicht nur dann gemäß § 182 ASVG nach billigem Ermessen festzustellen, wenn sie nach den §§ 179 bis 181b ASVG nicht errechnet werden kann (§ 182 Satz 1 Halbsatz 1 ASVG), sondern auch dann, wenn ihre Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten würde (§ 182 Satz 1 Halbsatz 2 ASVG; RIS-Justiz RS0084405). Dazu hat der erkennende Senat bereits ausdrücklich festgehalten, dass die Frage, wann die Errechnung der Höhe der Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 181b ASVG eine Unbilligkeit bedeuten würde, nur nach den Besonderheiten des Einzelfalls entschieden werden kann (RIS-Justiz RS0110094 [T4]). Zu Recht weist schon das Berufungsgericht darauf hin, dass hier jegliche Anhaltspunkte für eine solche Unbilligkeit fehlen.

6. Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger angesichts seiner angespannten Einkommensverhältnisse den Ersatz der Hälfte der Revisionskosten zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871). Diesem Kostenzuspruch steht der Umstand, dass der Kläger Verfahrenshilfe genießt, nicht entgegen. Da ein Streit um wiederkehrende Leistungen im Sinn des § 77 Abs 2 ASGG vorliegt, ist von einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR auszugehen (10 ObS 128/12i; Neumayr in ZellKomm2 § 77 ASGG Rz 14 ff mwN).

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