OGH 10ObS85/13t

OGH10ObS85/13t17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer), in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. M***** J*****, vertreten durch Dr. Simone Metz, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2013, GZ 7 Rs 14/13z‑19, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 23. Oktober 2012, GZ 27 Cgs 150/12p‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (davon 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei erkannte dem Kläger anlässlich der Geburt seines Sohnes R***** am 15. 3. 2011 Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom 15. 3. 2012 bis 14. 5. 2012 zu, das bis zum 30. 4. 2012 ausbezahlt wurde. Die Ehefrau des Klägers war erneut schwanger geworden. Der errechnete Geburtstermin war ausgehend vom Tag der letzten Regelblutung der 19. 5. 2012 und ausgehend von den Ultraschallwerten der 25. 5. 2012. Tatsächlich wurde das Kind am 10. 5. 2012 geboren, wovon der Kläger die beklagte Partei mit Schreiben vom 20. 5. 2012 informierte.

Mit Bescheid vom 6. 6. 2012 widerrief die beklagte Partei gegenüber dem Kläger die Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 15. 3. 2012 bis 14. 5. 2012 und verpflichtete ihn zur Rückzahlung der empfangenen Leistung von 3.003,77 EUR (47 Tage á 63,91 EUR).

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und stellte fest, dass der von der beklagten Partei erhobene Anspruch auf Rückersatz des geleisteten Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 3.003,77 EUR nicht zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die beklagte Partei habe keinen Rückforderungsanspruch nach § 31 Abs 2 KBGG. Als rückwirkend festgestellte Tatsachen im Sinn dieser Bestimmung gelten alle für die Zuerkennung des Anspruchs maßgeblichen Umstände, die erst zu einem nach der Zuerkennung liegenden Zeitpunkt festgestellt worden seien. Die ursprünglich nicht bekannte Tatsache müsse zum Zeitpunkt der Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes schon vorliegen. Im zu beurteilenden Fall seien zu diesem Zeitpunkt sämtliche maßgeblichen Umstände vorgelegen, die die Zuerkennung rechtfertigten. Dagegen spreche nicht, dass das Kinderbetreuungsgeld nur in Blöcken von mindestens zwei Monaten beansprucht werden könne und in concreto kein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis iSd § 5 Abs 4a KBGG vorgelegen sei. Der Kläger habe Kinderbetreuungsgeld in einem Block von zwei Monaten beansprucht und gewährt erhalten. Der Anspruch habe aufgrund der Geburt seines zweiten Sohnes geendet. Aus § 5 Abs 5 KBGG gehe eindeutig hervor, dass der Anspruch ursprünglich zu Recht bestanden und erst nachträglich ex nunc weggefallen sei. § 31 Abs 2 KBGG knüpfe aber an die rückwirkende Feststellung einer Tatsache an, bei deren Vorliegen zum Zeitpunkt der Antragstellung kein Anspruch bestehe. Eine Rückforderung nach dieser Bestimmung komme nur dann in Betracht, wenn die Anspruchsberechtigung des Klägers auf Kinderbetreuungsgeld zu verneinen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Durch den Ausdruck „endet“ werde nämlich klar, dass in § 5 Abs 5 KBGG nur ein nachträglicher Wegfall gemeint sein könne und nicht der im § 31 Abs 2 KBGG erfasste Umstand, wonach (aufgrund erst nachträglicher hervorgekommener Tatsachen) der Anspruch (aufgrund eines Wurzelmangels) nie bestanden habe. Als rückwirkend festgestellte Tatsachen iSd § 31 Abs 2 KBGG gelten nur die für die Zuerkennung des Anspruchs maßgeblichen Umstände, die erst zu einem nach der Zuerkennung liegenden Zeitpunkt festgestellt worden seien. § 5 Abs 4 KBGG solle allein die Aufteilung des Kinderbetreuungsgeldes zwischen Vater und Mutter regeln und eine unangemessene kurze Bezugszeit eines Elternteils verhindern. Aus dieser Bestimmung könne aber nicht abgeleitet werden, dass ein einmal zu Recht beanspruchtes Kinderbetreuungsgeld nach § 31 Abs 2 KBGG zurückzuzahlen sei, weil es zu einem Ende des Bezugs nach § 5 Abs 5 KBGG gekommen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur im vorliegenden Fall relevierten Auslegungsproblematik des § 31 Abs 2 KBGG nicht vorliege.

Die vom Kläger beantwortete Revision der beklagten Partei ist zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin ist der Auffassung, § 31 Abs 2 erster Satz KBGG sei grammatikalisch und systematisch-teleologisch unter Berücksichtigung des § 30 KBGG nicht dahin zu interpretieren, dass dieser Rückforderungstatbestand nur dann zur Anwendung komme, wenn sich herausstelle, dass bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung in Wahrheit hierfür die Voraussetzungen nicht vorgelegen seien. Der Gesetzgeber schreibe nicht „(von Vornherein) kein Anspruch bestanden hätte“ oder „(von Vornherein) kein Anspruch bestanden hat“, sondern bewusst „kein Anspruch besteht“. § 5 Abs 4 KBGG kenne nur eine Ausnahme vom Erfordernis der Mindestbezugsdauer von zwei Monaten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1. § 5 KBGG regelt die Dauer des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld. Wenn nichts anderes bestimmt ist, gebührt es bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats des Kindes (§ 5 Abs 1 KBGG). Wenn aber nur ein Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nimmt, gebührt es jedoch längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensmonats des Kindes (§ 5 Abs 2 KBGG).

2. Bei der vom Kläger und seiner Ehefrau gewählten Variante des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens (§§ 24 ff KBGG) gebührt die Leistung längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes. Nimmt auch der zweite Elternteil diese Leistung in Anspruch, so verlängert sich die Anspruchsdauer über die Vollendung des 12. Lebensmonats hinaus um jenen Zeitraum, den der zweite Elternteil beansprucht, höchstens jedoch bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes. Als beansprucht gelten ausschließlich Zeiträume des tatsächlichen Bezugs der Leistung (§ 24b KBGG).

3. § 1, § 2 Abs 2, 3, 5 und 6, § 4, § 5 Abs 3 bis 6, § 6, § 7 Abs 1, § 8, § 8a Abs 1 KBGG sowie die Abschnitte 5a bis 12 KBGG sind neben dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anzuwenden (§ 24d erster Satz KBGG).

4. Gemäß § 5 Abs 3 KBGG kann der Bezug von Kinderbetreuungsgeld abwechselnd durch beide Elternteile erfolgen, wobei ein zweimaliger Wechsel pro Kind zulässig ist.

5. Nach § 5 Abs 4 KBGG idF BGBl I 2009/116 kann das Kinderbetreuungsgeld jeweils nur in Blöcken von mindestens zwei Monaten beansprucht werden, es sei denn, dass der beziehende Elternteil durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis für eine nicht bloß verhältnismäßig kurze Zeit verhindert ist, das Kind zu betreuen. In diesem Fall kann ein Wechsel über das in § 5 Abs 3 KBGG angeführte Ausmaß erfolgen. Motiv des Gesetzgebers für die Herabsetzung der in der Stammfassung der Bestimmung normierten Mindestbezugsdauer von drei Monaten auf zwei Monate war, dass die kürzere Mindestbezugsdauer Eltern eine flexiblere Handhabung ermöglicht und den Eltern den abwechselnden Bezug erleichtern soll, womit auch positive Auswirkungen auf die Väterbeteiligung erwartet wurden (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 10). Für den Bezugswechsel zwischen den beiden Elternteilen muss eine mindestens zweimonatige Bezugsdauer vorliegen, und es können nur Zeiten des tatsächlichen Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes eine Bezugsverlängerung beim anderen Elternteil bewirken; Leistungsanspruch und Leistungsbezug sind im Zusammenhang mit Mindestbezugsdauer und Bezugsverlängerung nicht gleichzusetzen (10 ObS 106/13f). Die Regelung der Mindestbezugsdauer bezweckt, dass der Aufwand einer neuerlichen Prüfung, der mit der Antragstellung durch den zweiten Elternteil verbunden ist, nach Ansicht des Gesetzgebers nur gerechtfertigt ist, wenn diese Person die Leistung zumindest zwei Monate lang beansprucht (10 ObS 3/13h; 10 ObS 14/13a mwN; 10 ObS 106/13f).

6. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld endet spätestens mit Ablauf jenes Tages, der der Geburt eines weiteren Kindes bzw Adoption/Übernahme der Pflege eines jüngeren Kindes vorangeht (§ 5 Abs 5 erster Satz KBGG).

7. Nach den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung des § 5 Abs 4 KBGG „kann von der Mindestbezugsdauer von drei Monaten abgesehen werden, wenn dies unmöglich ist, wenn zB eine Adoption im Laufe des 34. Monats erfolgt und nur eine unter drei Monaten liegende Gesamtrestzeit besteht (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 61). Es soll demnach neben dem Verhinderungsfall ein kürzerer Bezug auch dann möglich sein, wenn nach dem Wechsel der Anspruch ohne Einflussmöglichkeit der beziehenden Person endet (vgl Ehmer ua, KBGG² 105). Der Gesetzgeber selbst geht offensichtlich davon aus, dass diese Fallgruppe entgegen dem Wortlaut des § 5 Abs 4 KBGG vom schon dargelegten Zweck dieser Norm nicht getroffen wird. Die mit der KBGG‑Novelle BGBl I 2009/116 geschaffene Anordnung, dass als beansprucht ausschließlich Zeiträume des tatsächlichen Bezugs der Leistung gelten (§ 5 Abs 2, § 5a Abs 3, § 5b Abs 3, § 5c Abs 3, § 24b jeweils letzter Satz KBGG) will den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9 f) zufolge sicherstellen, dass eine Verlängerung der Anspruchsdauer über den 30. (bzw in den anderen Varianten über den 20., 15. oder 12.) Lebensmonat des Kindes nur erfolgen soll, wenn die Eltern Kinderbetreuungsgeld abwechselnd tatsächlich beziehen, sodass es keine Verlängerung um jene Zeiträume geben soll, in denen kein tatsächlicher Bezug erfolgt ist. Um Monate, für die auf den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld verzichtet wurde, oder um Zeiten, in denen Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe ruht, also keine Auszahlung der Leistung gebührt, soll die Anspruchsdauer nicht verlängert werden können (vgl 10 ObS 106/13f).

8. Die Fälle, dass nach einem Bezugswechsel der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in den ersten zwei Bezugsmonaten aus den Gründen des § 5 Abs 5 KBGG oder wegen Todes des Kindes (vgl Ehmer ua, KBGG² 104) endet, sind mit den Fällen einer Verkürzung der tatsächlichen Bezugsdauer auf weniger als zwei Monate wegen Verzichts oder Ruhens des Anspruchs nicht vergleichbar. Ein weiterer Bezugswechsel ist in diesen Fällen ohnehin ausgeschlossen. Es liefe dem vom Gesetzgeber mit der Verlängerung der Anspruchsdauer verfolgten Zweck, einen Anreiz für eine abwechselnde Betreuung des Kindes durch die Eltern zu geben, zuwider, wenn von der Mindestbezugsdauer auch nicht die Fälle, in denen sie wegen Geburt eines weiteren Kindes, wegen Adoption (Inpflegenahme) eines jüngeren Kindes oder wegen Todes des betreuten Kindes nicht eingehalten werden konnte, ausgenommen würden. Der Gesetzgeber hat eine Ausnahme in den Gesetzesmaterialien für Fälle dieser Unmöglichkeit für notwendig angesehen, eine ausdrückliche Normierung aber unterlassen. Die sich aus dem Fehlen der notwendigen Ausnahme von der Mindestbezugsdauer für die beschriebene Fallgruppe, zu der der zu beurteilende Sachverhalt gehört, ergebende Lücke ist aber durch teleologische Reduktion (vgl RIS‑Justiz RS0008979, RS0106113; 10 ObS 63/12f; F. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 7 Rz 7) des sich als überschießend erweisenden Wortlauts des § 5 Abs 4 KBGG zu schließen.

9. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen konnte der Kläger bei Antragstellung begründet davon ausgehen, dass er das Kinderbetreuungsgeld für die Mindestdauer beziehen wird können. Jedenfalls in dieser Konstellation greift die eben formulierte Ausnahme von der Mindestbezugsdauer, wenn entgegen den Erwartungen vor deren Ablauf ein weiteres Kind geboren wird. Da somit der Leistungsanspruch des Klägers von der Nichterreichung der Mindestbezugsdauer nicht berührt wird, ist die Frage nicht präjudiziell, ob die Nichterreichung wegen Geburt eines weiteren Kindes den Rückforderungstatbstand nach § 31 Abs 2 erster Satz erster Fall KBGG verwirklicht, wonach die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch (nämlich über die Rückforderungstatbestände des § 31 Abs 1 KBGG hinaus) besteht, „wenn rückwirkend eine Tatsache festgestellt wurde, bei deren Vorliegen kein Anspruch besteht“. Auf einen Rückforderungstatbestand nach § 31 Abs 1 KBGG kommt die beklagte Partei in der Revision nicht mehr zurück.

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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