Spruch:
Amra K***** wird aus dem Vollzug der gegenständlichen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von drei Jahren am 17. Dezember 2013 mit einem Strafrest von achtzehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Jänner 2013, GZ 12 Hv 143/11a‑147, wurde über Amra K***** in Ansehung des nach dem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 27. Juni 2012, AZ 15 Os 46/12x (ON 133 der Hv‑Akten), bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs (ON 122) wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB (Missbrauch der ihr als Unternehmensbuchhalterin eingeräumten Befugnis zur Vermögensverfügung) eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
Als erschwerend wertete das Erstgericht den Tatzeitraum von mehr als fünf Jahren sowie das Überschreiten der Wertgrenze um mehr als das Zwanzigfache; mildernd berücksichtigte es demgegenüber den bisher ordentlichen Lebenswandel der Angeklagten sowie die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer, für die es drei Monate Freiheitsstrafe in Abzug brachte.
Mit Urteil vom 14. Mai 2013, AZ 19 Bs 94/13g (ON 160), gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen gerichteten Berufung der Angeklagten nicht, jener der Staatsanwaltschaft hingegen dahin Folge, dass es die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre erhöhte.
Begründend sprach es unter anderem aus, dass der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB, der dann gebühre, wenn der Täter einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, der Angeklagten K***** nicht zu Gute komme, weil jedenfalls die der ersten Tat folgenden 32 Angriffe, die zum Teil schon für sich allein die Wertgrenze des § 153 Abs 2 zweiter Fall StGB bei weitem überschritten hätten, nicht mehr im Widerspruch zum sonstigen Verhalten der Frau gestanden seien. Das Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB verneinte das Berufungsgericht.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend vorbringt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:
§ 46 lit b StG 1945 normierte als besonderen Milderungsgrund die Tatsache, dass der Täter „vor dem Verbrechen eines untadelhaften Wandels gewesen“ sei.
Nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB ist es ein besonderer Milderungsgrund, wenn der Täter bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht.
Das StGB wollte diesen Milderungsgrund durch das Abstellen auf das „sonstige Verhalten“ des Täters enger fassen (s die EBRV in DokStGB, 88), wobei dessen Bezugspunkt gerade nicht das verfahrensgegenständliche (weil verfolgbare) tatbestandsmäßige Verhalten darstellt (vgl in diesem Sinn für verjährte Straftaten 13 Os 77/10p).
Die Änderung der Wortwahl („bisher“ statt „vor dem Verbrechen“) ist eine rein sprachliche. Auch nach geltendem Recht meint dieser Milderungsgrund das Vortatverhalten eines Angeklagten, nämlich sein Verhalten vor allen nunmehr zur Aburteilung gelangenden Taten. Die wiederholte Delinquenz über einen längeren Zeitraum beseitigt diesen Milderungsgrund nicht (zuletzt 13 Os 88/11g; vgl weiters 12 Os 131/83 und 15 Os 170/09b; 11 Os 37/93 stellt lediglich bei der Gewichtung der Strafzumessungsgründe den mehrjährigen Tatzeitraum dem hohen Lebensalter gegenüber); sie kann aber erschwerend berücksichtigt werden (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB).
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmter Sachverhalt für eine in Anschlag gebrachte (hier ausdrücklich verneinte), demnach für die Strafbemessung maßgebende, (Strafzumessungs‑)Tatsache (= Strafzumessungsgrund) entscheidend ist, handelt es sich um keine Ermessensentscheidung, vielmehr darum, ob die gesetzlichen Vorgaben für eine Ermessensentscheidung im Sanktionenbereich offenbar unrichtig beurteilt wurden (RIS‑Justiz RS0099985; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 692 und 700 ff). Vorliegend geht es um die Beurteilung des Sachverhaltselements „Tatwiederholung über einen längeren Zeitraum“ als entscheidend für die in § 34 Abs 1 Z 2 StGB umschriebene, (für das Berufungsgericht) maßgebende (Strafzumessungs‑)Tatsache.
Der Ausspruch des Oberlandesgerichts, wonach der Angeklagten ab der zweiten hier abgeurteilten Tat der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB nicht mehr zu Gute komme, ist wie dargelegt rechtlich verfehlt.
In Ausübung des ihm nach § 292 letzter Satz StPO zustehenden Ermessens sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Berufungsurteil aufzuheben.
Mit ihrem am 3. September 2013 gestellten (hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensverzögerungen allerdings dem Erfordernis der vorherigen Ausschöpfung des Rechtswegs nicht entsprechenden) Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war die Angeklagte auf die Aufhebung des von ihr bekämpften Strafausspruchs zu verweisen.
Bei der (ebenfalls in Ausübung des nach § 292 letzter Satz StPO eingeräumten Ermessens erfolgten) Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die Vielzahl der bestehenden Angriffe über einen Zeitraum von fünf Jahren und den Schaden von 1.164.500 Euro, mildernd jedoch, dass die Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Taten mit ihrem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch standen (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB).
Bleibt mit Blick auf den Erneuerungsantrag anzumerken, dass der vom Erstgericht herangezogene Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB nicht vorliegt.
Der für die Annahme unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer maßgebende Zeitraum beginnt nach der Judikatur des EGMR in dem Zeitpunkt, in dem erste Schritte der Strafuntersuchung nach außen hin gesetzt werden, und endet mit Rechtskraft der Entscheidung der letzten Instanz (Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 69; vgl auch Meyer‑Ladewig, EMRK³ Art 6 Rz 196 f). Die Angemessenheit der durch diese Eckpunkte definierten Verfahrensdauer prüft der EGMR stets einzelfallbezogen, wobei die Bedeutung der Sache für den Angeklagten, die Komplexität des Falles sowie das Verhalten des Angeklagten und jenes der Behörden die wesentlichen Prüfungskriterien sind (Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 70 f; Meyer‑Ladewig, EMRK³ Art 6 Rz 199 bis 201; Ebner in WK² StGB § 34 Rz 44 f).
Wenngleich eine Verkürzung des Verfahrens des zweiten Rechtsgangs durch paralleles Vorgehen des Landesgerichts und des Oberlandesgerichts (das lediglich über die privatrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem nach Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtskräftigen Schuldspruch zu entscheiden hatte) erzielt hätte werden können (§ 9 StPO sowie sinngemäß § 88 Abs 3 StPO), kann insgesamt von einer unverhältnismäßig langen Dauer des Strafverfahrens noch keine Rede sein: Die Zeit zwischen polizeilichem Abschlussbericht (ON 40) und Anklageerhebung (ON 98) war keineswegs eine des Verfahrensstillstands, sondern reger Ermittlungstätigkeit. Ein Zeitraum von etwas über vier Monaten zwischen dem erwähnten Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs (15 Os 46/11x) und der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien über die Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche (AZ 19 Bs 351/12z, ON 141) stellt unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtsverletzung fallbezogen (Abschluss des komplexen Straffalls mit einem enormen Schadensbetrag in weniger als dreieinhalb Jahren) ungeachtet des besonderen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO) noch keine längere Phase von Inaktivität dar (vgl etwa EGMR 26. 7. 2007, 8140/04, Vitzthum gegen Österreich).
Um fallbezogen mögliche Nachteile aus der parallelen Verfahrensführung (der Termin für die Entscheidung des Vollzugsgerichts über die bedingte Entlassung wurde im Hinblick auf den Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof kurzfristig anberaumt) hintanzuhalten (vgl RIS‑Justiz RS0116527), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die bedingte Entlassung der Amra K***** nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren (§ 48 Abs 1 erster Satz StGB) zum 17. Dezember 2013 anzuordnen (§ 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG), weil es des weiteren Vollzugs aus spezialpräventiven Gründen nicht bedarf (vgl Jerabek in WK² StGB § 46 Rz 17).
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