OGH 11Os37/93

OGH11Os37/9318.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Hager, Dr. Mayrhofer und Dr. Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl J* wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. November 1992, GZ 3 b Vr 8334/92‑25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Kodek, des Angeklagten, des Verteidigers Dr. Blaschitz und der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Bichler‑Tschon zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34451

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung des Angeklagten wird teilweise, nämlich dahin Folge gegeben, daß gemäß § 43 Abs 1 StGB die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren zur Gänze bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird der Berufung des Angeklagten nicht Folge gegeben.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Der am 25. Juli 1924 geborene Karl J* wurde der Verbrechen (1) des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (2) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er in G*

(1) im April und Mai 1988 in zumindest vier Angriffen mit der am 7. Februar 1975 geborenen Renate B* den außerehelichen Beischlaf unternommen;

(2) die nachstehend angeführten Unmündigen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, nämlich

(a) im Jahre 1987 die zu (1) genannte Unmündige durch Vornahme eines Handverkehrs und Betasten ihres Geschlechtsteiles;

(b) im Sommer 1991 die am 6. Juli 1981 geborene unmündige Clarissa N* durch Betasten ihrer Brust und durch die Aufforderung, seinen Penis anzugreifen;

(c) spätestens im Jahre 1988 die am 1. August 1975 geborene Barbara L* durch Betasten der Brüste unter der Kleidung.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

In der Mängelrüge (Z 5) wendet sich der Beschwerdeführer zunächst gegen die Feststellung der Tatzeit zum Urteilsfaktum 1 mit April und Mai 1988 und zum Urteilsfaktum 2 a mit 1987. Sie widerspreche dem Umstand, daß die Mutter der Renate B* erst am 10. April 1989 namens ihrer Tochter schriftlich auf die Haftung des Angeklagten für allfällige Unfälle verzichtet habe. Entgegen der Argumentation des Erstgerichtes, die Zeit der Empfehlung des Reitverbandes, solche Verzichtserklärungen zu verlangen, sei nicht einmal annähernd zu ermitteln und auch andere Verzichtserklärungen seien nicht schon zu Beginn des Aufenthaltes der betreffenden Mädchen im Reitstall des Angeklagten, sondern erst zu Zeitpunkten abgegeben worden, als die betreffenden Mädchen bereits längere Zeit im Reitstall verkehrt hätten, ergebe sich aus der mit 9. Jänner 1988 datierten Erklärung der Zeugin Brigitte S*, daß jedenfalls von diesem Zeitpunkt an Verzichtserklärungen verlangt wurden. Renate B* sei daher vor dem 10. April 1989, dem Datum der sie betreffenden Verzichtserklärung, nicht im Reitstall gewesen. Da sie am 7. Februar 1989 das 14. Lebensjahr vollendet habe, könnten die angelasteten Beischlafs‑ und anderen Unzuchtshandlungen an ihr nicht vor diesem Zeitpunkt stattgefunden haben.

Der Beschwerdeführer übergeht bei diesen Ausführungen einen wesentlichen Teil der erstgerichtlichen Begründung für die Annahme des Tatzeitpunktes, so die Aussagen der Renate B* (S 336 ff) und ihrer Mutter Johanna B* (S 354 f) als Zeuginnen, die übereinstimmend angaben, daß das damals noch unmündige Mädchen 1986, also im Alter von elf Jahren, erstmals in den Reitstall des Angeklagten gekommen war, ebenso die Darstellung der Johanna B*, ihre Tochter Renate sei dem Reitstall in der Folge etwa ein dreiviertel Jahr im Zeitraum 1988/89 ferngeblieben. Erst als sie nach Vollendung des 14. Lebensjahres schließlich wieder in den Reitstall habe gehen dürfen, sei die Erklärung Beilage ./A zu ON 15 unterschrieben worden (US 10). Den früheren Zeitpunkt der für Manuela P* (28. Februar 1989) und Brigitte S* (9. Jänner 1988) abgegebenen Erklärungen hat das Erstgericht beweiswürdigend in seine Überlegungen einbezogen, die Verantwortung des Angeklagten dadurch aber nicht für bestätigt angesehen, weil Brigitte S* bereits seit 1982 im Reitstall war, Romana J*, deren Mutter die Erklärung (Beilage ./F zu ON 15) am 10. September 1990 unterzeichnete, bereits seit 1988. Letztere Annahme des Erstgerichtes ist zwar sowohl formal, weil sie sich nur auf eine "informative Angabe" des Kindesvaters (S 293), nicht aber auf eine förmliche Zeugenaussage stützt, als auch inhaltlich ‑ dies im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer zutreffend zitierten Angaben der Romana J* über den Beginn ihrer Besuche im Reitstall (S 292 ff iVm S 161 f) ‑ nicht unproblematisch. Die exakte zeitliche Zuordnung der Kontakte der Romana J* zum Angeklagten betrifft jedoch keinen entscheidenden Umstand, läßt sie doch die dem Schuldspruch tragenden Tatsachengrundlagen unberührt. Daß die damals unmündige Renate B* schon vor Unterfertigung der Verzichtserklärung, nämlich seit ihrem 11. Lebensjahr, den Reitstall des Angeklagten besuchte, nahm das Erstgericht mängelfrei (auch) auf Grund der Angaben weiterer Zeuginnen (US 12) als erwiesen an. Weshalb bei der Rückrechnung von neun Monaten ‑ solange blieb Renate B* nach den Urteilsannahmen dem Reitstall fern ‑ ab Februar 1989 das Verlassen des Reitstalles bereits im April 1988 erfolgt sein müsse, wie in der Beschwerde behauptet wird, ist nicht nachvollziehbar. Der Renate B* in ihren Angaben zum Endzeitpunkt des Fernbleibens im Jahre 1990 ersichtlich unterlaufene Irrtum fand in den Urteilsgründen ohnedies die gebotene Erörterung (US 12). Soweit die Beschwerdeargumentation auf diese Fehldatierung abstellt, den Urteilsinhalt dazu aber übergeht, verfehlt sie eine prozeßordnungsgemäße Darstellung der Mängelrüge.

Liegen die behaupteten Begründungsmängel zum Zeitpunkt des Beischlafes (Urteilsfaktum 1) nicht vor, so erweist sich damit auch die Rüge der zeitlichen Zuordnung der anderen Unzuchtshandlungen (Tatzeit 1987 zum Schuldspruchfaktum 2 a) als unbegründet.

Hinsichtlich des Urteilsfaktums 2 b (Tatopfer Clarissa N*) macht der Beschwerdeführer geltend, daß es für die Urteilsannahme, die Brust des Mädchens sei damals schon entwickelt gewesen, an jedem Beweisergebnis fehle. Damit übergeht er aber die eigene Aussage des Kindes (S 286). Auf die ‑ mithin urteilsfremd ‑ behauptete rechtliche Relevanz des Fehlens einer auch nur ansatzweisen Entwicklung der Brust des Mädchens ist daher nicht weiter einzugehen. Die näheren Umstände der Aufforderung des Angeklagten, das Kind solle seinen Penis angreifen, können mangels entscheidungswesentlicher Erheblichkeit auf sich beruhen.

Zum Urteilsfaktum 2 c (Barbara L*) hat das Gericht als spätesten Tatzeitpunkt die erste Hälfte des Jahres 1989 (US 7 f; Urteilstenor und US 19 unwesentlich abweichend: 1988) angenommen, somit einen (jedenfalls) vor Vollendung des 14. Lebensjahres des hier tatbetroffenen (am 1. August 1975 geborenen) Mädchens gelegenen Zeitraum. Diese Feststellung stützt sich auf die Aussage der Zeugin L* in der Hauptverhandlung (S 352 ff), wo sie die zeitliche Einordnung durch Verweisung auf ein anderes Ereignis plausibel machen konnte, sowie auf die Angaben ihrer Freundin Brigit H* (US 18 f iVm S 351). Daß die Zeugin L* vor der Sicherheitsbehörde (S 225) davon abweichend aussagte, bezog das Erstgericht in seine Urteilserwägungen ein. Soweit nun der Beschwerdeführer dessenungeachtet unter Hinweis auf eben diese Angaben im Vorverfahren einen Begründungsmangel behauptet, übergeht er die den Denkgesetzen entsprechenden Schlußfolgerungen des Erstgerichtes und bekämpft lediglich nach Art einer (hier unzulässigen) Schuldberufung die freie tatrichterliche Beweiswürdigung. Damit wird die Mängelrüge erneut nicht gesetzmäßig dargestellt.

Zu Unrecht behauptet der Beschwerdeführer auch eine Undeutlichkeit der Urteilsfeststellung zur tataktuellen Kenntnis des Angeklagten vom Alter der Brigitte L* unter 14 Jahren. Dazu genügt der Hinweis auf die auch in diesem Punkt mängelfreie Begründungspassage auf US 18.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich eine Verwertung der Angabe dieser Zeugin vermißt, sie habe keine sexuelle Erregung bei ihm wahrnehmen können, vermag er abermals keinen Begründungsmangel aufzuzeigen, weil es sich hiebei um keine entscheidende Tatsache handelt.

Der in allen wesentlichen Punkten ausführlichen und den Verfahrensergebnissen in überprüfbarer Weise Rechnung tragenden Urteilsbegründung haftet mithin keiner der behaupteten formalen Mängel an.

Mit der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Rechtsrüge bestreitet der Beschwerdeführer, daß sein Vorsatz zur Zeit der Beischlafhandlungen mit Renate B* auch deren Alter unter 14 Jahre mitumfaßt habe. Er setzt sich dabei aber über die eben dazu ausdrückliche Urteilsfeststellung hinweg (US 8). Da jede Rechtsrüge vom Urteilssachverhalt auszugehen hat, gelangt der geltend gemachte materielle Nichtigkeitsgrund nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Hinsichtlich der Unzuchtshandlungen zu den Urteilsfakten 2 a‑c vermeint der Beschwerdeführer, die festgestellten Handlungen seien nicht tatbildmäßig, weil nur ein flüchtiges Betasten der Brust über der Kleidung erfolgt sei. Dieses Vorbringen geht von vornherein am Urteilsfaktum 2 a vorbei, weil diesem das Betasten des Geschlechtsteiles der unmündigen Renate B* und die Vornahme eines Handverkehrs zugrunde liegt. Auch in den beiden anderen Fakten kann von einer Tatbeschränkung auf bloß flüchtige Berührung der Brust keine Rede sein: Clarissa N* wurde an der bereits entwickelten Brust zwar über dem Unterleibchen, aber unter dem Hemd betastet und überdies zum Angreifen des Penis des Angeklagten aufgefordert. Barbara L* hinwieder betastete der Angeklagte wiederholt oberhalb des Büstenhalters unter dem Leibchen an der bereits entwickelten Brust. Die Rechtsrüge baut daher abermals auf einem urteilsfremden Sachverhalt auf und erweist sich ‑ zumal das Erstgericht in tatsächlicher Hinsicht überdies ausdrücklich feststellte (US 18), daß es sich nicht nur um flüchtige oder zufällige Berührungen, sondern um sexualbezogene unzüchtige Betastungen (hiezu Leukauf‑Steininger, StGB3, RN 5 und 6 zu § 207 StGB) handelte ‑ auch insoweit als nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die zur Gänze nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht als mildernd die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten und das tolerierende Verhalten der Renate B*, als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen in Ansehung dreier Mädchen sowie die Tatwiederholung beim Urteilsfaktum 1. Es verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wobei es gemäß § 43 a Abs 3 StGB einen Strafteil von 16 Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Während der Angeklagte mit seiner Berufung eine Herabsetzung des Strafmaßes und eine gänzliche bedingte Strafnachsicht anstrebt, zielt die Berufung der Staatsanwaltschaft auf eine Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht.

Nur der Berufung des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Der Schöffensenat berücksichtigte die hier aktuellen Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig. Weder für eine besonders verlockende Gelegenheit noch für eine Unbesonnenheit des Angeklagten, wie sie dieser geltend macht, sind nach den Feststellungen des Schöffensenates oder sonst nach der Aktenlage geeignete Anhaltspunkte ersichtlich. Fehl geht auch der Einwand, das Erstgericht hätte neben dem Milderungsgrund der Unbescholtenheit auch den in Anbetracht seines hohen Alters besonders gewichtigen ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten berücksichtigen müssen. Für das Vorliegen des Milderungsumstandes nach § 34 Z 2 StGB genügt nämlich keineswegs die gerichtliche Unbescholtenheit für sich allein, vielmehr ist zudem eine rechtschaffene Lebensführung und weiters erforderlich, daß die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Täters in auffallendem Widerspruch steht. Das verhältnismäßig hohe Lebensalter vermag angesichts des mehrjährigen Tatzeitraumes eine stärkere Gewichtung des vorerwähnten Milderungsumstandes nicht herbeizuführen. Auf der Basis der gesetzlichen Strafdrohung des § 206 Abs 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe erweist sich das mit 24 Monaten gefundene Strafmaß als dem Tatunwert und der Täterpersönlichkeit angemessen.

Soweit der Angeklagte jedoch eine gänzlich bedingte Strafnachsicht anstrebt, ist seine Berufung berechtigt: Die von der Durchführung des in Rede stehenden Strafverfahrens und von der ‑ wenn auch nur kurzen ‑ Vorhaft ausgehende präventive Wirkung gibt, zumal bei dem relativ hohen Lebensalter des Angeklagten von nunmehr 69 Jahren allgemein eine Relativierung der hier maßgebenden Tatimpulse zu erwarten ist, berechtigten Anlaß zu der Annahme, daß es des Vollzuges auch nur eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe nicht bedarf, um den Angeklagten von künftiger Straffälligkeit abzuhalten. Unter den gegebenen besonderen Umständen erweist sich ein Teilvollzug trotz der Tatwiederholung durch längere Zeit auch aus generalpräventiver Sicht nicht als unabdingbar geboten, weshalb in teilweiser Stattgebung der Berufung des Angeklagten spruchgemäß zu entscheiden war.

Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung basiert auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte