OGH 8ObS7/13g

OGH8ObS7/13g29.11.2013

Der Oberste Gerichtshof in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. I***** L*****, vertreten durch Stampfer und Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, Geschäftsstelle Kärnten, 9020 Klagenfurt, Kumpfgasse 25, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen 2.900 EUR netto an Insolvenz‑Entgelt, über den Rekurs und die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2012, GZ 6 Rs 59/12m‑17, mit der über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Mai 2012, GZ 34 Cgs 91/12x‑6, 1) teilweise als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen wurde und 2) teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:008OBS00007.13G.1129.000

 

Spruch:

1) Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

2) Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Klägerin war bei der späteren Schuldnerin vom 1. 6. 2010 bis 4. 2. 2011 zuletzt mit 30 Stunden wöchentlich teilzeitbeschäftigt. Anlässlich der Auflösung der Niederlassung der Arbeitgeberin wurde die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit 4. 2. 2011 vereinbart, wobei die Klägerin in etwa die gleichen Leistungen bekommen sollte, wie im Falle einer zu diesem Zeitpunkt ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung. Konkret wurden ihr eine Beschäftigung als geringfügig Beschäftigte vom 7. 3. bis 30. 4. 2011 mit einem Gehalt von 370 EUR monatlich und Ausgleichszahlungen von insgesamt 2.560 EUR zugesagt.

Die Klägerin hat im Insolvenzverfahren der Arbeitgeberin und bei der Beklagten eine Forderung von 3.945 EUR netto geltend gemacht. Diesen schlüsselte sie wie folgt auf:

 

Entgelt 8. 3. bis 31. 3. 2011 296 EUR brutto = 221 EUR netto

Entgelt 1. 4. bis 30. 4. 2011 370 EUR brutto = 326 EUR netto

Sonderzahlungen 8. 3.  bis 30. 4. 2011

55 EUR brutto =  49 EUR netto

Sonderzahlungen 8. 3. bis 30. 4. 2011 55 EUR brutto = 49 EUR netto

„Sonstige“ (Ausgleichszahlungen) 8. 3. bis 30. 4. 2011

                3.300 EUR brutto = 3.300 EUR netto.

Einen nach dem Formular der Beklagten in einem eigenen Abschnitt einzutragenden Anspruch auf Kündigungsentschädigung machte die Klägerin nicht geltend.

Sie führte aus, dass ihr Arbeitsverhältnis durch einvernehmliche Lösung geendet habe und ein Zahlungsbefehl über ihre Forderung vorliege. Sie sei bei der Schuldnerin vom 8. 3. bis 30. 4. 2011 als Assistentin der Geschäftsführung geringfügig beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich aufgelöst worden. Im Verfahren vor der Beklagten erklärte die Klägerin, dass ihre Arbeitgeberin sie eigentlich noch drei weitere Monate hätte beschäftigen müssen, aber keine Arbeit mehr gehabt habe und statt dessen die Ausgleichszahlung vereinbart worden sei.

Die Beklagte sprach der Klägerin im Verwaltungsverfahren 645 EUR für die Zeit der geringfügigen Beschäftigung vom 8. 3. bis 31. 3. 2011 sowie Zinsen und Kosten in Höhe von 369 EUR zu, wies aber das die Ausgleichszahlung und die darauf entfallenden Kosten betreffende Begehren ab. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Klägerin in der Zeit von März bis April 2011 nur geringfügig gearbeitet habe. Die Ausgleichszahlung sei als freiwillige Abfertigung zu qualifizieren, die nicht gesichert sei.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin 2.900 EUR netto an Insolvenz‑Ausfallgeld. Sie stützt dies unter Darstellung des Zustandekommens der Vereinbarung darauf, dass sie im Verfahren bei der Beklagten die Leistung nur unrichtig als „freiwillige Abfertigung“ bezeichnet habe. Tatsächlich habe es sich aber um eine Abgeltung für die einzuhaltende Kündigungsfrist gehandelt. Dementsprechend sei diese Leistung auch gesichert und die darauf entfallenden Kosten und Gebühren von der Beklagten zu tragen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass es sich bei der geltend gemachten Abschlagszahlung um keine Ausgleichszahlung für die nicht eingehaltene Kündigungsfrist gehandelt habe. Von einer fiktiven Kündigungsfrist sei nie die Rede gewesen. Die Klägerin habe diese Leistung im Insolvenzverfahren auch nicht als Kündigungsentschädigung geltend gemacht, sondern als sonstigen Anspruch.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die von der Klägerin mit der Arbeitgeberin geschlossene Vereinbarung sei ein Vergleich, der dem Rückgriff auf das ursprüngliche Rechtsverhältnis nicht entgegenstehe. Die Ansprüche der Klägerin seien daher Entgeltansprüche aus der Beendigung bzw als Kündigungsentschädigung Schadenersatzansprüche und und somit gesicherte Forderungen iSd § 1 Abs 1 Z 1 und 2 IESG, ebenso wie die geltend gemachten anteiligen Prozesskosten gemäß § 1 Abs 1 Z 4 IESG.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil aus Anlass der Berufung der Beklagten im Umfang des Zuspruchs von 2.585 EUR netto als nichtig auf und wies insoweit die Klage zurück. Im Übrigen gab es der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil im klagsabweisenden Sinne ab.

Nach § 67 Abs 1 ASGG könne die Klage vom Versicherten nur dann erhoben werden, wenn die Geschäftsstelle der IEF‑Service GmbH bereits über den Anspruch entschieden habe oder säumig sei. Andernfalls liege Unzulässigkeit des Rechtswegs vor. Eine Änderung des im Antrag an die Beklagte geltend gemachten Anspruchs im Verfahren vor Gericht sei unzulässig. Dies gelte sowohl für quantitative als auch qualitative Änderungen des Rechtsgrundes. Im Verwaltungsverfahren habe sich die Klägerin aber auf ein Dienstverhältnis vom 8. 3. bis zum 30. 4. 2011 gestützt und eine Ausgleichszahlung dafür begehrt. Erst die vorliegende Klage könne gerade noch so verstanden werden, dass die Klägerin nicht direkt Entgeltforderungen, sondern eine Kündigungsentschädigung geltend machen möchte. Im Ergebnis stütze sie sich damit inhaltlich gar nicht mehr auf die Vereinbarung mit ihrer seinerzeitigen Arbeitgeberin, sondern auf die aufgrund einer „fiktiven“ Kündigung zustehenden Ansprüche. Da aber hier der Arbeitgeber nie eine Beendigungserklärung abgegeben habe, habe ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nie bestanden. Ein solcher Anspruch sei aber vor allem nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor der Beklagten gewesen. Dort sei der nunmehr behauptete Sachverhalt nur rudimentär angedeutet, niemals aber in diesem Sinne ausgeführt und zum Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gemacht worden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten nehme daher auch gar nicht darauf Bedacht. Mangels Identität des Streitgegenstands im Verwaltungsverfahren und der Klage im Umfang der geltend gemachten Kündigungsentschädigung von 2.585 EUR netto sei der Rechtsweg insoweit mangels Erfüllung der Voraussetzung des § 67 Abs 1 ASGG unzulässig.

Die verbleibenden, auf die Durchsetzung der Abfindungsansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren entfallenden Kosten seien nicht durch § 1 Abs 2 Z 4 IESG gesichert, weil diese Bestimmung nur Kosten erfasse, die auf gesicherte Hauptansprüche entfallen. Die ordentliche Revision gegen das diesen Anspruch abweisende Urteil erachtete das Berufungsgericht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO als nicht unzulässig.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts auf teilweise Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung und Nichtigerklärung richtet sich der Rekurs der Klägerin; gegen die Abweisung des verbleibenden Klagsbegehrens deren außerordentliche Revision .

Rechtliche Beurteilung

I.  Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig ( Kodek in Rechberger ZPO³ § 519 Rz 8; RIS‑Justiz RS0043882), aber nicht berechtigt; die außerordentliche Revision ist mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

II.1.  Eine Änderung des Streitgegenstands ist im Rahmen der sukzessiven Kompetenz nach § 67 ASGG nicht zulässig. Auch eine qualitative Änderung der geltend gemachten Ansprüche ist unzulässig und hat die Unzulässigkeit des Rechtswegs zur Folge (RIS‑Justiz RS0103949).

Ein gegen den Insolvenzentgelt-Fonds geltend gemachter Anspruch muss einer der in § 1 Abs 2 IESG gesicherten Anspruchsarten zugeordnet werden; jede Umgehung ist unzulässig (RIS‑Justiz RS0120409; zuletzt etwa 8 ObS 6/11g; 8 ObS 11/11t). Wenn im IESG eine speziellere Regelung besteht, kann nicht auf die allgemeinere Regelung über die Sicherung etwa von Schadenersatzansprüchen nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden (RIS‑Justiz RS0120409). Zwischen der Kündigungsentschädigung und anderen Entgeltansprüchen muss unterschieden werden (8 ObS 11/11t). Unzulässig ist es auch, wenn im Verwaltungsverfahren bei mehreren verschiedenen Dienstverhältnissen zuerst die Ansprüche auf das zweite Dienstverhältnis, im gerichtlichen Verfahren hingegen dann auf das erste Dienstverhältnis gestützt werden (8 ObS 18/11x; 8 ObS 16/07x).

II.2 . Ihren Antrag im Verfahren vor der Beklagten hat die Klägerin auf ein Dienstverhältnis vom 8. 3. bis 30. 4. 2011 und die strittige „Ausgleichszahlung“ für diesen Zeitraum gestützt. Die Klägerin hat damit jedenfalls weder eine Kündigungsentschädigung noch einen Schadenersatzanspruch aus dem früheren Dienstverhältnis ‑ dieser muss aus dem Vollzug des Arbeitsverhältnisses und der Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht ableitbar sein (RIS‑Justiz RS0120403) ‑ geltend gemacht. Für den Zuspruch von laufendem Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis vom 8. 3. bis 30. 4. 2011 wäre dessen tatsächliche Funktion, also das Synallagma mit tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen, maßgeblich gewesen (8 ObS 5/03y).

Die Beklagte hat die so geltend gemachte „Ausgleichszahlung“ als freiwillige Abfertigung qualifiziert und den darauf gestützten Antrag abgewiesen. Nach § 1 Abs 4a IESG ist ja nur eine gesetzliche Abfertigung in dem in dieser Bestimmung genannten Ausmaß gesichert (RIS‑Justiz RS0051207).

In ihrer Klage hat die Klägerin ihren Anspruch darauf gestützt, dass der Arbeitgeber bei einer ordnungsgemäßen Arbeitgeberkündigung zum 31. 3. 2011 ebenfalls diesen Betrag hätte zahlen müssen. Dies lässt sich allenfalls dahin interpretieren, dass sie inhaltlich eine Kündigungsentschädigung aus dem früheren Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat.

II.3. Zwischen einer freiwilligen Abfertigung oder laufendem Entgelt aus dem späteren Arbeitsverhältnis einerseits und einer Kündigungsentschädigung aus dem früheren Arbeitsverhältnis bestehen aber nach dem IESG gravierende Unterschiede, etwa was den Umfang der Sicherung anlangt (vgl etwa zur Kündigungsentschädigung § 1 Abs 2 Z 2 iVm § 1 Abs 3 Z 3 IESG; zu den Abfertigungen § 1 Abs 2 Z 1 iVm § 1 Abs 4a IESG). Hinzu kommt, dass auch in sonstigen Fragen Abfertigungen und Kündigungsentschädigung unterschiedlich behandelt werden (vgl zur Verlängerung der Pflichtversicherung um den Zeitraum der Kündigungsentschädigung § 11 Abs 2 ASVG).

Ein Arbeitnehmer, der sich im Verwaltungsverfahren auf einen Abfindungsanspruch stützt oder laufendes Entgelt aus einem späteren Arbeitsverhältnis stützt, kann nicht im gerichtlichen Verfahren eine Kündigungsentschädigung aus dem früheren Arbeitsverhältnis geltend machen (vgl im Übrigen zum Erfordernis der rechtswidrigen Auflösung durch den früheren Arbeitgeber § 29 AngG).

Der Rekurs der Klägerin ist daher nicht berechtigt.

II.4.  Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.

III.  In ihrer außerordentlichen Revision verweist die Klägerin nur auf ihre Ausführungen zum Rekurs. Damit stellt sie keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

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