OGH 6Ob156/13d

OGH6Ob156/13d24.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 22. April 2012 verstorbenen M***** J***** H*****, geboren am *****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über die Revisionsrekurse der Alleinerbin Dr. M***** H*****, vertreten durch Dr. Johannes Klausner, Rechtsanwalt in Innsbruck, und der Noterben 1. N***** G*****, vertreten durch Mag. Christian Linser und Mag. Peter Linser, Rechtsanwälte in Imst, 2. K***** L*****, 3. K***** K*****, beide vertreten durch Forcher‑Mayr & Kantner Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 21. Juni 2013, GZ 53 R 82/13t‑85, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Imst vom 29. April 2013, GZ 1 A 74/13x‑79, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00156.13D.1024.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Begründung

M***** J***** H***** verstarb am 22. 4. 2012 unter Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung, mit der sie ihre Tochter Dr. M***** H***** zur Alleinerbin einsetzte. Ihre beiden anderen Töchter beschränkte sie auf den gesetzlichen Pflichtteil. In ihrem Testament führte sie auch aus, dass die Pflichtteile der beiden Kinder ihrer verstorbenen Tochter K***** um die Hälfte reduziert werden.

Mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 14. 1. 2013 wurde der Alleinerbin der Nachlass aufgrund des Testaments vom 23. 11. 2011 eingeantwortet. Die Beschlussfassung über den Übernahmswert der beiden zur Verlassenschaft gehörenden geschlossenen Höfe behielt es sich vor.

Die Alleinerbin beantragte die Festsetzung der Übernahmswerte beider Höfe mit insgesamt 400.000 EUR. Eine Tochter und die beiden Enkel der Erblasserin beantragten, den Übernahmswert mit insgesamt 2,1 Mio EUR zu bestimmen.

Das Erstgericht setzte die Summe der Übernahmswerte für die beiden Höfe mit 2,1 Mio EUR fest.

Es traf folgende Feststellungen:

Die Alleinerbin war bis 2002 Abteilungsleiterin in der Landeslandwirtschaftskammer in Innsbruck und mit Bildung und Beratung beschäftigt. Seit 2003 bezieht sie eine Pension von monatlich 2.800 EUR netto zuzüglich Sonderzahlungen.

Hof Grundbuch 8***** I***** EZ *****:

Seit 2003 wurde kein Vieh mehr auf dem Hof gehalten. Mit Ausnahme einer Mähmaschine gab es auf dem Hof nie landwirtschaftliche Maschinen. Seit 2003 sind sämtliche zum Hof gehörenden landwirtschaftlichen Flächen zu einem jährlichen Pachtzins von 1.500 EUR verpachtet. Der Pächter und die Erblasserin haben am 14. 10. 2011 einen Pachtvertrag für Flächen im Ausmaß von 331 Ar für eine Dauer von 21 Jahren beginnend mit 1. 1. 2011 abgeschlossen. Alleinerbin und Pächter vereinbarten, vor Gericht auszusagen, dass das Pachtverhältnis beendet werde, sodass die Alleinerbin ab 2014 sämtliche landwirtschaftlichen Flächen des Hofes bewirtschaften könne. Mit Datum 15. 4. 2013 unterschrieben die beiden die schriftliche Kündigung des Pachtverhältnisses, wobei sie die Kündigung ausdrücklich als „pro forma“ bezeichneten und gar nicht vorhatten, die schriftliche Kündigung im Verlassenschaftsverfahren vorzulegen.

Von Grundstücken im Gesamtausmaß von 34.228 m² sind die aneinandergrenzenden, laut Flächenwidmungsplan der Stadt I***** im Freiland liegenden, ebenen Grundstücke 2619 im Ausmaß von 798 m², .1042 (samt Hofstelle), 2620 und 2612 (insgesamt 6.442 m²) im örtlichen Raumordnungskonzept vom 16. 11. 1999 als Erweiterungsbereich für Sondernutzungen betrieblicher Art oder Mischnutzung vorgesehen. Sie liegen in der Nähe zum Gewerbegebiet von I*****. Benachbarte Grundstücke sind als Sonderfläche „Handel und Dienstleistung“ (ein Supermarkt), Sonderfläche „Lagerhaus/Werkstättengebäude/Ausstellungs‑ gebäude“ und Sonderfläche „Mischgebiet“ ausgewiesen. Die in den 1960er‑Jahren errichtete Hofstelle hat einen durchschnittlichen bis relativ guten Zustand; das Objekt ist noch durchwegs im ursprünglichen Ausstattungszustand, die laufenden Instandhaltungsarbeiten wurden jedoch stets durchgeführt.

Der Verkehrswert (Summe von Grundwert und Gebäudewert der Hofstelle) der Grundstücke 2619 und .1042 („Variante 1“) beträgt 489.800 EUR. Der Verkehrswert der übrigen Flächen errechnet sich mit 368.382 EUR. Nach Abzug von Belastungen (Hochspannungsleitung) und unter Korrektur negativ beeinflussender Umstände ergibt sich ein Verkehrswert per 22. 4. 2012 von 682.512,80 EUR. Im Hinblick auf eine allfällige Umwidmungsmöglichkeit im Sinn des Raumordnungskonzepts vom 16. 11. 1999 ergibt der Grundwert der Grundstücke 2619, 2620, 2621 und .1042 abzüglich der Abbruchkosten für die Hofstelle (56.900 EUR) („Variante 2“) einen Verkehrswert von 1.716.100 EUR. Der Verkehrswert der übrigen Flächen abzüglich von Belastungen und zuzüglich des Werts des Grundstücks 2637 von insgesamt 273.887,86 EUR ergibt für die Variante 2 einen Verkehrswert als „Zerschlagungswert“ von 1.990.100 EUR. Im Fall einer Zwangsversteigerung des Hofes wäre aus Sicht beider beigezogener Schätzgutachter der Wert nach Variante 2 anzusetzen, weil a) nahezu 90 % des Gesamtwerts auf die Fläche entfallen, für die eine Umwidmungsmöglichkeit besteht, und nur rund 10 % auf die landwirtschaftlichen Kulturgründe; b) aufgrund der Grundverkehrsgesetz‑Novellen in den letzten Jahren rechtliche Konstruktionen möglich sind, die nahezu jedwedem Käufer den Erwerb derartiger Liegenschaften ermöglichten, etwa über Gründung von Gesellschaften mit Geschäftsführern, die die landwirtschaftliche Qualifikation besitzen.

Der Ertragswert dieser Liegenschaft beträgt 269.250 EUR; wobei die erworbenen Flächen zumindest eine „Wertanlage“ darstellen würden.

Die Alleinerbin hat ein Betriebskonzept ausarbeiten lassen, wonach sie ab 2014 auf dem Hof eine Pferdepension für fünf Pferde betreiben würde. Dieses Konzept würde Investitionen von rund 15.000 EUR erfordern, wobei erst bei Investitionen von mehr als 15.000 EUR Förderungen zur Verfügung stünden. Der jährliche Lebensunterhaltsbedarf einer fünfköpfigen bäuerlichen Familie in Tirol betrug 2012 rund 26.843 EUR. Aus dem Pferdepensionsbetrieb könnte die Alleinerbin ‑ bei einem Arbeitskräfteeinsatz von 0,3 Arbeits‑ kräften ‑ jährlich ‑ einschließlich EU‑Förderungen für die Flächenbewirtschaftung ‑ rund 11.648 EUR erwirtschaften. Die Alleinerbin hat im September 2012 die Ausbildung zum NLP‑Resonanz‑Master mit Erfolg abgeschlossen. Dies ist die Basis für eine allfällige weitere Qualifizierung zum „Systemcoach“. Im Fall einer gewerblichen Coachingtätigkeit an drei Stunden pro Tag an drei Tagen in der Woche in acht Monaten jährlich hätte die Alleinerbin ein weiteres jährliches Nettoeinkommen von 15.360 EUR. Die Nachfrage nach derartigen Leistungen im bäuerlichen Bereich, insbesondere Beratung und professionelle Begleitung betreffend Hofübergabe und Zusammenleben mehrerer Generationen auf Bauernhöfen, ist gegeben, wird allerdings in der Regel kostenlos von Mitarbeitern der Landeslandwirtschaftskammer besorgt. „Systemcoach“ der angeführten Art gibt es in Tirol noch nicht. Die Alleinerbin hat nicht vor, selbst jemals eine Pferdepension auf dem Hof zu betreiben oder jemals auf dem Hof eine „Praxis für systemisches Coaching“ zu eröffnen.

Hof Grundbuch 8***** T***** EZ *****:

Auf dem Hof in T***** wird seit Jahren kein Vieh gehalten. Dort übernachten nur gelegentlich Familienangehörige. Der Cousin der Alleinerbin verfüttert das auf den zum Hof gehörenden landwirtschaftlichen Flächen gemähte Gras in seinem Betrieb. Hiefür musste er in den letzten Jahren nichts zahlen. Die Alleinerbin hat nicht vor, auf dem Hof in T***** jemals Vieh zu halten und diesen Hof selbst zu betreiben. Auf dem Hof werden seit 20 Jahren keinerlei Einnahmen erwirtschaftet, vielmehr gab es bloß laufend Ausgaben für die Erhaltung der Hofstelle.

Der Verkehrswert des Grundstücks .613, eines kleinen Grundstücks, das mit einer Doppelhaushälfte (Hofstelle) bebaut ist, beträgt 83.900 EUR. Der „Verkehrswert der übrigen Grundstücke der Liegenschaft errechnet sich mit 78.610 EUR, der Wert der damit verbundenen Rechte mit 12.024 EUR, sodass der Verkehrswert insgesamt 122.200 EUR“ beträgt. Der Ertragswert dieser Liegenschaft errechnet sich mit 70.700 EUR.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, Zweck des Höfe‑ und Anerbenrechts sei die Erhaltung eines lebenden landwirtschaftlichen Betriebs. Falls durch die vorgesehene Begünstigung des Anerben die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebs nicht sichergestellt werde, sei eine Begünstigung des Anerben sachlich nicht gerechtfertigt. § 3 Tiroler HöfeG sehe für die behördliche Bewilligung zur Neubildung eines geschlossenen Hofes vor, dass der Durchschnittsertrag des Hofes zur angemessenen Erhaltung einer Familie von mindestens fünf Köpfen ausreiche. Die beiden Höfe würden seit Jahren fremd bewirtschaftet. Lebende landwirtschaftliche Betriebe lägen nicht vor. Die Alleinerbin beabsichtige auch nicht, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen. Deshalb sei der Gesamtübernahmswert dem Gesamtverkehrswert der beiden Höfe anzunähern.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Alleinerbin Folge und setzte die Summe der Übernahmswerte der beiden Höfe mit 630.000 EUR fest. Die Grundstücke .1042, 2619, 2620 und 2621 seien nach wie vor landwirtschaftlich genutzt und als Freiland gewidmet. Es bestehe daher keine Grundlage dafür, den Veräußerungserlös dieser Grundstücke im Fall einer Zwangsversteigerung und damit einhergehend eine Zerschlagung des geschlossenen Hofes samt Abbruch der Hofstelle als Verkehrswert in die Ermittlung des Übernahmepreises einfließen zu lassen. Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten werde, dass es bei Bauhoffnungsland darauf ankomme, ob mit einer künftigen Umwidmung so konkret gerechnet werden könne, dass sie nach der Verkehrsauffassung bereits als zusätzliches werterhöhendes Moment angesehen werden könne, sei diesem Umstand bei der Gewichtung zwischen Ertragswert und Verkehrswert ‑ ohne Einbeziehung eines theoretischen Zerschlagungswerts ‑ und nicht bei der Verkehrswertermittlung Rechnung zu tragen. Hinsichtlich des ersten geschlossenen Hofes sei daher von einem Verkehrswert von 682.512,80 EUR und nicht von einem Zerschlagungswert von 1.990.100 EUR auszugehen. Es sei unerheblich, ob die Alleinerbin beabsichtige, eine Pferdepension zu betreiben, oder ob sie es bei der Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen belasse. Die Erbteilungsvorschriften des Tiroler Höferechts seien nämlich ohne Rücksicht auf die Lebensfähigkeit des Hofes anzuwenden, wenn der Hof nur in die Abteilung 1 des Hauptbuchs des Grundbuchs eingetragen sei. Auch wenn es die Zielsetzung des Anerbenrechts sein möge, eine krisenfeste landwirtschaftliche Struktur zu erhalten, könne das Tiroler Höferecht nicht dazu führen, dass eine alleinstehende, kinderlose 67‑jährige Frau verpflichtet wäre, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu beginnen, der eine fünfköpfige Familie ernähren könnte. Beim ersten Hof erachte das Rekursgericht eine Gewichtung des Ertragswerts zu einem Drittel und des Verkehrswerts zu zwei Drittel für gerechtfertigt. Der Wert des anderen Hofes werde in erster Linie durch den Ertrag bestimmt, sodass hier eine Gewichtung von Verkehrswert zu einem Drittel und Ertragswert zu zwei Drittel für gerechtfertigt erachtet werde. Beim ersten Hof ergebe sich daher der Übernahmswert mit 544.758,53 EUR, beim anderen mit 87.866,66 EUR. Die Summe betrage rund 630.000 EUR. Davon ausgehend hätte die Alleinerbin insgesamt 236.250 EUR für die Zahlung der Pflichtteile aufzubringen. Dieser Betrag werde in Ansehung der gesamten wirtschaftlichen Situation der Alleinerbin auch als verkraftbar anzusehen.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob bzw welche Auswirkungen es auf die Höhe des Übernahmspreises habe, wenn sich der eingeantwortete Alleinerbe mit einer Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen (wie bisher) begnüge oder aber der von ihm angestrebte Ertrag hinter dem möglicherweise erwirtschaftbaren Ertrag zurückbleibe.

Die Alleinerbin strebt mit ihrem Revisionsrekurs die Bestimmung der Summe der Übernahmswerte beider Höfe mit 425.000 EUR an; die Noterben beantragen die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

1. Als geschlossener Hof gilt gemäß § 1 TirHöfeG jede landwirtschaftliche mit einem Wohnhaus versehene Besitzung, deren Grundbuchseinlage sich in der Höfeabteilung des Hauptbuchs befindet. Auf die Größe des Hofes oder dessen Ertragswert kommt es nicht an (6 Ob 121/10b mwN).

2. War der Hof im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin ein geschlossener, so finden die Erbteilungsvorschriften Anwendung, auch wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Eintragung als geschlossener Hof an sich nicht mehr gegeben wären (RIS‑Justiz RS0063719; vgl auch RS0063713; 1 Ob 184/72, SZ 45/89). Die Eigenschaft der Liegenschaft als geschlossener Hof geht nicht von selbst verloren (vgl § 7 Abs 1 TirHöfeG; RIS-Justiz RS0063847, RS0063876).

3. Der Übernahmswert des Hofes, der auch der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen ist (§ 26 Abs 3 TirHöfeG), ist vom Verlassenschaftsgericht nach billigem Ermessen so festzusetzen, dass der Übernehmer wohl bestehen kann (§ 21 Abs 1 Satz 1 TirHöfeG). Dabei ist der Ertragswert des Hofes angemessen zu berücksichtigen (§ 21 Abs 1 Satz 2 TirHöfeG). Dieser ist aber nicht einzige Richtschnur, sollen doch die Miterben (Noterben) nicht leer ausgehen (RIS-Justiz RS0063847, RS0063876). Bei der Wertermittlung darf der Verkehrswert jedenfalls dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn Ertragswert und Verkehrswert weit auseinanderklaffen (6 Ob 121/12f; RIS-Justiz RS0063847 [T4]).

4. Da die Ermittlung des Übernahmswerts eine Ermessensentscheidung ist, bildet die Frage, inwieweit Ertragswert- und Verkehrswertkomponenten ihren Niederschlag im Übernahmswert finden sollen, regelmäßig eine solche des Einzelfalls, die im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist (6 Ob 121/10b mwN; RIS-Justiz RS0050409 [T1], vgl RS0010080 [T9]).

5. Die vom Rekursgericht für erheblich erachtete Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beantwortet. Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zeigen die Revisionsrekurse nicht auf:

6. Auch ohne dass ‑ anders § 11 Abs 1 AnerbenG ‑ § 21 Abs 1 TirHöfeG ausdrücklich anordnet, bei der Ermessensentscheidung auch die Interessen der Miterben (bzw Pflichtteilsberechtigten) gebührend zu berücksichtigen, geht die Rechtsprechung hiervon aus, sollen doch Miterben und Noterben nicht leer ausgehen (vgl 6 Ob 109/11i; Eccher in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 21 TirHöfeG Rz 1). Deshalb ist es gerechtfertigt, dem Anerben größtmögliche Anstrengungen und die Ausnützung aller objektiven Möglichkeiten zur effektiven Wirtschaftsführung zuzumuten (6 Ob 26/90, SZ 63/214). Entgegen der Ansicht der Alleinerbin, mit der sie den angestrebten Übernahmswert von 425.000 EUR begründet, ist bei der Festsetzung des Übernahmswerts daher nicht darauf Bedacht zu nehmen, dass eine Selbstbewirtschaftung durch die Alleinerbin weniger ertragreich als eine Verpachtung des Hofes wäre. Auch sonst gelingt es der Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen, dass das Rekursgericht seinen sehr weiten Ermessensspielraum überschritten hätte. Weder aus der Entscheidung 6 Ob 181/00m noch aus der Entscheidung 6 Ob 227/10s lässt sich ableiten, dass der Übernahmswert des geschlossenen Hofes in I***** zwingend als Summe von einem Drittel des Verkehrswerts und zwei Dritteln des Ertragswerts oder maximal mit dem arithmetischen Mittel zwischen Ertrags- und Verkehrswert zu bestimmen wäre.

7. Selbst wenn lediglich ein formalrechtlich bestehender, tatsächlich aber nicht existierender geschlossener Hof zu berücksichtigen ist, kommt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Nichtbeachtung der höferechtlichen Bestimmungen nicht in Frage, bei der Ermittlung des Übernahmswerts ist aber der Umstand von erheblicher Bedeutung, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines lebensfähigen bäuerlichen Betriebs, keinesfalls erreicht werden kann; in einem solchen Fall ist der Übernahmswert nach den Umständen des Einzelfalls zwischen dem Ertragswert und dem Verkehrswert festzusetzen (6 Ob 121/10b mwN; vgl 6 Ob 109/11i). Soweit daher die rechtsmittelwerbenden Noterben die ausschließliche Berücksichtigung des Verkehrswerts im „Zerschlagungsfall“ anstreben, widerspricht ihr Standpunkt dieser Rechtslage.

7.1. In der Entscheidung 6 Ob 292/03i hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass dem Ertragswert nicht mehr die primäre und entscheidende Rolle zukommt, wie dies bei einem Mittelbetrieb (das ist ein Betrieb, der zur angemessenen Erhaltung einer Familie mit mindestens fünf Köpfen ausreicht, ohne das Vierfache eines solchen Ertrags zu überschreiten [vgl § 3 Abs 1 TirHöfeG] ‑ „Normbetrieb“) der Fall ist, und dies zum Grundsatz führt, dass bei der Wertermittlung eine Mischmethode zwischen Ertrags- und Verkehrswert anzuwenden und dem Verkehrswert prozentuell ein entsprechend höheres Gewicht beizumessen ist, je kleiner der Betrieb im Verhältnis zum Normbetrieb ist.

7.2. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof schon mehrmals entschieden, dass bei der Ausmittlung des Pflichtteils bei Grundstücken mit tatsächlicher oder rechtlich durchsetzbarer Möglichkeit, eine Umwidmung in Bauland zu erreichen, eine höhere Bewertung anhand des Verkehrswerts von Bauland vorzunehmen ist, wenn eine künftige Verbaubarkeit so konkret Gestalt angenommen hat, dass sie nach der Verkehrsauffassung bereits als zusätzliches werterhöhendes Moment anzusehen ist (6 Ob 121/10b; 1 Ob 701/85, SZ 59/6; 7 Ob 238/97v). Für die Wertung als Bauland muss die bevorstehende Parzellierung und Aufschließung nicht nur rechtlich und tatsächlich möglich, sondern darüber hinaus auch aufgrund besonderer Umstände in naher Zukunft wahrscheinlich sein (RIS-Justiz RS0057977). Diese Grundsätze sind auch im Fall einer (möglichen) Umwidmung land- und forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Gewerbegebiet anwendbar (6 Ob 121/10b). Die Feststellungen des Erstgerichts geben indes keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Annahme, dass in naher Zukunft eine Sondernutzung betrieblicher Art oder eine Mischnutzung der betroffenen Grundstücke, worauf sich auch die (intakte) Hofstelle befindet, wahrscheinlich ist, ist doch in den Feststellungen lediglich von einer „allfälligen Umwidmung“ die Rede. Schon unter diesem Aspekt der Umstände des Falls ist der ‑ zur Rechtsfrage gehörenden (6 Ob 121/10b) ‑ Auffassung des Rekursgerichts, die Grundstücke seien als landwirtschaftlich genutztes Freiland anzusehen und dementsprechend zu bewerten, nicht entgegenzutreten.

8. Dem Argument, die Alleinerbin habe gar nicht die Absicht, den Hof in I***** persönlich zu bewirtschaften, ist zu erwidern, dass dies bei der gesetzlichen Erbfolge einen Ausschließungsgrund nach § 18 TirHöfeG hätte bilden können. Diese Bestimmung ist aber bei der gewillkürten Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht anzuwenden (§ 26 Abs 2 TirHöfeG).

9. Dass landwirtschaftlich genutzte Flächen verpachtet sind, führt nicht zur Annahme der Nichtexistenz eines landwirtschaftlichen Betriebs (6 Ob 20/02p).

10. Der Oberste Gerichtshof hegt, wie bereits mehrmals ausgesprochen, weder unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums (6 Ob 88/12b; 6 Ob 109/11i mwN) noch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (6 Ob 289/07d; 6 Ob 109/11i mwN) Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der anerbenrechtlichen Bestimmungen über den Übernahmswert.

11. Nach Art 51 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) gilt die Charta ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs finden die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung. Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass er eine nationale Regelung nicht anhand der Charta beurteilen kann, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Er hat außerdem klargestellt, dass die durch die Charta garantierten Grundrechte zu beachten sind, wenn eine nationale Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt (EuGH 26. 9. 2013, C-418/11 , Texdata Software GmbH , Rz 72 f mwN). Die Noterben führen nicht aus, dass die Bewertung eines Nachlasses, insbesondere die Festsetzung eines Übernahmswerts für einen Erbhof (geschlossenen Hof), in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bestimmung eines Übernahmswerts nach § 21 TirHöfeG eine unionsrechtliche Fallgestaltung betrifft. Die Rechtsmittelwerber begründen auch nicht, weshalb die Kapitalsverkehrsfreiheit (Art 63 AEUV) oder die Richtlinie 88/361/EWG der Anwendung des § 21 TirHöfeG entgegenstünde. Auch insoweit vermögen sie daher eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht aufzuzeigen.

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