Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Die am ***** geborene Antragstellerin und ihre Mutter sind ungarische Staatsangehörige. Sie leben und lebten stets im gemeinsamen Haushalt in Ungarn.
Der außereheliche Vater der Antragstellerin ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich und nach der Aktenlage immer in Österreich aufhältig gewesen.
Aufgrund des Versäumungsurteils vom 8. 10. 2001 ist der Vater der Antragstellerin zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 4.000 ATS (das sind 290,70 EUR) verpflichtet. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, war er vom 10. 10. 2005 bis 17. 6. 2006 in Österreich als Angestellter und ab 16. 10. 2006 als geringfügig beschäftigter Angestellter beschäftigt. Im Jahr 2011 war er als Arbeiter bei der W***** GmbH in Amstetten tätig (ON 23).
Zur Vorgeschichte:
a) Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 9. 5. 2007, GZ 4 P 103/04b‑52, wurde der Antragstellerin Unterhaltsvorschuss gemäß §§ 3 und 4 Z 1 UVG in der beantragten Höhe von 260,70 EUR monatlich für den Zeitraum 1. 11. 2005 bis 31. 10. 2007 gewährt.
b) Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 2. 3. 2009, GZ 4 P 103/04b‑U15, wurden ihr Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1. 3. 2008 bis 28. 2. 2011 in Höhe von 260,70 EUR gewährt.
c) Am 3. 6. 2011 langte bei Gericht der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe von 290,70 EUR monatlich ab „1. 3. 3008“ (gemeint wohl „1. 3. 2008“) ein (ON 21).
Das Bezirksgericht Scheibbs wies diesen Antrag mit rechtskräftigem Beschluss vom 7. 6. 2011, GZ 4 PU 85/11z‑24, mit der Begründung ab, dass er ‑ sofern dieser Antrag als Weitergewährungsantrag über den 28. 2. 2011 hinaus zu verstehen sei ‑ verspätet sei, weil er nach Ablauf der in § 18 Abs 1 Z 1 UVG genannten dreimonatigen Frist ab Auslaufen des bisher gewährten Vorschusses bei Gericht eingelangt sei. Der Antrag könne daher nur als Antrag auf Neugewährung ab 1. 6. 2011 verstanden werden. Eine Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab 1. 6. 2011 scheitere jedoch daran, dass der Unterhaltsschuldner seit 2011 in Österreich unselbstständig erwerbstätig sei, sodass eine Führung der Exekution nicht von vornherein aussichtslos sei. Ein Antrag auf Exekutionsführung nach § 294 EO sei bis dato aber noch nicht eingebracht worden.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der von der Antragstellerin durch ihre rechtsanwaltlich vertretene Mutter am 13. 4. 2012 bei Gericht eingebrachte Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss in Höhe von 290,70 EUR monatlich ab „1. 3. 3008“ (gemeint offenbar wiederum „1. 3. 2008“). Die Antragstellerin brachte dazu zusammengefasst vor, der Unterhaltsschuldner habe weiterhin keine Unterhaltszahlungen erbracht, ein vollstreckbarer Exekutionstitel liege dem Gericht vor, die übrigen Umstände hätten sich weder auf ihrer Seite noch auf Seiten des Unterhaltsschuldners geändert.
Am 8. 12. 2012 wurde die Antragstellerin (auch nach ungarischem Recht) volljährig.
Nach Verbesserungsauftrag ist nunmehr eine von der Antragstellerin unterfertigte Vollmacht an den für sie einschreitenden Rechtsanwalt zum Akt gelangt.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Rechtlich ging es davon aus, dass zwar dann, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes mit der Staatsbürgerschaft eines EU‑Mitgliedstaats in einem anderen EU-Mitgliedstaat liege und der Elternteil, mit dem ein gemeinsamer Haushalt bestehe, in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (als Grenzgänger) nachgehe, Anspruch auf österreichischen Unterhaltsvorschuss gegeben sei. Die Antragstellerin sei aber weder in Österreich wohnhaft, noch gehe ihre Mutter in Österreich einer unselbständigen Beschäftigung nach. Es bestehe daher keine Exportverpflichtung des österreichischen Unterhaltsvorschusses nach Ungarn.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Rechtlich ging es im Wesentlichen davon aus, dass seit dem Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 mit 1. 5. 2010, keine „Exportpflicht“ für Unterhaltsvorschüsse mehr bestehe, weil Unterhaltsvorschüsse aus dem Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 nunmehr ausdrücklich ausgenommen seien. Die Exportpflicht sei auch nicht aus Art 7 Abs 2 der Freizügigkeitsverordnung VO (EU) 492/2011 abzuleiten. In der jüngst ergangenen, eine „Grenzgängerkonstellation“ betreffenden Entscheidung 10 Ob 15/12x sei zwar ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bejaht worden. Im konkreten Fall ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die gemeinsam mit der Minderjährigen in Ungarn aufhältige Mutter in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe.
Über Zulassungsvorstellung hin sprach das Rekursgericht letztlich aus, dass der Revisionrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob einem in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Minderjährigen (ungeachtet des Inkrafttretens der VO [EG] 883/2004) im Hinblick auf den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruch auf Unterhaltsvorschuss zukomme, wenn zumindest ein Elternteil in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgehe.
Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, in der Entscheidung 10 Ob 15/12x sei erstmals ausgesprochen worden, dass ‑ abweichend von der Formulierung des § 2 UVG ‑ ein Wohnsitz des Kindes in Österreich keine zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bilde. Unverständlich sei aber, wieso die Berechtigung dieses Anspruchs im vorliegenden Fall davon abhängig gemacht werde, bei welchem Elternteil das Kind lebe bzw welcher Elternteil einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in Österreich nachgehen müsse. Dies bedeute eine verdeckte Diskriminierung von Minderjährigen, die nicht mit dem in Österreich einer Beschäftigung nachgehenden Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben. Es sei auf den Zweck der Unterhaltsvorschüsse abzustellen, dies unabhängig davon, welcher Elternteil in Österreich beschäftigt sei.
Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, beantragte in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zum Gewährungszeitraum:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Gemäß § 8 UVG sind die Vorschüsse vom Beginn des Monats zu gewähren, in dem das Kind dies beantragt. Abgesehen von ‑ hier nicht gegebenen Ausnahmefällen ‑ können demnach Vorschüsse welcher Art immer frühestens ab Beginn des Monats gewährt werden, in dem die Antragstellung bei Gericht erfolgt, nicht aber rückwirkend (RIS-Justiz RS0109037; Neumayr in Schwimann/Kodek 4 , §§ 7, 8 UVG Rz 1). Soweit sich der am 13. 4. 2012 bei Gericht eingelangte Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss auf einen vor dem 1. 4. 2012 liegenden Zeitraum ab „1. 3. 3008“ (gemeint wohl „1. 3. 2008“) richtet, ist er im Hinblick auf § 8 UVG jedenfalls abzuweisen.
1.2. Ein Kind hat im Wesentlichen dann einen Unterhaltsvorschussanspruch nach dem österreichischen
UVG, wenn es die in § 2
UVG aufgestellten Kriterien erfüllt, darunter auch dasjenige der Minderjährigkeit (RIS-Justiz RS0115844 [T5]). Im vorliegenden Fall hat die dem ungarischen Personalstatut unterworfene Antragstellerin ihre
Volljährigkeit gemäß § 12 ungZGB mit Vollendung des 18. Lebensjahres
mit 8. 12. 2012 erlangt.
1.3. Ausgehend von § 8 UVG und dem in § 2 Abs 1 Satz 1
UVG aufgestellten Kriterium der Minderjährigkeit verbleibt somit die Beurteilung des Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, soweit er sich auf den Zeitraum 1. 4. 2012 (§ 8 Satz 1
UVG) bis 31. 12. 2012 (§ 20 Abs 2
UVG) bezieht (RIS-Justiz RS0115844 [T6]).
2.1. Grundvoraussetzung für die Anwendung des koordinierenden Sozialrechts ist ‑ sowohl unter dem Regime der VO (EWG) 1408/71 als auch der neuen VO (EG) 883/2004 das Vorhandensein eines gemeinschaftlichen, grenzüberschreitenden Bezugs ( Felten/Neumayr , Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 362 [367]; Spiegel in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 VO [EG] 883/2004 Rz 15). Diese Umstände können in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaates oder ähnlichen Merkmalen gesehen werden ( Spiegel in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 VO [EG] 883/2004 Rz 15).
2.2. In der bereits im Vorverfahren GZ 4 P 103/04b‑52 (siehe oben Pkt a) in dieser Rechtssache ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 4. 11. 2008, AZ 10 Ob 36/08d (ON 71), wurde (noch) zum Regime der VO (EWG) 1408/71 im vorliegenden Fall ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit der Begründung bejaht, dass der Aufenthalt und die Staatsbürgerschaft der Antragstellerin und der im gemeinsamen Haushalt lebenden Mutter ins EU-Ausland wiesen. Dies reiche für die Bejahung des für die Anwendung der VO (EWG) 1408/71 notwendigen gemeinschaftlichen grenzüberschreitenden Bezugs aus (krit Felten, Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss - Gemeinschaftsrechtliche Auswirkungen auf die österreichische Rechtslage, iFamZ 2009, 362 [368]).
2.3 Mit 1. 5. 2010 wurden die VO (EWG) 1408/71 („Wanderarbeitnehmerverordnung“) von der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 und die Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 von der neuen Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 abgelöst. Nach Art 2 Abs 1 der VO (EG) 883/2004 , der den persönlichen Anwendungsbereich regelt, gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates „... mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten sowie für ihre Familienangehörigen ...“ Die Eröffnung des Geltungsbereichs setzt ‑ im Gegensatz zu Art 2 der VO (EWG) 1408/71 ‑ zwar nicht mehr voraus, dass eine Person als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Studierender einzuordnen ist, lautet aber ansonsten im Wesentlichen gleich wie Art 2 Abs 1 der VO (EWG) 1408/71 , sodass die in der Vorentscheidung AZ 10 Ob 36/08d zum Vorhandensein des EU-Bezugs getroffenen Aussagen auch auf das Regime der VO (EG) 883/2004 zutreffen.
2.4. Art 1 lit z VO (EG) 883/2004 definiert nunmehr als Familienleistungen alle Sach- und Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I. Durch den Eintrag in den Anhang I der neuen Koordinierungsverordnung sind österreichische Unterhaltsvorschüsse, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Familienleistungen qualifiziert wurden, vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen worden. Dies bedeutet, dass seit 1. 5. 2010 Unterhaltsvorschüsse im Unionsrechtskontext nicht mehr auf Grundlage des Europäischen Koordinierungsrechts in Gestalt der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen sind (RIS-Justiz RS0125933). Die seinzerzeit vom Europäischen Gerichtshof für den österreichischen Unterhaltsvorschuss in der Rs Humer (EuGH 5. 2. 2002, Rs C‑255/99, Humer, Slg 2002, I-01205) statuierte Exportverpflichtung besteht daher aufgrund der Unanwendbarkeit des Koordinierungsrechts nicht mehr.
3. Der Umstand, dass Unterhaltsvorschüsse seit 1. 5. 2010 nicht mehr in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 fallen, führt dazu, dass die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bei Sachverhalten mit Unionsbezug dem nationalen Recht unterliegt.
3.1. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 UVG haben mj Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Vorschüsse.
3.2. Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für einen Vorschussanspruch in Österreich ist somit neben der österreichischen Staatsbürgerschaft ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Österreich; kein Anknüpfungspunkt ist hingegen mehr der Umstand, dass ein Elternteil eine (un‑)selbständige Beschäftigung in Österreich ausübt (Felten/Neumayr, Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss mit grenzüberschreitendem Bezug, iFamZ 2010, 164 [166]).
4. Der Europäische Gerichtshof hat aber ausdrücklich festgehalten, dass Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Koordinierungsvorschriften dennoch auf ihre Vereinbarkeit mit dem sonstigen Unionsrecht zu überprüfen sind (EuGH 31. 5. 2001, Rs C‑43/99, Leclere und Deaconescu, Slg 2001, I-4265, Rz 31). Das nationale Recht ist somit unionsrechtskonform (und damit auch primärrechtskonform) auszulegen (10 Ob 14/10x). Sofern diskriminierende Elemente im nationalen Recht vorgesehen sind, (zB Staatsangehörigkeitsvoraussetzungen, aber auch Wohnsitzerfordernisse zB für betroffene Kinder), müssen diese gerechtfertigt werden, um bestehen zu können (Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 1 VO 883/2004 Rz 77).
4.1. Zum Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft:
4.1.1. Auch wenn aufgrund der Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 nicht zur Anwendung gelangt, gilt doch der für die Angehörigen der Union geltende „Inländergleichbehandlungsgrundsatz“ des Art 18 AEUV (Felten/Neumayr, Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2010, 164 [166]). Nach Art 18 Abs 1 AEUV ist ‑ unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ‑ jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Art 18 AEUV kommt bei Unterhaltsvorschüssen auch das Gleichbehandlungsgebot gegenüber Unionsbürgern unverändert zur Anwendung (Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 67 VO 883/2004 Rz 7 mwN).
4.1.2. Art 18 AEUV führt daher dazu, dass der Staatsbürgervorbehalt des Art 2 UVG unionsrechtswidrig ist (vgl M. Windisch-Graetz, Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219 ff [221] mwN). Kinder mit der Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats und gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich würden im Vergleich zu österreichischen Kindern in der gleichen Situation diskriminiert, weshalb in diesen Fällen das Staatsbürgerschaftskriterium im Lichte des Primärrechts (Art 18 AEUV) so zu lesen ist, dass Kinder mit der Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaats bei gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich nicht von österreichischen Unterhaltsvorschüssen ausgeschlossen werden dürfen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 2 UVG Rz 10 mwN; § 1 UVG Rz 16 mwN). Aus diesem Grund hat auch der erkennende Senat unter dem Regime der VO (EWG) 1408/71 bei reinen Inlandsfällen einen Vorschussanspruch von Kindern mit der Staatsbürgerschaft eines anderen EU‑Mitgliedstaats bejaht (RIS-Justiz RS0124262) und an dieser Rechtsprechungslinie auch seit der Geltung der neuen Koordinierungsverordung VO (EG) 883/2004 mit 1. 5. 2010 ausdrücklich festgehalten (RIS-Justiz RS0125925 [T1]).
5. Zur Frage der Zulässigkeit der Wohnsitzklausel des § 2 Abs 1 UVG:
5.1. Unterhaltsvorschüsse sind nunmehr aus dem Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausgenommen und daher grundsätzlich nicht mehr in das Ausland zu exportieren (RIS-Justiz RS0125933). Obwohl das Inlandskriterium des gewöhnlichen Aufenthalts demnach nicht mehr am europäischen Koordinierungsrecht zu messen ist, muss es dennoch weiterhin auf seine Vereinbarkeit mit dem sonstigen Gemeinschaftsrecht überprüft werden. Der/die RechtsanwenderIn ist nicht von der Verpflichtung befreit, sich zu vergewissern, dass keine andere Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, insbesondere (‑ früher ‑) die Freizügigkeitsverordnung 1612/68, dem in § 2 Abs 1 UVG normierten Aufenthaltskriterium entgegensteht (EuGH 31. 5. 2001, Rs C‑43/99, Leclere und Deaconescu, Slg 2001, I-4265).
5.2. Neben der Koordinierungsverordnung (EG) 883/2004 kann somit auch die VO (EU) 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union zur Anwendung kommen, durch die die mehrfach geänderte Freizügigkeitsverordnung (EWG) 1612/68 neu kodifiziert wurde und die mit 16. 6. 2011 in Kraft getreten ist (Art 41, 42). Im vorliegenden Zusammenhang ist deren Art 7 Abs 2 maßgeblich, nach dem ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen genießt, wie die inländischen Arbeitnehmer. Als Teil der als arbeitsrechtlicher Annex zu Art 45 AEUV ergangenen VO (EU) 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union auf der Grundlage des Art 46 AEUV liegt dieser Regelung der Gedanke zugrunde, mittels eines Diskriminierungsverbots jede unterschiedliche Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu vermeiden, um die völlige Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Europäischen Union zu erwirken. Rechtlich bildet Art 7 Abs 2 VO (EU) 492/2011 im System des europäischen Sozialrechts somit einen Auffangtatbestand zur Komplettierung des sozialrechtlichen Schutzes zugewanderter Arbeitnehmer (Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht6 Teil 3 VO 492/2011 Art 7 Rz 1 f). Art 7 Abs 2 VO (EU) 492/2011 verfolgt somit das Ziel, die Freizügigkeit und die Integration des Wanderarbeitnehmers und seiner Familie im Aufnahmeland umfassend sicherzustellen (vgl Huster, Grundfragen der Exportpflicht im europäischen Sozialrecht, NZS 1999, 10 [11] mwN). Anspruch auf soziale Vergünstigung im Sinn des Art 7 Abs 2 VO (EU) 492/2011 haben daher Wanderarbeitnehmer bzw deren Familienangehörige (vgl Steinmeyer aaO Art 7 Rz 17 mwN). Da im vorliegenden Fall nach der Aktenlage weder der Vater noch die Mutter der Antragstellerin Wanderarbeitnehmer/in ist, kann die Antragstellerin ihr Unterhaltsvorschussbegehren auch nicht mit Erfolg auf Art 7 Abs 2 VO (EU) 492/2011 stützen.
6. Die Antragstellerin will ihren Anspruch auf Unterhaltsvorschuss letztlich aus dem Primärrecht ableiten, indem sie vorbringt, es stelle eine verdeckte Diskriminierung gemäß Art 18 AEUV dar, wenn die Ansprüche des unterhaltsberechtigten Kindes davon abhängig gemacht werden, ob derjenige Elternteil, bei dem es sich aufhält, in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgehe.
Dazu ist auszuführen:
6.1. Das Verbot von Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit gemäß Art 18 AEUV bedeutet grundsätzlich, dass im Anwendungsbereich der Verträge ‑ vorbehaltlich ausdrücklicher Ausnahmen ‑ alle Angehörigen der Mitgliedstaaten, die sich in der gleichen Situation befinden, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft den Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung haben (EuGH 20. 9. 2001, Rs C‑184/99, Grzelczyk, Slg 2001, I 6193 Rz 31 ua). Was den Zugang zu sozialen Leistungen anlangt, ist aus Art 18 AEUV ableitbar, dass Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, gegenüber Inländern nicht schlechter behandelt werden dürfen (Fuchs in Kommentar zum Sozialrecht, Art 1-91 VO (EG) 883/2004 Rz 186). Rechtswidrig ist die benachteiligende Behandlung etwa, wenn der Betroffene von bestimmten Leistungen ganz ausgeschlossen wird (Kucsko‑Stadlmayer in Mayer/Stöger, Kommentar zu EUV und AEUV, Art 18 AEUV Rz 31 f mwN). Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die sich legal im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, können sich somit in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Art 18 AEUV und das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit berufen. Die Unionsbürgerschaft überlagert gleichsam auch die Rechtsposition, die Arbeitnehmern durch die Bestimmungen des Art 7 Abs 2 der VO (EU) 492/2011 eingeräumt wird ( Schulte in Maydell/Ruland/Becker , Sozialrechtshandbuch 5 § 33 Rz 146; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 1 UVG Rz 36).
6.2. Die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Art 18 AEUV und dem Export von Unterhaltsvorschuss bezog sich jeweils lediglich auf Drittstaatsangehörige. Diese können sich aber nicht erfolgreich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV berufen, weil diese Bestimmung ‑ wie oben bereits ausgeführt ‑ die Inländergleichbehandlung nur für Unionsbürger festlegt, nicht jedoch für Drittstaatsangehörige (RIS-Justiz RS0128664).
6.3. Obwohl die Antragstellerin bzw ihre Mutter Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, ist auch im vorliegenden Fall kein aus Art 18 AEUV abgeleiteter Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse gegeben. Legt man § 2 Abs 1 UVG nämlich das Verständnis zu Grunde, dass Kinder mit der Staatsbürgerschaft eines EU‑Mitgliedstaats bei gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich nicht von österreichischen Unterhaltsvorschüssen ausgeschlossen werden dürfen (siehe oben Pkt 4), ist für die Antragstellerin aus Art 18 AEUV nichts zu gewinnen, weil sie durch § 2 Abs 1 UVG nicht anders behandelt wird, als ein österreichisches Kind, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich hat.
6.4. Die Gefahr einer mittelbaren Diskriminierung, weil sich das Aufenthaltserfordernis nachteilig eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass dadurch Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt werden (siehe Windisch-Graetz , Neuerungen im europäischen koordinierenden Sozialrecht, DRdA 219 [222]) ist hier zu verneinen, weil nach den Feststellungen ‑ im Gegensatz zu dem der Entscheidung 10 Ob 15/12x zugrundeliegenden Sachverhalt ‑ keine „Grenzgängerkonstellation“ und auch keine Ausübung des Freizügigkeitsrechts (somit kein „Wanderungstatbestand“) gegeben ist, lebte die Antragstellerin und ihre Mutter doch stets im gemeinsamen Haushalt in Ungarn und war der außereheliche Vater immer in Österreich aufhältig.
Im Anlassfall liegt daher auch keine Konstellation vor, bei der die Antragstellerin aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV einen Anspruch auf österreichischen Unterhaltsvorschuss ableiten könnte.
Dem Revisionsrekurs kommt demnach keine Berechtigung zu.
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