Spruch:
Der Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 8. Juni 2011, GZ 1 U 66/11i-7, verletzt § 53 Abs 1 und § 55 Abs 3 StGB sowie § 494a Abs 1 und Abs 6 und § 495 Abs 2 StPO.
Dieser Beschluss wird im Umfang des Ausspruchs auf Verlängerung der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Dezember 2010, GZ 11 Hv 161/10b-21, gewährten Probezeit ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Dezember 2010, GZ 11 Hv 161/10b-21, wurde Manuela S***** des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (1./) und des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (2./) schuldig erkannt und hiefür unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Sodann wurde Manuela S***** (mit gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 8. Juni 2011, GZ 1 U 66/11i-7, wegen des am 6. Dezember 2010 begangenen Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Zugleich erging der auf § 494a Abs 1 Z 2 (und Abs 6) StPO gestützte Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zuvor erwähnten bedingten Strafnachsicht und auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre (ON 7 S 41).
Erst nachträglich wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 4. Juni 2013, GZ 1 U 66/11i-23, (rechtskräftig) ausgesprochen, dass dessen Urteil vom 8. Juni 2011 im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB zum vorerwähnten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz steht (§ 410 StPO iVm § 31a StGB; vgl RIS-Justiz RS0107405; vgl Lässig, WK-StPO § 410 Rz 2).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 8. Juni 2011 mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Das dem Urteil dieses Gerichts vom selben Tag zu Grunde liegende Vergehen des Betruges nach § 146 StGB wurde am 6. Dezember 2010 verübt, somit noch vor Rechtskraft des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Dezember 2010 und demzufolge auch vor Beginn der zu dessen Verfahren AZ 11 Hv 161/10b bestimmten Probezeit (§ 49 erster Satz StGB). Es lag somit kein Anwendungsfall des § 53 StGB vor, nach dessen Abs 1 und 3 eine Entscheidung im Sinn des § 494a Abs 1 und 6 StPO durch das über eine neue Straftat erkennende Gericht gemeinsam mit dessen Urteil nur wegen einer während der Probezeit (vor deren Ablauf nach einer bedingten Nachsicht) begangenen strafbaren Handlung möglich ist. Mit dem kritisierten Beschluss wurde in Bezug auf das letztgenannte Urteil vielmehr (de facto) über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung im Sinn des § 55 StGB abgesprochen, weil die abgeurteilte Tat nach der Zeit ihrer Begehung schon im früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können (§ 31 Abs 1 erster Satz StPO). Die Zuständigkeit zu einer solchen Entscheidung richtet sich aber nach § 495 Abs 2 StPO, denn bei Beachtung der Wortlautgrenze scheidet eine Zuständigkeit des nach § 494a Abs 1 StPO erkennenden Gerichts aus (RIS-Justiz RS0111521).
§ 495 Abs 2 StPO ist dabei - ungeachtet der gesetzwidrigen Unterlassung der schon im Urteil des Bezirksgerichts Feldbach gebotenen Verknüpfung nach §§ 31, 40 StGB - maßgebend, weil § 55 StGB, auf den § 495 Abs 2 StPO Bezug nimmt, nicht auf die im nachträglichen Strafurteil erfolgte Anwendung oder Nichtanwendung der Strafrahmenvorschrift des § 31 StGB, sondern nur auf das (tatsächliche) Verhältnis der nachträglichen Verurteilung zu derjenigen abstellt, in der die bedingte Strafnachsicht gewährt worden ist (vgl 13 Os 57/11y [13 Os 58/11w]).
Gemäß § 495 Abs 2 letzter Halbsatz StPO entscheidet über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) unter Gerichten verschiedener Ordnung jenes höherer Ordnung, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält und zuletzt rechtskräftig wurde. Demgemäß wäre im vorliegenden Fall das Landesgericht für Strafsachen Graz zur Beschlussfassung berufen gewesen.
Da sich fallbezogen der vom Widerruf absehende Teil des Beschlusses des gemäß § 495 Abs 2 StPO unzuständigen Bezirksgerichts Feldbach nur zum Vorteil der Manuela S***** auswirkte, war insoweit lediglich die Gesetzesverletzung festzustellen (vgl 13 Os 57/11y [13 Os 58/11w]).
Eine Verlängerung der Probezeit tritt im Fall des Absehens vom Widerruf nach § 55 Abs 3 StGB (ex lege) nur dann ein, wenn Probezeiten zusammentreffen, nicht jedoch, wenn - wie hier - im nachfolgenden Urteil eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt wird. Eine konstitutive Verlängerung der Probezeit - wie sie im vorliegenden Fall ausgesprochen wurde - sieht § 55 StGB nicht vor (RIS-Justiz RS0090596 [T5]).
In Ansehung der Probezeitverlängerung auf fünf Jahre wirkt sich der Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 8. Juni 2011 nachteilig für die Verurteilte aus, weshalb er in diesem Umfang (ersatzlos) zu beseitigen war (vgl 12 Os 142/10i [12 Os 143/10m]).
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