OGH 12Os142/10i (12Os143/10m)

OGH12Os142/10i (12Os143/10m)7.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Reich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1 StGB, AZ 8 U 29/10b des Bezirksgerichts Liesing, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil und den Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 14. Juli 2010, GZ 8 U 29/10b-7, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Staatsaanwältin MMAg. Sauter, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 8 U 29/10b des Bezirksgerichts Liesing verletzen das Gesetz

1./ das Urteil vom 14. Juli 2010 in § 43 Abs 1 StGB;

2./ der Beschluss vom 14. Juli 2010 in §§ 494a Abs 1 und Abs 6, 495 Abs 2 StPO sowie § 55 Abs 3 StGB.

Das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird im Umfang der Bestimmung der Probezeit aufgehoben, insoweit in der Sache selbst erkannt und die Probezeit mit drei Jahren bestimmt.

Der Beschluss vom 14. Juli 2010 wird im Umfang der Verlängerung der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Mai 2010, GZ 41 EHv 7/10p-12, gewährten Probezeit ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit - in gekürzter Form ausgefertigtem - Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Mai 2010, GZ 41 EHv 7/10p-12, wurde Franz H***** der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a (richtig: Abs 3) StGB der Vollzug eines Strafteils von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit darauf folgendem Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 14. Juli 2010, GZ 8 U 29/10b-7, wurde Franz H***** des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1 StGB schuldig gesprochen und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das oben angeführte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von fünf Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Unter einem fasste das Bezirksgericht Liesing gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO den Beschluss auf Absehen vom Widerruf der im oben genannten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht bei gleichzeitiger Verlängerung dieser Probezeit auf fünf Jahre.

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren AZ 8 U 29/10b des Bezirksgerichts Liesing wurde das Gesetz - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mehrfach verletzt:

Nach § 43 Abs 1 StGB ist im Falle der Gewährung einer bedingten Strafnachsicht die Probezeit mit mindestens einem und höchstens drei Jahren zu bestimmen. Eine (originär bemessene) Probezeit im Ausmaß von fünf Jahren sieht das Gesetz nicht vor.

Nach § 55 Abs 1 StGB ist die bedingte Nachsicht (unter anderem) einer Strafe zu widerrufen, wenn eine nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB erfolgt und eine bedingte Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt worden wäre.

Da § 494a Abs 1 StPO ausdrücklich auf die Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung abstellt, die vor Ablauf der Probezeit nach einer bedingten Strafnachsicht begangen worden ist, § 31 StGB aber nur für Taten gilt, welche (wie auch hier) vor der früheren Verurteilung begangen wurden, kommt eine Zuständigkeit des zuletzt erkennenden Gerichts zur Beschlussfassung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung nach § 55 Abs 1 StGB gemäß § 494a Abs 1 StPO bei Beachtung der Wortlautgrenze dieser Bestimmung nicht in Betracht (vgl Jerabek in WK² § 55 Rz 5; RIS-Justiz RS0111521).

Gemäß § 495 Abs 2 StPO obliegt die Beschlussfassung über einen Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) unter Gerichten gleicher Ordnung jenem, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält und zuletzt rechtskräftig wurde; unter Gerichten verschiedener Ordnung entscheidet jenes höherer Ordnung, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält und zuletzt rechtskräftig wurde. Es hätte demzufolge - als höherrangiges Gericht - das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 41 Hv 7/10p über einen allfälligen Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu entscheiden gehabt.

Nach § 55 Abs 3 StGB dauert für den Fall, dass die im zeitlich früher ergangenen Urteil (auf das Bedacht genommen wurde) gewährte bedingte Nachsicht nicht widerrufen wird, jede der zusammentreffenden Probezeiten bis zum Ablauf der Probezeit, die zuletzt endet, jedoch nicht länger als fünf Jahre.

Im Falle einer nachträglichen Verurteilung nach § 31 StGB hat das gemäß § 495 Abs 2 StPO zuständige Gericht (ausschließlich) über einen Widerruf der im Urteil, auf das Bedacht genommen wurde, gewährten bedingten Strafnachsicht zu entscheiden. Eine allfällige Verlängerung der Probezeit tritt hingegen ex lege ein (vgl Jerabek in WK² § 55 Rz 11).

Da diese Gesetzesverletzungen dem Angeklagten teilweise zum Nachteil gereichen, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das angefochtene Urteil des Bezirksgerichts Liesing, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Strafausspruch im Umfang der Bestimmung der Probezeit aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO) und in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass die Probezeit mit drei Jahren bestimmt wurde.

Der angefochtene Beschluss war, soweit damit die Probezeit der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Mai 2010, GZ 41 EHv 7/10p-12, gewährten bedingten Strafnachsicht verlängert wurde, als den Angeklagten benachteiligend ersatzlos aufzuheben.

Hinsichtlich jenes Beschlussteils, mit dem das Bezirksgericht Liesing - ohne dafür zuständig zu sein - vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Mai 2010, GZ 41 EHv 7/10p-12, gewährten bedingten Strafnachsicht absah, war hingegen lediglich die Verletzung des Gesetzes in §§ 494a Abs 1 und Abs 6, 495 Abs 2 StPO sowie in § 55 Abs 3 StGB festzustellen.

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