OGH 10ObS117/13y

OGH10ObS117/13y12.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Peter Zeitler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84‑86, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2013, GZ 11 Rs 50/13x‑25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 18. Dezember 2012, GZ 24 Cgs 226/11y‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 15. 9. 1964 geborene Klägerin absolvierte eine Lehre als Friseurin, war in der Folge als Friseurin im familieneigenen Betrieb tätig, legte 1991 die Meisterprüfung ab und führte von Jänner 1991 bis August 2007 als selbständige Friseurin einen Damen‑ und Herrensalon. Seither war sie nicht mehr erwerbstätig. Sie bezog von September 2007 bis Ende September 2011 eine ‑ jeweils befristete ‑ Erwerbsunfähigkeitspension.

Aufgrund ihrer näher festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen und des daraus resultierenden medizinischen Leistungskalküls ist die Klägerin am allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung (20 Arbeitsstunden pro Woche) noch als Industriearbeiterin (beispielsweise für leichte Fertigungsarbeiten, Produktionsarbeiten, Maschinenbedientätigkeiten), Handentgraterin in der Kunststoffindustrie, Bürohausbotin, Bürodienerin, gewerbliche Hilfskraft oder als Reinigungskraft einsetzbar. Sie könnte bei Teilzeitbeschäftigung (20 Stunden‑Woche) als gastgewerbliche Hilfskraft 607,23 EUR, als Reinigungskraft 668,54 EUR und als Hilfsarbeiterin in der Metallindustrie 814,70 EUR netto monatlich (inklusive anteiliger Sonderzahlungen) ins Verdienen bringen. Die Klägerin, der eine Wohnsitzverlegung bzw Wochenpendeln aus medizinischen Gründen nicht zumutbar ist, kann ausgehend von ihrem Wohnort mit einer Stunde Fahrzeit weitaus mehr als 40 ihrem medizinischen Leistungskalkül entsprechende Arbeitsplätze erreichen.

Die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sprach mit Bescheid vom 30. 9. 2011 aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG nicht mehr bestehe und die Pensionszahlung daher mit Ablauf des Monats September 2011 eingestellt werde.

Das Erstgericht wies die dagegen von der Klägerin erhobene und auf die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitspension über den 30. 9. 2011 hinaus gerichtete Klage ab. Nach seinen Rechtsausführungen liege eine Erwerbsunfähigkeit der Klägerin iSd § 133 Abs 1 GSVG nicht vor, weil die Klägerin unter Berücksichtigung ihres Leistungskalküls in der Lage sei, eine Reihe von Tätigkeiten am regionalen Arbeitsmarkt zu verrichten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und verwies insbesondere darauf, dass der Begriff der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG nach ständiger Rechtsprechung an strengere Voraussetzungen geknüpft sei als der Begriff der Invalidität oder der Berufsunfähigkeit, weil bei der Erwerbsunfähigkeit die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, vorliegen und sich der Versicherte auf jede wie immer geartete (selbständige oder unselbständige) Tätigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen müsse. Es würde zu einem unüberbrückbaren Wertungswiderspruch führen, ungeachtet der nach § 133 Abs 1 GSVG zulässigen Verweisung auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit nur bezüglich des erzielbaren Einkommens einen gegenüber § 255 Abs 3 ASVG günstigeren Maßstab anzulegen, indem eine Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG schon immer dann anzunehmen wäre, wenn das auch aus unselbständiger Tätigkeit erzielbare Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht erreiche, stellten doch Invalidität und Berufsunfähigkeit insoweit auf die sogenannte „Lohnhälfte“ ab, die auch deutlich unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegen könne. Das von der Klägerin aus den genannten unselbständigen Teilzeitbeschäftigungen zumindest erzielbare Einkommen sei zwar gering, entspreche aber der kollektivvertraglichen Entlohnung für diese Tätigkeit bei halbzeitiger Beschäftigung und liege deutlich über einem Betrag, der als nicht nennenswert zu betrachten wäre. Die Klägerin sei daher nicht erwerbsunfähig iSd § 133 Abs 1 GSVG.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob für eine Verneinung der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG die Erzielbarkeit eines existenzsichernden Einkommens bei Verweisung auf unselbständige Teilzeitbeschäftigungen erforderlich sei, vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt ‑ zusammengefasst ‑ die Ansicht, es liege bei ihr eine Erwerbsunfähigkeit iSd § 133 Abs 1 GSVG vor, weil sie kein Einkommen mehr erzielen könne, welches den Ausgleichszulagenrichtsatz erreiche und somit ein existenzsicherndes Einkommen nicht mehr erzielt werden könne. Im GSVG sei nicht auf die sogenannte „Lohnhälfte“ (§ 255 Abs 3 ASVG) sondern auf ein existenzsicherndes Einkommen in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes als Einkommensmaßstab abzustellen. Das Ausgleichszulagenrecht verfolge auch den Zweck, ein aus öffentlichen Mitteln finanziertes Existenzminimum zu gewähren.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Nach § 133 Abs 1 GSVG gilt der (die) Versicherte als erwerbsunfähig, der (die) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.

1.1 Diese Definition der Erwerbsunfähigkeit in § 133 Abs 1 GSVG geht auf die gleichlautende Bestimmung des § 74 GSPVG zurück. Weitere Voraussetzung für das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit im Sinne des GSPVG war die Rücklegung der Gewerbeberechtigung und das Vorliegen von Bedürftigkeit. Im Jahr 1963 wurde die Voraussetzung der Bedürftigkeit ersatzlos aufgehoben (Rudda, Gedanken zur Erwerbsunfähigkeit gewerblich Selbständiger, ZAS 1994, 119).

2. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG ist an strengere Voraussetzungen geknüpft als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Begriff der Berufsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Angestellten, weil bei der Erwerbsunfähigkeit die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, vorliegen muss, während bei der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit der Nachweis, dass der Versicherte nicht imstande ist, die Hälfte des Normalverdienstes zu erwerben bzw die Hälfte seiner Berufsfähigkeit eingebüßt zu haben, genügt. Darüber hinaus muss sich der Versicherte nach § 133 Abs 1 GSVG auf jede wie immer geartete selbständige oder unselbständige Tätigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen (RIS‑Justiz RS0085894, RS0085118 [T1]). Maßgeblich ist nur, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Berufe gibt, die der Versicherte aufgrund seiner noch vorhandenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten ausüben kann (RIS‑Justiz RS0086458).

2.1 Dem gegenüber stellt § 255 Abs 3 ASVG bei der Beurteilung der Invalidität ausdrücklich auf die Fähigkeit des Versicherten ab, „durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlicher und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt“ (sogenannte gesetzliche Lohnhälfte). Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgeführt hat, stellt § 255 Abs 3 ASVG in Bezug auf die zumutbare Entgelthöhe im Verweisungsberuf nur auf die gesetzliche Lohnhälfte als Mindesteinkommensgrenze ab, ohne dass Bedürftigkeitskriterien eine Rolle spielen. Abgesehen von der fehlenden Bezugnahme in § 255 Abs 3 ASVG eignen sich im Hinblick auf den Fürsorgecharakter weder der Ausgleichszulagenrichtsatz noch ein Sozialhilferichtsatz als maßgebliche Kriterien zur Begründung von Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG. Ein aus sozialen Gründen notwendiges Mindesteinkommen wird erst durch die Ausgleichszulage gesichert, die jedoch einen Pensionsanspruch voraussetzt (10 ObS 109/06m, SSV‑NF 20/58; 10 ObS 199/06x, SSV‑NF 20/89).

3. Diese Erwägungen müssen jedenfalls auch für die hier strittige Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG gelten, da, wie bereits ausgeführt, der Begriff der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG an strengere Voraussetzungen als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter geknüpft ist. Nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts würde es daher zu einem unüberbrückbaren Wertungswiderspruch führen, ungeachtet der auch von der Klägerin nicht bestrittenen Zulässigkeit der Verweisung auf Teilzeittätigkeiten im Rahmen des § 133 Abs 1 GSVG bezüglich des erzielbaren Einkommens einen für den Versicherten gegenüber § 255 Abs 3 ASVG günstigeren Maßstab anzulegen, indem Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Rechtsstandpunktes der Klägerin immer schon dann anzunehmen wäre, wenn das aus unselbständiger (Teilzeit‑)Tätigkeit erzielbare Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht erreicht, stellten doch Invalidität und Berufsunfähigkeit insoweit auf die „gesetzliche Lohnhälfte“ ab, die auch deutlich unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegen kann.

3.1 Im Übrigen ist in § 133 Abs 1 GSVG ‑ anders als in § 255 Abs 3 ASVG ‑ ein Bezug zur Entgelthöhe im Verweisungsberuf gar nicht vorgesehen. Es ist der Bestimmung des § 133 Abs 1 GSVG insbesondere nicht zu entnehmen, dass entsprechend der Rechtsansicht der Klägerin eine Verweisung auf eine unselbständige Teilzeitbeschäftigung nur in Betracht komme, soweit daraus ein existenzsicherendens Einkommen in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erzielt werden könne (aA offenbar Sonntag in Sonntag, GSVG1 § 133 Rz 9 mwN).

3.2 Nur der Vollständigkeit halber ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nach den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen in dem ihr ebenfalls noch zumutbaren Verweisungsberuf einer Hilfsarbeiterin in der Metallindustrie im Rahmen einer 20‑Stundenwoche ohnedies einen Verdienst in Höhe von 814,70 EUR netto monatlich, somit in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG in Höhe von 814,82 EUR (für 2012), erzielen könnte.

4. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit iSd § 133 Abs 1 GSVG ist somit ‑ anders als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Begriff der Berufsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Angestellten ‑ im Sinne der Unfähigkeit zu jeglichem regelmäßigen Erwerb zu verstehen. Da die Klägerin nach den Feststellungen jedenfalls die Verweisungstätigkeiten als gewerbliche Hilfskraft, Reinigungskraft und als Hilfsarbeiterin in der Metallindustrie im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung mit 20 Arbeitsstunden pro Woche noch verrichten kann, ist sie weiterhin im Stande, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen und auch die dafür vorgesehene kollektivvertragliche Entlohnung ins Verdienen zu bringen. Die Vorinstanzen haben daher das Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit der Klägerin iSd § 133 Abs 1 GSVG zutreffend verneint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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