OGH 10ObS199/06x

OGH10ObS199/06x19.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alaattin K*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2006, GZ 9 Rs 85/06w-61, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. November 2005, GZ 21 Cgs 108/04g-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 3. 2. 1950 geborene Kläger, der unbestritten keinen Berufsschutz genießt, war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Schweißer tätig. Er kann auf Grund der näher festgestellten Leidenszustände seit dem Stichtag nur mehr mittelschwere Arbeiten mit einem seiner bisherigen Berufslaufbahn entsprechenden geistigen Anforderungsprofil halbtags verrichten. Arbeiten, die mit einem häufigeren besonderen Zeitdruck verbunden sind, sowie Arbeiten an höhen- und gefahrenexponierten Stellen und Nachtarbeit kann der Kläger nicht mehr verrichten.

Er kann auf Grund dieses Leistungskalküls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Halbtagsbeschäftigungen als Reinigungsarbeiter insbesondere für Büro- und Geschäftslokalreinigung ausüben. Solche Halbtagsarbeitsplätze kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vor. Der Kläger kann durch eine solche Tätigkeit mehr als die Hälfte des Entgeltes eines gesunden vollzeitbeschäftigten Reinigungsarbeiters verdienen. Das im Rahmen einer solchen Halbtagsbeschäftigung erzielbare Einkommen liegt jedoch unter dem allgemeinen Existenzminimum.

Mit Bescheid vom 24. 3. 2004 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 3. 9. 2003 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Durch den Verweisungsberuf eines Reinigungsarbeiters werde der Kläger in die Lage versetzt, ein Einkommen zu erzielen, das mindestens die Hälfte des Entgeltes eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreiche. Dem Umstand, dass durch eine Halbtagstätigkeit im Verweisungsberuf kein das Existenzminimum sicherndes Einkommen erzielt werden könne, komme nach der maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG keine Bedeutung zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und gelangte zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch aus der bisherigen Rechtsprechung und Lehre ein Anhaltspunkt dafür ergebe, dass die Verweisung eines Versicherten nach § 255 Abs 3 ASVG auf Halbtagsbeschäftigungen, mit denen lediglich ein Einkommen unter der Existenzminimumsgrenze erzielt werden könne, nicht zulässig sei. Da zu dieser über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage in der Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich Stellung genommen worden sei, erklärte das Berufungsgericht die Revision gegen seine Entscheidung für zulässig. Der Kläger begehrt in seiner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Stattgebung seines Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes (§ 508a Abs 1 ZPO) im Hinblick auf die mittlerweile zu der vom Berufungsgericht zu Recht als rechtserheblich bezeichneten Rechtsfrage vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht zulässig. Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel weiterhin die Ansicht, eine Verweisung auf eine Halbtags- oder Teilzeitbeschäftigung mit einem daraus erzielbaren, jedoch unter dem Existenzminimum liegenden Einkommen widerspreche dem im gesamten Bereich der Sozialversicherung geltenden Prinzip der Sicherung des Existenzminimums, von welchem das Pensionsrecht insbesondere durch das Instrument der Ausgleichszulage und des Ausgleichszulagenrichtsatzes getragen sei. Das Wesen der Erwerbstätigkeit sei die Sicherung des Unterhaltes. Wenn dieser Unterhalt nicht gesichert werden könne, liege keine Erwerbstätigkeit vor, auf welche der Kläger verwiesen werden könne. Die Verweisung auf eine Tätigkeit, die zwangsläufig zu einer Notlage führe, sei daher nicht zumutbar. Da der Berufsunfähigkeitsbegriff des § 273 ASVG von der Erzielung eines bestimmten Mindestentgeltes ausgehe, liege darin auch eine dem Gleichheitssatz verletzende unzulässige Differenzierung.

Zur Frage der Zulässigkeit einer Verweisung eines Versicherten auf Teilzeitbeschäftigungen, durch die zwar die „gesetzliche Lohnhälfte" im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG, jedoch kein Einkommen in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erzielt wird, liegt mittlerweile bereits eine Entscheidung des Obersten Gerichtshof vor. So hat der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 109/06m vom 12. 9. 2006 näher begründet, dass § 255 Abs 3 ASVG in Bezug auf die zumutbare Entgelthöhe im Verweisungsberuf (nur) auf die gesetzliche Lohnhälfte als Mindesteinkommensgrenze abstellt (vgl auch die Materialien zur 9. ASVG-Novelle, 517 BlgNR 9. GP 86 [IA 147/1]; Windisch-Graetz, Verweisung auf Teilzeittätigkeiten, DRdA 1994, 519, 521; Pfeil, Verweisung auf Teilzeittätigkeit, ZAS 1995, 201 [203]). Auf diese Art wird ein gewisser Zusammenhang zwischen Beitrags- und Leistungsseite gewahrt. So wie auf der Beitragsseite das Erzielen eines über der „Geringfügigkeitsgrenze" (im Sinn des § 5 Abs 2 ASVG) liegenden Einkommens grundsätzlich zwingend zur Beitragspflicht führt, wird auf der Leistungsseite das für die Beurteilung der Invalidität maßgebliche Mindestentgelt durch die gesetzliche Lohnhälfte determiniert, ohne dass auf Beitrags- oder Leistungsseite Bedürftigkeitskriterien eine Rolle spielen würden. Völlig unabhängig von der Beurteilung der Invalidität wird ein aus sozialen Gründen notwendiges Mindesteinkommen eines Versicherten erst durch die (aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte und als Fürsorgeleistung zu qualifizierende) Ausgleichszulage bewerkstelligt, die einen Pensionsanspruch schon voraussetzt. Abgesehen von der fehlenden Bezugnahme in § 255 Abs 3 ASVG eignen sich im Hinblick auf den Fürsorgecharakter weder der Ausgleichszulagenrichtsatz noch ein Sozialhilferichtsatz als maßgebliche Kriterien zur Begründung von Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG (10 ObS 109/06m). Die Ausführungen des Klägers in seinem Rechtsmittel bieten keinen Anlass für ein Abgehen von dieser erst jüngst ergangenen Rechtsprechung. Dem Argument des Klägers, eine Invaliditätspension solle immer bereits dann gebühren, wenn der Versicherte nicht mehr ein Einkommen in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erzielen könne und daher außer Stande sei, seine Existenz aus eigenem Erwerb zu sichern, ist entgegenzuhalten, dass nach § 255 Abs 3 ASVG das - an der Lohnhälfte gemessene - Risiko der geminderten Arbeitsfähigkeit, nicht aber die Erzielung eines Nettoeinkommens in Höhe des für Pensionsberechtigte geltenden Ausgleichszulagenrichtsatzes versichert ist. Dieser Richtsatz wird häufig auch von gesunden Versicherten (Teilzeitbeschäftigten) nicht erreicht, obwohl sie der Vollversicherung nach dem ASVG unterliegen. Schließlich ist nach ständiger Rechtsprechung der in § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich vorgeschriebene Maßstab der Lohnhälfte auch nach Abs 1 dieser Gesetzesstelle und nach § 273 Abs 1 ASVG anzulegen (10 ObS 22/03p mwN). Das Abstellen auf die Hälfte der Arbeitsfähigkeit eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (§§ 255 Abs 1, 273 Abs 1 ASVG) bzw auf die Hälfte des Entgeltes, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (§ 255 Abs 3 ASVG), lässt daher, wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, eine unsachliche Schlechterbehandlung der Hilfsarbeiter gegenüber gelernten Facharbeitern bzw Angestellten nicht erkennen (10 ObS 93/92). Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass gegen die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung in den Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung der Invaliditätspension nach § 255 Abs 1 und Abs 3 ASVG keine Bedenken bestehen (SSV-NF 2/14 ua).

Die Revision des Klägers war daher im Hinblick auf die mittlerweile bereits vorliegende einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b) ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach dieser Gesetzesstelle an den Kläger rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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