OGH 10ObS22/03p

OGH10ObS22/03p4.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Katharina N*****, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Oktober 2002, GZ 12 Rs 211/02i-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Juli 2002, GZ 19 Cgs 72/01m-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I Nr 1/2002).

Die am 14. 3. 1964 geborene Klägerin hat erfolgreich eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und war von 1985 bis Juni 1999 - vollzeitbeschäftigt - als Bürokauffrau mit unterschiedlichen Bürotätigkeiten und der Bedienung von Kunden im Copy-Shop des Arbeitgeberbetriebes (etwa 50 % der täglichen Arbeitszeit) befasst.

Wegen Leistungseinschränkungen durch Neurasthenie ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, eine volle Arbeitsleistung über einen vollen Arbeitstag zu erbringen; und zwar nicht einmal dann, wenn nur einfache Arbeiten gefordert würden. Derartige Leistungen könnte sie nur im Rahmen eines 4-Stunden-Arbeitstages erbringen. Es wäre ihr insgesamt somit noch die Leistung von 20 Wochenstunden zumutbar; bei einer vierstündigen Arbeitszeit [pro Arbeitstag] auch ohne Arbeitspausen.

Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit kann die Klägerin nicht mehr verrichten. Verweisungstätigkeiten in der Beschäftigungsgruppe 3, in der sie bisher eingestuft war, sind [ebenfalls] nicht mehr möglich. Die Klägerin wäre nur mehr zu einfachen Bürotätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 in der Lage: zB leicht routinisierbare Hilfstätigkeiten in einem Bürobetrieb wie Tätigkeiten in der Ablage, Evidenz udgl. Für diese Aufgaben gibt es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt [zwar] Teilzeitbeschäftigungsangebote in "nennenswerter" Anzahl; bei einer Tätigkeit in der Beschäftigungsgruppe 2, die nur im Umfang von 20 Wochenstunden verrichtet wird, würde die Klägerin aber nicht die Hälfte des bisherigen Einkommens erreichen.

Mit Bescheid vom 3. 5. 2001 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägerin vom 18. 1. 2001 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobene Klage statt. Es verpflichtete die beklagte Partei (der gemäß § 89 Abs 2 ASGG eine vorläufige Zahlung von monatlich EUR 365 bis zur Erlassung des die Höhe der Berufsunfähigkeitspension festsetzenden Bescheides aufgetragen wurde), der Klägerin ab 1. 2. 2001 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Die Klägerin sei zwar in der Lage, Verweisungstätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 auszuüben; dies allerdings nur mehr im Umfang einer Teilzeitbeschäftigung mit einer täglichen Arbeitszeit von 4 Stunden bzw einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden. Da die Klägerin jedoch bislang vollzeitbeschäftigt gewesen sei, widerspräche eine Halbtagstätigkeit im oa Umfang den Grundsätzen der "Lohnhälfte". In Kombination würde dies einen unzumutbaren sozialen Abstieg der Klägerin bedeuten. Sie sei daher berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Die Rechtsansicht des Erstgerichtes widerspreche den ua in SSV-NF 9/46 dargelegten Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den Fragen des sozialen Abstiegs und der sog Lohnhälfte. Danach komme es nicht darauf an, ob der Versicherte noch imstande sei, das übliche Entgelt einer gesunden Ganztagsarbeitskraft zu erwerben, sondern darauf, ob er noch das übliche Entgelt einer gesunden Halbtagsarbeitskraft erzielen könnte. Als Vergleichsmaßstab sei also der durchschnittliche Verdienst heranzuziehen, den ein gesunder Versicherter durch die Verweisungstätigkeit erzielen könne, weshalb als typisierte Vergleichsperson nicht der gesunde vollzeitbeschäftigte Versicherte im ursprünglichen Beruf des Pensionswerbers heranzuziehen sei, sondern der gesunde halbzeitbeschäftigte Versicherte im Verweisungsberuf. Da die Verweisung auf eine Tätigkeit, die im Kollektivvertrag um eine Stufe niedriger als die bisherige Beschäftigung eingestuft sei, nach der Rsp regelmäßig nicht als unzumutbar eingeschätzt werde, und die Erzielbarkeit der Lohnhälfte nicht auf die bisherigen Verdienstmöglichkeiten der Klägerin abstelle, sei diese nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass der im § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich vorgeschriebene Maßstab der Lohnhälfte auch nach Abs 1 leg cit und nach § 273 Abs 1 ASVG anzulegen ist (SSV-NF 9/46 = DRdA 1996/21, 238 [insoweit abl W. Enzlberger]; RIS-Justiz RS0084408); sie macht jedoch geltend, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes (wonach hier - trotz der bisherigen Vollzeitbeschäftigung der Klägerin - die "typisierte Vergleichsperson" eines gesunden halbzeitbeschäftigten Versicherten im Verweisungsberuf maßgebend sei) den von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen zur Frage der sog "Lohnhälfte" im Zusammenhang mit der Verweisbarkeit auf Teilzeitbeschäftigungen widerspricht (10 ObS 56/93, SZ 66/184 = SSV-NF 7/126 = ZAS 1995/24, 199 [Pfeil] = DRdA 1994/50, 516 [Windisch-Graetz]). Im Gegensatz dazu wurde nämlich bereits in der Entscheidung des erkennenden Senates 10 ObS 29/99h (= SSV-NF 13/22 = ARD 5042/6/99 mit zahlreichen weiteren Nachweisen) ausdrücklich festgehalten, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Verweisbarkeit eines vollzeitbeschäftigten Angestellten auf eine Teilzeitbeschäftigung dann bejaht, wenn er in der Lage ist, die Lohnhälfte eines Vollzeitbeschäftigten [im Verweisungsberuf] zu erzielen.

Dass eine vollzeitig beschäftigt gewesene Versicherte - wie die Klägerin - nur auf eine Teilzeitarbeit verweisbar ist, durch die sie wenigstens die Hälfte des Entgelts einer gesunden Vollzeitbeschäftigten ("Lohnhälfte") erzielen kann, entspricht somit der ständigen - von der Lehre gebilligten (Pfeil in ZAS 1995, 202 f, Windisch-Graetz in DRdA 1994, 520 f) - Rechtsprechung des erkennenden Senates (RIS-Justiz RS0084587 vgl auch RS0085100) und geht im Übrigen auch aus der (vom Berufungsgericht erwähnten) Entscheidung SSV-NF 9/46 (= DRdA 1996/21, 238 [insoweit zust W. Enzlberger, 242 aE]) hervor, welche in der jüngsten dazu ergangenen Entscheidung: 10 ObS 282/02x ausdrücklich in diesem Sinn zitiert wird.

Für den Standpunkt der Revisionswerberin ist daraus jedoch nichts zu gewinnen, weil bei der Prüfung der sog "Lohnhälfte" - entgegen der Ansicht des Erstgerichtes - nicht auf die bisherigen Verdienstmöglichkeiten der Klägerin abzustellen ist, sondern auf die Einkommensverhältnisse bei "Ganztagsarbeit in den in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten" (so bereits 10 ObS 56/93, SZ 66/184 = SSV-NF 7/126 = ZAS 1995/24, 199 [zust Pfeil] = DRdA 1994/50, 516 [zust Windisch-Graetz]; SSV-NF 9/46 = DRdA 1996/21, 238 [insoweit zust W. Enzlberger, 242 aE]). Davon ausgehend ist die Klägerin aber - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG, weil sie durch eine Teilzeitbeschäftigung in der Hälfte der Normalarbeitszeit jedenfalls (auch) noch die Hälfte des Entgelts eines gesunden, die oa Verweisungstätigkeiten verrichtenden vollzeitbeschäftigten Versicherungsnehmers in der Beschäftigungsgruppe 2 (also die sog "Lohnhälfte") erzielen kann.

Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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