OGH 9ObA42/13m

OGH9ObA42/13m24.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. H***** K*****, vertreten durch Mag. German Storch, Mag. Oliver Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Dr. Stefan Kühteubl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2013, GZ 12 Ra 93/12a‑12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Juli 2012, GZ 9 Cga 40/12w‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind Kosten des weiteren Verfahrens.

Text

Begründung

Der bei der Beklagten als technischer Prüfer beschäftigte Kläger wurde am 25. 8. 2011 als Konzernbehindertenvertrauensperson gemäß § 22a Abs 13 und 14 BEinstG gewählt. In der Sitzung vom 24. 1. 2012 beschloss die Konzernbehindertenvertretung, die gesetzliche Freistellung unter Fortzahlung des Entgelts ab 1. 2. 2012 für den Kläger in Anspruch zu nehmen. Dies wurde der Beklagten mit Schreiben vom 25. 1. 2012 mitgeteilt. Im Konzern, zu dem die Beklagte gehört, sind mehr als 400 begünstigte Behinderte beschäftigt. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Dienstfreistellung telefonisch ab.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er als Konzernbehindertenvertrauensperson seit 1. 2. 2012 von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts freizustellen sei, hilfsweise, dass ihm als Konzern-behindertenvertrauensperson die zur Erfüllung seiner Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts zu gewähren sei. Die für die Wahl zur Konzernbehindertenvertrauensperson aktiv und passiv wahlberechtigten Personen seien alle Behinderten-vertrauenspersonen, für die § 22a Abs 10 BEinstG zur Anwendung gelange. Daher finde auch für den Kläger § 117 Abs 5 ArbVG Anwendung. Der Konzern beschäftige mehr als 400 begünstigte Behinderte, eine Behinderten-vertrauensperson sei nicht freigestellt. Die Beklagte sei daher an den Freistellungsbeschluss der Konzernbehindertenvertretung gebunden.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass der Kläger als Konzernbehindertenvertrauensperson weder einen Freistellungsanspruch iSd § 117 Abs 5 ArbVG noch einen Anspruch auf Freizeitgewährung iSd § 116 ArbVG habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Bestimmungen des 4. Hauptstücks des II. Teils des ArbVG, in denen die Ansprüche auf Freistellung und Freizeitgewährung geregelt seien, seien gemäß § 22a Abs 10 BEinstG nur für die Behindertenvertrauensperson, nicht aber für die Konzernbehindertenvertrauensperson anwendbar. Deren rechtliche Stellung sei in § 22a Abs 13 und 14 BEinstG geregelt, die keinen Verweis auf § 22a Abs 10 BEinstG enthielten. Eine eine Analogie rechtfertigende Regelungslücke liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Wortlaut und Systematik des § 22a BEinstG zeigten deutlich, dass der Gesetzgeber nur für Behindertenvertrauenspersonen, nicht aber für Zentralbehindertenvertrauenspersonen oder die Konzernbehindertenvertrauensperson einen Freistellungs- bzw Freizeitgewährungsanspruch statuieren wollte. Nur für die Behindertenvertrauensperson verweise § 22a Abs 10 BEinstG auf die Bestimmungen des 4. Hauptstücks des II. Teils des ArbVG, wo diese Ansprüche in den §§ 116, 117 ArbVG geregelt seien. Dieses Auslegungsergebnis widerspreche auch nicht Art 7 Abs 1 B‑VG iVm § 7b Abs 1 Z 6 u 9 BEinstG und Art 3 Abs 1 lit c der RL 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Die Behindertenvertrauensperson habe die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der begünstigten Behinderten im Einvernehmen mit dem Betriebsrat auf Betriebsebene wahrzunehmen. Der mit der unmittelbaren Beratung und Vertretung in Großbetrieben verbundene Aufwand rechtfertige eine Freistellung bzw Freizeitgewährung der Behindertenvertrauensperson wie sie auch Betriebsräten zustehe. Die Tätigkeit der Konzernbehindertenvertrauensperson beschränke sich hingegen auf die Vertretung der Behinderteninteressen innerhalb der Konzernvertretung. Die Beanspruchung der Konzernbehindertenvertrauensperson sei daher nicht mit jener zu vergleichen, die die Behindertenvertrauensperson direkt auf Betriebsebene zu bewältigen habe. Im Hinblick auf diesen sachlichen Unterschied im Aufgabengebiet verletze die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung beim Freizeitgewährungs‑ bzw Freistellungsanspruch weder den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, noch liege eine Diskriminierung iSd § 7b Abs 1 Z 6 oder 9 BEinstG vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage des Freistellungs‑ bzw Freizeitgewährungsanspruchs der Konzernbehindertenvertrauensperson Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Voranzustellen ist, dass die Beklagte vorgebracht hat, dass der Kläger auch Betriebsrat und Behindertenvertrauensperson im Betrieb der Beklagten ist. Dieses Vorbringen hat der Kläger nicht bestritten. Ausgehend davon erweist sich aber die Rechtssache aus folgenden Gründen als noch nicht entscheidungsreif:

1. Ausgangspunkt für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs ist die Bestimmung des § 22a BEinstG (vgl zur Regelungstechnik und Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung 9 ObA 41/08g). § 22a BEinstG idgF BGBl I 2010/111 (BBG 2011) lautet auszugsweise:

„(1) Sind in einem Betrieb dauernd mindestens fünf begünstigte Behinderte (§ 2 Abs 1 und 3) beschäftigt, so sind von diesen nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen Behindertenvertrauenspersonen (Stellvertreter) als Organ zu wählen. […]

[…]

(10) Auf die persönlichen Rechte und Pflichten der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) sind die Bestimmungen des 4. Hauptstückes des II. Teiles des Arbeitsverfassungsgesetzes bzw die in Ausführung der §§ 218 bis 225 des Landarbeitsgesetzes 1984, BGBl Nr 287, ergangenen landesrechtlichen Vorschriften sinngemäß anzuwenden.

(11) Besteht in einem Unternehmen ein Zentralbetriebsrat nach § 80 des Arbeitsverfassungsgesetzes, so sind von den Behindertenvertrauenspersonen und den Stellvertretern aus ihrer Mitte mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen eine Zentralbehindertenvertrauensperson und ein Stellvertreter zu wählen. […]

[…]

(13) Besteht in einem Konzern eine Konzernvertretung nach § 88a des Arbeitsverfassungsgesetzes, so sind von den Zentralbehindertenvertrauenspersonen und deren Stellvertretern aus ihrer Mitte mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen eine Konzernbehindertenvertrauensperson und ein Stellvertreter zu wählen. Ist in einem Konzernunternehmen eine Zentral-behindertenvertrauensperson nicht zu wählen, so nehmen an der Wahl der Konzernbehindertenvertrauensperson die Behindertenvertrauens-personen und deren Stellvertreter teil. Die Wahl ist gültig, wenn zumindest die Hälfte der Wahlberechtigten anwesend ist. Wurde im Konzern nur eine Zentralbehindertenvertrauensperson und ein Stellvertreter gewählt, so üben diese auch die Funktion der Konzernbehindertenvertrauensperson und des Stellvertreters aus. § 57 des Arbeitsverfassungsgesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Ergebnis der Wahl der Konzernbehindertenvertrauensperson und des Stellvertreters auch dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen bekanntzugeben ist. Die Konzernbehindertenvertrauensperson (Stellvertreter) ist berufen, in der Konzernvertretung unter Beachtung der Abs 7 und 8 die Interessen der begünstigten Behinderten wahrzunehmen. Die Konzernvertretung ist verpflichtet, der Konzernbehindertenvertrauensperson (Stellvertreter) bei der Wahrnehmung der besonderen Belange der begünstigten Behinderten beizustehen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Konzernbehindertenvertrauensperson (Stellvertreter) ist befugt, höchstens zweimal jährlich eine Versammlung aller Zentralbehindertenvertrauenspersonen des Konzerns einzuberufen, um über ihre Tätigkeit zu berichten und Angelegenheiten, die für die begünstigten Behinderten des Konzerns von Bedeutung sind, zu erörtern.

(14) Die Tätigkeitsdauer der Konzernbehindertenvertrauensperson (ihres Stellvertreters) beträgt vier Jahre; sie beginnt mit der Annahme der Wahl und endet vor Ablauf dieser Zeit, wenn

1. im Konzern keine Konzernvertretung mehr besteht;

2. die Funktion als Zentralbehindertenvertrauensperson endet (Abs 12)

3. die Konzernbehindertenvertrauensperson zurücktritt.

(15) […]“

2. § 22a Abs 10 BEinstG stellt klar, dass auf die persönlichen Rechte und Pflichten der Behindertenvertrauensperson die Bestimmungen des 4. Hauptstücks des II. Teils des ArbVG, zu denen auch die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche gehören, sinngemäß anzuwenden sind. Der Behindertenvertrauensperson ist daher in sinngemäßer Anwendung des § 116 ArbVG die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit gegen Fortzahlung des Entgelts einzuräumen. Sie hat ‑ bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ‑ auch Anspruch auf Freistellung iSd § 117 ArbVG. Da § 22a Abs 10 BEinstG die sinngemäße Anwendung der Bestimmung des § 117 ArbVG ohne weitere Einschränkung vorschreibt, ist ein Anspruch auf Freistellung nicht nur gemäß § 117 Abs 1 ArbVG zu beurteilen, sondern auch gemäß den weiteren Absätzen dieser Bestimmung, sodass ein solcher Anspruch auch in sinngemäßer Anwendung des § 117 Abs 5 ArbVG bestehen kann.

3.1 Gemäß § 22a Abs 11 BEinstG ist die Zentralbehindertenvertrauensperson (und deren Stellvertreter) aus dem Kreis der Behindertenvertrauenspersonen und deren Stellvertretern zu wählen. Gemäß § 22a Abs 13 BEinstG ist die Konzernbehindertenvertrauensperson (und deren Stellvertreter) aus dem Kreis der Zentralbehindertenvertrauenspersonen und deren Stellvertretern zu wählen. Der Gesetzgeber geht daher davon aus, dass die Behindertenvertrauensperson (bzw deren Stellvertreter) neben dieser Funktion auch die Funktion der Zentralbehindertenvertrauensperson bzw der Konzern-behindertenvertrauensperson mitausübt. Es gehört daher ‑ worauf der Revisionswerber zutreffend hinweist ‑ zu den Obliegenheiten der Behindertenvertrauensperson, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Tätigkeit als Zentralbehindertenvertrauensperson oder als Konzernbehindertenvertrauensperson neben ihrer Funktion als Behindertenvertrauensperson mitauszuüben. Damit vergleichbar zählt auch nach dem Arbeitsverfassungsgesetz die gemäß § 38 ArbVG im Sinn einer umfassenden Interessenwahrnehmungspflicht (Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG II4 § 38, 319) zu verstehende Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Zentralbetriebsrat oder in der Konzernvertretung zu den Obliegenheiten eines entsprechend den Vorschriften (vgl §§ 81 Abs 1, 88a Abs 6 ArbVG) in diese überbetrieblichen Belegschaftsorgane gewählten bzw entsendeten Betriebsratsmitglieds (Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG‑Handkommentar 781).

3.2 Die Bestimmungen der §§ 115 ‑ 122 ArbVG gelten für Betriebsratsmitglieder unabhängig von ihrer Funktion innerhalb des Betriebsrats und unabhängig davon, in welchem Organ (zB Zentralbetriebsrat, Konzernvertretung) sie tätig werden (Mosler in ZellKomm² § 115 ArbVG Rz 4). Daher greift die Argumentation des Berufungsgerichts, § 22a Abs 10 BEinstG beziehe sich nur auf die Behindertenvertrauensperson, für die Konzernbehinderten-vertrauensperson fehle in § 22a Abs 13 und 14 BEinstG eine vergleichbare Regelung, zu kurz: Auch im II. Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes sind die Ansprüche auf Freizeitgewährung und Freistellung im 4. Hauptstück über die Rechtsstellung der Mitglieder des Betriebsrats geregelt und nicht in den Bestimmungen über den Zentralbetriebsrat (§§ 80 ff ArbVG) oder die Konzernvertretung (§§ 88a, 88b ArbVG) enthalten.

3.3 Daraus folgt als Zwischenergebnis, dass einer Behindertenvertrauensperson dann, wenn sie eine weitere Funktion als Zentralbehindertenvertrauensperson oder ‑ wie der Kläger ‑ als Konzernbehindertenvertrauensperson zu erfüllen hat, auch für die Erfüllung der daraus resultierenden zusätzlichen Obliegenheiten (§ 22a Abs 13 BEinstG) in sinngemäßer Anwendung des § 116 ArbVG die erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts einzuräumen ist (Floretta aaO 781; vgl auch § 32 BRGO 1974) bzw ihr in sinngemäßer Anwendung des § 117 Abs 5 ArbVG ein Anspruch auf Freistellung grundsätzlich zukommen kann.

4.1 Die Beklagte hat bereits im Verfahren erster Instanz nicht nur die grundsätzliche Anwendbarkeit, sondern auch das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen des sinngemäß anzuwendenden § 117 Abs 5 ArbVG bestritten, sodass darauf näher einzugehen ist.

4.2 Zu den formellen Voraussetzungen:

4.2.1 Das Verfahren gemäß § 117 Abs 5 ArbVG ist zweistufig geregelt (näher Resch in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 117 Rz 85): In einem ersten Schritt ist der Beschluss der Konzernvertretung, dass ein in der Konzernvertretung vertretener Betriebsrat (Zentralbetriebsrat) für eines seiner Mitglieder die Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts in Anspruch nehmen kann, dem Betriebsinhaber schriftlich mitzuteilen, in dessen Betrieb das freizustellende Betriebsratsmitglied beschäftigt ist. In einem zweiten Schritt ist ein Freistellungsantrag dieses Betriebsrats (Zentralbetriebsrats) an den Betriebsinhaber erforderlich, der auch der Konzernleitung bekanntzugeben ist (vgl auch § 32a Abs 3 BRGO 1974). Die Freistellung wird wirksam, wenn die ‑ noch näher zu erörternden ‑ sonstigen Voraussetzungen des § 117 Abs 5 ArbVG vorliegen und der Antrag gestellt wird (§ 32a Abs 1 BRGO 1974; Floretta aaO 791; Resch aaO § 117 ArbVG Rz 85, 86 und 25 mwH).

4.2.2 Die Organe der Behindertenvertretung sind gemäß § 22a BEinstG die Behindertenvertrauensperson, die Zentralbehindertenvertrauensperson und die Konzernbehindertenvertrauensperson bzw deren Stellvertreter. Die Behindertenvertretung nach dem BEinstG ist (vergleichbar der Jugendvertretung, §§ 123 ff ArbVG) als zusätzliche Vertretung neben dem Betriebsrat eingerichtet (Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht III Rz 138). Da § 117 Abs 5 ArbVG gemäß § 22a Abs 10 BEinstG (nur) sinngemäß anzuwenden ist, hat daher die Fassung des Freistellungsbeschlusses auf Konzernebene durch die Konzernbehindertenvertrauensperson zu erfolgen. Dieser Beschluss wurde nach den Feststellungen durch den Kläger gefasst.

4.2.3 Der im § 117 Abs 5 ArbVG vorgesehene Freistellungsantrag ist in sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung gemäß § 22a Abs 10 BEinstG von der Behindertenvertrauensperson als auf betrieblicher Ebene zuständiges Vertretungsorgan der begünstigten Behinderten zu stellen. Dieser Antrag wurde vom Kläger ‑ der wie ausgeführt unstrittig auch Behindertenvertrauensperson im Betrieb der Beklagten ist ‑ an die Beklagte gestellt und von dieser abgelehnt. Nach den dargelegten Grundsätzen wird die Freistellung ‑ bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ‑ bereits wirksam, wenn sie die Behindertenvertrauensperson beantragt, weil das Recht auf Freistellung der Belegschaftsvertretung zusteht (9 ObA 133/12t), die durch die Erklärung, es in Anspruch zu nehmen, ein einseitiges Gestaltungsrecht ausübt, das eine Verpflichtung des Betriebsinhabers zum Vollzug auslöst (VwGH GZ 0761/71 = Arb 9.060 zur Vorgängerbestimmung des § 16 Abs 4 BRG 1947, vgl dazu Resch aaO § 117 Rz 5 ff; 25; Winkler in Tomandl, ArbVG § 117 Rz 3). Daher ist für das Entstehen des Rechts auch gemäß § 117 Abs 5 letzter Satz ArbVG ‑ bzw wie hier in dessen sinngemäßer Anwendung ‑ neben der Beschlussfassung die Antragstellung an den Betriebsinhaber maßgeblich, die hier unstrittig erfolgt ist. Auf die vom Gesetz vorgesehene Verständigung der Konzernleitung von Freistellungsbeschluss und ‑antrag (vgl § 117 Abs 5 letzter Satz ArbVG; § 32a Abs 3 Satz 2 BRGO 1974) kommt es entgegen dem Vorbringen der Beklagten für die Beurteilung dieser Frage nicht an, weil die gesetzliche Verpflichtung zur Freistellung des betroffenen Belegschaftsmitglieds den Betriebsinhaber und nicht die Konzernleitung trifft.

Zusammenfassend sind daher die formellen Voraussetzungen zur Durchsetzung des vom Kläger hier geltend gemachten Freistellungsanspruchs erfüllt.

4.3 Zu den materiellen Voraussetzungen:

4.3.1 Zutreffend hat die Beklagte bereits im Verfahren erster Instanz darauf hingewiesen, dass der Freistellungsanspruch des § 117 Abs 5 ArbVG nur subsidiär zum Tragen kommt, denn dieser Anspruch besteht nur dann, wenn nicht bereits eine Freistellung von Mitgliedern des Betriebsrats (bzw des Zentralbetriebsrats) gemäß § 117 Abs 1 bis 3 ArbVG möglich ist. Der Kläger hat dazu vorgebracht, dass eine Freistellung einer Behindertenvertrauensperson im Konzern, dem die Beklagte angehört, nicht erfolgt sei. Dem hat die Beklagte bereits im Verfahren erster Instanz unter anderem entgegengehalten, dass eine Zentralbehindertenvertretung bestehe, die einen Freistellungs-anspruch in sinngemäßer Anwendung des § 117 Abs 3 ArbVG geltend machen könnte. Dazu haben die Vorinstanzen jedoch infolge ihres vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsstandpunkts bisher keine Feststellungen getroffen, sodass das Verfahren über den geltend gemachten Hauptanspruch auf Freistellung ergänzungsbedürftig ist.

4.3.2 Sind in Betrieben eines Unternehmens, in denen eine Freistellung von Betriebsratsmitgliedern gemäß § 117 Abs 1 und 2 ArbVG nicht möglich ist, mehr als 400 Arbeitnehmer beschäftigt, so ist gemäß § 117 Abs 3 ArbVG auf Antrag des Zentralbetriebsrats ein Mitglied desselben unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeitsleistung freizustellen. Im fortzusetzenden Verfahren wird zu prüfen sein, ob die hier sinngemäß anzuwendenden Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen.

Nur in dem Fall, in dem eine Freistellung einer (Zentral‑)Behindertenvertrauensperson in sinngemäßer Anwendung des § 117 Abs 1 bis 3 ArbVG danach nicht möglich ist, besteht der geltend gemachte Freistellungsanspruch zu Recht, weil die dafür erforderliche Schlüsselzahl von mehr als 400 beschäftigten begünstigten Behinderten im Konzern, dem die Beklagte angehört, unstrittig erfüllt ist. Anders als der Anspruch auf Freizeitgewährung gemäß § 116 ArbVG ist der Freistellungsanspruch gemäß § 117 ArbVG nicht von der individuellen Erforderlichkeit der Arbeitsversäumnis für betriebsrätliche Tätigkeiten abhängig (Floretta aaO 788 f), sodass es für die Beurteilung des Hauptbegehrens nicht auf die von der Beklagten behauptete „weitreichende“ Gewährung von Freizeit für den Kläger im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Betriebsrat und als Behindertenvertrauensperson ankommt. Der Gesetzgeber stellt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 117 ArbVG die unwiderlegbare Vermutung auf, dass bei einer so großen Zahl von Arbeitnehmern die Aufgaben bei der Vertretung der Belegschaftsinteressen die gesamte Arbeitszeit in Anspruch nehmen (Floretta aaO 789; 9 ObA 133/12t; 8 ObA 20/08m mwH). Daher kommt es auch bei sinngemäßer Anwendung des § 117 Abs 5 ArbVG für die Beurteilung des Freistellungsanspruchs nicht auf den vom Berufungsgericht thematisierten Umstand an, dass die Tätigkeit der Konzernbehindertenvertrauensperson gemäß § 22a Abs 13 BEinstG „nur“ die Vertretung der Behinderteninteressen innerhalb der Konzernvertretung umfasst.

5. Da sich somit das Verfahren in der Entscheidung über das Hauptbegehren als ergänzungsbedürftig erweist, war der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Da über das Eventualbegehren nur im Fall der Erfolglosigkeit des Hauptbegehrens zu entscheiden ist, ist darauf hier nicht weiter einzugehen (RIS‑Justiz RS0037675 ua).

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 2, 58 Abs 1 ASGG und § 52 ZPO.

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