OGH 10ObS102/13t

OGH10ObS102/13t23.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Hermann Furtner und Dr. Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Peter Pfeil, Rechtsanwalt in Garsten, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Streitwert 5.317,98 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2013, GZ 11 Rs 42/13w-10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 31/10x (SSV-NF 24/37) ausgeführt hat, ist die Bestimmung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG in der Stammfassung (BGBl I 2001/103) im Lichte der durch das BGBl I 2009/116 erfolgten Neufassung abweichend von der bisherigen Rechtsprechung dahin auszulegen, dass bei der Ermittlung des Zuverdienstes aus selbständiger Arbeit nicht die für das betreffende Kalenderjahr (in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge, welche erst im Nachhinein festgestellt werden können, sondern die im betreffenden Kalenderjahr (in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge hinzuzurechnen sind. Wie der Oberste Gerichtshof näher ausgeführt hat, beruht das System der Berechnung des Zuverdienstes bei sozialversicherungspflichtigen Einkünften auf der Überlegung, dass man von der Steuerbemessungsgrundlage (Bruttoeinkünfte abzüglich Sozialversicherungsbeiträge) ausgeht und dann die Sozialversicherungsbeiträge wieder hinzuschlägt, sodass die Sozialversicherungsbeiträge in der Regel einen Durchlaufposten darstellen. Bei den in dem betreffenden Kalenderjahr (des Bezugs) vorgeschriebenen und gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich somit um steuermindernde Ausgaben; daher werden auch die in diesem betreffenden Jahr (des Leistungsbezugs) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge wieder hinzugeschlagen. Damit sind die Sozialversicherungsbeiträge wie zuvor erwähnt in der Regel bloße Durchlaufposten. Gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine andere Art der Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen (zB Verminderung des steuerpflichtigen Gewinns dieses Jahres durch Abzug von höheren, in dem Jahr gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen als steuerrechtliche Ausgaben, aber nur Hinzuschlagen von in Zukunft zu berechnenden und vorzuschreibenden niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen der Einkünfte desselben Kalenderjahres) würde hingegen zu sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen (Erhöhung des Zuverdienstes nur für diese Gruppe) und zur Unmöglichkeit einer laufenden Zuverdienstberechnung für die beziehenden Eltern führen (10 ObS 31/10x, SSV-NF 24/37 ua; RIS-Justiz RS0124063 [T32 und T33]; RS0125926).

2. Nach der Neuregelung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG durch die Novelle BGBl I 2011/139 sind andere maßgebliche Einkünfte (§§ 21 bis 23 EStG 1988) zwar weiterhin mit jenem Betrag zu berücksichtigen, der in die Ermittlung des Einkommens für das betreffende Kalenderjahr eingeht. Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung darstellen, sind aber nunmehr nicht mehr „um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung“ sondern pauschal „um 30 %“ zu erhöhen. Diese Neuregelung ist gemäß § 50 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2011/139 mit 1. 1. 2012 in Kraft getreten und (nur) für Geburten nach dem 31. 12. 2011 anzuwenden.

2.1 Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4) hat sich die Zuverdienst-Berechnungsformel grundsätzlich bewährt. Seit Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes haben sich jedoch Probleme mit der geringen Zuverdienstgrenze im Hinblick auf die - wenn auch nur in geringem Maße mögliche - Aufrechterhaltung der selbständigen Tätigkeit bzw des Gewerbebetriebs ergeben. Die Vorschreibung der nach der Rechenformel hinzuzuschlagenden Sozialversicherungsbeiträge bei Selbständigen erfolgt nämlich auf Grundlage früherer Einkünfte. Sie ist daher aufgrund hoher früherer Einkünfte - auch bei nur geringen laufenden Einkünften - entsprechend hoch. Es soll daher durch einen pauschalen Zuschlag die Aufrechterhaltung der Tätigkeit des Betriebs erleichtert werden. Nach Berücksichtigung des (typischen) Gewinnfreibetrags (§ 10 EStG) und der durchschnittlichen Sozialversicherungsbeiträge (dies unter Bedachtnahme auf die Ermittlung des Pauschalzuschlags bei den unselbständigen Einkünften) ergibt sich für den - hier zu regelnden - Durchschnittsfall ein methodischer Mittelwert von 30 %. Damit wird in Hinkunft ein Pauschalzuschlag von 30 % in die Berechnungsmethode des Zuverdienstes und - aus Gründen der Verwaltungsökonomie und Gleichbehandlungsüberlegungen - in die der individuellen Zuverdienstgrenze aufgenommen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Pauschalzuschlag (gilt aus Gründen des Vertrauensschutzes für Geburten ab 2012) überwiegend Vorteile für die Eltern - in allen Varianten - mit sich bringen und den Verwaltungsaufwand reduzieren wird (die aufwändige Ermittlung und Kontrolle der Sozialversicherungsbeiträge entfällt).

2.2 Zum Inkrafttreten der geänderten Zuverdienst-Bestimmungen mit 1. 1. 2012 wird in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 6) darauf verwiesen, dass die neuen Regelungen aus Gründen der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung erst für Geburten ab 1. 1. 2012 gelten können. In den meisten Fällen erfolgte die Bekanntgabe der individuellen Zuverdienstgrenze unmittelbar nach der KBGG-Antragstellung durch den Krankenversicherungsträger, zudem haben sich Eltern kurz nach der Geburt bereits über ihre Zuverdienstmöglichkeiten informiert und daraufhin entsprechende (zum Teil unveränderbare) Dispositionen in vielen Bereichen (zB örtliche und zeitliche Arbeitsmodalitäten, Kinderbetreuung, Bezug durch den anderen Elternteil etc) getroffen.

3. Die Vorinstanzen sind daher im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass die maßgeblichen Einkünfte der Klägerin iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG von insgesamt 21.549,25 EUR den in § 2 Abs 1 Z 3 KBGG genannten Grenzbetrag von 16.200 EUR erheblich überschritten haben, weshalb die Klägerin gemäß § 31 Abs 2 KBGG zur Rückzahlung des für das Kalenderjahr 2008 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes von 5.317,98 EUR verpflichtet ist.

4. Soweit die Klägerin gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen die frühere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 10 ObS 61/09g, SSV-NF 23/37 und 10 ObS 124/09x) ins Treffen führt, ist ihr entgegenzuhalten, dass - wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 31/10x (SSV-NF 24/37) näher dargelegt hat, der Gesetzgeber durch die Novelle BGBl I 2009/116 eine authentische Interpretation der im Gesetz (§ 8 Abs 1 Z 2 KBGG in der Stammfassung) nicht klar definierten Wortfolge „die darauf entfallenden vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung“ in dem Sinne vorgenommen hat, dass bei der Ermittlung des Zuverdienstes die im und nicht die für das betreffende Kalenderjahr (in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge hinzuzurechnen sind. Gegen diese Berechnungsweise bestehen nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken (10 ObS 31/10x, SSV-NF 24/37; 10 ObS 154/10k ua). Auch wenn in besonderen Situationen der Fall eintreten kann, dass gerade im Jahr des Kinderbetreuungsgeldbezugs eine Nachbemessung der Sozialversicherungsbeiträge erfolgt, die zu einer besonders hohen Nachforderung führt, die wiederum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte zu berücksichtigen ist, ist doch zu bedenken, dass gerade die Nachbemessung zuvor die steuerpflichtigen Einkünfte reduziert hat. Die Nachbemessung ist der Beitragsvorschreibung nach dem GSVG systemimmanent; wann sie zu erfolgen hat, ist gesetzlich vorgesehen. Der auf das Vorliegen der notwendigen Nachweise abstellende Zeitpunkt ist auch nicht unsachlich (10 ObS 154/10k). Der Vorwurf der Klägerin, die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen für ein früheres Wirtschaftsjahr knüpfe an einen willkürlichen Umstand an, trifft daher nicht zu.

4.1 Wenn die Klägerin weiters geltend macht, bei der Auslegung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG wäre zu berücksichtigen gewesen, dass die Gleichbehandlung von Unselbständigen und Selbständigen insbesondere auch im Beitragsrecht eine übergeordnete allgemeine Zielsetzung des Gesetzgebers darstelle, ist darauf hinzuweisen, dass auch nach § 25 Abs 2 Z 2 GSVG die Hinzurechnung der vorgeschriebenen Beiträge zur Pensionsversicherung und Krankenversicherung zur Bildung der Beitragsgrundlage nach dem GSVG vorgesehen ist. Die Neueinführung der Hinzurechnung der Beiträge zur Pflichtversicherung bei der Ermittlung der Beitragsgrundlage durch die 19. GSVG-Novelle diente der Anpassung der Beitragsgrundlagenbildung nach dem GSVG an jene nach dem ASVG. Ebenso wie nach den Bestimmungen des ASVG sollten auch im Anwendungsbereich des GSVG die Beiträge zur Pflichtversicherung, welche das zu versteuernde Einkommen verringern, nicht auch die Beitragsgrundlage für die Bemessung der Beiträge zur Sozialversicherung verringern. Es ist ebenfalls ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es hinsichtlich der gemäß § 25 Abs 2 Z 2 GSVG hinzuzurechnenden Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge nur darauf ankommt, ob die Beiträge im betreffenden Jahr vorgeschrieben wurden, nicht aber darauf, für welche Kalenderjahre sie vorgeschrieben wurden. Das allein praktikable Abstellen auf die Vorschreibungen führt zu sachgerechten Ergebnissen, weil sich die sich daraus ergebenden Inkongruenzen in der Regel - jedenfalls über einen längeren Zeitraum hinweg - ausgleichen. Dass dies in Einzelfällen manchmal nicht zutreffen wird, gibt nicht zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Inhalt der Regelung Anlass (vgl VwGH 95/08/0303; 2005/08/0208; 2010/08/0086; 2009/08/0006 ua; Pflug in Sonntag, GSVG1 § 25 Rz 13 mwN).

4.2 Soweit die Klägerin schließlich noch eine willkürliche Differenzierung darin erblickt, dass die mit 1. 1. 2012 in Kraft getretene Neuregelung des § 8 KBGG idF BGBl I 2011/139 nur für Geburten nach dem 31. 12. 2011 und daher nicht im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt, ist darauf hinzuweisen, dass eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung nicht grundsätzlich gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstößt, weil es im Wesen einer Änderung materiell-rechtlicher Bestimmungen liegt, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht daher auch in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers festzulegen, wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten hat (vgl 10 ObS 394/02t, SSV-NF 17/71 mwN ua). Im Übrigen hatte der Gesetzgeber bei der Festlegung des Inkrafttretens der Änderung der Zuverdienst-Bestimmungen durch die Novelle BGBl I 2011/139 die bereits erwähnten Aspekte der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung zu berücksichtigen.

5. Zusammenfassend sieht der erkennende Senat daher aufgrund der dargelegten Erwägungen für die von der Klägerin angeregte Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof keine Veranlassung.

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