OGH 7Ob71/13m

OGH7Ob71/13m23.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Wolfram Wutzel, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W***** Versicherung AG *****, vertreten durch Musey Rechtsanwalt GmbH in Salzburg, wegen 10.564 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2013, GZ 1 R 142/12a‑12, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 1. Juni 2012, GZ 4 Cg 58/12k‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger betreibt eine Handelsagentur. Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine Betriebsunterbrechungsversicherung mit Versicherungsbeginn 9. 10. 2003. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich und selbständig Tätige (ABFT 1995; in der Folge ABFT) zugrunde. Diesen lauten:

Art 1

Gegenstand und Umfang der Versicherung

1. Soweit eine gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebs (Betriebsunterbrechung) durch einen Sach‑ oder Personenschaden (Pkt 2. und 3.) verursacht wird, ersetzt der Versicherer nach den folgenden Bestimmungen den dadurch entstehenden Unterbrechungsschaden (Art 3).

...

3. Als Personenschaden im Sinn des Abs 1 gelten:

3.1. Die völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit der namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.

...

3.1.2. Krankheit ist ein nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft anormaler körperlicher oder geistiger Zustand.

Der Versicherungsschutz erstreckt sich nur auf Krankheiten, die während der Dauer des Versicherungsvertrags entstehen.

...“

Im Versicherungsantrag wies der Kläger auf Vorerkrankungen hinsichtlich der rechten Schulter und der Minisken links und rechts hin. In der Versicherungspolizze wurde unter „Individuelle Vereinbarung“ unter anderem festgehalten, dass Betriebsunterbrechungen, die im Zusammenhang mit Erkrankungen, Gebrechen oder Unfallverletzungen im Bereich der rechten Schulter und des linken Knies stehen, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen bleiben sollen.

Im Mai 2008 kam der Kläger mit dem Mountainbike zu Sturz. Am 4. 10. 2010 wurde der Kläger im Krankenhaus stationär aufgenommen, wo ihm am 5. 10. 2010 am rechten Knie eine Knietotalendoprothese eingesetzt wurde. Der Grund für die Implantation war nicht ausschließlich der Sturz des Klägers, sondern eine durch diesen Sturz höchstens verschlimmerte degenerative Kniegelenksabnützung. Diese Abnützung bestand zu 40 % bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrags, wohingegen 60 % dieses Zustands auf den Zeitraum nach Abschluss des Vertrags entfallen. Auf Grund des operativen Eingriffs bestand für den Zeitraum vom 4. 10. 2010 bis 10. 11. 2010 eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit.

Im Fall der Leistungspflicht der Beklagten war ein Tagessatz von 278 EUR für den Zeitraum 100%iger Arbeitsunfähigkeit und Betriebsunterbrechung vereinbart.

Der Kläger begehrt die Bezahlung des Klagsbetrags wegen seiner Arbeitsunfähigkeit. Im Versicherungsvertrag seien Betriebsunterbrechungen im Zusammenhang mit dem rechten Knie trotz seines Hinweises im Versicherungsantrag nicht ausgeschlossen worden und seien daher inkludiert. Seit dem Sturz mit dem Mountainbike sei es zu Beschwerden im rechten Kniegelenk gekommen, sodass er die Operation habe durchführen lassen müssen. Dem Kläger stünden zumindest 60 % der vertraglich vereinbarten Leistungen zu, weil sich in diesem Umfang die Schädigung des Kniegelenks nach Vertragsabschluss zugetragen habe.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Sturz mit dem Mountainbike habe nicht zum Entstehen der Kniegelenksarthrose geführt, die die Indikation zur Totalendoprothese zur Folge gehabt habe. Ursache dafür sei die bereits seit 1996 oder spätestens 1999 bestehende Gonarthrose. Die Ursache für die Betriebsunterbrechung sei daher bereits vor Vertragsbeginn gelegen. Außerdem sei ein Leistungsaufschub (Karenzfrist) von sieben Tagen vereinbart worden. Der Betrieb des Klägers sei nicht unterbrochen gewesen. Weiters sei ein Vorausbonus nach Klausel 90 B abzuziehen. Jeder Vertragspartner habe die Kosten seines Sachverständigen selbst zu tragen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger sei seiner Anzeigepflicht nachgekommen. Auch wenn der Versicherungsschutz für das rechte Knie nicht ausdrücklich ausgenommen worden sei, lasse dies nicht den Schluss zu, dass die unbestrittene Vorerkrankung automatisch vom Versicherungsschutz mitumfasst sei. Da sich die unbestrittene Krankheit während des Versicherungsvertrags verschlimmert und dadurch die 100%ige Arbeitsunfähigkeit des Klägers herbeigeführt habe, bestehe kein Versicherungsschutz.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm nicht die Negativfeststellung des Erstgerichts, dass nicht feststehe, ob eine Betriebsunterbrechung eingetreten sei, teilte aber die Rechtsansicht, dass aus den Feststellungen nicht abzuleiten sei, dass die Beklagte Versicherungsschutz für das rechte Knie zugesagt habe. Der eindeutige Wortlaut des Punktes 3.2.1. ABFT führe dazu, dass die Frage des Versicherungsschutzes allein nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Krankheit zu beurteilen sei. Da die Erkrankung des rechten Knies schon vor Vertragsschluss gegeben gewesen sei und eine Verschlimmerung der Erkrankung vom Versicherungsschutz nicht umfasst sei, bestehe der Anspruch des Klägers nicht zu Recht.

In Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision für zulässig, weil einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des Art 1 Punkt 3.1.2 ABFT fehle. Der Standpunkt, dass eine zumindest teilweise Versicherungsdeckung sachgerecht wäre, weil der Großteil der Erkrankung des Klägers erst während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eingetreten sei, erscheine vertretbar.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Betriebsunterbrechungsversicherung ist eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RIS‑Justiz RS0080975). Der Zweck der Versicherung ist es, einen sozialen Abstieg des Versicherten im Arbeitsleben und in der Gesellschaft, das heißt im sozialen Umfeld, zu verhindern. Der Versicherungsfall ist gegeben, wenn Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall kausal für den Rückgang der beruflichen Leistungsfähigkeit sind; dabei sind Art und Ursache der Krankheit, der Körperverletzung oder des Kräfteverfalls grundsätzlich (sofern nicht vertragliche Ausschlüsse vereinbart werden) gleichgültig. Versicherte Gefahr in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der vorzeitige Rückgang oder der Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit (RIS‑Justiz RS0111998).

Aus dem Umstand, dass nach Vorerkrankungen gefragt wird, lässt sich nicht der Schluss ziehen, vom Versicherungsschutz seien nur Unterbrechungsschäden auf Grund von den vom Versicherungsnehmer angegebenen Vorerkrankungen, nicht aber auch auf Grund von unbekannten oder vom Versicherungsnehmer (unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht) verschwiegenen Vorerkrankungen ausgeschlossen. Dies steht im Zusammenhang mit dem allgemeinen Zweck von Risikoausschlussklauseln in der Sachversicherung, ein für den Versicherer nicht überschaubares und nicht berechenbares Risiko auszuklammern, das eine vernünftige, wirtschaftliche Prämienkalkulation sehr stark erschweren oder gar unmöglich machen und sich vor allem mit dem Bestreben nicht vertragen würde, die Beiträge möglichst niedrig und damit für die Masse der in Betracht kommenden Versicherungskunden akzeptabel zu gestalten (7 Ob 70/03z mwN). Der Versicherungsschutz entfällt, wenn eine der adäquaten Ursachen des Schadens zu den ausgeschlossenen zählt (RIS‑Justiz RS0080450 = 7 Ob 37/93). Der Umstand, dass der Versicherungsschutz nur für Krankheiten gilt, die während des Bestands der Versicherung entstehen, ist als positive Klarstellung des versicherten Risikos vom Versicherungsnehmer zu beweisen (7 Ob 22/97d). Der Versicherungsnehmer hat die Beweislast für das Vorliegen des Versicherungsfalls (RIS‑Justiz RS0043438, RS0080003).

Im Sinn der dargelegten Rechtsprechung entspricht der Versicherungsnehmer seiner Aufklärungspflicht, wenn er bestehende Verletzungen und Krankheiten angibt. Diese hat der Kläger erfüllt. Schließt nun der Versicherer ausdrücklich zwei der betroffenen Körperteile gänzlich aus der Versicherungsdeckung aus, so bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass er dem dritten Gebrechen keine Bedeutung beimisst und auf den grundsätzlich vereinbarten (geringeren) Risikoausschluss für Vorerkrankungen verzichtet. Für den ausdrücklichen Ausschluss für die rechte Schulter und das linke Knie gilt, dass keine wie immer gearteten Schäden an diesen Körperteilen gedeckt sind. Dieser gänzliche Ausschluss trifft aber nicht auf das rechte Knie zu. Für dieses soll es bei der Vertragslage bleiben und damit bei den in den ABFT vereinbarten Ausschlüssen. Einen anderen Erklärungswert kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Verhalten der Beklagten nicht beilegen.

Nach den Bedingungen erstreckt sich der Versicherungsschutz nur auf Krankheiten, die während der Dauer des Versicherungsvertrags entstehen. Feststeht, dass der Kläger bereits eine Vorschädigung am Meniskus des rechten Knies hatte. Feststeht weiters, dass die Implantation der Knieprothese erst nach dem Sturz erfolgte und dass der Zustand des Knies vor der Operation zu 40 % auf die Vorerkrankung und zu 60 % auf die Entwicklung während des Versicherungsvertrags zurückzuführen ist.

Bei der Beurteilung der Rechtslage ist zu bedenken, dass die Betriebsunterbrechungsversicherung ‑ wie oben bereits hervorgehoben ‑ eine Sach versicherung und keine Personenversicherung ist. Der Risikoauschluss nach Art 3 Punkt 3.1.2 ABFT bezieht sich seinem Wortlaut nach nur auf Krankheiten, nicht auf Unfälle.

Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrund-sätzen (§§ 914 f ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS‑Justiz RS0050063). Dieser versteht die vorliegende Klausel nach ihrem Wortsinn wie oben dargelegt. Eine Unklarheit besteht nicht.

Es ist also entscheidend, wodurch die konkrete Betriebsunterbrechung herbeigeführt wurde. Es ist zu unterscheiden, ob sie durch den Unfall oder auch ohne ihn durch die Vorerkrankung zu diesem Zeitpunkt verursacht wurde. Dazu bedarf es der Feststellung, ob ohne den Sturz die Operation, wodurch die behauptete Betriebsunterbrechung eintrat, zum damaligen Zeitpunkt auch notwendig geworden wäre (Krankheitsfolge) oder ob der Sturz (Unfall) die (auslösende) Ursache dafür war. War letzteres der Fall, so handelt es sich bei der Operation um eine Unfallfolge, weil der Vorschaden allein keine Operation und Betriebsunterbrechung notwendig gemacht hätte. Der stationäre Aufenthalt und die dadurch verursachte Betriebsunterbrechung wären als Unfallfolgen gedeckt.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren ein entsprechendes Beweisverfahren im dargelegten Sinn durchzuführen haben. Es ist auch auf die Entscheidung des Berufungsgerichts Bedacht zu nehmen, nach der der Sachverhalt zur Frage, ob eine Betriebsunterbrechung stattgefunden hat oder nicht, noch nicht ausreichend geklärt ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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