OGH 13Os139/12h

OGH13Os139/12h14.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Niegl als Schriftführer in der Auslieferungssache des Ali Y*****, AZ 9 HR 282/12t des Landesgerichts Wels, über den Antrag der betroffenen Person auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 17. September 2012, GZ 9 HR 282/12t-28, erklärte das Landesgericht Wels die Auslieferung des Ali Y***** zur Strafverfolgung in der Türkei wegen der im Haftbefehl des zweiten Schwurgerichts Erzurum (Türkei) vom 27. Jänner 2005, AZ 2004/273, angeführten, rechtlich als „Mord und Körperverletzung im Namen einer kriminellen Vereinigung“ gemäß Artikel 146 des türkischen Strafgesetzbuchs (Gesetzesnummer 765) und Artikel 5 des (türkischen) „Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ (Gesetzes-nummer 3.713) eingestuften Straftaten für zulässig.

Der dagegen ergriffenen Beschwerde der betroffenen Person gab das Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 21. November 2012, AZ 9 Bs 294/12t, nicht Folge.

Dabei ging es in tatsächlicher Hinsicht deutlich genug davon aus, dass gegen den in den Auslieferungsunterlagen der türkischen Strafverfolgungs-behörden geschilderten Verdacht, Ali Y***** sei in den Jahren 2003 bis 2005 Mitglied der terroristischen Vereinigung T***** und als solches in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 2004 bei der Tötung des Zaynel B***** und der Verletzung dessen Ehefrau im Rahmen einer „Bestrafung“ durch andere Mitglieder dieser Vereinigung anwesend gewesen, keine erheblichen Bedenken bestehen (vgl § 33 Abs 2 ARHG). Dieses Verhalten sei nach österreichischem Recht (zumindest) dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB zu subsumieren (BS 2 ff).

Dagegen richtet sich der auf § 363a Abs 1 StPO gestützte Antrag auf Verfahrenserneuerung der betroffenen Person, in dem diese - soweit hier von Bedeutung - Unzulässigkeit der Auslieferung wegen Verletzung der Art 2, 3, 5, 6, 7 und (der Sache nach) 8 MRK geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

Die (bloß nominell) angesprochene Verletzung des Art 5 MRK ist schon wegen der Subsidiarität des Erneuerungsantrags gegenüber der Grundrechtsbeschwerde nicht Gegenstand der Prüfung (RIS-Justiz RS0123350). Dieser Einwand bleibt zudem - wie auch jener zur behaupteten Verletzung des Art 2 MRK - ohne den Kriterien der ständigen Rechtsprechung entsprechende Substanz (RIS-Justiz RS0124359).

Ebenso wenig spricht das Vorbringen, welches den politischen Charakter der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten (Art 3 Abs 1 des hier anzuwendenden Europäischen Auslieferungsübereinkommens; vgl auch § 14 ARHG) und das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts thematisiert, eine im Verfahren über einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens relevante Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt an. Schutz vor politischer Verfolgung ist im Übrigen - unter dem Aspekt des Auslieferungsasyls (Art 3 Abs 2 Europäisches Auslieferungsübereinkommen; vgl § 19 Z 3 ARHG) - zwar Gegenstand der Prüfung im Auslieferungsverfahren, nicht aber eines Antrags auf dessen Erneuerung gemäß § 363a Abs 1 StPO. Weder die MRK noch eines ihrer Zusatzprotokolle gewährt einen Anspruch auf politisches Asyl in einem Konventionsstaat (RIS-Justiz RS0123232; Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 3 und 19 ff; vgl zur ständigen Rsp des EGMR zB dessen Urteil vom 10. 5. 2012, 7788/11, A. L./Österreich; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 20 Rz 40). Die Behauptung, der Antragsteller sei als Kurde, Alevit, Oppositioneller und Wehrdienstverweigerer (wobei übrigens eine Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen gar nicht behauptet wird) im ersuchenden Staat „einem besonders hohen Risiko“ ausgesetzt, wäre im vorliegenden Zusammenhang daher nur relevant, wenn sich aus diesen Umständen konkrete Anhaltspunkte für eine (zu erwartende) den Konventionsgarantien (insbesondere Art 3 und 6 MRK) widersprechende Behandlung im Verfahren wegen der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten ergäben. Bei einer Auslieferung an einen Konventionsstaat - wie hier der Türkei - ist die Verantwortlichkeit des ersuchten Staats zudem eingeschränkt, weil die betroffene Person im Zielstaat Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann. Eine Mitverantwortung des ausliefernden Staates besteht nur dann, wenn Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den EGMR - nicht rechtzeitig zu erreichen ist (13 Os 150/07v, EvBl 2008/83, 416; 13 Os 138/11k ua).

Vor diesem Hintergrund begegnen methodischer Ansatz und Beurteilung des Beschwerdegerichts keinen Bedenken. Dieses stützte sich bei Prüfung des im Wesentlichen auf die Menschenrechtssituation und die Behandlung kurdischer Oppositioneller durch Strafverfolgungsbehörden in der Türkei allgemein rekurrierenden Beschwerdevorbringens auf die vom Bundesasylamt geführte Staatendokumentation (vgl § 60 AsylG) und auf einen Bericht des Europäischen Ausschusses zur Verhütung der Folter (CPT) vom 9. Juli 2010 über die Zustände in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis („Typ-F-Gefängnis“), in welchem (auch) wegen terroristischer Straftaten verurteilte kurdische Oppositionelle angehalten werden. Daraus leitete es ab, dass Straf- und Strafprozessrecht sowie deren praktische Handhabung insbesondere im Hinblick auf die Wahrung von Menschenrechten - ungeachtet weiter bestehender Probleme - in den letzten Jahren grundlegend verbessert wurden und eine (irreparable) Verletzung der Art 3 und 6 MRK im Zielland nicht konkret zu befürchten ist. Ein Vorbringen, welches diese Überlegungen nach dem Maßstab der ständigen Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0123229 [insbesondere 14 Os 67/08x betreffend eine Auslieferung zur Strafverfolgung in der Türkei], RS0123200; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 20 Rz 44; zum restriktiven Maßstab des EGMR im Hinblick auf Art 6 MRK vgl dessen Urteil vom 27. 10. 2011, 37075/09, Ahorugeze) erschüttern könnte, enthält der Erneuerungsantrag (der im Wesentlichen die Beschwerdeargumentation wiederholt) nicht. Dass der Antragsteller im Falle seiner Auslieferung keinen Zugang zu angemessener medizinischer Behandlung wegen seines - nicht näher konkretisierten - „schlechten Gesundheitszustandes“ hätte (zur Relevanz unter dem Aspekt des Art 3 MRK Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 11 mwN; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 20 Rz 42), wird gar nicht vorgebracht. Die Behauptung, zwei Personen seien wegen des dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Vorfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, obwohl sie „glaubhafte Alibi-Beweise nachweisen konnten“, lässt per se - wie das Beschwerdegericht unter anderem mit dem aktenkonformen (vgl ON 2 S 27) Hinweis auf Freisprüche weiterer Beschuldigter im selben Verfahren zutreffend darlegte (BS 9) - keineswegs den Schluss zu, der Antragsteller hätte in der Türkei ein den Garantien des Art 6 MRK fundamental widersprechendes Verfahren konkret zu befürchten.

Das Auslieferungsverfahren selbst unterliegt nicht den Verfahrensgarantien des Art 6 MRK (RIS-Justiz RS0123200; Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 19 Rz 14; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 6 Rz 18 und 167; Vogler, IntKomm EMRK Art 6 Rz 247), weshalb die darauf gestützten Einwände wegen unterlassener Beweisaufnahmen im Beschwerdeverfahren keiner Erwiderung bedürfen.

Soweit der Antragsteller mit dem Vorbringen, der Tatbestand der terroristischen Vereinigung nach § 278b StGB sei erst „seit 1. 7. 2010 in Kraft“ (also nicht während des hier relevanten Tatzeitraums), eine Verletzung des Art 7 MRK reklamiert, übersieht er, dass sich dessen Schutzzweck nicht auf die Beurteilung der Auslieferungsvoraussetzungen bezieht (12 Os 15/10p mwN; vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 134) und der genannte Verbrechenstatbestand ohnehin bereits seit Inkrafttreten des StRÄG 2002 (mit 1. Oktober 2002) Teil des (österreichischen) Strafgesetzbuchs ist.

Der Hinweis auf die gute Integration des Antragstellers in Österreich und den Umstand, dass dessen Bruder die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, ist im Verfahren über den Erneuerungsantrag nur unter dem Aspekt eines (der Sache nach angesprochenen) aus Art 8 MRK ableitbaren Auslieferungshindernisses relevant (vgl RIS-Justiz RS0123230, RS0111531). Bei der gemäß Art 8 Abs 2 MRK erforderlichen Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung ist im hier gegebenen Fall einer Auslieferung zur Strafverfolgung zu berücksichtigen, dass den Interessen der betroffenen Person - anders als etwa in Fällen der Ausweisung und Abschiebung zur Durchsetzung der Einwanderungspolitik - insbesondere das Interesse des ersuchenden Staates an der Verfolgung bereits begangener Straftaten gegenüber steht (eingehend zu den Prüfungskriterien 14 Os 87/10s mwN; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 22 Rz 66 f). Dass der Antragsteller vor gut sieben Jahren (erst) volljährig nach Österreich gekommen, hier integriert sei, einige Zeit legal gearbeitet und einen Bruder mit österreichischer Staatsbürgerschaft habe (über dessen Beziehung zum Antragsteller kein Vorbringen erstattet wird; vgl zu den Anforderungen an im Sinn des Art 8 MRK relevante familiäre Beziehungen zwischen Erwachsenen 13 Os 156/11g), vermag im Hinblick auf das Gewicht der vorgeworfenen Straftaten kein Auslieferungshindernis zu begründen.

Der Erneuerungsantrag war daher in sinngemäßer Anwendung der Zulässigkeitskriterien des Art 35 MRK (RIS-Justiz RS0122737) als offensichtlich unbegründet (Art 35 Abs 3 lit a zweiter Fall MRK) - im Umfang des auf Art 5 MRK bezogenen Vorbringens schon wegen Unzulässigkeit im Sinn des Art 35 Abs 1 MRK - gemäß § 363b Abs 2 StPO analog (vgl 17 Os 11/12i) zurückzuweisen.

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