OGH 13Os156/11g

OGH13Os156/11g19.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2012 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und Dr. Bachner-Foregger sowie Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Auslieferungssache des Tomislav K*****, AZ 28 HR 75/11m des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag der betroffenen Person auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO und ihren „Antrag auf Hemmung der Auslieferung“ nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens und auf „Hemmung der Auslieferung“ werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Tomislav K***** wurde am 1. April 2011 auf Grund eines Haftbefehls des Gespanschaftsgerichts Zadar vom 29. Oktober 2010 (ON 28 S 15) festgenommen. Die Auslieferungshaft wurde - jeweils unbekämpft - vom Landesgericht Salzburg verhängt (Beschluss vom 2. April 2011 [ON 9]) und fortgesetzt (Beschlüsse vom 18. April 2011 [ON 18] und vom 17. Mai 2011 [ON 23]). Am 19. Mai 2011 wurde Tomislav K***** nach Leistung von Gelöbnissen und einer mit dem zuletzt genannten Beschluss festgesetzten Kaution enthaftet (vgl ON 25).

Am 9. August 2011 erklärte das Landesgericht Salzburg die vom Justizminister der Republik Kroatien begehrte (vgl ON 27) Auslieferung des Tomislav K***** zur Strafverfolgung für zulässig (ON 32). Mit dem nunmehr bekämpften Beschluss vom 7. November 2011, AZ 10 Bs 283/11f (ON 40 der HR-Akten), gab das Oberlandesgericht Linz der dagegen gerichteten Beschwerde der betroffenen Person nicht Folge.

Dabei ging es in tatsächlicher Hinsicht vom Tomislav K***** zur Last liegenden Verdacht aus, am 22. Juni und am 4. August 2010 in Zagreb und Murvica gemeinsam mit weiteren Tätern insgesamt 171 Gramm Kokain (mit nicht festgestelltem Reinheitsgehalt) verdeckten Ermittlern um 7.200 Euro verkauft zu haben.

Dieses von der Staatsanwaltschaft Zadar in der Anklage vom 23. Dezember 2010, Zahl: K-DO-44/10, als Suchtgiftmissbrauch nach Art 173 Abs 2 des Strafgesetzes der Republik Kroatien (mit einer Strafdrohung von zumindest drei Jahren) qualifizierte Verhalten sei nach österreichischem Recht - bei Annahme „durchschnittlicher Suchtgiftqualität“ - dem Tatbestand des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG (mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren) zu unterstellen (ON 40 S 1 ff).

Dagegen richtet sich die - zum Teil auch als „Grundrechtsbeschwerde“ bezeichnete - aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung des Vorbringens ausschließlich als Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a Abs 1 StPO) zu wertende Eingabe des Tomislav K*****, in welcher er auch einen „Antrag auf Hemmung der Auslieferung“ stellt. Soweit hier von Bedeutung macht er im Wesentlichen eine Verletzung des Art 6 MRK wegen behaupteter Mängel des in Kroatien geführten Strafverfahrens sowie des Art 8 MRK geltend, wobei er sich in diesem Zusammenhang auf seiner Ansicht nach der Auslieferung entgegenstehende Umstände seiner familiären Situation stützt.

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag auf „Hemmung der Auslieferung“:

Mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO nimmt der Oberste Gerichtshof zwar die Befugnis in Anspruch, den Vollzug mit Erneuerungsantrag bekämpfter Entscheidungen zu hemmen. Ein Antragsrecht betroffener Personen ist daraus jedoch nicht abzuleiten (RIS-Justiz RS0125705; dies behauptet auch die ins Treffen geführte Kommentarstelle [Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 33 Rz 12] nicht). Das in diesem Sinn gestellte Begehren war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zu Art 5 MRK:

Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Linz befasst sich ausschließlich mit der Zulässigkeit der Auslieferung, nicht hingegen mit der (seit 19. Mai 2011 aufgehobenen) Auslieferungshaft und greift solcherart in das von Art 5 MRK gewährleistete Grundrecht gar nicht ein (RIS-Justiz RS0116089, RS0117728 [T10], vgl auch RIS-Justiz RS0061044). Soweit der Antrag in seinem als „Grundrechtsbeschwerde“ bezeichneten Teil das (ursprüngliche) Vorliegen der Haftvoraussetzungen in Frage stellt, macht er eine Verletzung dieses Grundrechts durch die bekämpfte Entscheidung somit nicht geltend (13 Os 47/11b, 54/11g).

Zu Art 6 MRK:

Vorweg ist festzuhalten, dass das Auslieferungsverfahren als solches nicht von den Garantien des Art 6 MRK erfasst ist. Dessen Verfahrensgarantien können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat ein faires Verfahren offenkundig verweigert würde („flagrant denial of a fair trial“; RIS-Justiz RS0123200; 13 Os 138/11k; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 6 Rz 167). Mit dem Vorbringen, dem Antragsteller sei „eine entsprechende Ladung zur Einvernahme als Beschuldigter bis heute nicht zugestellt“ worden und es liege (zusammengefasst) „kein hinreichender Tatverdacht“ vor, werden grundlegende Bedenken im Sinn der zitierten Rechtsprechung (vgl zum restriktiven Maßstab des EGMR jüngst dessen Urteil vom 27. 10. 2011, Nr 37.075, Ahorugeze gg Schweden [Z 113 ff]) nicht geweckt. Dass das Vorgehen der kroatischen Behörden darauf abziele, „den Betroffenen auch unter Anwendung staatlichen Zwanges durch den ersuchten Staat nach Kroatien zu verbringen, um von ihm (lediglich) Auskünfte zur Aufklärung der Täterschaft der anderen Beschuldigten zu erlangen“, wird bloß spekulativ behauptet.

Zu Art 8 MRK:

Unter bestimmten Umständen kann der Schutz des Familienlebens einer Auslieferung entgegenstehen, wenn die betroffene Person im Aufenthaltsstaat persönliche oder familiäre Bindungen hat, die ausreichend stark sind und durch die Auslieferung beeinträchtigt würden. Ein Eingriff begründet dann eine Verletzung von Art 8 MRK, wenn er nicht gesetzlich vorgesehen ist oder kein legitimes Ziel verfolgt oder nicht als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden kann (RIS-Justiz RS0123230). Bei der zufolge Art 8 Abs 2 MRK erforderlichen Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung ist im hier maßgeblichen Zusammenhang einer Auslieferung zur Strafverfolgung zu berücksichtigen, dass den Interessen der betroffenen Person - anders als etwa in Fällen der Ausweisung und Abschiebung zur Durchsetzung der Einwanderungspolitik - insbesondere das Interesse des ersuchenden Staates an der Verfolgung bereits begangener Straftaten gegenüber steht, wobei der EGMR dem Strafverfolgungsinteresse bei Suchtgiftdelinquenz besonderes Gewicht beimisst (zum Ganzen: 14 Os 87/10s; 12 Os 160/10m, jeweils mwN; Grabenwarter, EMRK4 § 22 Rz 44; EGMR 19. 2. 1998, Nr 26.102/98, Dalia gg Frankreich, ua).

Das Oberlandesgericht hat im Rahmen seiner Prüfung insbesondere darauf hingewiesen, dem Beschwerdevorbringen sei nicht zu entnehmen, weshalb die Mutter und die Schwester des Antragstellers diesen nicht zumindest in Kroatien besuchen könnten. Dass die Pflege des seit Jahren schwer erkrankten Vaters auch von anderen Personen als vom (nach dem Beschwerdevorbringen im gemeinsamen Haushalt lebenden) Antragsteller durchgeführt werden könne, ergebe sich aus dessen mehrmonatigem Aufenthalt in Kroatien im Jahr 2010 mit dem Zweck, dort beruflich Fuß zu fassen, und aus dem Vorhandensein finanzieller Mittel, die eine „Inanspruchnahme umfassender Betreuungsangebote“ ermöglichten (ON 40 S 5).

Mit der unsubstantiierten Behauptung, es stünden „keine zumutbaren Verkehrsanbindungen zum Häftlingsbesuch in Kroatien offen“, und der weiteren Argumentation, eine Integration der Familie (gemeint: der Eltern und der Schwester) des (35-jährigen) Antragstellers in Kroatien sei auf Grund ihrer Herkunft (aus Bosnien-Herzegowina) und wegen des mittlerweile erfolgten Verkaufs eines bis vor Kurzem bestehenden Immobilienbesitzes der Familie auf der (kroatischen) Insel Krk nicht zu erwarten, zudem reichten die finanziellen Mittel für eine Fremdbetreuung des pflegebedürftigen Vaters nicht aus, wird keine Fehlbeurteilung durch das Beschwerdegericht aufgezeigt.

Vorliegend ist zudem zu beachten, dass der Antragsteller ledig und für keine (minderjährigen) Kinder sorgepflichtig ist. Familiäre Beziehungen zwischen Erwachsenen (hier: des Antragstellers zu seinen Eltern und seiner Schwester) können eine Auslieferung unter dem Aspekt des Art 8 MRK nur dann hindern, wenn über die sonst üblichen (emotionalen) Bindungen hinaus Merkmale einer Abhängigkeit bestehen (EGMR 15. 7. 2003, Nr 52.206/99, Mokrani gg Frankreich; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 8 Rz 52; Wildhaber, IntKomm EMRK Art 8 Rz 434 f). Eine derartige Abhängigkeit vermochte der Antragsteller nicht darzulegen, zumal er gar nicht (substantiiert) behauptet hat, dass sein Vater nicht von seiner Mutter oder seiner (im gleichen Ort wohnhaften) Schwester gepflegt werden könnte.

In Anbetracht von Art und Schwere der zur Last liegenden Auslieferungstaten ist die angefochtene Entscheidung auch unter Berücksichtigung der ins Treffen geführten familiären Beziehungen des Antragstellers unter dem Aspekt des Art 8 Abs 2 MRK verhältnismäßig.

Der Erneuerungsantrag war daher zurückzuweisen.

Stichworte