OGH 4Ob212/12y

OGH4Ob212/12y12.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. O***** P*****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 48.495,18 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 20.551,90 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. September 2012, GZ 2 R 23/12k-14, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24. November 2011, GZ 34 Cg 42/11z-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das in seinem klageabweisenden Teil zu Pkt 1. unbekämpft geblieben ist, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 13.716,85 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. Juli 2011 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 17.111,01 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. Juli 2011 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.592,03 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 2.629,50 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erwarb nach Beratung und Vermittlung durch den Beklagten in der Zeit von Mai 2004 bis April 2007 bestimmte Wertpapiere um einen Kaufpreis inklusive Spesen von insgesamt 51.424,14 EUR.

Wegen dieser Wertpapierkäufe nahm die Klägerin auch die die Wertpapieremission begleitende Bank in Anspruch. Dieses Verfahren wurde aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs beendet, aufgrund dessen die Klägerin zur pauschalen Abgeltung der ihr entstandenen Schäden 10.252,58 EUR erhielt. Entsprechend der geschlossenen Vereinbarung vom 4. November 2010 (Punkt 9) trat die Klägerin mit Eingang des Kompensationsbetrags auf ihrem Konto sämtliche ihr zustehenden Ansprüche und Gestaltungsrechte - aus welchem Titel auch immer - gegen Dritte, die aus Anlass insbesondere der Beratung und des Erwerbs der Wertpapiere erwachsen sind, unentgeltlich und unwiderruflich an die Bank oder eine von dieser noch namhaft zu machende Gesellschaft ab.

Am 19. Juli 2011 verkaufte die Klägerin die Wertpapiere und erlöste insgesamt 17.667,32 EUR. Ferner erhielt sie bis zum Zeitpunkt des Verkaufs Dividendenzahlungen von insgesamt 2.928,96 EUR.

Am 14. Juli 2010 begehrte die Klägerin zunächst 51.424,14 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung der gekauften Wertpapiere, hilfsweise die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Vermögensschäden, die der Klägerin aus dem Kauf der Wertpapiere erwachsen, weil sie vom Beklagten im Rahmen seiner Finanzdienstleistungen pflichtwidrig beraten worden sei. Eine sachgerechte Risikoaufklärung sei unterblieben, bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie die Wertpapiere nicht gekauft. In der Verhandlung vom 19. September 2011 schränkte sie ihr Klagebegehren unter Aufrechterhaltung des Zug-um-Zug-Begehrens um 2.928,96 EUR (erhaltene Dividendenzahlungen) auf 48.495,18 EUR ein; hilfsweise begehrte sie 30.827,86 EUR sA.

Der Beklagte wendete ein, die Klägerin ordnungsgemäß beraten zu haben, sie habe insbesondere über das Risiko von Kursverlusten Bescheid gewusst. Sie treffe daher das Allein- bzw ein überwiegendes Mitverschulden an dem von ihr behaupteten Schaden. Nach Abtretung der Ansprüche der Klägerin an die Bank wendete der Beklagte darüber hinaus die mangelnde Klagelegitimation ein, mangels Anspruchsidentität sei § 234 ZPO nicht anzuwenden. Der Beklagte könne daher alle Einwendungen erheben, die ihm gegen die Bank als angeblichen Rechtsnachfolger zustünden. Die Bank habe als Emittentin der Wertpapiere den Verkauf durch irreführende Prospekte gefördert. Weiters habe sie die Vermögensberater dahin schulen lassen, dass es sich bei den Wertpapieren um eine sichere Anlage handle, die für jedermann bestens geeignet sei. Da das Verschulden der Bank jenes des Beklagten bei weitem überwiege, entfalle dessen Haftung. Überdies habe die Klägerin aus dem Verkauf der Wertpapiere einen schadensmindernden Erlös erzielt. Das Zug-um-Zug-Begehren sei überdies verfehlt, weil die Klägerin nicht mehr über die Wertpapiere verfüge.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 48.495,18 EUR Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere. Die Zession der eingeklagten Forderung nach Streitanhängigkeit sei irrelevant. Der Beklagte habe die Klägerin ungenügend und fehlerhaft beraten und hafte daher für den ihr zugefügten Schaden. Ungeachtet der Veräußerung der Wertpapiere sei die Zug-um-Zug-Verpflichtung aufrecht zu erhalten.

Das Berufungsgericht wies über Berufung des Beklagten das Hauptbegehren von 48.495,18 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere ab, gab dem Eventualbegehren hingegen in Ansehung eines Teilbetrags von 20.551,90 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 10.275,96 EUR sA ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei. Zur grundsätzlichen Haftung des Beklagten für die Folgen seiner Fehlberatung, die in der Berufung nicht mehr in Zweifel gezogen wurde, schloss sich das Berufungsgericht der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an, maß der Klägerin aber infolge Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten (Nichtbeachtung von Informationsmaterial) ein Mitverschulden im Ausmaß eines Drittels zu. Die Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen unrichtiger Anlageberatung seien nach Streitanhängigkeit infolge Zession auf die Bank übergegangen, zu einer Änderung des Anspruchs sei es nicht gekommen, § 234 ZPO daher anwendbar, sodass die Veräußerung der streitverfangenen Sache auf die Sachlegitimation der Klägerin keinen Einfluss gehabt habe. Deshalb sei weder die mit der Abtretung der Schadenersatzforderung verbundene Vergleichszahlung als schadensmindernd zu berücksichtigen noch könnte der Beklagte Einwendungen aus seinem Verhältnis zur Bank als in diesem Prozess nicht zu berücksichtigende Forderungsinhaberin einwenden. Berechtigung komme der Berufung nur insoweit zu, als die von der Klägerin primär angestrebte Naturalrestitution infolge zwischenzeitigen Verkaufs der Wertpapiere nicht mehr in Betracht komme, sondern sie vielmehr auf Geldersatz beschränkt sei, wobei der Veräußerungspreis schadensmindernd zu berücksichtigen sei. Unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens stehe ihr daher nur mehr Schadenersatz im Ausmaß von 20.551,90 EUR sA zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten, mit dem er die gänzliche Abweisung des Schadenersatzbegehrens anstrebt, ist infolge unrichtiger Berechnung der Schadenshöhe durch das Berufungsgericht zulässig und teilweise auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass im Revisionsverfahren weder die grundsätzlich Schadenersatzpflichten auslösende Fehlberatung des Beklagten noch das vom Berufungsgericht im Ausmaß eines Drittels ausgemessene Mitverschulden der Klägerin strittig geblieben sind. Der Beklagte wendet sich ausschließlich dagegen, dass das Berufungsgericht ungeachtet der Abtretung der Schadenersatzansprüche an die Bank die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht und die Berücksichtigung der vom Beklagten aus seinem Verhältnis zur Bank abgeleiteten Einwendungen abgelehnt habe. Jedenfalls wäre die Zahlung der Bank aus dem Vergleich in Abzug zu bringen, weil sich der Schaden der Klägerin in diesem Ausmaß verringert habe.

1. Gemäß § 234 ZPO hat die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss. Der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in das Verfahren einzutreten. „Veräußerung“ ist jeder Wechsel in der Rechtszuständigkeit an der vom Klagebegehren betroffenen Sache oder Forderung außerhalb einer Gesamtrechtsnachfolge (RIS-Justiz RS0039302). § 234 ZPO gilt für jede Art der Einzelrechtsnachfolge kraft Vertrags oder Gesetzes (vgl RIS-Justiz RS0039231; 3 Ob 129/05z mwN). Streitverfangen ist eine Sache oder Forderung dann, wenn die materielle Sachbefugnis (Sachlegitimation) des Klägers oder des Beklagten auf den Rechtsbeziehungen zu dieser Sache beruht, gleich viel, ob sich das Sachantragsbegehren schon in seinem unmittelbaren Wortlaut auf diese Sache erstreckt. Die „Sache“ muss nach materiellem Recht die Eignung haben, auf den Erwerber überzugehen, es muss ihn also eine identische Verpflichtung wie den Veräußerer treffen oder ihm ein identischer Anspruch zustehen können, weil eine Rechtsnachfolge nur dann in Betracht kommt (3 Ob 129/05z mwN; RIS-Justiz RS0039303, RS0111151).

§ 234 ZPO dient einerseits der Erhaltung der freien Verfügungsmöglichkeit des Klägers über den eingeklagten Anspruch, diese Norm soll andererseits ihrer Intention nach verhindern, dass sich eine Partei durch Veräußerung des Streitgegenstands ihrer Sachlegitimation entledigt, um auf diese Weise einen Anspruch des Gegners scheitern zu lassen. Soweit ist die Bestimmung (auch) eine prozessuale Schutzvorschrift zugunsten des Gegners, sie bildet nach der herrschenden Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme gegenüber § 406 ZPO, als für die Frage der Aktiv- und der Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit entscheidet; für die anderen Entscheidungsgrundlagen bleibt es dagegen bei der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Schlusses der Verhandlung der Tatsacheninstanz (3 Ob 129/05z mwN; vgl RIS-Justiz RS0039314, RS0039242, RS0109183).

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin sämtliche ihr zustehenden Ansprüche gegen Dritte, die ihr aus Anlass der Beratung und des Erwerbs der Wertpapiere erwachsen sind, an die die Wertpapiere emittierende Bank abgetreten. Zu diesen allgemein umschriebenen Ansprüchen gehören auch die hier klagegegenständlichen Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten wegen Fehlberatung. In welcher Form der Schadenersatzanspruch geltend zu machen ist, ob das Begehren auf Naturalrestitution, Feststellung der Haftung oder Wertersatz im Sinn des Differenzschadens erhoben wird, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Die von Lehre und Rechtsprechung geforderte „Anspruchsidentität“ ist gegeben, wird der Schadenersatzanspruch durch die Abtretung selbst doch nicht verändert.

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht.

2. Da die Veräußerung einer Forderung während des Prozesses auf den Rechtsstreit keinen Einfluss hat, ist auf die Zession nicht Rücksicht zu nehmen, sondern in der Sache so zu entscheiden, als ob die Zession überhaupt nicht erfolgt wäre (RIS-Justiz RS0039242). Die Einwendungen des Beklagten gegen die Bank haben daher außer Betracht zu bleiben. Die allfällige Mithaftung der Bank für den verursachten Schaden müsste der Beklagte, geht sie seiner Ansicht nach über den durch Zahlung des Vergleichsbetrags ohnehin schon übernommenen Anteil hinaus, mit Regressklage nach § 1302 ABGB geltend machen.

3. Von der in diesem Prozess nicht zu berücksichtigenden Abtretung der klägerischen Schadenersatzforderung an die Bank ist die (teilweise) Schadensgutmachung durch die Bank zu unterscheiden. Sowohl die Art des Schadenersatzes als auch die Höhe des zu ersetzenden Differenzschadens richtet sich nach dem Schluss der Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Hat der Anleger die Wertpapiere verkauft, ist der Schaden durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der der tatsächliche Vermögensstand jenem gegenüberzustellen ist, der sich bei einer korrekten Beratung ergeben hätte (4 Ob 62/11p; 7 Ob 8/12w). Dem Aufwand für den Wertpapiererwerb von 51.424,14 EUR sind daher nicht nur der Verkaufserlös von 17.667,32 EUR und die Dividendenausschüttungen von 2.928,96 EUR gegenüberzustellen, sondern auch der von der emittierenden Bank erhaltene Kompensationsbetrag von 10.252,58 EUR. Der Schaden der Klägerin beläuft sich daher auf 20.575,28 EUR, wovon der Beklagte unter Berücksichtigung des unbekämpft gebliebenen Mitverschuldens der Klägerin von einem Drittel 13.716,85 EUR zu ersetzen hat. Die Schadenersatzverpflichtung des Beklagten war daher in teilweiser Stattgebung seiner Revision auf diesen Betrag zu reduzieren.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, wobei von einem Obsiegen der Klägerin im ersten Verfahrensabschnitt von etwa 27 % und im zweiten Verfahrensabschnitt von etwa 28 % auszugehen ist. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO, wobei vom Obsiegen der Klägerin im Berufungsverfahren im Ausmaß von etwa 28 % der zur Gänze strittig gebliebenen Klageforderung und von etwa zwei Drittel im Revisionsverfahren auszugehen ist, in dem nur mehr die vom Berufungsgericht reduzierte Verurteilung des Beklagten strittig blieb.

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