OGH 8ObA57/12h

OGH8ObA57/12h24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat B*****, vertreten durch Dr. Hans Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei T*****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Juli 2012, GZ 13 Ra 4/11b-20, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Dezember 2010, GZ 43 Cga 87/10p-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.329,84 EUR (darin enthalten 221,64 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zulässig, da weder zur hier maßgeblichen Frage der Auslegung des Kollektivvertrags eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt, noch die Regelung des Kollektivvertrags als eindeutig beurteilt werden kann, sodass die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO erfüllt sind (vgl RIS-Justiz RS0042819).

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach Anhang III Pkt 3.5 des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrt GmbH dahin auszulegen ist, dass die „mindestens dreijährige Erfahrung als Flugbegleiter bzw Flugbegleiterin“ auch durch eine Tätigkeit bei der AUA oder der Lauda Air nachgewiesen werden kann, ist aber im Ergebnis zutreffend. Hinsichtlich dieser Auslegung des Kollektivvertrags ist auf das Urteil des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Im Hinblick auf dieses Ergebnis ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zu den vermeintlichen Vorgaben für die Auslegung des Kollektivvertrags aus dem allgemeinen europarechtlichen Gleichheitsgrundsatz ohne Relevanz.

Den Ausführungen der Beklagten zur Auslegung des Kollektivvertrags ist ergänzend entgegenzuhalten:

Nach den Feststellungen sind die Tätigkeiten der Flugbegleiter(innen) bei allen drei genannten Fluglinien im Großen und Ganzen gleich. Sie tragen im Konzern die gleiche Kleidung und haben bei ihrem erstmaligen Einsatz eine Einschulungszeit von sechs bis acht Wochen. Bei einem Wechsel innerhalb des Konzerns gibt es nur eine verkürzte Einschulungsphase von knapp vier Wochen. Ziel dieser verkürzten Einschulungsphase ist es insbesondere, die Ausbildung auf den neuen Flugzeugtyp abzustimmen. Eine inhaltliche Unterscheidung der Tätigkeit besteht nicht.

Der hier maßgebliche Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrt GmbH hat verschiedene Anhänge, darunter den Anhang III „Gehalt/Verwendungsgruppenschema“ sowie den Anhang IV über die Senioritätsregelung.

Im Anhang III - Gehalts/ Verwendungsgruppenschema - finden sich unter Punkt 3 die Gehaltstabellen für das Bordpersonal, darunter auch jene für die Flugbegleiter(innen). Für die Flugbegleiter(innen)-Gehaltstabelle finden sich zwei Ansätze, und zwar für die Verwendungsgruppen A und B. Die Verwendungsgruppe A mit den niedrigeren Gehaltsansätzen sieht für maximal vier Jahre Ansätze vor, während die Verwendungsgruppe B mit der Überschrift „Flugbegleiter(in) mit mindestens drei Jahren Erfahrung“ für insgesamt 24 Jahre Gehaltsansätze aufweist.

Der Punkt 1.7 im Allgemeinen Teil des Anhangs III lautet wie folgt:

„Die Umstufung von A auf B erfolgt nach Vollendung des dritten Dienstjahres, d. h. genau drei Jahre nach der Einstellung als Flugbegleiter(in).“

Die Gliederung der Verwendungsgruppen im Punkt 2 des Anhangs III lautet wie folgt:

„Verwendungsgruppe Tätigkeitsbereich- Funktionsbeschreibung

A Flugbegleiterin

B Flugbegleiter(in) mit mindestens drei Jahren Erfahrung.

...“

Im Anhang IV finden sich Senioritätsregelungen, die auf das Senioritätsdatum abstellen, das mit dem Datum des Beginns der Anstellung als Bordpersonal definiert wird (Punkt 2.2.1 des Anhangs IV). Die Seniorität ist für Beförderungen, Kündigungen wegen Personalüberhangs, Dienstplanfragen, Urlaubsvergabefragen, Teilzeitvergabe-fragen etc maßgeblich.

Das Berufungsgericht hat seine Rechtsauffassung auf das Erfordernis einer sachgerechten, auf die konkrete Tätigkeit abstellenden Auslegung gestützt. Die Tätigkeit bei den Konzerngesellschaften sei im Wesentlichen die gleiche. Maßgeblich sei jedenfalls vorweg der Wortlaut der anzuwendenden Bestimmung, wobei der Begriff „nach der Einstellung“ in Punkt 1.7 des Anhangs III nicht ausdrücklich auf die Einstellung bei der Beklagten abstelle. Im Kern gehe es um den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten im Beruf, der sich in den verschiedenen Konzerngesellschaften nicht unterscheide. Der Oberste Gerichtshof habe auch schon in anderen Entscheidungen darauf abgestellt, welche konkreten Kenntnisse die Arbeitnehmer (damals: Piloten) mitbringen.

Rechtliche Beurteilung

Diese Auslegung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis zutreffend.

Der von der Beklagten relevierte Verfahrensmangel im Hinblick auf die fehlende Erörterung der überraschenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts zum allgemeinen europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist schon im Ansatz ohne Relevanz, da auf diesen im Weiteren nicht abgestellt wird.

Die normativen Bestimmungen von Kollektivverträgen sind objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB für die Auslegung von Gesetzen auszulegen (RIS-Justiz RS0010088). Es wird also in erster Linie aufgrund des Wortsinns im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen sowie der aus dem Text ersichtlichen Absicht der Kollektivvertragsparteien die Auslegung vorgenommen. Im Zweifel wird dabei unterstellt, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung schaffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und Ungleichbehandlung vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).

Grundsätzlich ist der Beklagten zuzugestehen, dass das Verhältnis der Bestimmungen des Punktes 1.7 des Anhangs III, der eine Umstufung nach Vollendung des dritten „Dienstjahres“ vorsieht, und des Punktes 2 des Anhanges III, der bei der Einstufung in die höhere Verwendungsgruppe B „mindestens drei Jahre Erfahrung“ verlangt, nicht eindeutig ist. Auch ist der Beklagten zuzugestehen, dass der Begriff der „Dienstjahre“ im Punkt 1.7 - anders als vom Berufungsgericht angenommen - eher auf eine unmittelbare Verwendung beim jeweiligen Arbeitgeber hindeutet.

Ohne Relevanz sind allerdings die Argumente der Beklagten aus dem Anhang IV über die Senioritätsregelung, da dort andere Fragestellungen erfasst werden und es dort zentral um die Herstellung einer Relation zwischen den einzelnen Arbeitnehmern im Betrieb geht (wer von mehreren Arbeitnehmern hat den Vorrang bei der Beförderung, bei der Urlaubseinteilung etc).

Zutreffend ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass die hier maßgeblichen Entgeltregelungen typischerweise auf die konkrete Tätigkeit und die Kenntnisse und Fähigkeiten in der betroffenen beruflichen Tätigkeit abstellen (RIS-Justiz RS0064956, zuletzt etwa 9 ObA 106/12x). Betrachtet man die für die Definition der Verwendungsgruppen für das Bordpersonal maßgebliche Regelung des Anhanges III.2, so wird für die Verwendungsgruppe B nur gefordert, dass die Flugbegleiter(innen) mindestens drei Jahre Erfahrung haben. Wo und bei wem sie diese Erfahrungen als Flugbegleiter(innen) gesammelt haben, wird nicht festgelegt. Wohl kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Erfahrungen handelt, die dem konkret bei der Beklagten geforderten Tätigkeitsprofil entsprechen. Dies kann aber nach den Feststellungen, wonach konzernweit im Wesentlichen einheitliche Standards bestehen und sich der Umschulungsbedarf im Wesentlichen nur aus dem Umstieg auf eine andere Flugzeugtype ergibt, durchaus bejaht werden.

Es bleibt daher bei der Unklarheit, die sich aus der im Rahmen der „Allgemeinen Bestimmungen“ befindlichen Regelung des Punktes 1.7 ergibt, wonach die Umstellung von der Gruppe A auf die Gruppe B nach Vollendung des dritten Dienstjahres, und zwar dort definiert als „genau drei Jahre nach der Einstellung als Flugbegleiter(in)“, ergibt.

Betrachtet man nun die übrigen Bestimmungen dieses allgemeinen Teils des Verwendungsgruppenschemas des Anhanges III, so finden sich darin verschiedene zeitliche Definitionen für den jeweiligen Umstieg von einer Verwendungsgruppe auf eine andere Verwendungsgruppe. So wird etwa im Punkt 1.4 für die Umstufung in die Verwendungsgruppe allgemein festgelegt, dass sie zu dem Tag zu erfolgen hat, an dem die Voraussetzungen für die Umstufung gegeben sind. Für die jährliche Vorrückung wird im Punkt 1.5 auf den 1. Jänner des jeweiligen Kalenderjahres (mit näheren Detailregelungen) abgestellt. Während diese Regelung für die vor dem 2. 6. 2008 eingestellten Dienstnehmer gilt, wird für die danach eingestellten Dienstnehmer wieder bei der Umstufung auf das jeweilige Eintrittsdatum bzw das Datum der Umstufung Bezug genommen (Punkt 1.6).

Vor diesem Hintergrund kann die Regelung des folgendes Punktes 1.7 im Wesentlichen als eine zeitliche Präzisierung angesehen werden, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass „genau“ drei Jahre nach der Einstellung als Flugbegleiter(in) die Umstufung zu erfolgen hat.

Auch ist beachtlich, dass die beiden Verwendungsgruppen für Flugbegleiter(innen) in der Entgelthöhe aufeinander aufbauen, das heißt, dass die Ansätze für das erste Jahr in der höheren Verwendungsgruppe B über jenen im letzten Jahr in der niedrigen Verwendungsgruppe A liegen. Zwei verschiedene Verwendungsgruppen (und nicht nur eine, die mit der niedrigsten Gehaltsgruppe der niedrigeren Verwendung beginnt und sich einfach fortsetzt) vorzusehen, ist aber vor allem dann sinnvoll, wenn es eben auch typischerweise denkbar ist, dass Flugbegleiter(innen) bereits von Anfang an bei der Beklagten in der höheren Verwendungsgruppe eingestuft werden, und zwar dann, wenn sie die entsprechenden Erfahrungen bei einer anderen Konzerngesellschaft erworben haben.

Im Ergebnis ist das Berufungsgericht daher zutreffend davon ausgegangen, dass sich schon aus der Auslegung des Kollektivvertrags die Berechtigung des Feststellungsbegehrens ableiten lässt.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG und §§ 50 und 41 ZPO.

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