OGH 13Os109/12x

OGH13Os109/12x20.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichthofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haberreiter als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Norbert L***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a (idF vor BGBl I 2010/104) FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. Mai 2012, GZ 9 Hv 142/11w-227, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Singer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Norbert L***** von der Anklage, er habe als für die steuerrechtlichen Angelegenheiten der E***** GmbH verantwortlicher Geschäftsführer im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Graz-Umgebung vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht für das Jahr 2005 Umsatzsteuer um 47.933,68 Euro und Körperschaftsteuer um 90.904,82 Euro verkürzt, indem er (in den Abgabenerklärungen für dieses Jahr) zu Unrecht Vorsteuer für Provisionszahlungen und Fremdleistungen abzog und diese als Betriebsausgaben geltend machte, „gemäß § 259 Z 3 StPO“ (vgl aber RIS-Justiz RS0120367) freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch jene der Finanzstrafbehörde, ist im Recht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde:

Da die Finanzstrafbehörde die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausgeführt und auch bei ihrer Anmeldung (ON 226 S 25) Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt bezeichnet hat (§ 285a Z 2 StPO), war dieses Rechtsmittel zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen (US 2 ff) bestand der Unternehmensgegenstand der vom Angeklagten im Tatzeitraum geführten E***** GmbH im Vertrieb und Verkauf von Fachbüchern sowie in der Organisation und Durchführung von Seminaren. In den Steuererklärungen für das Jahr 2005 hat der Angeklagte zu Unrecht Fremdleistungen (insbesondere Zahlungen von Provisionen und für Lehrgangsunterlagen) als Betriebsausgaben geltend gemacht. Die betriebliche Veranlassung dieser Zahlungen konnte nicht nachgewiesen werden. Beispielsweise wurden keine Vereinbarungen mit den angeblichen (durchwegs slowenischen) Provisionsempfängern vorgelegt und handelte es sich bei den als Zahlungsempfänger genannten Gesellschaften um bloße Domizilgesellschaften ohne Personal oder eigene Geschäftstätigkeit. Zudem wurden auf Grund nicht aufgeklärter Lückenhaftigkeit der Ausgangsrechnungen Zuschätzungen (vgl § 184 BAO) bei Umsatz und Gewinn der E***** GmbH vorgenommen.

In objektiver Hinsicht nahm das Erstgericht - von diesen noch hinreichend deutlichen Feststellungen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) ausgehend - an, dass durch diese Vorgangsweise Körperschaftsteuer in zu geringem Ausmaß erklärt und festgesetzt worden sei. Die Verkürzung von Umsatzsteuer ergebe sich - abgesehen von den Zuschätzungen - daraus, dass der Angeklagte in Anwendung des von § 19 Abs 1 zweiter Satz UStG angeordneten Übergangs der Steuerschuld („Reverse-Charge-System“) die auf angeblich von ausländischen Unternehmen erbrachte Leistungen entfallende Umsatzsteuer selbst berechnet, erklärt und gleichzeitig (im Hinblick auf den wahren Sachverhalt zu Unrecht) die entsprechende Vorsteuer abgezogen habe. Dass der Angeklagte dabei vorsätzlich gehandelt habe, sahen die Tatrichter jedoch nicht als erwiesen an (US 2 ff und 6).

Zu Recht kritisiert die Mängelrüge die Begründung des Schöffengerichts für die Verneinung des Vorsatzes (US 5 f) - deutlich genug - als offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall).

Die Tatrichter stützten diese Negativfeststellung im Wesentlichen auf die für unwiderlegbar gehaltene Verantwortung des Angeklagten, „er habe auf die Auskünfte seines steuerlichen Vertreters vertraut“, sowie auf eine von diesem ausgestellte Honorarnote, in der unter anderem die Positionen „Beratungsleistungen für Besprechung von Rechnungen der Vertriebspartner“, „Ergänzung ausarbeiten zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Vermittler in Österreich“ und „Erklärung zu Gewerbe- und Umsatzsteuer (Fragebogen für Vermittler)“ abgerechnet wurden (US 5 f). Sie gingen damit der Sache nach von einem Tatbildirrtum des Angeklagten in Form eines Irrtums über den sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Tatbestandsmerkmals (vgl RIS-Justiz RS0088950; 17 Os 14/12f; allgemein zum Tatbildirrtum bei Blankettstrafnormen Reindl in WK2 StGB § 5 Rz 51 f) der (Verletzung einer) abgabenrechtlichen Erklärungspflicht aus. Wie sich aus den Feststellungen zum objektiven Tathergang zwingend ergibt, ist das Erstgericht den Angaben des Angeklagten, das von ihm geführte Unternehmen habe im verfahrensgegenständlichen Ausmaß tatsächlich (betrieblich veranlasste) Leistungen slowenischer Vertriebspartner und Lieferungen von Schulungsunterlagen durch (operativ tätige) ausländische Unternehmen abgegolten (vgl ON 226 S 3 ff), gerade nicht gefolgt. Dass er über den insofern entgegen seiner Verantwortung festgestellten Sachverhalt nicht Bescheid gewusst hätte, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Die in diesem Zusammenhang maßgebliche Frage, ob der steuerliche Vertreter, der selbst übrigens die Aussage verweigert hat (vgl ON 226 S 11), nach Mitteilung des wahren Sachverhalts die - unter diesen Umständen falsche (in den Entscheidungsgründen allerdings nicht konkretisierte) - Rechtsauskunft erteilt hat oder diese auf (bewusst) unrichtiger Tatsachenmitteilung durch den Angeklagten beruhte, in welchem Fall ein Irrtum desselben im Einklang mit Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS-Justiz RS0118317) nicht ableitbar wäre (vgl 13 Os 105/08b, EvBl 2009/78, 515; 13 Os 46/11f), lassen die Tatrichter aber in Nichtigkeit (Z 5 vierter Fall) begründender Weise unbeantwortet.

Die zusammenfassende Passage, es sei aus den vorstehenden Erwägungen nicht davon auszugehen, dass der Angeklagte „die bewirkten Abgabenhinterziehungen wissentlich begangen hat“ (US 6), verfehlt zudem den in der Nichtannahme bedingten Vorsatzes gelegenen Bezugspunkt auf der Feststellungsebene (US 5) und enthält für diese solcherart gar keine Begründung.

Dieser Begründungsmangel erforderte die Aufhebung des Urteils samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Rückverweisung der Sache an das Erstgericht, weshalb sich eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens erübrigt.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass der von der Anklage erhobene Vorwurf der Hinterziehung von Umsatzsteuer im Ausmaß von 37.933,68 Euro auf der Annahme beruht, bei den Empfängern von der E***** GmbH in ihren Abgabenerklärungen als Betriebsausgaben geltend gemachter Provisionszahlungen habe es sich nicht um „ausländische“ Unternehmer (also solche ohne Wohnsitz, Sitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte im Inland) gehandelt, weshalb gar kein Anwendungsfall für einen Übergang der Steuerschuld (das so genannte „Reverse-Charge-System“) im Sinn des § 19 Abs 1 UStG vorgelegen sei (ON 206 S 11, in diesem Sinn auch US 4). Dies wäre die Grundlage (bloß) für die Versagung des vom Angeklagten aus diesem Titel für die E***** GmbH geltend gemachten Vorsteuerabzugs (vgl § 12 Abs 1 Z 3 UStG; Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/ Wakounig, UStG § 11 Rz 178 f; Schuchter/Kollmann in Melhardt/Tumpel UStG § 11 Rz 237).

Die Frage nach dem steuerrechtlichen Anknüpfungstatbestand, auf dessen Basis die E***** GmbH die korrespondierende (offenbar entrichtete) Umsatzsteuer schuldete, ist damit noch nicht beantwortet. In Betracht kommt die Bestimmung des § 11 Abs 14 UStG, die auf Grund ihres Sanktionscharakters eine (ausnahmsweise zulässige) Durchbrechung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer darstellt (RIS-Justiz RS0076272 [T1]; zum unionsrechtlichen Hintergrund Ruppe/Achatz, UStG4 § 11 Rz 121/1 mwN; zu dessen Bedeutung für das Finanzstrafrecht insbesondere EuGH 19. 9. 2000, C-454/98, Schmeink & Cofreth Rz 62) und die auch auf den - hier vorliegenden - Fall eines Umsatzsteuerausweises in (von der [behaupteten] Leistungsempfängerin ausgestellten) Gutschriften (§ 11 Abs 7 und 8 UStG) anzuwenden ist (stRsp des VwGH 25. 2. 1998, 97/14/0107 ua; Ruppe/Achatz, UStG4 § 11 Rz 149 mwN und § 19 Rz 13 und 19; Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG § 11 Rz 187, 201 und 218 f). Voraussetzung einer solchen Umsatzsteuerpflicht zufolge unberechtigten Steuerausweises in einer Rechnung ist jedoch, dass diese Rechnung (Gutschrift) die formalen Voraussetzungen des § 11 Abs 1 (nicht jedoch die materiellen des Abs 2) UStG erfüllt (stRsp des VwGH 25. 2. 2009, 2006/13/0128 ua; Ruppe/Achatz, UStG4 § 11 Rz 147; Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG § 11 Rz 216 f). Setzt die finanzstrafrechtliche Beurteilung die Beantwortung einer abgabenrechtlichen Vorfrage (hier nach dem Entstehen der Umsatzsteuerschuld) voraus, hat das Erkenntnisgericht auch die hiefür notwendige Sachverhaltsgrundlage (im Hinblick auf die Einhaltung der Rechnungskriterien bei den in Rede stehenden Gutschriften) festzustellen (13 Os 46/10d; 13 Os 161/11t).

Darauf wird - im Fall eines Schuldspruchs - insbesondere auch bei den übrigen Feststellungen zur objektiven Tatseite zu achten sein. Basiert etwa der Vorwurf, Körperschaftsteuer verkürzt zu haben, auf der Prämisse, dass in der Abgabenerklärung als Betriebsausgaben geltend gemachte Fremdleistungen bloß fingiert (oder zumindest nicht betrieblich veranlasst) waren, so ist genau dies unmissverständlich auf der Sachverhaltsebene zu klären; der Hinweis, dass Aufwendungen von der Abgabenbehörde „nicht anerkannt“ worden seien (vgl US 3 f), genügt diesem Anspruch nicht (vgl 13 Os 152/08i). Überdies wird gegebenenfalls zu beachten sein, dass § 53 Abs 1 lit b FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 (mit einer für die gerichtliche Strafbarkeit maßgeblichen Grenze eines strafbestimmenden Wertbetrags von mehr als 75.000 Euro) weiterhin anzuwenden ist, wenn das Verfahren vor Inkrafttreten der genannten Gesetzesnovelle (zum Beispiel) bei der Staatsanwaltschaft anhängig war (§ 265 Abs 1p FinStrG).

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