Spruch:
1. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens wird zurückgewiesen.
2. Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil einschließlich der unbeanstandet gebliebenen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.359,06 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin enthalten 226,51 EUR an USt) und die mit 1.172,84 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 163,14 EUR an USt und 194 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
In einem von der (hier) Beklagten gegen die (hier) Klägerin angestrengten Zivilprozess schlossen die Parteien am 4. Juni 2008 einen Vergleich, in dem sich die Klägerin im Punkt 1. zur Zahlung von 112.339,66 EUR sA bis längstens 15. Oktober 2008 verpflichtete. Laut Punkt 2. konnte sie sich von dieser Zahlungsverpflichtung befreien, wenn sie bis längstens 30. September 2008 (Valutatag) einen Betrag in Höhe von 20.000 EUR und monatliche Raten von jeweils 2.000 EUR beginnend mit 15. September 2008 und in den darauf folgenden Monaten jeweils bis zum Monatsfünfzehnten bezahlt bis ein Betrag von 127.000 EUR samt 5,75 % Zinsen seit 1. September 2008 abgezinst berechnet erreicht ist. Punkt 3. sieht vor: „Bei Nichtbezahlung des Betrages von EUR 20.000,00 bis längstens 30. 09. 2008 sowie bei Nichtbezahlung einer Monatsrate gemäß Punkt 2. nach eingeschriebener Mahnung und 14-tägiger Nachfrist tritt Terminverlust ein und ist der gesamte Betrag gemäß Punkt 1. abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution fällig.“ Alle Zahlungen sollten auf ein näher bezeichnetes Bankkonto geleistet werden.
Mit Schreiben vom 17. November 2008 machte der Vertreter der Beklagten den Klagevertreter darauf aufmerksam, dass die am 15. November 2008 fällig gewesene Teilzahlung von 2.000 EUR nicht bezahlt worden sei und räumte eine Nachfrist bis spätestens 3. Dezember 2008, einlangend auf seinem Anderkonto, ein. Der Klagevertreter erhielt dieses Schreiben noch am 17. November 2008 per Fax und am 18. November 2008 im Postweg.
Im Auftrag der Geschäftsführerin der Klägerin brachte ein Gesellschafter den Auftrag zur Überweisung der Novemberrate von 2.000 EUR auf das genannte Anderkonto am Montag, den 1. Dezember 2008, zur kontoführenden Bank der Klägerin, die die Überweisung am 5. Dezember 2008 durchführte. Am Samstag, den 6. Dezember 2008, erfolgte die Wertstellung am Anderkonto.
Am 19. Jänner 2011 bewilligte das Erstgericht der Beklagten aufgrund des Vergleichs zur Hereinbringung einer vollstreckbaren (Teil-)Forderung von 25.000 EUR sA die Fahrnis- und Forderungsexekution nach § 294 EO wider die Klägerin.
Die Klägerin begehrt, die bewilligte Fahrnis- und Forderungsexekution nach § 294a EO für unzulässig zu erklären. Der von der Beklagten angenommene Terminsverlust sei nicht eingetreten, weil die Mahnung der Klägerin im unzulässigen Umweg über den Klagevertreter erst am 21. November 2008 zugegangen sei und - unabhängig davon - die Überweisung der Rate für November 2008 am 1. Dezember 2008 und somit innerhalb der bis 3. Dezember 2008 gesetzten Nachfrist in Auftrag gegeben worden sei. Im Vergleich sei nur für die Rate über 20.000 EUR der 30. September 2009 als Valutatag vereinbart worden.
Die Beklagte bestritt und wendete ein, die Klägerin habe sich mit der am 15. November 2008 fällig gewesenen, jedoch erst am 6. Dezember 2008 am Konto des Beklagtenvertreters gutgeschriebenen Novemberrate in schuldhaften Zahlungsverzug befunden; nach dem Vergleichsinhalt sei der Valutatag maßgeblich. Die gemahnte Rate hätte daher bis spätestens 3. Dezember 2008 am Anderkonto des Beklagtenvertreters eingelangt sein müssen. Vor dem Titelprozess habe die Klägerin durch ihren Vertreter die ausschließliche Korrespondenzführung über diesen verlangt und dies nie widerrufen. Wegen eingetretenem Terminsverlust sei sie zur Exekutionsführung berechtigt gewesen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Obwohl die Mahnung eine Nachfrist bis zum 3. Dezember 2008 als Valutatag gesetzt habe, sei die Wertstellung jedoch erst am 6. Dezember 2008 erfolgt, wodurch der Terminsverlust verwirklicht worden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung der Impugnationsklage ab. Zunächst lehnte es die Rechtsansicht der Klägerin ab, die schriftliche Mahnung hätte nicht an ihren Vertreter gerichtet werden dürfen. Die Klägerin habe schon vor Einleitung des Titelprozesses von der Beklagten verlangt, „in der Angelegenheit ausschließlich“ mit ihrer anwaltlichen Vertretung zu korrespondieren und gar nicht behauptet, diese Bevollmächtigung jemals widerrufen zu haben. Nach dem Wortlaut des Vergleichs sei nur für die Rate von 20.000 EUR die Maßgeblichkeit des Valutatags vorgesehen. Die Erteilung des Überweisungsauftrags am 1. Dezember 2008 sei jedenfalls rechtzeitig, weshalb kein Terminsverlust gegeben sei. Nach hA zu § 905 ABGB komme es nur auf die Erteilung des Auftrags zur Überweisung an, sofern sie - wie hier - als gedeckt behandelt werde; das Einlangen des Betrags am Anderkonto des Beklagtenvertreters wirke nämlich auf diesen Zeitpunkt zurück. Berücksichtige man die Zahlungsverzugs-RL (2000/35/EG) und die dazu ergangene Entscheidung des EuGH zu AZ C-306/06 , wonach bei Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers innerhalb der Zahlungsfrist gutgeschrieben werden müsse, um den Eintritt von Verzugsfolgen zu vermeiden, sowie die auf dieser Basis ergangenen Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofs, läge eine rechtzeitige Zahlung vor, weil die Klägerin damit rechnen habe können, dass der Betrag nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge am letzten Tag der Frist bei der Beklagten einlangen werde. Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil in der höchstgerichtlichen Judikatur und der Lehre die Frage der richtlinienkonformen Auslegung des § 905 ABGB offen gelassen worden und auch eine Auslegung möglich sei, dass es bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit von Überweisungen auf den Zeitpunkt der Durchführung des Überweisungsauftrags durch die beauftragte Bank ankomme.
Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils an, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung an die zweite oder erste Instanz. Die Klägerin habe sich mit der Novemberrate im Zahlungsverzug befunden, der nur bei zeitgerechtem Einlangen am 3. Dezember 2008 beendet worden wäre. Auch nach der Zahlungsverzug-RL komme es ausschließlich darauf an, dass der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben werde. Eine Grundlage für die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge annehmen können, ihre Überweisung werde am (2., gemeint wohl) 3. Dezember 2008 beim Vertreter der Gegenseite einlangen, finde sich im Berufungsurteil nicht. Schließlich fehle jede Sachverhaltsgrundlage für die Ansicht der zweiten Instanz, die Überweisung sei als gedeckt behandelt worden.
In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin die Zurückweisung der Revision als verspätet und unzulässig, allenfalls ihr nicht Folge zu geben. Mangels Zahlungsverzug der Klägerin vor Ablauf der Nachfrist sei die Zahlungsverzug-RL gar nicht anzuwenden, die überdies nur die Verzugszinsen regle. Auch bei deren Geltung fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass sie damit rechnen habe müssen, der Überweisungsbetrag werde erst am 6. Dezember 2008 bei der Beklagten einlangen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Rechtzeitigkeit der Zahlung der eingemahnten Rate im Rahmen der allseitigen rechtlichen Prüfpflicht des Obersten Gerichtshofs nicht aufrecht zu erhalten ist, und deshalb auch berechtigt:
1. Den Einwänden in der Revisionsbeantwortung, die Revision sei verspätet und es fehle die Darlegung der Erheblichkeit der Rechtsfrage, kommt keine Berechtigung zu.
Die Zustellung der Berufungsentscheidung erfolgte am 23. Juli 2012. Die Revision der Beklagten wurde am 20. August 2012 elektronisch eingebracht, also innerhalb der vierwöchigen Frist des § 507a Abs 1 ZPO.
Das in § 506 Abs 1 Z 5 ZPO genannte Inhaltserfordernis, in der Revision gesondert die Gründe nennen zu müssen, warum die Revision für zulässig erachtet wird, gilt nach dem Gesetzeswortlaut unmissverständlich nur für außerordentliche Revisionen, brauchte also von der Beklagten hier nicht beachtet zu werden.
2. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Wirksamkeit der schriftlichen Mahnung der rückständigen Novemberrate 2008 sei mit dem Eingang beim Klagevertreter eingetreten, tritt die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung nicht mehr entgegen, sodass auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).
3. In der Sache ist zu beurteilen, welche Verzugsfolgen sich aus dem von der klagenden Partei zu erfüllenden Titel, einem gerichtlichen Vergleich, ergeben, in dem der Klägerin die Möglichkeit zur ratenweisen Erfüllung ihrer diesfalls höheren Zahlungspflicht geboten wurde und der eine besondere Regelung für den Verzugsfall vorsieht. Es geht daher um die Auslegung dieser Vereinbarung iSd § 914 ABGB.
3.1. Dabei kommt dem - auch von der Beklagten schon in erster Instanz relevierten - Umstand Bedeutung zu, dass der Vergleich (nur) für die (erste darin erwähnte) Rate von 20.000 EUR ausdrücklich vorsieht, dass der Fälligkeitstag jener Tag ist, an dem der Betrag am bekanntgegebenen Konto des Beklagtenvertreters gutgeschrieben sein muss (arg „Valutatag“). Es ist aber kein vernünftiger Grund zu erkennen, warum daraus der Umkehrschluss gezogen werden müsste, dass bei den weiteren Raten nicht auf den Valutatag abgestellt werden sollte; im Gegenteil kann angenommen werden, dass redliche Parteien diese Regelung auch für die weiteren im Vergleich genannten Raten angewendet wissen wollten, vor allem wo die Höhe der weiteren Raten mit 2.000 EUR viel geringer ist als die erste Zahlung. Einen vernünftigen Grund für ein Abweichen vermag auch die Klägerin, die sich ebenso wie das Berufungsgericht auf einen Verweis auf den Wortlaut des Vergleichs beschränkt, nicht zu nennen. Schon diese Überlegung lässt es zweifelhaft erscheinen, dass der Wortlaut des Vergleichs den Schluss zulässt, dass es für die weiteren Raten nicht auf den Valutatag ankommen sollte.
Dies gilt im Besonderen für den vorgesehenen Terminsverlust, der - in für die Klägerin als bereits säumige Schuldnerin besonders günstiger Weise - für dessen Eintritt nicht (nur) den Verzug mit einer Rate genügen lässt, sondern darüber hinaus ein Tätigwerden des Gläubigers verlangt, nämlich eine schriftliche Mahnung mit Gewährung einer 14-tägigen Nachfrist. Diese Bedingung hat die beklagte Partei eingehalten. In einer solchen Situation, in der sich der Schuldner schon in Verzug befindet, erwartet sich der Gläubiger in aller Regel, dass er am Endtermin über den aushaftenden Geldbetrag verfügen kann (vgl Binder in Schwimann3 § 905 ABGB Rz 38 mwN). Um den Eintritt des nach dem Inhalt der Gesamtregelung ohnehin hinausgezögerten Terminsverlusts rasch und verlässlich klären zu können, entspricht daher ein Abstellen auf das Einlangen am genannten Konto des Gläubigers der Übung des redlichen Verkehrs.
3.2. Ergebnis der Auslegung des Vergleichs ist somit, dass die Rechtzeitigkeit aller vorgesehenen Ratenzahlungen und der (Nicht-)Eintritt des Terminsverlusts nach dem Einlangen des jeweiligen Betrags am Konto des Beklagtenvertreters zu beurteilen ist.
4. Daraus folgt, dass die von der Beklagten (nach dem Inhalt des Vergleichs ausreichend und mit dem zutreffenden Hinweis auf die Notwendigkeit des rechtzeitigen Einlangens am Konto des Beklagtenvertreters) gewährte Frist zur Zahlung der rückständigen Rate für November 2008 nur bei Einlangen des Betrags von 2.000 EUR spätestens am 3. Dezember 2008 gewahrt worden wäre. Da dies nach den Feststellungen nicht der Fall war, trat jedenfalls mit Ablauf des 3. Dezember 2008 der vereinbarte Terminsverlust ein.
5. Die Überlegungen des Berufungsgerichts zur gesetzlichen Regelung des § 905 Abs 2 ABGB und der dazu ergangenen Judikatur übersehen, dass diese Vorschrift nachgiebiges Recht enthält, weshalb es den Parteien unbenommen bleibt, davon abweichende und deshalb vorrangige Regelungen zu treffen (RIS-Justiz RS0017652; vgl RS0017683 [„… mangels gegenteiliger Vereinbarung ...“]).
6.1. Zur Wirkung der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung des EuGH vom 3. April 2008, Rs C-306/06 , 01051 Telecom GmbH gegen Deutsche Telekom AG, auf die hier vorzunehmende Vertragsauslegung ist Folgendes zu bedenken:
Diese EuGH-Entscheidung ist zur Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl 2000 L 200/35, ergangen, die kein umfassendes Verzugsregime vorsieht, sondern im Wesentlichen nur den Verzugszins für bestimmte Geldforderungen regelt (siehe Rz 21 der Urteilsgründe; 4 Ob 90/09b); Gsell, Rechtzeitigkeit der Zahlung per Banküberweisung und Verzugsrichtlinie, GPR 2008, 165 [166]). Verzugsfolgen, wie sie im vorliegenden Fall zu beurteilen sind, sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht umfasst.
6.2. Der Antrag der Beklagten auf Einholung einer Vorabentscheidung ist im Übrigen schon aus formalen Gründen zurückzuweisen, weil allein das Gericht von Amts wegen zu entscheiden hat, ob der Gerichtshof der Europäischen Union nach Art 234 EG anzurufen ist; die Parteien können ein solches Ersuchen nur anregen (RIS-Justiz RS0058452 [T1, T14 und T16]). Dafür bestand aber in der Sache kein Anlass (vgl Punkt 3. und 6.1.).
7. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin mit dem Eingang ihrer Zahlung der Rate für November 2008 erst am 6. Dezember 2008 am Konto des Beklagtenvertreters den Eintritt des vereinbarten Terminsverlusts mit Ablauf des 3. Dezember 2008 nicht verhindern konnte.
Darauf, dass es eine geringfügige Überschreitung der Leistungsfrist bei der Vergleichserfüllung nicht gerechtfertigt erscheinen lasse, die Verzugsfolgen eintreten zu lassen (vgl RIS-Justiz RS0108837; RS0018357 [T2]), hat sich die Klägerin, die ja bereits mit der vierten Rate in Verzug geriet, gar nicht berufen; vielmehr beharrte sie auf der Rechtzeitigkeit ihrer Zahlung.
Der von der Klägerin geltend gemachte Impugnationsgrund liegt daher nicht vor. Die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts erweist sich daher als im Ergebnis zutreffend. Deshalb war der Revision im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils einschließlich der unbeanstandet gebliebenen Kostenentscheidung Folge zu geben.
8. Der Kostenersatzanspruch der Beklagten im Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Sie hat die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung und der Revision richtig verzeichnet.
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