OGH 10ObS147/12h

OGH10ObS147/12h20.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Hach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E***** A*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. August 2012, GZ 10 Rs 20/12b‑14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:010OBS00147.12H.1120.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger bezieht eine befristete Invaliditätspension und Ausgleichszulage. Seine Ehefrau und seine Kinder leben in der Türkei. Er strebt mit seiner Klage die Bemessung der Ausgleichszulage unter Zugrundelegung des Familienrichtsatzes (§ 293 Abs 1 lit a sub lit aa ASVG) und dessen Erhöhung für Kinder (§ 293 Abs 1 Satz 2 ASVG) an.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des über die mit Bescheid der beklagten Partei zuerkannte Höhe der Ausgleichszulage hinausgehenden Klagebegehrens.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist durch die von ihm ausführlich wiedergegebene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt.

Der Oberste Gerichtshof verneint in ständiger Rechtsprechung Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Familienrichtsatzes (RIS‑Justiz RS0084859). Das geltende Pensionsversicherungssystem bringt es mit sich, dass bei kurzer Versicherungsdauer oder sehr niedriger Bemessungsgrundlage die Pension nicht mehr das konventionelle Existenzminimum deckt. Dieses wird sozialversicherungsrechtlich nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz generell festgelegt. Erreichen Bruttopensionen und sonstige Nettoeinkommen des Pensionisten und seines im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten diesen Richtsatz nicht, erhält der Versicherte einen Rechtsanspruch auf eine Ausgleichszulage in der Höhe der Differenz zwischen diesem Gesamteinkommen und dem Richtsatz. Dem Pensionsbezieher wird somit das vom Gesetz vorgesehene Existenzminimum durch Ausgleichszulage gesichert. Andere Personen sind bezüglich der Sicherung ihrer existenziellen Bedürfnisse auf Ansprüche aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung verwiesen. Ehegatten, die im gemeinsamen Haushalt leben, werden vom Gesetzgeber als Wirtschaftsgemeinschaft behandelt; mit Rücksicht darauf, dass bestimmte fixe Kosten auch bei gemeinsamer Lebensführung nur einfach auflaufen, liegt der Familienrichtsatz auch nicht unerheblich unter der Summe der Richtsätze für zwei getrennt lebende Personen. Die Sicherung des Existenzminimums für beide Ehegatten erfolgt damit, sofern zumindest einer von beiden eine Pension bezieht, in diesem Fall im Weg der Ausgleichszulage. Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber die Maßnahme auf den Fall beschränkt, in dem die Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben. Diese Vorgangsweise ermöglicht auch die Berücksichtigung des Einkommens des anderen Ehegatten in den Fällen, in denen der Familienrichtsatz zur Anwendung kommt. Er trägt auch dem Umstand Rechnung, dass dann, wenn die Ehegatten getrennt leben, die Höhe der Bedürfnisse jedes einzelnen höher liegt als der Hälfte des Familienrichtsatzes entspricht. Zwischen dem Fall, in dem zwei Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben und dem Fall, in dem Ehegatten, aus welchen Gründen immer, getrennt leben, bestehen wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen, die eine unterschiedliche gesetzliche Regelung rechtfertigen. Weshalb der österreichische Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet wäre, das Existenzminimum der Ehefrau des Klägers in der Türkei zu sichern, wird in der Revision nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausführlich dargelegt hat, gebührt die Erhöhung des Richtsatzes für Kinder nur für jene Kinder, die sich im Inland aufhalten. Die familienrechtliche Unterhaltspflicht wird in einem solchen Fall nur dadurch berücksichtigt, dass auch für ein solches Kind iSd § 252 ASVG nach § 262 Abs 1 ASVG ein Kinderzuschuss gebührt. Auf die Gründe, aus denen die Kinder des Pensionisten nicht in Österreich leben, kommt es dabei nicht an (10 ObS 109/90 SSV‑NF 4/59 = SZ 63/44 = RIS‑Justiz RS0085269).

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es nicht gleichheitswidrig ist, wenn die Ausgleichszulage deshalb nicht gebührt, weil die betreffenden Personen dauernd im Ausland leben (vgl § 292 Abs 1 ASVG; VfGH G 165/08 VfSlg 18.885). Deshalb bestehen auch keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verknüpfung der Erhöhung des Richtsatzes an den Aufenthalt des Kindes in Österreich.

Der EuGH hat in der Rechtssache C‑160/02, Skalka, entschieden, dass die Ausgleichszulage eine beitragsunabhängige Sonderleistung iSv Art 4 Abs 2a VO (EWG) 1408/71 ist und daher nach deren Art 10a Abs 1 nicht auch bei einem Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat bezahlt werden muss. An die Stelle der VO 1408/71 ist die VO (EG) 883/2004 getreten. Art 3 Abs 3 dieser Verordnung stellt klar, dass die bisher in Art 4 Abs 2a VO 1408/71 normierten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen unter den Geltungsbereich der Verordnung fallen. Dieser Leistungstypus ist in Art 70 VO 883/2004 geregelt. Die Ausgleichszulage wurde als eine die Voraussetzungen einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung iSd Art 70 VO 883/2004 erfüllende Leistung in den Anhang X dieser Verordnung aufgenommen. Der Revisionswerber macht nicht geltend, dass die Ausgleichszulage nicht eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung iSd Art 70 VO 883/2004 ist. Gemäß Art 70 Abs 4 VO 883/2004 werden besondere beitragsunabhängige Geldleistungen ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Demnach widerspricht die Beschränkung des Anspruchs auf Personen mit einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nicht dem koordinierenden EU‑Sozialrecht.

Der Kläger behauptet erstmals in der Revision, türkischer Staatsbürger zu sein. Als solcher fällt er nicht in den persönlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 . Diese Verordnung gilt nämlich nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen (Art 2 der VO).

Da der Kläger nach eigenem Bekunden nicht Unionsbürger, sondern türkischer Staatsbürger ist, kann er sich nicht auf die europäischen Verträge, insbesondere nicht auf Art 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) berufen (Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht5 Art 45 Rz 11).

Aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrates vom 19. 9. 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige ist für den Kläger nichts zu gewinnen, wird er doch in § 292 Abs 1 und § 293 Abs 1 lit a ASVG nicht anders als ein österreichischer Staatsbürger behandelt, weil diese Bestimmungen nicht auf die Staatsbürgerschaft des Pensionisten abstellen.

Der Kläger meint, die durch die nationale Fremdenrechtsgesetzgebung erzwungene getrennte Haushaltsführung und die Verweigerung des erhöhten Ausgleichszulagenrichtsatzes für Familienangehörige im Heimatstaat stelle eine Kürzung des Pensionsanspruchs des Klägers dar und verstoße gegen Art 14 EMRK iVm Art 1 ihres 1. Zusatzprotokolls. Weshalb die präjudiziellen Bestimmungen des § 293 Abs 1 ASVG nicht verfassungsmäßig sein sollen, weil der Kläger nach seinen Behauptungen aufgrund fremdenrechtlicher Normen die ‑ verfassungsrechtlich unbedenklichen - Voraussetzungen für die von ihm begehrte höhere Ausgleichszulage nach diesen Bestimmungen nicht schaffen kann, wird nicht dargetan und ist auch nicht erkennbar.

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