OGH 10Ob16/12v

OGH10Ob16/12v23.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 11. September 2006 verstorbenen E***** B*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin N***** M*****, vertreten durch MMag. Dr. Michael Dohr LL.M. und andere Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Dezember 2011, GZ 42 R 501/11d‑170, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 31. August 2011, GZ 2 A 334/07g‑161, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die (Revisions‑)„Rekursbeantwortung“ der Erben N***** B***** und E***** B***** Privatstiftung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

In der Verlassenschaftssache nach der am 11. 9. 2006 verstorbenen E***** B***** gaben ihre Adoptivtochter N***** B***** und die E***** B***** Privatstiftung je zur Hälfte des Nachlasses unbedingte Erbantrittserklärungen aufgrund letztwilliger Verfügungen vom 28. 6. 2000 und 7. 1. 2004 ab; die Antragstellerin gab aufgrund eines (weiteren) Testaments vom 16. 8. 2006 zum gesamten Nachlass eine bedingte Erbantrittserklärung mit der Rechtswohltat des Inventars ab (vgl 10 Ob 56/08w [ON 67]) und legte das Original dieses Testaments vor.

Die Testamentserben N***** B***** und E***** B***** Privatstiftung obsiegten im Erbrechtsstreit gegen die Antragstellerin und die Verlassenschaft wurde ihnen je zur Hälfte eingeantwortet. Der Einantwortungsbeschluss ist mittlerweile in Rechtskraft erwachsen (ON 145 und ON 165).

Die Antragstellerin wurde hingegen ‑ auch bereits rechtskräftig ‑ (ua) wegen Fälschung des Testaments vom 16. 8. 2006 nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt (ON 112). Am 30. 8. 2011 (ON 160) beantragte sie die Ausfolgung des im Safe des Erstgerichts verwahrten Originaltestaments an ihre Rechtsanwältin.

Dazu brachte die Antragstellerin vor, sie habe die Freiheitsstrafe noch nicht angetreten, weil sie am 16. 3. 2011 einen Wiederaufnahmeantrag eingebracht habe und ihr bis zur Rechtskraft der Entscheidung darüber Strafaufschub gewährt werde. Mittlerweile habe sie ca 15 neue Unterschriftenproben der Verstorbenen auf Kreditkartenbelegen besorgt, um durch Einholung eines neuen Schriftgutachtens beweisen zu können, dass das von der Antragstellerin vorgelegte Testament echt sei.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Das Verfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, weil die eingeantworteten Testamentserben gegen die Gebühren des Gerichtskommissärs Rekurs erhoben hätten. Im Hinblick auf die jeweils auf die Verwahrung des Originals letztwilliger Anordnungen abstellenden Bestimmungen (§ 152 AußStrG, § 168 Geo und § 111 NO) könne auch verfahrensbeteiligten Personen nur eine Abschrift oder Kopie, nicht aber die Originalurkunde des Testaments vom Abhandlungsgericht ausgefolgt werden.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Es handle sich bei den letztwilligen Verfügungen um Urkunden des Erblassers, nicht um solche der Beteiligten im Abhandlungsverfahren. Daher seien die Bestimmungen des § 152 Abs 3 AußStrG und der §§ 168 und 173 Z 7 Geo einschlägig. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens seien diese Urkunden nicht gemäß § 169 Geo an die Parteien zurückzustellen, sondern gemäß § 173 Z 7 Geo „dauernd aufzubewahren“.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im stattgebenden Sinn abzuändern, in eventu, die Ausfolgung auf die Dauer der Gutachtenserstattung gegen Hinterlegung einer beglaubigten Abschrift zu bewilligen; hilfsweise wird auch noch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin meint, das verwahrte Originaltestament hätte aus „triftigen Gründen“ (allenfalls nur vorübergehend) ausgefolgt werden müssen. Dazu beruft sich die Antragstellerin zum einen auf § 169 Abs 1 Geo, wonach Urkunden, die für eine Entscheidung verwertet wurden oder dafür in Betracht kommen können, (zwar) bis zur Rechtskraft der Entscheidung beim Akt zurückzubehalten sind, jedoch auch schon vor dem Abschluss des Verfahrens aus solchen Gründen ausgefolgt werden können; zum anderen auf § 168 Abs 7 Geo, wonach im Fall von Ersuchen anderer Gerichte oder Behörden „zur“ (gemeint: um) Ausfolgung von Originalen, die im Urkundenverzeichnis verzeichnet sind, Urschriften in der bezeichneten Form eingeschrieben übermittelt werden, wenn eine beglaubigte Abschrift an ihrer Stelle in das Urkundenverzeichnis eingelegt werde.

1. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass mit Beschluss des Erstgerichts vom 14. 9. 2011 einem solchen Ersuchen des Landesgerichts für Strafsachen Wien (um Übermittlung des Testaments vom 16. 8. 2006 „im Original“) ohnehin bereits entsprochen wurde (ON 163, 164).

2. Davon abgesehen ist dem Revisionsrekurs zu erwidern, dass ‑ nach dem klaren Wortlaut der hier anzuwendenden Bestimmungen ‑ Urschriften von letztwilligen Verfügungen bei Gericht „zu verwahren“ sind (§ 152 Abs 3 AußStrG; § 168 Abs 1 Geo), was bedeutet, dass diese wichtigen Urkunden gemäß § 173 Z 7 Geo ausdrücklich „dauernd aufzubewahren“, also nicht wieder auszufolgen sind.

3. Nach dem in § 168 Abs 1 Geo (noch) zitierten § 68 Abs 1 AußStrG aF sollten „die Originalien der über letztwillige Anordnungen errichteten Urkunden in der Registratur, auf die in der Geschäftsordnung vorgeschriebene Weise strenge verwahrt werden“ und war gemäß Abs 2 leg citvon jeder solchen Urkunde sogleich nach der Kundmachung eine beglaubigte Abschrift zu verfassen und den Abhandlungsakten beizulegen“. Im neuen AußStrG (BGBl I 2003/111) wurde eine entsprechende Bestimmung nunmehr in dessen § 152 Abs 2 und 3 aufgenommen. In den Materialien (RV 224 BlgNR 22. GP 98) wurde hiezu ausdrücklich festgehalten, dass „keine neuen Regeln ... für die Aufbewahrung der Urkunden vorgesehen werden, weil sich die derzeitigen, in der NO und der Geo vorgesehenen Regeln durchaus bewährt haben. ...“ (Danzl, Geo.4 § 168 Anm 4a).

4. Nach den hier maßgebenden Bestimmungen könnte also auch verfahrensbeteiligten Personen ‑ wie das Erstgericht zutreffend erkannte ‑ nur eine Abschrift oder Kopie, nicht aber die Originalurkunde eines Testaments vom Abhandlungsgericht ausgefolgt werden, weshalb ein darauf gerichteter Antrag abzuweisen ist (Danzl aaO § 168 Anm 4b mwN; vgl auch § 177 Anm 2).

4.1. Dem Revisionsrekurs ist daher ‑ mangels Berechtigung des Anspruchs auf Ausfolgung ‑ ein Erfolg zu versagen.

5. Die Revisionsrekursbeantwortung der Erbinnen ist nach folgenden Grundsätzen, die bereits zu 10 Ob 15/11w dargelegt wurden, zurückzuweisen:

5.1. Im außerstreitigen Verfahren ist Partei im materiellen Sinn jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (§ 2 Abs 1 Z 3 AußStrG). Der möglicherweise gegebene Eingriff muss zu einer unmittelbaren Beeinflussung der rechtlichen Stellung führen, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Eine bloße Reflex- oder Tatbestandswirkung reicht nicht aus (RIS‑Justiz RS0123028; RS0120841). Im Kern geht es darum, dass nicht jedes rechtlich geschützte Interesse Parteistellung im konkreten Verfahren vermittelt, sondern nur jenes, dessen Schutz das konkrete Verfahren dient. Entscheidend ist, wer bzw wessen Stellung durch das jeweilige Verfahren (und die dort anzuwendenden Normen) geschützt werden soll (RIS‑Justiz RS0123028 [T2]; Fucik/Kloiber, AußStrG § 2 Rz 2; Klicka/Oberhammer/Domej, Außerstreitverfahren, Rz 82). Die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG ist eng auszulegen (RIS-Justiz RS0123029).

5.2. Das zu 10 Ob 15/11w dargelegte Erfordernis schließt also solche Personen von der Zuerkennung der Parteistellung aus, die von bloßen „Reflexwirkungen“ bzw Tatbestandswirkungen betroffen werden (Rechberger in Rechberger AußStrG § 2 Rz 10; Fucik/Kloiber, AußStrG, 43 sowie § 2 Rz 2 [beide mit Hinweis auf ErläutRV 22 f]); diese Wirkungen reichen ‑ mangels unmittelbarer Beeinflussung der rechtlichen Stellung des Einschreiters ‑ eben nicht aus, eine materielle Parteistellung zu begründen (RIS-Justiz RS0123028 [T2]; 4 Ob 119/11w; 5 Ob 59/11d; 6 Ob 42/12p).

5.3. Auch wenn nach einem Freispruch der Antragstellerin im „wohl anschließenden Erbschaftsprozess“ ebenfalls die Echtheit des Testaments neu geprüft werden muss ‑ wie die Rechtsmittelgegnerinnen vorbringen ‑ , kommt den Erbinnen im Verfahren über den Ausfolgungsantrag (entgegen dem Standpunkt der Revisionsrekursbeantwortung) keine materielle Parteistellung zu: Begründet doch nach Lehre und Rechtsprechung die hier behauptete bloße Reflexwirkung regelmäßig weder die nötige unmittelbare Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen (vgl RIS‑Justiz RS0006611 [T13, T20]; RS0120841 [T1 bis T4] und RS0041401 [zur Tatbestands‑ oder Reflexwirkung eines Urteils]) noch einen Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl RIS‑Justiz RS0120841; RS0123028; 6 Ob 42/12p und jüngst: Fucik, Rechtliches Gehör im Verfahren außer Streitsachen, ÖJZ 2012, 891).

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