OGH 13Os66/12y

OGH13Os66/12y18.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haberreiter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Karl‑Heinz G***** und andere Beschuldigte wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG aF, AZ 12 St 20/11m der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), über die gegen die jeweils am 13. Februar 2012 gefassten Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien, AZ 18 Bs 161/11z und AZ 18 Bs 267/11p, 18 Bs 276/11m (ON 131 und 132 des Ermittlungsakts) sowie einen weiteren Vorgang von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, sowie des Verteidigers Dr. Ainedter und des Verteidigers und Vertreters von Beteiligten Dr. Radinsky zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wien, AZ 611 St 14/11h (nunmehr AZ 12 St 20/11m der WKStA), gegen Mag. Karl-Heinz G***** und andere Beschuldigte wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 verletzen

1) der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. Februar 2012, AZ 18 Bs 161/11z (ON 131),

a) im Ausspruch II, soweit damit den Beschwerden des Dr. Peter H*****, der D***** T***** GmbH, der D***** A***** GmbH und der D***** S***** GmbH zur Gänze und der Beschwerde des Mag. Karl‑Heinz G***** teilweise Folge gegeben wurde, und

b) im Ausspruch III und

2) der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. Februar 2012, AZ 18 Bs 267/11p, 276/11m (ON 132),

jeweils § 119 Abs 1 StPO sowie

3) die formlose Überweisung des Einspruchs des Mag. Karl‑Heinz G***** „wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO wegen rechtswidriger Durchführung der Hausdurchsuchung“ (ON 44) durch das Oberlandesgericht Wien an das für zuständig erachtete Landesgericht für Strafsachen Wien § 106 Abs 2 zweiter Satz StPO.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien führte zum AZ 611 St 14/11h (nunmehr AZ 12 St 20/11m der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption) ua gegen Mag. Karl-Heinz G***** und Dr. Peter H***** ein Ermittlungsverfahren wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104.

Mit Beschluss vom 25. Mai 2011 (ON 29 des Ermittlungsakts) bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien (unter anderem) die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung von Orten (§ 119 Abs 1 StPO) an den Adressen 1*****, R***** (Sitz der D***** T***** GmbH und der D***** A***** GmbH) und 1*****, S***** (Wohnsitz des Dr. Peter H*****), jeweils samt den zugehörigen Nebengebäuden und -räumlichkeiten sowie Kellerabteilen und Dachböden. Weiters bewilligte dieses Gericht mit Beschluss vom 26. Mai 2011 (ON 30) die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung von Orten in 1*****, S***** (Filiale der B*****), eingeschränkt auf den Tresorraum und das Schließfach, in welchem die Datensicherungsbänder der D***** T***** GmbH und der D***** A***** GmbH aufbewahrt wurden.

Den gegen den erstgenannten Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. Mai 2011 (ON 29) erhobenen Beschwerden des Dr. Peter H*****, der D***** T***** GmbH, der D***** A***** GmbH und der D***** S***** GmbH gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 13. Februar 2012, AZ 18 Bs 161/11z (ON 131), der auch weitere (hier nicht relevante) Aussprüche enthält, zur Gänze sowie der Beschwerde des Mag. Karl‑Heinz G***** teilweise Folge, indem der angefochtene Beschluss, soweit er die Durchsuchung der Örtlichkeiten 1*****, R***** und 1*****, S*****, betraf, aufgehoben und die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung dieser Örtlichkeiten nicht bewilligt wurde. In Stattgebung der Einsprüche des Dr. Peter H*****, der D***** T***** GmbH, der D***** A***** GmbH und der D***** S***** GmbH stellte das Beschwerdegericht überdies fest, dass die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung der Örtlichkeiten 1*****, R*****, und 1*****, S*****, das Gesetz in § 144 Abs 2 und Abs 3 StPO iVm § 157 Abs 1 Z 2 StPO verletzt.

Einen Einspruch des Mag. Karl‑Heinz G***** „wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO wegen rechtswidriger Durchführung der Hausdurchsuchung“ überwies das Beschwerdegericht formlos an das für zuständig erachtete Landesgericht für Strafsachen Wien (ON 131 S 33 bis 37, 51), dessen Einzelrichterin (§ 31 Abs 1 StPO) über diesen Einspruch zwischenzeitig bereits entschieden und eine Verletzung subjektiver Rechte des Beschuldigten festgestellt hat (ON 178).

Mit ‑ in den hier wesentlichen Entscheidungsgründen gleichlautendem ‑ Beschluss vom 13. Februar 2012, AZ 18 Bs 267/11p, 276/11m (ON 132), gab das Oberlandesgericht Wien auch den Beschwerden der D***** T***** GmbH, der D***** A***** GmbH, der D***** S***** GmbH, der D***** V***** GmbH, der D***** C***** GmbH, der D***** F***** GmbH, der A***** GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, der Ö***** W***** GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, der W***** GmbH, der S***** & S*****gesellschaft mbH und der SST S***** & S*****gesellschaft mbH gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. Mai 2011 (ON 30) Folge und sprach aus, dass die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft nicht bewilligt werde. Mit Bezugnahme auf die Einsprüche der genannten Betroffenen wegen Rechtsverletzung stellte das Oberlandesgericht weiters fest, dass die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung das Gesetz in § 144 Abs 2 und Abs 3 StPO iVm § 157 Abs 1 Z 2 StPO verletze.

Das Beschwerdegericht konstatierte jeweils einen Tatverdacht in Richtung der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104, und zwar sowohl gegen Mag. Karl‑Heinz G***** (ON 131, insbesondere S 30) als auch gegen Dr. Peter H***** (als Beitragstäter nach § 11 dritter Fall FinStrG; ON 131 S 45 sowie ON 132 S 32), stellte aber hinsichtlich des Letztgenannten (als berufsberechtigtem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und daher nach § 91 WTBG zur Verschwiegenheit bezüglich der ihm anvertrauten Angelegenheiten verpflichtetem Wirtschaftstreuhänder bzw „Berufsgeheimnisträger“ im Sinn des § 157 Abs 1 Z 2 StPO; siehe ON 131 S 39 f, ON 132 S 26 f) fest, dass die von § 144 Abs 3 StPO zur Durchbrechung des in § 144 Abs 2 StPO normierten Umgehungsverbots geforderte dringende Verdachtslage fallbezogen nicht vorliege (ON 131 S 41 bis 45; ON 132 S 28 bis 32). Aus diesem Grund sei die Bewilligung und die Durchführung der Durchsuchung der diesem Beschuldigten zuzuordnenden Räumlichkeiten (in 1*****, R***** bzw in 1*****, S*****) zu Unrecht erfolgt (ON 131 S 45 f; ON 132 S 32 und 38).

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur Folgendes aus:

1./ Gemäß § 119 Abs 1 StPO, der zufolge § 195 Abs 1 FinStrG auch im gerichtlichen Finanzstrafverfahren gilt, ist die Durchsuchung von Orten und Gegenständen ‑ und damit auch (soweit hier von Interesse) das Durchsuchen einer Wohnung oder eines anderen Ortes, der durch das Hausrecht geschützt ist, und darin befindlicher Gegenstände (§ 117 Z 2 lit b StPO) ‑ zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort eine Person verbirgt, die einer Straftat verdächtig ist, oder Gegenstände oder Spuren befinden, die sicherzustellen oder auszuwerten sind. Sicherstellung kommt nach den Verfahrensvorschriften insbesondere aus Beweisgründen sowie zur Sicherung gesetzlich vorgesehener vermögensrechtlicher Anordnungen in Betracht (§ 195 Abs 1 FinStrG iVm § 110 Abs 1 Z 1 und 2 StPO).

Die Anordnung oder Durchführung einer im 8. Hauptstück der StPO enthaltenen Ermittlungsmaßnahme ‑ etwa (wie hier) einer Durchsuchung von Orten (§§ 117 Z 2, 119 Abs 1 StPO) ‑ ist gemäß § 195 Abs 1 FinStrG iVm § 144 Abs 2 StPO unzulässig, soweit dadurch das Recht einer Person, gemäß § 157 Abs 1 Z 2 bis 4 StPO die Aussage zu verweigern, umgangen wird (siehe auch § 157 Abs 2 StPO, der sich überdies auf das Zeugnisverweigerungsrecht des § 157 Abs 1 Z 5 [bezüglich der Ausübung eines gesetzlich geheimen Wahl- oder Stimmrechtes] erstreckt). Dieses Umgehungsverbot besteht gemäß § 144 Abs 3 StPO insoweit nicht, als die betreffende Person (dh der Berufsgeheimnisträger, der bei seiner Vernehmung als Zeuge zur Verweigerung der Aussage berechtigt wäre) selbst der Tat dringend verdächtig ist.

Indem § 144 Abs 2 StPO direkt auf das gesetzlich verankerte Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Berufsgruppen in § 157 Abs 1 Z 2 bis 4 StPO Bezug nimmt, ergeben sich Inhalt und Reichweite des Umgehungsverbotes ebenfalls aus dieser Bestimmung. Das für Wirtschaftstreuhänder geltende Aussageverweigerungsrecht normiert § 157 Abs 1 Z 2 StPO. Danach sind diese (sowie Verteidiger, Rechtsanwälte, Patentanwälte und Notare) zur Verweigerung der Aussage (als Zeuge) in Ansehung dessen berechtigt, „was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist“. Der Zweck dieses (seit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl 1993/526, seinem wesentlichen Inhalt nach unveränderten) Aussageverweigerungsrechtes bestimmter Parteienvertreter (bis zum Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 2004/19, in § 152 Abs 1 Z 4 StPO, seit 1. Jänner 2008 in § 157 Abs 1 Z 2 StPO geregelt) ‑ und damit auch jener des Umgehungsverbotes, das diese Berufsgeheimnisse gesetzlich absichern soll ‑ liegt darin, dem Beschuldigten eine vertrauensvolle und vertrauliche Kontaktaufnahme mit einem solchen Parteienvertreter zu ermöglichen, ohne dass er dabei befürchten muss, (neue) Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen (vgl EBRV 924 BlgNR 18. GP 27 f; ebenso EBRV 25 BlgNR 22. GP 132; vgl auch RIS‑Justiz RS0107297). Es dient demnach dem Schutz des Klienten, der sich einem zur Geheimhaltung verpflichteten Parteienvertreter anvertraut (vgl Reindl-Krauskopf, WK‑StPO § 144 Rz 2), vor verfassungswidrigem Zwang zur Selbstbelastung (Art 90 Abs 2 B‑VG) und insoweit auch dem verfassungsgesetzlich (vgl Art 6 Abs 3 lit c EMRK; auf einfachgesetzlicher Ebene § 7 Abs 1 und 2 StPO) gesicherten Recht des Beschuldigten (Angeklagten), sich selbst zu verteidigen (Kirchbacher, WK‑StPO § 157 Rz 9). Das Aussageverweigerungsrecht erfasst jene Informationen, die dem Parteienvertreter ‑ jeweils in seiner beruflichen Funktion ‑ unmittelbar vom Mandanten bekannt gegeben oder die ihm von Dritten anvertraut wurden, aber auch solche Informationen, die er selbst in dieser Eigenschaft erlangt hat (Kirchbacher, WK‑StPO § 157 Rz 16; Fabrizy, StPO11 § 157 Rz 10, jeweils mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0082681, zuletzt 11 Os 52/05i).

Damit beschränkt sich auch der Kernbereich des zur Gewährleistung des Zeugnisverweigerungsrechtes (vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 157 Rz 30) normierten Umgehungsverbotes ‑ nach der ratio legis ‑ auf jene „Informationen“, die dem Parteienvertreter (in dieser besonderen Eigenschaft) bekannt geworden sind, dh auf Mitteilungen des Klienten und Aufzeichnungen darüber (Gesprächsnotizen) etc, aber auch auf „Drittinformationen“, etwa auf Unterlagen über Erhebungen oder Mitteilungen Dritter an den zur Aussageverweigerung Berechtigten oder Aufzeichnungen über dessen eigene Wahrnehmungen im Rahmen der Auftragserteilung (EBRV 924 BlgNR 18. GP 28 unter Hinweis auf EvBl 1992/175; siehe auch Fabrizy, StPO11 § 157 Rz 20).

Gegenstände hingegen, die zur Begehung einer strafbaren Handlung bestimmt waren, diese erleichtert haben oder aus ihr herrühren (instrumenta aut producta sceleris; vgl Tipold/Zerbes, WK‑StPO Vor §§ 110‑115 Rz 24), sowie sonstige Beweisgegenstände, insbesondere Schriftstücke, die sich ihrem Inhalt nach nicht als eine an den Parteienvertreter gerichtete Mitteilung oder Information, sondern vielmehr als ein bereits vor der Übergabe an diesen existent gewesenes Beweismittel darstellen (in erster Linie, aber nicht nur „Beweisurkunden“; zum Begriff vgl Kienapfel/Schroll in WK² § 223 Rz 41), können durch die Übergabe an einen gemäß § 157 Abs 1 Z 2 StPO zur Verweigerung der Aussage Berechtigten nicht immunisiert werden. Solche Beweisgegenstände können daher auch beim Parteienvertreter sichergestellt und beschlagnahmt werden (nochmals EBRV 924 BlgNR 18. GP 28; ebenso Fabrizy, StPO11 § 157 Rz 21; Tipold/Zerbes, WK‑StPO Vor §§ 110‑115 Rz 24 sowie Kirchbacher, WK‑StPO § 157 Rz 17; vgl auch RIS‑Justiz RS0107297, RS0097381 = SSt 62/126, SSt 45/1; siehe auch Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 144 Rz 15 und 18 ff, insbes Rz 21 [wonach Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme nur dann gegen das Umgehungsverbot des § 144 Abs 2 StPO verstoßen, wenn sie sich auf eine „an sich“ geschützte Information bzw auf „an sich dem Berufsgeheimnis“ unterfallendes Beweismaterial beziehen]).

Da in der Strafprozessordnung kein ausdrückliches Durchsuchungsverbot vorgesehen ist (Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 119 Rz 16), bewirken auch die in § 157 Abs 1 Z 2 bis 4 (bzw 5) StPO normierten Aussageverweigerungsrechte und das entsprechende Umgehungsverbot (§§ 144 Abs 2, 157 Abs 2 StPO) kein allgemeines Verbot, bei einer zur Zeugnisverweigerung berechtigten (nicht selbst der Tat dringend verdächtigen) Person Beweisgegenstände sicherzustellen oder danach zu suchen. Das Umgehungsverbot bezieht sich vielmehr bloß auf bestimmte Gegenstände (abermals Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 119 Rz 16), und zwar auf solche, die von einem speziellen Aussageverweigerungsrecht (§ 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO) betroffen sind. Ist es im Einzelfall unstrittig, dass die sicherzustellenden Beweisgegenstände vom Berufsgeheimnisschutz (bzw vom Wahlgeheimnis) umfasst sind, wäre eine darauf bezogene Beschlagnahme ebenso unzulässig wie eine ausschließlich auf solche Gegenstände abzielende Durchsuchungsanordnung.

Die Durchsuchung der Räumlichkeiten eines (nicht dringend tatverdächtigen) Parteienvertreters im Sinn des § 157 Abs 1 Z 2 StPO ist daher keineswegs generell ausgeschlossen. Ist vielmehr aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass sich an der betreffenden Örtlichkeit auch andere, vom Berufsgeheimnis nicht umfasste Gegenstände befinden, die sicherzustellen oder auszuwerten sind (§ 119 Abs 1 StPO), so ist ‑ nach Maßgabe vorliegender Verhältnismäßigkeit (vgl § 5 StPO) ‑ auch die Durchsuchung der dem (hier gemäß § 157 Abs 1 Z 2 StPO) geschützten Personenkreis zurechenbaren Räumlichkeiten zulässig (ausdrücklich in diesem Sinn: Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 121 Rz 12; aM [ohne Begründung] Bertel/Venier Strafprozessrecht5 Rz 308).

Dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Sicherstellung (und damit auch eine vorangegangene Durchsuchung) trotz potenzieller Verletzung einer gesetzlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht (bzw eines solchen Rechtes; vgl 13 Os 130/10g, 136/10i sowie Art 3 Z 3 des Bundesgesetzes, mit dem das Strafregistergesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972 und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden, BGBl I 2012/29) grundsätzlich möglich sein soll, ergibt sich im Übrigen bereits aus § 112 StPO (sowohl nach der alten als auch in der seit 1. Juni 2012 geltenden Fassung [BGBl I 2012/29]), wonach der Gefahr der Beschlagnahme und (beweismäßigen) Verwertung von Gegenständen, die dem Umgehungsverbot des § 144 Abs 2 (bzw des § 157 Abs 2) StPO unterliegen könnten, mittels Widerspruch begegnet werden kann.

Das Oberlandesgericht beurteilte die Zulässigkeit der Durchsuchung der dem Beschuldigten Dr. Peter H***** zurechenbaren Örtlichkeiten allein danach, ob gegen diesen ein dringender Tatverdacht im Sinn des § 144 Abs 3 StPO vorlag. Damit hat es das Beschwerdegericht ‑ in Verkennung der Reichweite des Umgehungsverbotes des § 144 Abs 2 StPO ‑ unterlassen, nach der Verneinung einer dringenden Verdachtslage in Ansehung des Beschuldigten Dr. H***** die Rechtmäßigkeit einerseits der gerichtlichen Bewilligung der betreffenden Ermittlungsmaßnahmen und andererseits deren Anordnung durch die Staatsanwaltschaft auch im Lichte der allgemeinen Bestimmung des § 119 Abs 1 StPO zu beurteilen. Denn mit Blick auf die von der Staatsanwaltschaft beantragten Anordnungen, die sich auch auf Schriftstücke und Unterlagen beziehen, denen ‑ dem ersten Anschein nach ‑ kein Informationscharakter im Sinn des § 157 Abs 1 Z 2 StPO zukommt (wie etwa Verträge, Statuten, Kundenprofile, Kalendereintragungen, Reiseunterlagen, Unterlagen zu Konten und Wertpapierdepots, Tagebücher usw; vgl ON 131 S 7 f bzw ON 132 S 6 f), wären Feststellungen darüber, ob es sich bei jenen Gegenständen, deren Auffindung an den von den Anordnungen betroffenen Örtlichkeiten anzunehmen war, auch um solche handeln konnte, die nicht dem Berufsgeheimnisschutz unterliegen und die daher auch nicht vom Umgehungsverbot umfasst sind, zumindest indiziert gewesen.

2./ Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, hat über einen Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung gemäß § 106 Abs 2 zweiter Satz StPO (idF BGBl I 2007/93) das Beschwerdegericht zu entscheiden.

Das Oberlandesgericht vertritt allerdings ‑ ausschließlich unter Zitierung von Gesetzesmaterialien zum Strafprozessreformgesetz sowie vor Inkrafttreten des Strafprozessreformbegleitgesetzes I ergangene Literatur; vgl ON 131 S 34 bis 37 ‑ den Standpunkt, dass allfällige „über die Bewilligung hinausgehende Rechtsverletzungen anlässlich der Durchführung der Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme durch die Staatsanwaltschaft auch im Fall der Erhebung einer Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung der Maßnahme mit gesondertem Einspruch zu bekämpfen“ sind.

Nach der mit dem klaren Gesetzeswortlaut des § 106 Abs 2 StPO übereinstimmenden und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten „Absicht des Gesetzgebers“ hat hingegen „über die Behauptung von Rechtsverletzungen sowohl bei der Bewilligung als auch bei Anordnung oder Durchführung ein- und derselben Ermittlungsmaßnahme das Beschwerdegericht abzusprechen“, wobei „die Geltendmachung von Rechtsverletzungen bei Anordnung oder Durchführung nur innerhalb der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen die Bewilligung zulässig sein soll“ (JAB 273 BlgNR 23. GP 1 f).

Zur Entscheidung über den (mit der Beschwerde gegen die Bewilligung der Hausdurchsuchung verbundenen; ON 44) Einspruch des Mag. Karl‑Heinz G***** „wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO wegen rechtswidriger Durchführung der Hausdurchsuchung“ wäre demnach das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht zuständig gewesen, zumal die in Kritik gezogene und „kurz nach Beginn der Amtshandlungen“ erfolgte (ON 131 S 23) Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Wien betreffend diese Ermittlungshandlungen ‑ schon aufgrund der damit erlangten Publizität (vgl ON 131 S 33) ‑ die in § 121 StPO geregelte Art und Weise ihrer Durchführung betrifft (zum Gebot, unnötiges Aufsehen tunlichst zu vermeiden, siehe Abs 3 erster Satz leg cit sowie ‑ unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ‑ § 5 Abs 2 StPO).

3./ Während sich die zu 2./ aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Mag. Karl‑Heinz G***** auswirkte (siehe die im Sinn des Einspruchwerbers ergangene Entscheidung der Einzelrichterin [§ 31 Abs 1 Z 3 StPO] des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. April 2012, ON 178), weshalb es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hätte (§ 292 vorletzter Satz StPO), ist aufgrund der Möglichkeit, dass sich an jenen durchsuchten Örtlichkeiten, die dem Beschuldigten Dr. Peter H***** zuzurechnen sind, auch für ihn oder für andere Beschuldigte entlastendes Beweismaterial befunden haben kann, eine insoweit nachteilige Wirkung der laut 1./ fehlerhaften Gesetzesanwendung für die davon betroffenen Beschuldigten nicht auszuschließen, sodass deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verbinden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1. Informationen, die einem nicht dringend tatverdächtigen (vgl § 144 Abs 3 StPO) Parteienvertreter iSd § 157 Abs 1 Z 2 StPO in dieser Eigenschaft bekannt geworden sind, dürfen ‑ aufgrund des in §§ 157 Abs 2, 144 Abs 2 StPO (zum Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 222; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 144 Rz 21) normierten Umgehungsverbots ‑ im Weg einer Ermittlungsmaßnahme nach dem 8. Hauptstück der StPO (hier: nach dem gemäß § 195 Abs 1 FinStrG auch im gerichtlichen Finanzstrafverfahren geltenden § 119 Abs 1 StPO) nicht beschafft werden. Wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt, resultiert daraus kein generelles Durchsuchungsverbot in Bezug auf Räumlichkeiten des genannten Personenkreises. Vom Berufsgeheimnis nicht umfasstes (zB schon existent gewesenes, beim Parteienvertreter hinterlegtes) Beweismaterial kann daher Gegenstand einer Durchsuchungsanordnung gemäß §§ 119 Abs 1, 120 Abs 1 StPO sein (Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 121 Rz 12; vgl auch RIS‑Justiz RS0097381; Hinterhofer, Zeugnisschutz und Zeugnisverweigerungsrechte, 401 und die von der Generalprokuratur angegebenen Fundstellen; [ohne Begründung] aM nur Bertel Strafprozessrecht5 Rz 308), was auch die nur auf gesetzlich anerkannte Verschwiegenheitspflichten (und -rechte) abstellende Vorschrift des § 112 StPO unterstreicht.

Indem das Oberlandesgericht die ‑ nach Verneinung des dringenden Tatverdachts gegen Dr. Peter H***** ‑ weiters gebotene Prüfung unterließ, ob aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich an den zu durchsuchenden Orten auch nicht dem Berufsgeheimnisschutz des Beschuldigten unterliegende Gegenstände befinden, die sicherzustellen sind (§ 119 Abs 1 iVm §§ 144 Abs 2, 157 Abs 1 Z 2 StPO), verletzte es § 119 Abs 1 StPO.

2. Gemäß (dem im gerichtlichen Finanzstrafverfahren zufolge § 195 Abs 1 FinStrG geltenden) § 106 Abs 2 zweiter Satz StPO hat das Beschwerdegericht, soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, auch über einen ‑ nach § 106 Abs 2 erster Satz StPO mit diesem Rechtsmittel zu verbindenden ‑ Einspruch zu entscheiden. Die Absicht des Gesetzgebers, dass über die Behauptung von Rechtsverletzungen sowohl bei Bewilligung als auch bei Anordnung oder Durchführung ein und derselben Ermittlungsmaßnahme das Beschwerdegericht abzusprechen hat (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] Rz 436), ergibt sich bereits eindeutig aus der Genese dieser zur Erreichung des genannten Zwecks durch das Strafprozessreformbegleitgesetz I, BGBl I 2007/93, geänder-ten Vorschrift (JAB 273 BlgNR 23. GP 1 f; vgl auch die bereits in die Richtung der späteren Gesetzesänderung weisenden Vorschläge von E. Fuchs, Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren, ÖJZ 2007, 899, die § 106 Abs 2 StPO ‑ entgegen dem Oberlandesgericht [AZ 18 Bs 161/11z, BS 36] ‑ keineswegs „einen nicht vom Wortlaut des Gesetzes gedeckten Bedeutungsinhalt zuschreibt“, sondern auf die zu diesem Zeitpunkt geltende ursprüngliche Fassung des Strafprozessreformgesetzes 2004 Bezug nimmt).

Durch die demnach verfehlte Ablehnung seiner Zuständigkeit zur Entscheidung über den ‑ mit der Beschwerde gegen die Bewilligung der Hausdurchsuchung verbundenen ‑ Einspruch des Beschuldigten Mag. Karl‑Heinz G***** wegen rechtswidriger Durchführung der Hausdurchsuchung (ON 44) und die aus diesem Grund verfügte Überweisung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verletzte das Oberlandesgericht § 106 Abs 2 zweiter Satz StPO.

Ein aus den aufgezeigten Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil der Beschuldigten ist nicht auszumachen, sodass es mit deren Feststellung sein Bewenden hat. Bezüglich der Ansicht der Generalprokuratur, wonach im Fall der Bewilligung der in Rede stehenden Durchsuchungsanordnungen durch das Oberlandesgericht auch entlastendes Beweismaterial hätte hervorgebracht werden können, genügt der Hinweis, dass Beschuldigte jederzeit berechtigt sind, solche Gegenstände dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft vorzulegen (vgl §§ 7 Abs 1, 49 StPO).

Dem an das Landesgericht für Strafsachen Wien überwiesenen Einspruch des Beschuldigten Mag. Karl‑Heinz G***** hat dieses Gericht ‑ wie bereits dargelegt ‑ stattgegeben (ON 178).

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