OGH 9ObA144/11h

OGH9ObA144/11h22.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Höfele und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien I. Felix E*****, II. Pia L*****, beide vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Heinrich M*****, vertreten durch Dr. Kurt Fassl, Rechtsanwalt in Graz, wegen I. 9.888,37 EUR brutto sA und II. 15.639 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. August 2011, GZ 10 Ra 59/11m‑16, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. Jänner 2011, GZ 33 Cga 155/10w‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.724,70 EUR (darin enthalten 287,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Unternehmenskaufvertrag vom 28. 12. 2005 erwarb der Beklagte ein Spielwarengeschäft. Die Zweitklägerin war in diesem Spielwarengeschäft bereits seit 17. 2. 2003 als Verkäuferin angestellt. Im Jahr 2007 nahm der Beklagte auch noch den Erstkläger als Verkäufer auf. Das Gehalt des Erstklägers betrug zuletzt 1.627,89 EUR brutto, jenes der Zweitklägerin 1.458 EUR brutto monatlich.

Noch vor der Aufnahme des Erstklägers hat der Beklagte den Unternehmenskaufvertrag angefochten. Dieser Rechtsstreit wurde letztlich mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 22. 10. 2009 zugunsten des Beklagten entschieden und der Unternehmenskaufvertrag ex tunc aufgehoben.

Die Kläger, die bereits davor über den Rechtsstreit informiert waren, wurden vom Beklagten im Jänner 2010 von diesem Urteil in Kenntnis gesetzt. Dabei meinte der Beklagte, dass er nun nicht mehr Eigentümer des Unternehmens sei und auch nicht mehr verpflichtet wäre, die Gehälter zu zahlen. Er ließ aber offen, wie es mit dem Betrieb weiter gehe und stellte verschiedene Möglichkeiten in den Raum. Die Weiterführung durch die Veräußerin war aufgrund der Pensionierung eher unwahrscheinlich. Der Beklagte meinte, dass er sich auch vorstellen könne, das Geschäft gegen einen „Liquiditätseuro“ weiterzuführen, was nach seinen Erklärungen bedeute, dass ihm die Veräußerin zusätzlich zu seinem Schaden weitere 20.000 bis 50.000 EUR zahlen müsse. Auch die Übernahme des Geschäfts durch einen Dritten oder die Sperre des Geschäfts wurde diskutiert. Letztlich meinte aber auch der Beklagte, dass er noch nicht wisse, wie es weiter gehe.

Die Kläger arbeiteten wie bisher weiter. Allerdings wurde ihnen vom Beklagten aufgetragen, keine neue Ware mehr zu bestellen. Auch meinte der Beklagte, dass er nicht mehr ihr Dienstgeber sei und tatsächlich gar keine Anweisungen mehr geben könne. Allerdings wurden die gelieferten Waren vom Beklagten weiter nach Möglichkeit bezahlt und der tägliche Umsatz musste weiter von den Klägern an den Beklagten telefonisch weitergegeben werden. Ein anderer Dienstgeber existierte nicht. Die Veräußerin war nicht mehr in Österreich aufhältig. Als die Kläger im Mai 2010 zu dem Schluss kamen, dass das Geschäft mangels neuer Waren und wegen des Kundenschwundes nicht mehr überlebensfähig sei und auch bereits die Gehälter verspätet ausbezahlt wurden, ließen sie sich bei der Arbeiterkammer rechtlich beraten. Der Beklagte teilte ihnen mit, dass das Maigehalt das Letzte sein werde, das er ausbezahlen werde. Er könne nicht kündigen und auch nicht einvernehmlich auflösen, da er nicht ihr Dienstgeber sei.

In weiterer Folge verstärkten sich die finanziellen Schwierigkeiten in dem Geschäft und es kam zu Pfändungen durch die Gebietskrankenkasse sowie zur Androhung eine Stromsperre. Die Kläger arbeiteten noch bis 30. 6. 2010 im Geschäft weiter und machten über Aufforderung des Beklagten die Inventur sowie Retoursendungen an Lieferanten. Am 30. 6. 2010 wurden dann dem Beklagten über seine Aufforderung die Geschäftsschlüssel ausgefolgt. Der Beklagte verwies die Kläger hinsichtlich etwaiger Ansprüche an die Veräußerin. Die Kläger schickten am 1. 7. 2010 ein Schreiben an den Beklagten, aber auch an die Veräußerin, in dem sie sich arbeitsbereit erklärten und bis 12. 7. 2010 die Nachfrist zur Begleichung ihres Entgelts bei Androhung des Austritts setzten. Nachdem ihnen das Entgelt nicht bezahlt wurde, erklärten sie am 13. 7. 2010 ihren vorzeitigen Austritt.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger im Wesentlichen die offenen Entgeltansprüche vom 1. 6. bis 13. 7. 2010 sowie die Kündigungsentschädigung. Sie stützen sich zusammengefasst darauf, dass der Beklagte den Betrieb weitergeführt habe und dies auch vom Beklagten als realistische Alternative dargestellt worden sei. Sie hätten auch weiter vom Beklagten Arbeitsanweisungen erhalten. Der Beklagte sei trotz Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags weiter Dienstgeber gewesen und habe den Betrieb geführt.

Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, dass er die Kläger über die Situation nach Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags informiert und ihnen mitgeteilt habe, dass die Veräußerin wieder ihre Dienstgeberin sei. Das Urteil habe eine „dingliche“ Wirkung, sodass es keiner Rückabwicklung des Kaufvertrags bedurft habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte rechtlich zusammengefasst aus dem einleitend dargestellten Sachverhalt, dass für die Annahme des Betriebsübergangs der Inhaberwechsel entscheidend sei. Nach dem Wechsel auf den Beklagten sei es aber zu keinem Wechsel auf eine andere Person mehr gekommen. Der Beklagte habe weiter die tatsächliche Verfügungsgewalt gehabt und sei damit Inhaber des Betriebs. Er sei auch die einzige Ansprechperson gewesen und habe Arbeitsanweisungen erteilt. Daran ändere auch nichts, dass er immer wieder angemerkt habe, dass er grundsätzlich nicht verpflichtet sei, sich um das Geschäft und die Gehälter zu kümmern. Die Kläger seien daher letztlich berechtigt vorzeitig ausgetreten.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beklagten nicht Folge. Auch das Berufungsgericht verwies darauf, dass entscheidend der Inhaberwechsel sei und dass es auf die Änderung der tatsächlichen Umstände ankomme. Es bejahte den Übergang des Betriebs auf den Beklagten und verwies darauf, dass die Aufhebung des Vertrags ex tunc daran nichts ändern könne. Entscheidend sei, ob der Erwerber die Leitungsmacht erlange. Damit trete er als Arbeitgeber in die Arbeitsverhältnisse ein. Zu einer faktischen Rückübertragung des Betriebs sei es nicht gekommen. Dass der Vertrag wegen List erfolgreich angefochten worden sei, ändere daran nichts, bewirke doch allein der Kaufvertrag noch keinen Übergang, solange es zu keiner faktischen Überleitung der Leitungsmacht gekommen sei.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Übergangs eines Betriebs und der Übernahme der Arbeitsverhältnisse nach § 3 AVRAG im Falle einer nachträglichen Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags wegen Arglist nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil vom Beklagten erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die oben wiedergegebene Begründung des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass es grundsätzlich ausreicht, auf diese Begründung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen des Beklagten noch Folgendes entgegenzuhalten:

Nach ständiger Rechtsprechung spielt die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs keine Rolle und verliert das Fehlen einschlägiger Vertragsbeziehungen zur Vermeidung der Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs sein Gewicht, sofern die übrigen Merkmale des Betriebsübergangs deutlich ausgeprägt sind (RIS‑Justiz RS0110344 mwN zuletzt etwa 9 ObA 121/09y). Der Inhaberbegriff der Betriebsübergangsrichtlinie (2001/23/EG) bzw des § 3 AVRAG erfasst jede natürliche oder juristische Person, die für den Betrieb verantwortlich ist und gegenüber den im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberverpflichtungen eingeht (RIS‑Justiz RS0119396 mwN zuletzt etwa 9 ObA 121/09y).

Ob der Betrieb mit oder ohne Gegenleistung veräußert wird oder ob daran bloß ein dingliches oder schuldrechtliches Nutzungsrecht begründet wird, ist ebenso wenig entscheidend, wie die Frage, ob zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber überhaupt eine vertragliche Beziehung besteht (RIS‑Justiz RS0110832 mzwN etwa zu Betriebsübergängen zwischen zwei Pächtern, die in keinerlei Vertragsverhältnis stehen; Holzer/Reissner AVRAG2, 107, Binder, AVRAG2, 147 ff). Entscheidend ist die tatsächliche Übernahme des Betriebs (RIS‑Justiz RS0082749). Der Zeitpunkt des Betriebsübergangs ist ‑ unabhängig von der Vereinbarung zwischen Erwerber und Veräußerer ‑ nach objektiven Faktoren zu bestimmen und orientiert sich an der tatsächlichen Übernahme der arbeitsrechtlichen Organisation und Leitungsmacht (RIS‑Justiz RS0124146; 8 ObA 40/05y; Binder aaO, 190). Derjenige, der einen Betriebsübergang behauptet, hat diesen auch zu beweisen (RIS‑Justiz RS0102974 mwN).

Ausgehend davon kommt aber der Argumentation des Beklagten, die im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass sein Vertrag mit der Veräußerin ex tunc, also rückwirkend, aufgehoben worden sei, keine Relevanz zu. Geht es doch nicht um die rechtlichen Grundlagen des Übergangs, die - wie oben dargestellt - zwischen Betriebsübergeber und Betriebserwerber gar nicht vorhanden sein müssen, sondern um die faktische Übernahme der Leitungsmacht und die Ausübung der Arbeitgeberfunktionen. Dass der Beklagte diese Leitungsmacht über den Betrieb übernommen hat, ist völlig eindeutig. Dass die „Veräußerin“ nach Aufhebung des Unternehmenskaufvertrags den Betrieb faktisch wieder zurück genommen hätte, konnte der Beklagte nicht nachweisen. Welche Konsequenzen daraus im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Veräußerin zu ziehen sind, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Insgesamt war daher der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

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