OGH 8ObA38/12i

OGH8ObA38/12i26.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günter Steinlechner und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** Betriebsrat *****, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 10. Mai 2012, GZ 13 Ra 10/12m‑118, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die in der außerordentlichen Revision behaupteten Verfahrensmängel liegen, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0042963). Auch die in der außerordentlichen Revision behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

2.1 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat das ‑ im ersten Schritt zu prüfende ‑ Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind (8 ObA 53/04h; 8 ObA 59/10z; 8 ObS 9/12z). In die Untersuchung ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers einzubeziehen. Die Gewichtung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Kündigung kann letztlich aber nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen (RIS‑Justiz RS0110944).

Allgemein stellt sich zunächst die Frage nach der Erlangung eines einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes. In der Rechtsprechung ist dazu anerkannt, dass künftige Ereignisse oder Entwicklungen dann zu berücksichtigen sind, wenn sie die Richtigkeit der im Zeitpunkt der Kündigung anzustellenden Prognose über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Kündigung betreffen (9 ObA 179/00i; 8 ObA 9/12z). Dementsprechend ist der Umstand, dass der Arbeitnehmer tatsächlich einen gleichwertigen neuen Arbeitsplatz erlangt hat, bei der Beurteilung zu berücksichtigen. In der Rechtsprechung ist ebenso anerkannt, dass bei besonders qualifizierten Tätigkeiten, für die erfahrungsgemäß nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl an Stellen zur Verfügung steht, die Anwendung großzügiger Verweisungskriterien gerechtfertigt ist (8 ObA 59/10z).

2.2 Nach diesen Grundsätzen ist für die Beurteilung zunächst maßgebend, ob der Arbeitnehmer weiterhin in der Lage ist, die bisherigen wesentlichen Lebenshaltungskosten zu bestreiten und seinen Sorgepflichten nachzukommen. Luxusaufwendungen sind hingegen nicht zu berücksichtigen.

Nach den Feststellungen weist das Einkommen des Gekündigten als Flugkapitän für Geschäftsreisende keine nennenswerten Unterschiede zu dem zuletzt bei der Beklagten bezogenen Grundgehalt auf. Der Kläger gesteht offenkundig zu, dass der Gekündigte die wesentlichen Lebenshaltungskosten und Unterhaltsansprüche abdecken kann, zumal er die Ansicht vertritt, dass schon der Verlust eines wesentlichen Vorteils aus dem Arbeitsverhältnis für eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung ausreiche, und zwar auch dann, wenn der Lebensunterhalt des Gekündigten ausreichend gesichert sei.

2.3 Das Berufungsgericht hat zudem berechtigt darauf hingewiesen, dass auch Erträgnisse aus dem Vermögen zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0110944; RS0051703). Ebenso ist es zutreffend davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Interessenbeeinträchtigung grundsätzlich den Arbeitnehmer trifft.

Nach der Sachverhaltsgrundlage steht fest, dass der Gekündigte im Jahr der Auflösung des Dienstverhältnisses über nicht unerhebliche Ersparnisse verfügte, deren Höhe und Herkunft nicht festgestellt werden konnte, und die immer wieder zu Zuflüssen größerer Geldbeträge auf sein Konto geführt haben. Die Vorinstanzen haben dem Gekündigten in diesem Zusammenhang vorgeworfen, die Höhe und Herkunft dieser finanziellen Mittel nicht bekannt gegeben zu haben. In solchen Fällen schlägt es nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zum Nachteil des Beweisbelasteten aus, wenn von diesem bestimmte Tatsachen, für die eine Beweispflicht besteht, nicht aufgeklärt werden können (vgl 9 ObA 179/00i). Es liegt damit kein Verstoß gegen die Beweislastverteilung vor, wenn die festgestellten regelmäßigen Zuflüsse auf das Konto des Gekündigten als Kapitalerträgnisse gewertet werden.

3. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung können die in der außerordentlichen Revision ins Treffen geführten Umstände, wie die sehr hohe Arbeitsplatzsicherheit aufgrund des kollektivvertraglich festgelegten Senioritätsprinzips, ein geregelter Dienstplan als Linienpilot sowie die Erwartung laufender Vorrückungen und erheblicher Abfertigungsansprüche (vgl dazu Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungs-recht III4 416), nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die berufliche Situation des Gekündigten nicht den typischen Fall betrifft, der nach der Zielrichtung des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG der Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit zugrunde liegt. Die Schlussfolgerung, dass von einer Sozialwidrigkeit (im Sinn einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung) nicht ausgegangen werden könne, erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig.

4. Da schon die Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Gekündigten durch die Kündigung verneint wurde, muss eine Auseinandersetzung mit einer allfälligen ‑ erst im zweiten Schritt zu prüfenden ‑ Rechtfertigung durch hier in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände, die betriebliche Interessen nachteilig berühren, sowie mit der im Anschluss daran vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl RIS‑Justiz RS0051818; RS0051970) nicht mehr stattfinden.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Stichworte