OGH 4Ob45/12i

OGH4Ob45/12i10.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P***** T*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Manfred Angerer und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen 125.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 31. Jänner 2012, GZ 2 R 197/11z-15, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. August 2011, GZ 24 Cg 210/10d-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger wurde im Zusammenhang mit Geschäften, die er mit einem Vermögensberater abschloss, 2001 Kunde der beklagten Bank. Anfang 2005 bot ihm der Vermögensberater eine Investition an, mit der der Kläger 10.000 EUR verdienen könne; zu diesem Zweck müsse er für die Abwicklung eines Grundstückskaufs kurzfristig 125.000 EUR in Form einer Bankgarantie zur Verfügung stellen. Der Kläger sagte zu, und der Berater übernahm den Großteil der Abwicklung des Geschäfts. Er erteilte der Beklagten namens des Klägers den Auftrag, eine Bankgarantie über 125.000 EUR auszustellen, und veranlasste die Übermittlung der Garantieurkunde an einen als Treuhänder benannten Notar. Die Haftung der Beklagten sollte durch Rückstellung des Originals, spätestens aber am 30. Juni 2005 erlöschen.

Mit Schreiben vom 18. März 2005 stellte der Notar die Urkunde an die Beklagte mit dem Hinweis zurück, dass er die (von den Vorinstanzen nicht näher festgestellten) „Aufträge“ des in Aussicht genommenen Liegenschaftskäufers „mangels Erfüllungsmöglichkeit“ nicht annehmen könne. Dieses Schreiben leitete die Beklagte dem Kläger nicht weiter; ob sie ihn über dessen Inhalt informierte, ist strittig.

In weiterer Folge wies der Vermögensberater die Beklagte namens des Klägers an, die Garantieurkunde einem anderen Notar als Treuhänder zu übermitteln. Weiters wurde die Laufzeit der Garantie mit Zustimmung des Klägers um einen Monat verlängert. Am 22. Juli 2005 zog eine in die Abwicklung des Geschäfts eingebundene (andere) Bank die Garantie; die Beklagte belastete damit den Kläger. Das Eigentum des Liegenschaftskäufers wurde einverleibt, ohne dass der Kläger eine entsprechende Sicherheit erlangt hätte.

Im Verfahren 25 Cg 128/06x des Landesgerichts Klagenfurt begehrten der Kläger und ein weiterer Kreditgeber von der in die Abwicklung des Geschäfts eingebundenen (anderen) Bank die Zustimmung zur teilweisen Übertragung eines Pfandrechts an der verkauften Liegenschaft. Der Kläger war dabei von seiner damaligen Ehefrau anwaltlich vertreten. In der Tagsatzung vom 12. Dezember 2006, bei der der Kläger nicht persönlich anwesend war, wurde das Schreiben des (ersten) Notars vom 18. März 2005 vorgelegt und erörtert. Wer es vorlegte, steht nicht fest. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen.

Im Verfahren 20 Cg 93/08s des Landesgerichts Klagenfurt wurde die Beklagte verpflichtet, dem anderen Kreditgeber Ersatz zu leisten. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den dortigen Kläger über die Gründe für die Rückstellung der Bankgarantie durch den (ersten) Notar aufzuklären. Da dies nicht erfolgt sei, hafte sie für den Schaden. Der Oberste Gerichtshof wies die Revision gegen die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts zurück (6 Ob 146/10d).

Im vorliegenden Verfahren erhob der Kläger am 24. November 2010 Klage auf Zahlung von 125.000 EUR sA. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn darüber zu informieren, dass der erste Notar die Abwicklung der Transaktion „mangels Erfüllungsmöglichkeit“ abgelehnt habe. Dies habe sie unterlassen. Hätte sie pflichtgemäß gehandelt, hätte der Kläger der Übermittlung der Bankgarantie an den zweiten Notar nicht zugestimmt; dann wäre das weitere Geschehen unterblieben. Die Beklagte hafte für den dadurch verursachten Schaden. Zudem sei die Bankgarantie wegen der „Nichterfüllbarkeit“ des Grundgeschäfts durch Rückstellung erloschen gewesen. Der Kläger habe den Garantiebetrag in Unkenntnis dessen an die Beklagte gezahlt; diese sei bereichert. Von der Nichterfüllbarkeit habe er erst anlässlich einer polizeilichen Einvernahme am 24. Juni 2008 erfahren. Ein Schaden sei frühestens nach Beendigung des Vorprozesses gegen die finanzierende Bank absehbar gewesen.

Die Beklagte wendet ein, sie habe den Kläger nach Rückstellung der Bankgarantie durch den ersten Notar über den Inhalt von dessen Schreiben informiert. Die Hintergründe der „mangelnden Erfüllungsmöglichkeit“ habe sie nicht gekannt. An den zweiten Notar habe sie die Bankgarantie im Auftrag des vom Vermögensberater vertretenen Klägers übermittelt. Im Übrigen sei der geltend gemachte Anspruch verjährt: Die Anwältin des Klägers habe das Schreiben des ersten Notars in der Tagsatzung vom 12. Dezember 2006 vorgelegt; jedenfalls habe sie dort davon erfahren. Der Kläger müsse sich ihr Wissen zurechnen lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass die Beklagte den Kläger noch im März 2005 über den Inhalt des Schreibens des ersten Notars informiert habe. Darüber hinaus habe seine Vertreterin am 12. Dezember 2006 ein Vorbringen zu diesem Schreiben erstattet. Der anspruchsbegründende Sachverhalt, auf den sich der Kläger stütze, sei ihm daher spätestens Ende 2006 bekannt gewesen. Damit sei der Anspruch verjährt. Zudem habe der Kläger die Übermittlung der Bankgarantie an den zweiten Notar veranlasst, obwohl er über den Inhalt des ersten Schreibens informiert gewesen sei; sein Begehren müsse daher auch in der Sache scheitern.

In seiner Berufung rügte der Kläger unter anderem die unterbliebene Einvernahme des Vermögensberaters und bekämpfte die Feststellung, die Beklagte habe ihn über den Inhalt des Schreibens des ersten Notars informiert. Weiters wandte er sich gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts.

Das Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Die Anwältin des Klägers habe in der Tagsatzung vom 12. Dezember 2006 vom Schreiben des (ersten) Notars an die Beklagte erfahren. „Ausgangspunkt“ des Rechtsstreits sei dort der „hier klagsgegenständliche Garantiebetrag“ gewesen. „Zu dem vom Kläger seiner Rechtsanwältin übertragenen Aufgabenbereich gehörte also die Verfolgung seiner möglichen Ansprüche aus der geleisteten Garantiezahlung.“ Daher habe es sich beim Wissen der Anwältin nicht um ein „außerhalb des Aufgabenbereichs ('privat') erlangtes Wissen“ gehandelt; dieses Wissen sei dem Kläger daher zuzurechnen. Auf dieser Grundlage sei der Anspruch verjährt, weil der Kläger Ende 2006 alle Umstände gekannt habe, auf die er nun seinen Anspruch stütze. Daher sei unerheblich, ob die Beklagte den Kläger schon im März 2005 über den Inhalt des Schreibens informiert habe. Auf die bekämpfte Feststellung komme es aus diesem Grund nicht an.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers ist zulässig, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein im Zuge eines Verfahrens erlangtes Wissen eines Anwalts für den Beginn von Verjährungsfristen dessen Mandanten zuzurechnen ist, einer Klarstellung bedarf. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ausschließlich auf die Verjährung des Anspruchs gestützt. Diese Begründung trägt nicht.

1.1. Der Kläger behauptet, die unterbliebene Information über die Weigerung des ersten Notars habe seinen Schaden verursacht. Es ist unstrittig, dass seine Anwältin im Vorprozess gegen die (dritte) finanzierende Bank von dieser Weigerung erfahren hat. Wäre dieses Wissen dem Kläger zuzurechnen, so wäre sein Anspruch nach § 1489 ABGB verjährt. Denn in diesem Fall hätte er gewusst, dass die Beklagte ihm - folgt man seinem im vorliegenden Verfahren erstatteten Sachvorbringen - eine wesentliche Information vorenthalten und daher schuldhaft gehandelt hatte. Der weitere Kausalverlauf und der Schaden waren ihm zu diesem Zeitpunkt schon bekannt.

1.2. Die Rechtsprechung rechnet dem Geschäftsherrn das Wissen jener Personen zu, die er damit betraut hatte, Tatsachen, deren Kenntnis rechtlich erheblich ist, entgegenzunehmen oder anzuzeigen (RIS-Justiz RS0065360; zuletzt ausführlich 5 Ob 290/07v = bbl 2008, 227, und 2 Ob 84/09f = Zak 2009, 318). Dies gilt auch dann, wenn es um die Kenntnis der für den Beginn einer Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB maßgebenden Umstände geht (RIS-Justiz RS0065360; zuletzt ua 9 Ob 23/07h = ÖBA 2008, 658 [Madl] = ecolex 2008, 426 [Graf]; 1 Ob 241/07h = ÖBA 2008, 663).

1.3. Das im Prozess erworbene Wissen eines Bevollmächtigten ist nach ständiger Rechtsprechung nicht generell, sondern nur dann dem Mandanten zuzurechnen, wenn es im aufgetragenen Wirkungskreis erworben wurde und zu diesem Wirkungskreis gehörte (5 Ob 613/79 = SZ 52/167; 3 Ob 510/82; RIS-Justiz RS0019537 [T1]; zuletzt etwa 2 Ob 84/09f).

(a) Ausführlich setzte sich der Oberste Gerichtshof mit dieser Problematik in 3 Ob 510/82 auseinander (RIS-Justiz RS0019537; zuvor für einen nicht anwaltlichen Vertreter 1 Ob 98/56 = JBl 1956, 505). Strittig war dort die Übereignung eines Grundstreifens an eine Gemeinde gewesen, deren Wirksamkeit in einem Vorverfahren rechtskräftig bejaht worden war. Die Unterinstanzen hatten die Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung des Vorverfahrens an den Vertreter der dort unterlegenen Beklagten als Verjährungsbeginn für deren Schadenersatzanspruch gegen einen Nebenintervenienten des Vorprozesses gewertet. Der Oberste Gerichtshof lehnte diese Auffassung ab. Die Vertretungsmacht des Prozessbevollmächtigten decke nur dessen Handlungen innerhalb des konkreten Verfahrens. Es gehöre nicht zu seinen Aufgaben, sich darüber Gedanken zu machen, ob ein Schadenersatzanspruch gegen eine dritte Person bestehen könnte. Das Wissen des Vertreters könne dem Mandanten nur dann zugerechnet werden, wenn er „von vornherein mit der Durchsetzung allfälliger Schadenersatzansprüche gegen den Dritten beauftragt“ gewesen sei.

(b) Die Entscheidung 3 Ob 510/82 wurde im Zurückweisungsbeschluss 2 Ob 84/09f (= RIS-Justiz RS0124853) zustimmend zitiert. Dort ging es um die Frage, ob das Wissen, das die (neue) Vertreterin des Klägers in einem Aufteilungsverfahren erlangt hatte, die Verjährung eines Schadenersatzanspruchs des Klägers gegen seinen früheren Vertreter auslöste. Der Oberste Gerichtshof billigte die Auffassung der Vorinstanzen, dass eine Wissenszurechnung mangels Auftrags zur Prüfung solcher Schadenersatzansprüche nicht stattfinde.

(c) Nach diesen Entscheidungen kommt es auf den konkreten Auftrag an, der sich auch auf die von der Verjährung bedrohte Forderung erstrecken müsste; dem wird ein Auftrag zur umfassenden Rechtsverfolgung oder Prüfung der Rechtslage gleichzuhalten sein. Beides wurde hier weder vorgebracht noch festgestellt. Auf dieser Grundlage müsste die Verjährungseinrede jedenfalls scheitern. Für eine weitergehende Wissenszurechnung könnte zwar bei vordergründiger Betrachtung die Entscheidung 2 Ob 224/97y (= RdW 1999, 651) sprechen. Danach muss ein Anwalt seinen Mandanten (ganz allgemein) auf die drohende Verjährung von Ansprüchen gegen einen Dritten hinweisen, wenn für ihn ersichtlich sei, dass bei Verlust des vom eigentlichen Mandat erfassten Prozesses Ansprüche gegen einen Dritten in Betracht kämen und der Mandant sich insofern nicht anderweitig beraten lasse. Strittig war dort aber nicht eine allfällige Wissenszurechnung, sondern die Frage, ob der Anwalt aufgrund einer unterbliebenen Beratung für die Verjährung einer Forderung gegen einen Dritten hafte. Der Verjährungsbeginn war dabei nicht durch den Wissensstand des Anwalts ausgelöst worden. Zudem lag gerade keine Vertretung (nur) in einer bestimmten Rechtssache vor, sondern der Anwalt hatte seine Mandantin in einer „Vielzahl“ von familienrechtlichen Verfahren vertreten, wobei auch der strittige Anspruch mehrfach „besprochen“ worden war. Die (grundsätzliche) Bejahung der Haftung wegen des dabei unterbliebenen Hinweises auf die drohende Verjährung war unter diesen Umständen zweifellos richtig; für die hier strittige Frage der Wissenszurechnung kann daraus aber nichts abgeleitet werden.

1.4. Der Senat sieht keinen ausreichenden Grund, von der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung an Rechtsvertreter abzugehen. Nur innerhalb des konkreten Aufgabenbereichs treffen den Vertreter primäre Handlungspflichten, die auch eine Wissenszurechnung rechtfertigen. Allenfalls darüber hinausgehende Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen im Interesse des Mandanten; sie können nicht als Grundlage für eine diesen belastende Wissenszurechnung herangezogen werden. Das Wissen der Anwältin wäre dem Kläger daher nur dann zuzurechnen gewesen, wenn sie auch mit der Rechtsverfolgung gegen die Beklagte oder (wenigstens) mit einer umfassenden Prüfung aller Ansprüche beauftragt gewesen wäre. Das hat aber die Beklagte in erster Instanz nicht behauptet, das Erstgericht hat dazu - folgerichtig - auch nichts festgestellt. Die Formulierung des Berufungsgerichts, zum Aufgabenbereich der Anwältin habe die Verfolgung der (gemeint: aller) „möglichen Ansprüche“ des Klägers aus der Garantiezahlung gehört, ist mit rechtlichen Erwägungen zum Aufgabenbereich eines Anwalts begründet und daher keine (ergänzende) Tatsachenfeststellung, die den Obersten Gerichtshof binden könnte.

2. Da mangels Wissenszurechnung keine Verjährung eingetreten ist, kommt es darauf an, ob die Beklagte - wie von ihr behauptet - den Kläger ohnehin über die Weigerung des (ersten) Notars informiert hatte, die Treuhand zu übernehmen. Die dies bejahende Feststellung des Erstgerichts würde die Klageabweisung ebenfalls tragen, weil die Beklagte damit ihre vertraglichen Schutzpflichten erfüllt und der Kläger dann auf eigenes Risiko gehandelt hätte. Der Kläger hat diese Feststellung mit Verfahrens- und Beweisrüge bekämpft. Das Berufungsgericht hat diesen Teil des Rechtsmittels - aufgrund seiner Rechtsansicht folgerichtig - nicht erledigt. Das führt zur Aufhebung in die zweite Instanz. Im fortgesetzten Verfahren ist die Frage der Verjährung abschließend erledigt; für eine stattgebende Sachentscheidung wären noch Feststellungen zur Kausalität erforderlich.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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