OGH 12Os42/12m

OGH12Os42/12m26.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erhan T***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und über die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Jänner 2012, GZ 16 Hv 106/10a-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erhan T***** im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 12 Os 99/11t) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (1./), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (3./) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (4./) schuldig erkannt.

Danach hat er seine damalige Ehefrau Filiz T*****

1./ am 29. Mai 2009 in S***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sich auf sie legte und durch sein Körpergewicht fixierte, ihre Unterhose beiseite schob und gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog;

2./ vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

a./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2006 in L***** durch Versetzen von Faustschlägen und Stößen sowie durch Bewerfen mit einem Glasaschenbecher, wodurch sie Hämatome an Armen, Beinen und im Gesicht erlitt,

b./ in zwei Angriffen zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Jahr 2007 in L***** durch Versetzen von Schlägen und Tritten, wodurch sie Hämatome an Armen und Beinen erlitt,

c./ in insgesamt acht Angriffen im Zeitraum von April 2008 bis Dezember 2008 in S***** durch Versetzen von Schlägen, Tritten, Stößen und gewaltsames Erfassen an den Oberarmen, wodurch sie Hämatome und anhaltende Kopfschmerzen erlitt,

d./ zwischen 11. und 15. Mai 2009 in S***** durch Versetzen eines Tritts gegen die linke Körperhälfte, wodurch sie eine Verletzung im Rückenbereich erlitt,

e./ am 2. Juni 2009 in D***** durch Erfassen der Oberarme und Zubodendrücken, wodurch sie Hämatome am linken Ellenbogen sowie Prellungen des linken Ellenbogens, der rechten Schulter und des rechten Oberarms erlitt,

3./ am 4. Juni 2009 in S***** durch die Äußerung, sie solle „sich verpissen“, weil er sie sonst umbringe, mithin durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zum Verlassen des Bettes zu nötigen versucht,

4./ am 23. August 2009 in S***** durch die in türkischer Sprache getätigte Äußerung „Ich bringe dich um!“ mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Unvollständigkeit im Sinne der Z 5 zweiter Fall liegt nur dann vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS-Justiz RS0098646 [T3]).

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde vorbringt, das Erstgericht habe die Aussage der Filiz T***** vor der Polizei (ON 5 S 63) und Widersprüchlichkeiten zu ihren Angaben bei der kontradiktorischen Vernehmung nicht erörtert, vernachlässigt sie die diesbezüglichen Ausführungen auf US 5.

Soweit die Mängelrüge betreffend Punkt 2./ des Schuldspruchs vorbringt, Filiz T***** habe im Zuge ihrer kontradiktorischen Vernehmung angegeben, ihre Kinder hätten die blauen Flecken gesehen, während ihr in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommener Sohn Eren T***** ausgesagt habe, niemals blaue Flecken bei seiner Mutter wahrgenommen zu haben, gelingt es ihr nicht, Unvollständigkeit im Sinne des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 zweiter Fall aufzuzeigen. Die Tatrichter haben sich mit den Aussagen der genannten Zeugen eingehend auseinandergesetzt (US 5 ff, US 8), waren jedoch - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht verhalten, im Urteil den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen die Feststellungen sprechen (RIS-Justiz RS0098377).

Indem der Rechtsmittelwerber argumentiert, das Erstgericht habe willkürlich begründet, warum es den Angaben der Zeugin Filiz T***** Glauben schenkte, dem Angeklagten hingegen die Glaubwürdigkeit absprach, weil schon die Ausführlichkeit der Begründung, warum die genannte Zeugin einen glaubwürdigen Eindruck erweckt habe,„für sich gesehen verdächtig“ sei, verkennt er, dass die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, der als solcher einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt ist (RIS-Justiz RS0099419; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).

Mit dem Vorbringen, es sei bedenklich, dass Filiz T***** ihr Entschlagungsrecht gemäß § 156 Abs 1 Z 2 StPO ausübte und in der Hauptverhandlung lediglich Auszüge aus der kontradiktorischen Vernehmung vorgespielt wurden, spricht die Beschwerde keine Anfechtungskategorie der Mängelrüge (Z 5) an.

Indem das Schöffengericht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf den objektiven Geschehnisablauf und die allgemeine Lebenserfahrung stützte, führte es keineswegs bloß Scheingründe im Sinne der Z 5 vierter Fall an, vielmehr ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zu Grunde liegendes Wollen oder Wissen ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Zu Punkt 2./e./ des Schuldspruchs führte das Erstgericht aus, die „Angaben der vernommenen Ärzte sowie teilweise der Filiz T***** werden durch die glaubwürdigen und widerspruchsfreien medizinischen Unterlagen, die im Akt erliegen, bestätigt“. Der insoweit erhobene Vorwurf einer undeutlichen Begründung (Z 5 erster Fall) ist nicht im Recht. Undeutlichkeit ist unter anderem gegeben, wenn nicht erkennbar ist, aus welchen konkreten Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419). Vorliegend nahm das Erstgericht unmissverständlich auf die in der Hauptverhandlung verlesene (ON 57 S 13) Verletzungs-anzeige des Landeskrankenhauses D***** vom 4. Juni 2009 (ON 4 S 11) und die Dokumentation über den Krankenhausaufenthalt der Filiz T***** vom 2. bis 4. Juni 2009 im genannten Krankenhaus (ON 5 S 7 ff) Bezug.

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde die Begründung der Tatrichter, die Schilderung des Angeklagten, das Motiv der Filiz T***** für die Belastungen sei gewesen, Ruhe von ihm zu haben, sei nicht plausibel und nicht nachvollziehbar, als aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) bezeichnet, übt sie neuerlich bloß unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Indem der Nichtigkeitswerber abermals kritisiert, dass in der Hauptverhandlung anstatt unmittelbarer Zeugenvernehmung lediglich die kontradiktorische Vernehmung der Filiz T***** vorgeführt wurde und vermeint, allein der Umstand, dass sie sich „nicht mehr am Verfahren beteiligen“ wolle, spreche dafür, dass sie „keinen Grund“ hätte, die „Anzeige aufrecht zu erhalten“, sondern bloß ein Strafverfahren wegen Verleumdung befürchte, gelingt es jedenfalls nicht, qualifizierte Bedenken beim Obersten Gerichtshof hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet betreffend die Punkte 3./ und 4./ des Schuldspruchs jeweils die Eignung der Drohungen, begründete Besorgnis einzuflößen, indem sie den von den Tatrichtern konstatierten Bedeutungsgehalt der Äußerungen (US 5) eigenständig gegenteilig interpretiert. Sie verfehlt solcherart die gebotene Ausrichtung an der Verfahrensordnung.

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde betreffend Punkt 3./ des Schuldspruchs vermeint, die geforderte Besorgniseignung fehle schon deshalb, weil Filiz T***** nach der gegenständlichen Äußerung die Nacht im ehelichen Bett verbracht und der Angeklagte das Schlafzimmer verlassen habe, bekämpft sie in unzulässiger Weise die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte