OGH 9ObA32/12i

OGH9ObA32/12i30.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichthofs Dr. Rohrer, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Helwig Aubauer und Dr. Heinrich Ehmer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Neger/Ulm Rechtsanwälte OG in Graz, wider die beklagte Partei P***** & S*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwalts GmbH in Graz, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 26. Jänner 2012, GZ 6 Ra 79/11a-28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers, der im Reisebusunternehmen der Beklagten als Busfahrer beschäftigt war, wurde von dieser gekündigt, weil der Kläger gefordert hatte, ihm die durchzuführenden Fahrten früher als einen oder zwei Tage vor Fahrtbeginn bekanntzugeben. Ein anderes Motiv für die Kündigung gab es nicht.

Die Vorinstanzen erachteten die Kündigung in Entsprechung des Klagebegehrens für rechtsunwirksam. Zu dieser Beurteilung zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

2. Nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0051666) geht es bei dem Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst.

Ziel der Bestimmung ist es, dem Arbeitnehmer die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Unter „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ ist auch der Anspruch des Arbeitnehmers zu verstehen, zur Erfüllung seiner Hauptleistung nur in den durch Gesetz und Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen herangezogen zu werden und Arbeitsleistungen, die unter Missachtung dieser Grenzen angeordnet werden, zu unterlassen (RIS-Justiz RS0104686). Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zweck der Bestimmung lässt sich entnehmen, dass davon nur Ansprüche des Arbeitnehmers auf Geldleistungen des Arbeitgebers umfasst seien (9 ObA 27/10a). Dass sich der Anspruch letztlich als unberechtigt erweist, schließt die Berechtigung der Anfechtung nicht aus. Für den Schutz des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG reicht es vielmehr aus, dass die Geltendmachung des Anspruchs „offenbar nicht unberechtigt“ war. Unklarheiten oder unterschiedliche Auffassungen über den Bestand von Ansprüchen stehen dem Anfechtungsgrund daher nicht entgegen. Für die Anfechtung von Kündigungen genügt es zudem, dass das verpönte Motiv für die Kündigung wesentlich war; es ist nicht notwendig, dass das Motiv ausschließlicher Beweggrund war (RIS-Justiz RS0051661).

Diese Grundsätze wurden von den Vorinstanzen beachtet.

3. Vor dem Hintergrund des § 19c AZG ist aber auch ihre Beurteilung, dass die Forderung des Klägers nach einer zeitgerechten Verständigung über die zeitliche Lage der Arbeitseinsätze „offenbar nicht unberechtigt“ gewesen sei, vertretbar:

§ 19c Abs 1 AZG gebietet die Vereinbarung der Lage der Normalarbeitszeit (RIS-Justiz RS0116729), soweit sie nicht durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgesetzt wird. Der Kollektivvertrag für Arbeiter und Angestellte privater Autobusunternehmer legt die Lage der Normalarbeitszeit nicht fest. Eine Vereinbarung darüber wurde von den Streitteilen nicht getroffen. Dass die Voraussetzungen des § 19c Abs 2 AZG, unter denen dem Arbeitgeber eine einseitige Änderung der Lage der Normalarbeitszeit möglich ist, erfüllt wären, geht aus dem festgestellten Sachverhalt nicht hervor. Vom Erfordernis des § 19c Abs 2 Z 2 AZG, dem Arbeitnehmer die Lage der Normalarbeitszeit für die jeweilige Woche mindestens zwei Wochen im Vorhinein mitzuteilen, kann zwar nach § 19c Abs 3 AZG abgewichen werden, wenn dies in unvorhersehbaren Fällen zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils erforderlich ist und andere Maßnahmen nicht zumutbar sind. Den Feststellungen sind solche Umstände aber nicht zu entnehmen. Da Busreisen idR vorbestellt werden und daher gerade nicht unvorhersehbar sind, sind sie auch nicht ohne weiteres anzunehmen. Schließlich werden durch die kollektivvertragliche Festlegung der Anzahl und Dauer von Lenkzeiten, Lenkpausen, Ruhepausen, etc iSd § 19c Abs 3 letzter Satz AZG keine von § 19c Abs 2 Z 2 AZG abweichende Regelungen getroffen.

Ob der Anspruch des Klägers tatsächlich zu Recht besteht und gerichtlich durchsetzbar ist, muss für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung nicht geprüft werden.

4. Wenn die Beklagte zu ihrer Kündigungsmotivation vorbringt, dass der Kläger die - ihm telefonisch am 5. November 2010 mitgeteilte - Fahrt für den 6./7. November 2010 verweigert und er zudem ehrenbeleidigende Äußerungen getätigt habe, entfernt sie sich vom festgestellten Kündigungsgrund. Folglich kann dahingestellt bleiben, ob angesichts des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs der Äußerungen mit dem Kündigungsausspruch und der Tatsache, dass von Fahrern nicht übernommene Fahrten sanktionslos an andere weitergegeben wurden, eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass diese Motive für die Kündigung ausschlaggebend waren (§ 105 Abs 5 ArbVG).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Stichworte