OGH 11Os33/12f

OGH11Os33/12f19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Einberger als Schriftführer, im Verfahren zur Unterbringung des Gerd R***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 23. Dezember 2011, GZ 19 Hv 123/11w-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Einweisung des Betroffenen Gerd R***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er am 10. August 2011 in Klagenfurt unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, Verena C***** dadurch, dass er ihr ein Messer mit einer Klingenlänge von ca 29 cm in den Oberschenkel stieß, absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen versucht und hat hiedurch eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als das (richtig:) Verbrechen der (versuchten) absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB zuzurechnen gewesen wäre, wobei nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat zu befürchten ist, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen „zur Frage der Klärung der Gefährlichkeitsprognose“ (ON 39 S 16 f).

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 11 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- oder Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341).

Die ausschließlich auf die Gefährlichkeitsprognose bezogenen Ausführungen in Richtung der Beiziehung eines weiteren psychiatrischen Experten stellen sich sohin als im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtliches Berufungsvorbringen dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680, 693, 715 ff, 723; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 8, 9).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermag hinsichtlich der erstrichterlichen Erwägungen (US 9 f: gezielter Stich gegen Unterleib blieb nur wegen einer Drehbewegung des Opfers ohne schwerste Folgen) zur festgestellten subjektiven Tatseite (US 7 f) keinen - und nur dies würde Nichtigkeit begründen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444) - Verstoß gegen Logik und Empirie aufzuzeigen und verfällt mit eigenständig beweiswürdigenden Spekulationen in eine nur im Einzelrichterprozess gesetzlich vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Die Verwendung eines (hier:) Messers „in lebensgefährlicher Art und Weise“ hat für das Tatbild des § 84 Abs 2 Z 1 StGB, nicht aber für jenes nach § 87 Abs 1 StGB Bedeutung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen methodengerechten Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810, RS0116565, RS0117247, RS0099724; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584, 593).

Der Beschwerdeführer geht in seiner Subsumtionsrüge (Z 10) indes nicht vom Feststellungssubstrat des Ersturteils aus (US 7 f) und bringt durch auf eigener Beweiswürdigung beruhenden Überlegungen („ist davon auszugehen“, „nach der allgemeinen Lebenserfahrung“) zur Hypothese eines bewusst abgebremsten Stiches die geltend gemachte materiellrechtliche Nichtigkeit nicht zur prozessordnungsgemäßen Darstellung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Stichworte