OGH 10ObS38/12d

OGH10ObS38/12d12.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Aufrechnung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2012, GZ 6 Rs 102/11h-13, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 103 Abs 1 Z 1 ASVG dürfen Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz geschuldete fällige Beiträge (§ 58 Abs 6) aufrechnen, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist.

Die Aufrechnung ist nach § 103 Abs 2 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung des 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90 % des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 293 verbleiben muss. Gesamteinkommen ist die zu erbringende Geldleistung zuzüglich eines aus übrigen Einkünften der leistungsberechtigten Person erwachsenden Nettoeinkommens (§ 292) und der nach § 294 zu berücksichtigenden Beträge.

1.1 Nach den Gesetzesmaterialien (RV 310 BlgNR 22. GP 15 f) soll durch diese in § 103 Abs 2 ASVG nunmehr gewählte Formulierung klargestellt werden, dass eine Aufrechnung nur soweit zulässig sei, als dem Anspruchsberechtigten ein Gesamteinkommen in der Höhe von mindestens 90 % des jeweils in Betracht kommenden Ausgleichszulagenrichtsatzes (dies bedeute, dass bei Verheirateten der Ehegatten-Richtsatz zur Anwendung gelange) verbleibe.

1.2 Nach dieser Gesetzeslage ist eine Aufrechnung somit nur soweit zulässig, als dem Anspruchsberechtigten unter Berücksichtigung seines aus seinen übrigen Einkünften erwachsenden Nettoeinkommens (§ 292) und der nach § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge ein Gesamteinkommen in der Höhe von mindestens 90 % des jeweils in Betracht kommenden Ausgleichszulagenrichtsatzes - im Falle eines mit dem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt lebenden Versicherten des Ehegatten-Richtsatzes - verbleibt. Der Ausgleichszulagen-richtsatz ist dabei jener Betrag, der das „konventionelle Existenzminimum“ des Pensionsberechtigten (und des mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten) sichern soll (10 ObS 16/04g, SSV-NF 18/46 mwN). Für Ehegatten, die im gemeinsamen Haushalt leben, hat der Gesetzgeber einen eigenen „Familienrichtsatz“ (§ 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG) geschaffen, da er sie auch im Ausgleichszulagenrecht als Wirtschaftsgemeinschaft behandelt (10 ObS 105/01s, SSV-NF 15/59 mwN). Es ist daher bei der Feststellung eines Anspruchs auf Ausgleichszulage gemäß § 292 Abs 2 ASVG auch das gesamte Nettoeinkommen des (der) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten (Ehegattin) zu berücksichtigen.

1.3 Daraus folgt aber nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass auch bei der Berechnung der zulässigen Höhe der Aufrechnung nach § 103 Abs 2 ASVG bei einem verheirateten Aufrechnungsgegner, bei dem der höhere „Familienrichtsatz“ heranzuziehen ist, auch das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten für die Berechnung des Gesamteinkommens zu berücksichtigen ist. Die gegenteilige Ansicht des Klägers, es sei bei der Berechnung der zulässigen Höhe der Aufrechnung nach § 103 Abs 2 ASVG zwar der höhere „Familienrichtsatz“ heranzuziehen, das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten sei aber für die Berechnung des Gesamteinkommens unbeachtlich, würde auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung alleinstehender Aufrechnungsgegner gegenüber verheirateten Aufrechnungsgegnern, die mit ihrem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben, hinauslaufen, weil für die erste Gruppe der (niedrigere) Einzelrichtsatz und für die zweite Gruppe der (höhere) Familienrichtsatz maßgebend ist. Die auch vom Kläger geforderte Anwendung des Familienrichtsatzes gebietet nach den dargelegten Erwägungen auch die Berücksichtigung des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten. Von dieser vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht geht auch die zu dieser Frage bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus (vgl 10 ObS 16/04g, SSV-NF 18/46; 10 ObS 54/11f). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung.

2. Soweit der Kläger erstmals in der Revision eine Verjährung des Rechts auf Einforderung festgestellter Beitragsrückstände gemäß § 68 Abs 2 ASVG geltend macht und die Ansicht vertritt, die Vorinstanzen hätten deshalb in analoger Anwendung des § 74 ASGG das Verfahren unterbrechen müssen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im gerichtlichen Verfahren die Frage, ob die Beitragsrückstände verjährt sind, eine Vorfrage bildet, die weder in der Aufzählung der Gründe für eine zwingende Unterbrechung des Verfahrens nach § 74 Abs 1 ASGG genannt noch den dort angeführten Tatbeständen gleichartig ist. Gemäß § 190 ZPO ist das Gericht in diesem Fall befugt, die Vorfrage - auch wenn es sich um eine verwaltungsrechtliche handelt - selbständig zu beurteilen, solange eine bindende Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Vorfrage (hier der Verjährung) nicht vorliegt (10 ObS 183/03i mwN).

2.1 Im Übrigen hat der erkennende Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass auch in Bezug auf die Verjährungsbestimmungen des öffentlichen Rechts auf die privatrechtlichen Verjährungsvorschriften des ABGB zurückgegriffen werden kann, insbesondere auf die Bestimmung des § 1501 ABGB, wonach auf die Verjährung ohne Einwendung der Parteien von Amts wegen kein Bedacht zu nehmen ist. Daraus hat der Oberste Gerichtshof auch bereits für die hier verfahrensgegenständliche Möglichkeit der Aufrechnung geschuldeter Beiträge durch den Versicherungsträger auf die von ihm an den Versicherten zu erbringenden Geldleistungen iSd § 103 Abs 1 Z 1 ASVG ausgesprochen, dass für den Eintritt der Verjährung den Schuldner die Behauptungs- und Beweislast trifft und eine solche erstmals im Rechtsmittelverfahren erhobene Einrede gegen das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot verstößt (10 ObS 50/04g, SSV-NF 18/38). Nach ständiger Rechtsprechung hat der Schuldner auch die Tatsachen, welche die Einwendung der Verjährung begründen sollen, konkret vorzubringen und zu beweisen (SZ 71/201; SZ 59/129 mwN). Der Schuldner muss die Verjährungseinrede in der von ihm erhobenen Berufung oder Revision aufrechterhalten, damit (auch) die Rechtsmittelinstanz im Rahmen der rechtlichen Beurteilung darauf Bedacht nehmen kann (M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1501 Rz 1 mwN ua).

2.2 Der Kläger hat ein Vorbringen dahin, dass das Recht auf Einforderung der festgestellten Beitragschulden iSd § 68 Abs 2 ASVG verjährt wäre, weder im Verfahren erster Instanz konkretisiert (- in der Klage ist nur undifferenziert von „Zinsen und Zinseszinsen“ die Rede -), noch in seiner Berufung aufrecht erhalten. Das Berufungsgericht musste daher in seiner Entscheidung auf diese Frage nicht eingehen. Der vom Kläger in der Revision erhobene diesbezügliche Einwand verstößt gegen das auch im Sozialrechtsverfahren geltende Neuerungsverbot.

Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht und eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen ist, war die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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