OGH 4Ob167/11d

OGH4Ob167/11d27.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W ***** GmbH, *****, vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in St. Johann in Tirol, wegen 18.769,98 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtsssachen Graz als Berufungsgericht vom 12. April 2011, GZ 6 R 33/11h-20, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 8. November 2010, GZ 207 C 1532/09m-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.119,24 EUR (darin enthalten 186,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Streitteile handeln mit biologisch erzeugten Lebensmitteln. Die Klägerin lieferte Apfeltrockenwürfel und -ringe an die Beklagte, wobei ausdrücklich kontrolliert ökologische Apfelprodukte gemäß der VO (EWG) 2092/91 bedungen waren. Zum Thema „Qualität“ war vereinbart: „Entspricht den lebensmittelbehördlichen Bestimmungen, ua den BNN-Richtwerten, labormäßig untersucht auf Pestizide, Schwermetalle, Mikrobiologie. Reklamationen werden nur binnen 8 Tagen nach Erhalt der Ware in schriftlicher Form berücksichtigt.“ Die Beklagte überprüfte die Waren unmittelbar nach dem Erhalt jeweils sensorisch mittels Geschmacksproben, nicht jedoch chemisch. Danach führte sie sie der Verarbeitung zu. Nachdem eine Kundin der Beklagten mitgeteilt hatte, dass die Ware mit Pestiziden verseucht sei, verständigte diese unverzüglich die Klägerin, stellte die Zahlungen ein und ließ die Ware selbst chemisch untersuchen. Dabei wurde festgestellt, dass ein Teil der Ware durch bestimmte Pestizide kontaminiert sei. Der Beklagten entstand dadurch ein Schaden in beträchtlicher Höhe.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung des restlichen Kaufpreises von 18.733,62 EUR. Die Beklagte habe die behaupteten Mängel nicht innerhalb der vereinbarten Rügefrist von acht Tagen angezeigt.

Die Beklagte bestritt eine Verspätung der Mängelrüge. Die Klägerin habe ein aliud geliefert. Derartige Apfelprodukte seien in ihrem Betrieb völlig unbrauchbar. Durch die Schlechtlieferung der Klägerin sei der Beklagten ein Schaden von fast 30.000 EUR entstanden, welchen sie compensando einwendete.

Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren mit 6.536,08 EUR (Wert der nicht verseuchten Lieferungen) und die Gegenforderung zumindest in dieser Höhe zu Recht bestehe und wies das Klagebegehren ab. Die Lieferungen hätten nicht die bedungene Eigenschaft, nämlich die Pestizidfreiheit im Sinne der entsprechenden VO aufgewiesen. Es liege zwar keine aliud-Lieferung vor, die Beklagte habe ihre Rügepflicht nach § 377 UGB aber dennoch nicht verletzt, weil sie eine sensorische Untersuchung vorgenommen habe und zu einer chemischen nicht verpflichtet gewesen sei, zumal die Klägerin ihre Ware ausdrücklich als „labormäßig untersucht auf Pestizide, Schwermetalle, Mikrobiologie“ verkauft habe. Eine eigene chemische Untersuchung wäre daher nicht wirtschaftlich und in diesem kurzen Zeitraum auch nicht möglich gewesen. Die Beklagte könne hinsichtlich der verseuchten Lieferungen wandeln und hinsichtlich der übrigen ihre Schadenersatzansprüche compensando entgegenhalten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ nachträglich die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur (grundsätzlichen) Prüfungspflicht der Vertragsmäßigkeit biologischer Waren fehle. Beim Umfang der Prüfungspflicht seien die schützenswerten Interessen von Verkäufer und Käufer gegeneinander abzuwägen: Zum einen das des Verkäufers, nach Möglichkeit davor geschützt zu werden, sich längere Zeit nach Ablieferung der Ware etwaigen, nur schwer überprüfbaren Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt zu sehen, zum anderen das des Käufers, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Untersuchung nicht unzumutbar hoch gespannt werden. Bei Lieferung größerer Mengen von Waren genügten im Allgemeinen repräsentative Stichproben. Die Art und Weise der sachgemäßen Vornahme der Untersuchung sei durch den Untersuchungszweck - zuverlässige Feststellung der Vertragsmäßigkeit der Ware - bestimmt. Hierzu sei wiederum auf die Art der Ware, aber auch die Handelsbräuche und im Geschäftszweig des Käufers herrschenden Übungen abzustellen. Da sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe, dass die Klägerin ihre Äpfel von verschiedenen Erzeugern beziehe, diese dann vermenge und in Apfeltrockenwürfel sowie -ringe verarbeite und verkaufe, bedeute dies, dass eine zuverlässige Feststellung, ob es sich um biologische Äpfel handle, nur durch (Kontrolle der Erzeugerbetriebe und) Laboranalyse nach Anlieferung der Äpfel durch die einzelnen Erzeuger - sohin nur durch die Klägerin - möglich sei. Nach Vermengung der Äpfel verschiedenster Erzeuger und deren Verarbeitung seien den einzelnen Teillieferungen entnommene Stichproben nicht mehr repräsentativ, weshalb auch deren Laboranalyse den Untersuchungszweck (zuverlässige Feststellung der Pestizid- und Schwermetallfreiheit etc) nicht erfüllen könnte. So gesehen sei der Beklagten die unwirtschaftliche labormäßige Untersuchung auch nicht zumutbar. Dazu komme, dass nach den Ausführungen des Erstgerichts in der Beweiswürdigung, welchen Feststellungscharakter zukomme, es in der Bio-Branche üblich sei, die Ware „sensorisch“ zu untersuchen. Da jedoch eine allfällige Pestizid- oder Schwermetallbelastung durch eine sensorische Prüfung nicht erkennbar sei, handle es sich hierbei um einen sogenannten versteckten Mangel. Da die Beklagte den Mangel nach Entdecken der Klägerin angezeigt habe, habe sie ihrer Rügepflicht jedenfalls entsprochen. Doch selbst wenn man davon ausginge, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, eine Laboranalyse hinsichtlich jeder einzelnen Teillieferung durchzuführen und innerhalb von acht Tagen entdeckte Pestizidbelastungen bei der Klägerin zu rügen, wäre für sie nichts gewonnen. Habe nämlich der Verkäufer den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht oder verschwiegen, so könne er sich gemäß § 377 Abs 5 UGB nicht auf die Obliegenheit des Käufers zur Erhebung der Mängelrüge berufen. Die Einrede nach dieser Gesetzesstelle müsse vom Käufer nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden; es genüge, dass die begründenden Tatsachen vorgebracht werden. Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 377 Abs 5 UGB liege grundsätzlich beim Käufer; der erforderliche Beweis könne sich aber unter Umständen schon aus der Art des Mangels selbst ergeben, sodass bei groben Abweichungen von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit grobe Fahrlässigkeit vermutet werde, wenn sich die Vertragswidrigkeit im Bereich des Verkäufers ereignet habe. Ein solcher Fall liege hier vor. Die Beklagte habe der Klägerin vorgeworfen, dass sie ihre Ware offensichtlich nicht getestet und sich nicht um die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Bestimmungen gekümmert habe und dass sie ihre Äpfel kreuz und quer bei verschiedenen Lieferanten beziehe, diese Lieferungen nicht mehr zuordnen könne, keine entsprechenden Kontrollen durchführe und in der Folge die Äpfel vermische, weshalb sie ein grobes Verschulden an der Kontaminierung der von der Beklagten durch Weiterverarbeitung der Apfelringe und Apfelstücke hergestellten Ware treffe. Da feststehe, dass Teillieferungen der Klägerin zum Teil oder zur Gänze kontaminiert gewesen seien und die Klägerin vertraglich zugesichert habe, dass die gelieferte Ware den lebensmittelbehördlichen Bestimmungen, unter anderem den BNN-Richtwerten, labormäßig untersucht auf Pestizide, Schwermetalle und Mikrobiologie, entsprechen würde, dies jedoch nicht der Fall gewesen sei, liege grobe Fahrlässigkeit der Klägerin vor.

Die Klägerin macht in ihrer Revision geltend, die dem Käufer obliegende Untersuchung der abgelieferten Ware müsse als Grundlage einer Mängelanzeige sachgemäß vorgenommen werden. Sachgemäß sei eine Untersuchung nur dann, wenn durch sie der Untersuchungszweck, nämlich die zuverlässige Feststellung der Vertragsmäßigkeit der Ware erreicht werden könne. Dazu gehöre unter Umständen auch die Zuziehung eines Sachverständigen, die in der Regel dann geboten sei, wenn dem Käufer andere Untersuchungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden. Dabei beruft sie sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1952 (3 Ob 356/52), welche den Kauf von Tafelparaffin mit bestimmtem Schmelzpunkt und bestimmtem Ölgehalt zum Gegenstand hatte. Damals hatte der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass eine solche Untersuchung der Ware vorzunehmen sei, die geeignet sei, die bedungenen Eigenschaften des Tafelparaffins zuverlässig festzustellen. Dies sei bei bloß äußerlicher Besichtigung nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Untersuchungsanforderungen an den Käufer hängen wesentlich von der Natur der Ware, den Branchengepflogenheiten, vom Gewicht der zu erwartenden Mangelfolgen, Auffälligkeiten der Ware, etc ab. Welche Untersuchungshandlungen dem Käufer jeweils zuzumuten sind, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten und den Umständen des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0112467 [T1]).

2. Zu einer sachgerechten Untersuchung gehört zwar unter Umständen auch die Beiziehung eines Sachverständigen. Dies allerdings nur dann, wenn Grund zur Annahme eines (nur für Sachkundige erkennbaren) Mangels besteht. Eine (aufwändige) chemische Analyse kann - gerade bei geringwertigen Erzeugnissen - in aller Regel nicht gefordert werden (1 Ob 145/04m = RIS-Justiz RS0119318). Die Untersuchung durch eigens beauftragte Sachverständige kommt nur in Betracht, wenn die Kosten hiefür nicht außer Verhältnis zu dem mit der Ware zu erzielenden Gewinn stehen (RIS-Justiz RS0119319). Die sofortige Prüfungspflicht bezieht sich grundsätzlich auf die Beanstandung offensichtlicher, in die Augen fallender Mängel (vgl RIS-Justiz RS0018545). Gleiches gilt für eine vereinbarte Rügefrist, die sich im Allgemeinen nicht auf die Rüge versteckter Mängel bezieht (Kramer/Martini in Straube UGB I4 §§ 377, 378 Rz 30).

3. Im vorliegenden Fall verkaufte die Klägerin ihre Waren als schon „labormäßig untersucht auf Pestizide, Schwermetalle, Mikrobiologie“. Die Beklagte hatte keinerlei Grund zur Annahme, dass die Ware dennoch pestizidverseucht sein könnte. Angesichts der mit chemischen Untersuchungen von Lebensmitteln verbundenen (nicht unbeträchtlichen) Kosten wäre eine chemische Analyse jeder Lieferung von Apfelwürfeln und -ringen wirtschaftlich kaum vertretbar. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob derartige Analysen überhaupt innerhalb von acht Tagen möglich wären. Selbst die Klägerin gesteht zu, dass dies davon abhänge, welchem Labor man den Auftrag dazu erteile. Schon dieser zeitliche Aspekt unterscheidet den hier gegebenen Sachverhalt von jenem der Entscheidung 3 Ob 356/52. Dort wurde eine einfache chemische Analyse deswegen für tunlich erachtet, weil das Tafelparaffin nicht sofort in Verwendung genommen wurde, während hier die Ware zur sofortigen Weiterverarbeitung vorgesehen war.

4. Die Frage, ob im gegenständlichen Fall eine sachgerechte Untersuchung der Ware (Apfelringe und -würfel) nur durch chemische Analyse zu bewerkstelligen gewesen wäre, kann jedoch offen bleiben, weil sich die Beklagte auch auf grobe Fahrlässigkeit der Klägerin im Sinn von § 377 Abs 5 UGB beruft.

Die Klägerin hat sich in ihrer Revision mit der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach sich die Klägerin nach § 377 Abs 5 UGB wegen grob fahrlässigen Handelns im Zusammenhang mit der Kontamination der gelieferten Ware nicht auf die Obliegenheit der Beklagten zur Erhebung der Mängelrüge berufen könne, nur marginal auseinander gesetzt, nämlich insoweit als sie entsprechende Beweisergebnisse vermisst. Dabei übersieht sie jedoch, dass sich bereits aus den - wenn auch dislozierten - Feststellungen der Tatsacheninstanzen ergibt, dass sich die Klägerin nicht um die Sicherstellung von Bioqualität bemühte.

5. Nach dem Wortlaut des § 377 Abs 5 UGB bezieht sich die Wortfolge „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ sowohl auf „verschweigen“ als auch auf „verursachen“. In beiden Fällen ist der Verkäufer - vorsätzlich oder grob fahrlässig - für jene Umstände verantwortlich, die sein Informationsinteresse begründen, sodass die dem Käufer (sonst) auferlegte Informations- und Rügepflicht entfällt (Schauer in Krejci, RK UGB § 397 Rz 21).

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dem Verkäufer aufgrund gravierender Sorglosigkeit der Mangel der Sache unbekannt geblieben ist und er deshalb nicht erkannte, dass der Käufer bei Kenntnis des Mangels den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Der Tatbestand ist auch erfüllt, wenn der Verkäufer den Mangel kannte, aber ihm aufgrund grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben ist, dass der Käufer hiervon keine Kenntnis hatte, aber bei Vorhandensein der Information den Vertrag möglicherweise nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätte (Schauer in Krejci, RK UGB § 377 Rz 18).

Hier kommt in Frage „grob fahrlässig verschwiegen“, gemeint „grob schuldhaft nicht erkannt und daher nicht informiert“.

6. Die Klägerin hatte sich vertraglich zur Lieferung labormäßig untersuchter Bioware verpflichtet. Anstatt dessen mischte sie die (offenbar ungeprüfte) Ware aus unterschiedlichen Quellen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Vertragswidrigkeit im Bereich der Klägerin ereignete (vgl Kramer/Martini in Straube zum UGB [I4] §§ 377, 378 Rz 23). Der Klägerin ist die unterlassene Prüfung daher auch eher anzulasten als der Beklagten bzw ist ihr Interesse an rascher Klarheit über die Lieferung als geringer zu werten als jenes der Beklagten am Erhalt ihrer Ansprüche.

Die Klägerin kann sich somit iSd § 377 Abs 5 UGB nicht auf die Verfristung der Mängelrüge berufen. Ihrer Revision war nicht Folge zu geben.

7. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung der Beklagten war im Zweifel als rechtzeitig anzusehen (vgl RIS-Justiz RS0006965).

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