OGH 7Ob204/11t

OGH7Ob204/11t27.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Dr. Gitschthaler und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** W*****, vertreten durch Dr. Hugo Haslwanter, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei Z***** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 16.391,17 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. August 2011, GZ 4 R 152/11a-14, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. April 2011, GZ 15 Cg 113/10k-10, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.049,04 EUR (darin enthalten 174,84 EUR an USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil zur Frage, „ob und unter welchen Voraussetzungen der Versicherer sich auf die mangelnde Fälligkeit einer Leistung berufen kann, wenn nicht er, sondern der Versicherungsnehmer innerhalb der Sechsmonatsfrist die Einberufung der Ärztekommission beantragt hat und zur Frage, inwieweit darauf der Versicherungsnehmer wiederum konkludent verzichten kann“, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Z*****-Bedingungen für die Unfall-Versicherung (AUVB 2004) lauten in ihrem Art 16:

Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten (Ärztekommission):

2. In den nach Punkt 1 der Ärztekommission zur Entscheidung vorbehaltenen Meinungsverschiedenheiten kann der Versicherungsnehmer innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Erklärung des Versicherers gemäß Art 15.1. unter Bekanntgabe seiner Forderung Widerspruch erheben und die Entscheidung der Ärztekommission beantragen.

3. Das Recht, die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen, steht auch dem Versicherer zu.

4. Für die Ärztekommission bestimmen Versicherer und Versicherungsnehmer je einen in der österreichischen Ärzteliste eingetragenen Arzt. Wenn ein Vertragsteil innerhalb zweier Wochen nach schriftlicher Aufforderung keinen Arzt benennt, wird dieser von der für den Wohnsitz des Versicherten zuständigen Ärztekammer bestellt. Die beiden Ärzte bestellen einvernehmlich vor Beginn ihrer Tätigkeit einen weiteren Arzt als Obmann, der für den Fall, dass sie sich nicht oder nur zum Teil einigen sollten, im Rahmen der durch die Gutachten der beiden Ärzte gegebenen Grenzen entscheidet.

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der Frage, unter welchen Umständen ein schlüssiger Verzicht des Versicherers auf ein im Rahmen der Versicherungsbedingungen fakultativ vereinbartes Sachverständigenverfahren anzunehmen ist, bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen beschäftigt (etwa RIS-Justiz RS0081393, RS0081215, RS0082250, RS0038854, RS0080481). Danach ist eine Klage des Versicherungsnehmers vor Ablauf der in den AUVB vorgesehenen Sechsmonatsfrist möglich, es sei denn, der Versicherer würde innerhalb der Frist auf seinem Recht der Anrufung der Ärztekommission bestehen. Mit Rücksicht auf den Zweck der Einrichtung der Ärztekommission, Meinungsverschiedenheiten rasch beizulegen, ist von einem Versicherer, der noch vor Ablauf der in den AUVB vorgesehenen Sechsmonatsfrist vom Versicherungsnehmer klagsweise in Anspruch genommen wird, zur Vermeidung von Verzögerungen zu verlangen, dass er den Einwand, die Ärztekommission anrufen zu wollen, ungesäumt erhebt, widrigenfalls ist ein Verzicht des Versicherers auf die Antragstellung anzunehmen (7 Ob 222/09m mwN; RIS-Justiz RS0116382). Der Oberste Gerichtshof hat auch dargelegt, dass eine qualifizierte Ablehnung nach § 12 Abs 3 VersVG nicht alleinige Voraussetzung für die Annahme eines schlüssigen Verzichts des Versicherers auf ein Sachverständigenverfahren ist (7 Ob 51/09i = RIS-Justiz RS0124809, 7 Ob 15/05i). Ein schlüssiger Verzicht des Versicherers kann nämlich bereits darin erblickt werden, dass er nach Rücksprache mit seinem Sachverständigen den (niedrigeren als vom Versicherungsnehmer verlangten) Betrag der Versicherungsleistung anerkennt und im Übrigen auf seiner Abrechnung beharrt (7 Ob 51/09i, 7 Ob 197/05d; vgl RIS-Justiz RS0080481). Der Versicherer muss den Einwand, er wolle die Ärztekommission anrufen, ungesäumt erheben (RIS-Justiz RS0116382), ist doch das Versicherungsverhältnis im besonderen Maß vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht (RIS-Justiz RS0018055). Der Versicherer ist daher zur raschen Klarstellung und Offenlegung seiner weiteren Vorgangsweise verpflichtet (7 Ob 222/09m).

Die Beurteilung, dass ein Versicherer die Versicherungsleistung endgültig abgelehnt hat und dass die Parteien auf die Einberufung der Ärztekommission schlüssig verzichtet haben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 23. 12. 2009 die Leistung an den Kläger abgelehnt, hält sich im Rahmen der Judikatur, hat doch die Beklagte darin im Hinblick auf das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten den Anspruch des Klägers errechnet und diesen Betrag auf sein Konto überwiesen, ohne anzudeuten, dass die Sache für sie damit nicht erledigt sei. Auch nachdem der Kläger einen Antrag auf Einberufung der Ärztekommission gestellt und einen Arzt benannt hatte, blieb die Beklagte untätig. Dem Hinweis des Klägers im folgenden Schreiben, sein Leistungsanspruch sei fällig, widersprach die Beklagte ebenfalls nicht. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe dadurch zum Ausdruck gebracht, er verzichte mangels Mitwirkung der Beklagten auf die Einberufung der Ärztekommission und die Beklagte habe durch ihr Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass sie damit einverstanden sei und ebenfalls keinen Wert auf die Einberufung der Ärztekommission lege, ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Rechtsansicht, dass im vorliegenden Einzelfall eine Abmahnung ihrer Säumnis durch den Kläger nicht zu fordern ist, zumal sich hier - im Gegensatz zu den von der Revision zitierten Entscheidungen - die Ärztekommission noch nicht konstituiert hat und auch noch keine Kosten für ein Sachverständigenverfahren aufgelaufen sind. Hätte die Beklagte die Einberufung der Ärztekommission beantragen wollen, wäre sie vielmehr nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, unverzüglich wenn sie auf die Ansicht des Klägers, dass er von seiner Berechtigung zur Klagsführung infolge Ablehnung seines Anspruchs durch die Beklagte ausgeht, reagieren müssen. Der Versicherungsnehmer ist an die einmal beantragte Einberufung der Ärztekommission nicht gebunden und muss das Verfahren nach Art 16 AUVB bei Säumnis der Beklagten bei der Nennung eines Arztes nicht einleiten, wenn nunmehr weder er noch der Versicherer auf das Schiedsverfahren Wert legen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es der Beklagten daher verwehrt ist, erst nach Klagseinbringung einen Arzt namhaft zu machen und den Antrag zu stellen, die Ärztekommission einzuberufen, ist nicht zu beanstanden.

Dieses Ergebnis ist vom Vorbringen des Klägers in erster Instanz gedeckt. Er stützte sich auf die Fälligkeit seiner Forderung und legte dazu die entsprechenden Tatsachen dar. Der Einwand der Beklagten, das Berufungsgericht sei „mit seiner rechtlichen Beurteilung über das Vorbringen hinaus gegangen“, ist daher verfehlt.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Im Zwischenstreit über ein mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässiges Rechtsmittel gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenersatz statt (RIS-Justiz RS0123222). Die Revisionsbeantwortung wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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