OGH 11Os2/12x

OGH11Os2/12x16.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ferit T***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 4. Oktober 2011, GZ 38 Hv 135/11m-10, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ferit T***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im November 2007 in Innsbruck außer den Fällen des § 201 StGB Sabine K***** mit Gewalt, und zwar in dem er sie an eine Hausmauer drückte und ihr die Handgelenke über dem Kopf zusammen hielt, zur Duldung von geschlechtlichen Handlungen, nämlich dem intensiven Abgreifen ihrer Brüste und der Berührung ihres Vaginalbereichs genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Unter § 281 Abs 1 Z 3 StPO reklamiert der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 165 Abs 3 StPO übersieht dabei aber, dass eine Verletzung [dieser Vorschrift] StPO nicht unter Nichtigkeitssanktion steht. Im Übrigen ist auf die Bestimmung des § 250 Abs 3 StPO zu verweisen, wonach der Vorsitzende Opfer iSd § 65 Z 1 lit a StPO auf die in § 165 Abs 3 StPO beschriebene Art und Weise zu vernehmen hat, wenn diese es - wie fallbezogen (vgl ON 9 S 11) - beantragen.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Antrag des Angeklagten auf Vernehmung des Zeugen Sarihan O***** zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer in der „Kalenderwoche 23/11“ die Zeugin um 8:30 Uhr nicht getroffen haben konnte, weil er jeweils ganztägig mit seiner Anstellung als Maler zu tun hatte (ON 9 S 35), zu Recht abgewiesen. Der Beweisantrag zielte darauf ab, die Glaubwürdigkeit der Zeugin Sabine K***** zu erschüttern und war solcherart grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet (RIS-Justiz RS0028345; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340, 350). Berechtigt ist ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt, wenn also etwa dargetan wird, dass der Zeuge rechtskräftig wegen Verleumdung oder falscher Beweisaussage verurteilt worden ist, zum konkreten Verfahrensgegenstand bereits falsche Angaben gemacht hat oder eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS-Justiz RS0120109). Diesen Erfordernissen wird der gegenständliche Beweisantrag mit der bloßen Bezugnahme auf nicht entscheidungsrelevante Ereignisse, nämlich einem zufälligen Zusammentreffen der Zeugin mit dem Angeklagten im Jahr 2011, also fast vier Jahre nach der Tat, nicht gerecht.

Die begehrte Vernehmung der Eltern sowie der noch auszuforschenden damaligen Freundinnen der Zeugin Sabine K***** zum Beweis dafür, dass sich der inkriminierte Vorwurf nicht zugetragen habe, ließ dagegen nicht erkennen, aus welchem Grund die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS-Justiz RS0116503; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327).

Beweise zu Tatsachen, die das Schöffengericht ohnehin als erwiesen ansah, brauchen nicht aufgenommen werden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342). Davon, dass sich die Zeugin nach dem Vorfall niemandem anvertraut hat, ging das Erstgericht aus (US 5 und 7).

Soweit der Beschwerdeführer versucht, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin durch Hervorheben einzelner Aussagepassagen in Zweifel zu ziehen („Es ist äußerst unglaubwürdig ...“), verkennt er den von einer Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Mit der ohne Bezugnahme auf ein Fehlzitat aufgestellten Behauptung, wonach eine Urteilsannahme vom Inhalt der Zeugenaussage abweiche, wird der nur eine formale Vergleichung gestattende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall StPO nicht aufgezeigt. Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) ist ein Urteil nämlich nur dann, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 468; RIS-Justiz RS0099547, RS0099492, RS0099524). Im Übrigen betrifft die den Umgang der Sabine K***** mit dem Tatgeschehen betreffende Konstatierung keine entscheidende Tatsache und kann schon deshalb kein erfolgreicher Bezugspunkt einer Mängelrüge sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Anzumerken bleibt, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der Anwendung des - zufolge nunmehriger Strafuntergrenze von sechs Monaten (gegenüber der im Tatzeitpunkt geltenden Fassung) ungünstigeren - § 202 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2009/40) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO - vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 653 und § 288 Rz 36) deswegen nicht veranlasst sieht, weil der Angeklagte durch die unrichtige Subsumtion noch keinen effektiven Nachteil iSd § 290 StPO erlitten hat, zumal dem aufgezeigten Umstand noch im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung getragen werden kann (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Auf das Erfordernis dieser Berücksichtigung wird das Berufungsgericht ausdrücklich hingewiesen. Eine dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts bei der Entscheidung über die Berufung an den soweit verfehlten Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht nicht (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte