OGH 5Ob68/11b

OGH5Ob68/11b13.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH & Co. KG, *****, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei O***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Simma Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 19.108,69 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2011, GZ 4 R 265/10t‑17, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 12. Oktober 2010, GZ 6 Cg 93/10d‑10, samt Ergänzungsurteil vom 17. November 2010, GZ 6 Cg 93/10d‑14, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00068.11B.1213.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 993,96 EUR bestimmten Kosten ihrer Rekursbeantwortung (darin 165,66 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin war Eigentümerin eines LKW samt aufgebautem Ladekran, der bei einem von einem durch ein Personalbereitstellungsunternehmen beigestellten Fahrer verursachten Unfall beschädigt wurde. Die Klägerin wendete sich daraufhin an die Beklagte, die im Bereich Fahrzeugbau und LKW‑Kräne tätig ist, zur Schadensschätzung, worauf diese einen Zeitwert des LKW samt Kranaufbau vor dem Unfall mit 51.000 EUR, danach mit 8.500 EUR bewertete. Die Klägerin veräußerte der Beklagten daraufhin das Fahrzeug samt Ladekran um den Betrag von 10.000 EUR.

In dem von ihr gegen die Personalbereitstellungsfirma geführten Schadenersatzverfahren legte die Klägerin dem Klagebegehren den von der Beklagten ermittelten Restwert zugrunde und unterlag teilweise, weil ein Sachverständigengutachten in jenem Verfahren ergab, dass der Zeitwert des LKW samt Kranaufbau nach dem Unfall noch 29.108,69 EUR betragen hatte.

Die Klägerin hatte im Vorverfahren der Beklagten den Streit verkündet. Diese war jedoch dem Verfahren nicht als Nebenintervenientin beigetreten.

Im gegenständlichen Verfahren begehrt die Klägerin von der Beklagten 19.108,69 EUR sA, weil diese sie über den wahren Wert des LKW samt Kranaufbau nach dem Unfall arglistig in Irrtum geführt und dadurch einen Verkauf um einen Preis an sie erwirkt habe, der 19.108,69 EUR unter dem wahren Wert gelegen sei.

Die Beklagte bestritt im gegenständlichen Verfahren den im Vorverfahren ermittelten Wrackwert des Fahrzeugs samt Ladekran. Die Klägerin habe einen angemessenen Kaufpreis erhalten, Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung seien nicht gegeben, insbesondere habe sie nicht arglistig gehandelt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Zugrundelegung der im Vorverfahren getroffenen Feststellung über den Wrackwert des Fahrzeugs statt. Die Beklagte sei infolge unterlassener Nebenintervention an die Ergebnisse des Vorverfahrens über die Schadenshöhe gebunden.

Der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Eine Bindung der Beklagten an die im Vorverfahren getroffenen Feststellungen sei zu verneinen.

Seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d [SZ 70/60] entspreche es trotz zumindest teilweiser Kritik der Lehre ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils sich insoweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, erstrecken, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0107338). Die Interventionswirkung erfasse nicht bloß Regressverhältnisse im engeren Sinn (zwischen Solidarschuldnern), sondern auch sonstige materiellrechtliche Rechtsverhältnisse und Sonderrechtsbeziehungen (7 Ob 43/02b) und setze auch keine Identität der Rechtsgründe, die einer Klagsstattgebung im Vorprozess und im Regressprozess als Grundlage dienen könnten, voraus (3 Ob 318/01b). Es sei nur von Bedeutung, dass die als Klagegrund wesentlichen Tatsachen des Regressprozesses bereits notwendige Elemente des Urteils des Vorprozesses waren (SZ 2004/163 [1 Ob 298/03k]). Die aus der materiellen Rechtskraft abgeleitete Bindungswirkung habe ihren Geltungsgrund letztlich darin, dass Verfahrensbeteiligte vor der Entscheidung als Prozesspartei rechtliches Gehör gefunden hätten und dadurch an der Stoffsammlung und Entscheidungsfindung mitwirken oder durch die Streitverkündung rechtliches Gehör zumindest finden hätten können (9 Ob 25/08d).

Die Interventionswirkung einer Streitverkündung beziehe sich aber jedenfalls dann nicht auf ein materielles Alternativverhältnis, wenn dieses zum Rechtsverhältnis des Vorprozesses, in dem der Streit verkündet wurde, in keinem Verhältnis „gegenseitig ausschließlicher Bedingtheit“ stehe (SZ 70/200 [1 Ob 242/97p]). Außerhalb von ‑ eigentlichen ‑ Regressverhältnissen beziehe sich die Bindungswirkung nämlich nur auf materiellrechtliche Alternativverhältnisse, die einander gegenseitig ausschließend bedingten. Ein solcher Regressanspruch im engeren Sinne wäre nur anzunehmen, wenn die Klägerin mit der vorliegenden Klage die ihr aus der behaupteten unrichtigen Bewertung durch die Beklagte resultierenden, durch überhöhte Einklagung im Vorprozess entstandenen Nachteile ‑ etwa die ihr entstandenen Prozesskosten ‑ geltend machen würde. Hier gehe es aber nicht um Ersatzansprüche der Klägerin wegen Beschädigung ihres LKW samt Kranaufbau und daraus etwa wegen unrichtiger Schadensermittlung resultierende Regressansprüche, sondern um einen davon „gänzlich selbständigen“ (Schadenersatz‑)Anspruch im Zusammenhang mit der Verwertung der beschädigten Gerätschaft durch Verkauf an die Beklagte.

Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren ohne Bindung an die Feststellungen des Vorverfahrens Feststellungen zu den jeweiligen Wertverhältnissen unter Zulassung der zu diesen Fragen angebotenen Beweismittel zu treffen haben.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seine aufhebende Entscheidung für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage des Vorliegens eines Verhältnisses „gegenseitig ausschließender Bedingtheit“ seit der Entscheidung 1 Ob 242/97p nicht mehr Stellung genommen habe.

Mit ihrem Rekurs beantragt die Klägerin die Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beklagte beantragt unter Hinweis auf die vom Berufungsgericht zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat die Bindung der Beklagten im gegenständlichen Schadenersatzverfahren wegen Irreführung der Klägerin über den wahren Wrackwert eines Fahrzeugs bei Abschluss eines Kaufvertrags mit der Beklagten an die Ergebnisse des zuvor von der Klägerin gegen einen Dritten geführten Schadenersatzprozesses wegen fahrlässiger Beschädigung dieses Fahrzeugs unter Zugrundelegung und Zitierung der nachfolgend dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung verneint:

1. Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich insoweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen (verst Senat 1 Ob 2123/96d SZ 70/60 = JBl 1997, 368).

2. An dem aus dieser Entscheidung formulierten Rechtssatz, der sich ausdrücklich auf Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses bezieht und „in diesem Rahmen“ eine Interventionswirkung bejaht, hat die Rechtsprechung in Regressprozessen seither einhellig festgehalten (vgl RIS‑Justiz RS0107338; § 8 Abs 1 OGHG).

3. In der Entscheidung 1 Ob 242/97p SZ 70/200 hat der Oberste Gerichtshof für Folgeprozesse über Ansprüche, die nicht eigentlich als Regressbegehren zu bewerten sind, die Voraussetzungen und den Umfang einer Interventionswirkung geklärt:

Die Interventionswirkung der Streitverkündung erfasst nicht nur Regressansprüche, also solche, die durch das Rechtsverhältnis, das den Gegenstand des Vorprozesses bildete, bedingt sind, sondern auch materiell‑rechtliche Alternativverhältnisse, die einander gegenseitig ausschließend bedingen. Das ist dann der Fall, wenn die Feststellung eines Rechtsverhältnisses die eines anderen gleichwertigen Rechtsverhältnisses ausschließt, also im materiell‑rechtlichen Überschneidungsbereich solcher Rechtsverhältnisse die positiven Voraussetzungen des einen Rechtsverhältnisses gleichzeitig die negativen Voraussetzungen des anderen sind.

Im dortigen Anlassfall bejahte der Oberste Gerichtshof eine Bindung an im Vorprozess zwischen dem geschädigten Grundnachbarn und der späteren Klägerin als Haftungsvoraussetzung (für Wasserschäden) festgestellte Tatsachen für die im Folgeprozess gegenständliche Haftung des Werkunternehmers, verneinte aber eine Bindung im Folgeverfahren insoweit, als vom Werkunternehmer eine mängelfreie Herstellung des Werks verlangt wurde. Letzteres Begehren sei kein Regressbegehren, gründe es sich doch allein auf die Vertragsbeziehung der (nunmehrigen) Streitteile, ohne dass es gleichzeitig durch das Rechtsverhältnis, das den Gegenstand des Vorprozesses gebildet habe, bedingt sei. Dieses Begehren stehe auch in keinem Verhältnis „gegenseitig ausschließender Bedingtheit“.

4. Dieser Rechtsansicht ist der Oberste Gerichtshof seither mehrfach gefolgt (6 Ob 88/99f JBl 2000, 736; 1 Ob 298/03k SZ 2004/163 unter ausdrücklichem Hinweis auf SZ 70/200).

In Anbetracht der dargestellten, gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen einer Interventionswirkung in Folgeverfahren, die nicht im oben dargestellten Sinn als Regressprozesse anzusehen sind, liegt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO vor. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall kein materiell‑rechtliches Alternativverhältnis, also ein sich gegenseitig ausschließendes Verhältnis zwischen dem Vorprozess und dem gegenständlichen Verfahren vorliegt, erweist sich als nicht korrekturbedürftig, weshalb der Rekurs der Klägerin zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rekurses hingewiesen (RIS‑Justiz RS0123222).

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