Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Feststellungs‑ und des Zahlungsbegehrens (Pkt 1 und 2 des Spruchs) als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleiben, werden im Umfang der Anfechtung (Räumungsbegehren) sowie im Kostenpunkt dahin abgeändert, dass sie lauten:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei die Mietobjekte Garage und Büro, gelegen im Haus ***** in *****, geräumt von eigenen Fahrnissen binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu übergeben, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.869,12 EUR (darin enthalten 310,32 EUR USt und 7,20 EUR Fahrtkosten) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 544,13 EUR (darin enthalten 90,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist zum Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis c ZPO genannten Beträge zur Gänze verpflichtet (§ 70 ZPO).
Text
Entscheidungsgründe:
Ab 1. 1. 2009 mietete der Beklagte von der Klägerin in einem Objekt in ***** eine Büroräumlichkeit und eine Garage zu jeweils pauschal festgesetzten Mietzinsen. Ende September 2009 wurden von der Hausverwaltung die Schlösser im Bestandobjekt des Beklagten ausgetauscht, sodass er zu diesem keinen Zugang mehr hatte. Ab 1. 10. 2009 wurden die Geschäftsräumlichkeiten neuen Mietern in Bestand gegeben. Die Mietzinse für Juli 2009 und August 2009 wurden vom Beklagten bezahlt. Die Miete für September 2009 beglich er am 1. 7. 2010.
Die Klägerin begehrte die Mietzinse für die Monate Juli, August und September 2009 sowie die Feststellung, dass die mit dem Beklagten abgeschlossenen Mietverträge Anfang Oktober 2009 einvernehmlich aufgelöst worden seien; in eventu begehrte sie die Räumung der Mietobjekte Garage und Büro. Mit Schriftsatz vom 27. 7. 2010 wurde das Zahlungsbegehren um die Miete für einen Monat eingeschränkt. Nach Einmahnung der eingeklagten Mietzinse durch die Hausverwaltung habe der Beklagte erklärt, dass er die Bestandobjekte nicht mehr benötige. Anfang Oktober habe er die Räumlichkeiten zurückgestellt. Da er die Mietzinse für die Monate Juli, August und September 2009 nicht bezahlt habe, werde auch die sofortige Aufhebung der Mietverhältnisse begehrt.
Der Beklagte entgegnete, dass er weder das Mietverhältnis einvernehmlich aufgelöst noch die Bestandobjekte zurückgestellt habe. Vielmehr habe die Hausverwaltung Ende September 2009 die Geschäftsräumlichkeiten widerrechtlich in Besitz genommen und die Schlösser ausgetauscht. Die Mietzinse für Juli und August 2009 habe er an den Mitarbeiter der Hausverwaltung übergeben. Die Zahlungsbestätigungen befänden sich im Büro, das für ihn nicht mehr zugänglich sei. An der verspäteten Zahlung der Miete für September 2009 treffe ihn nur ein geringfügiges Verschulden.
Das Erstgericht wies das Zahlungs‑ sowie das Feststellungsbegehren ab; dem Räumungsbegehren gab es hingegen statt. Von einer einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses könne mangels eines entsprechenden konkludenten Erklärungsverhaltens nicht ausgegangen werden. Hingegen sei die Räumungsklage, die als Mahnung iSd § 1118 ABGB zu werten sei, berechtigt. Da der Mietzins für September 2009 erst am 1. 7. 2010 „und damit mehr als vier Wochen nach Zustellung der Räumungsklage“ gezahlt worden sei, liege ein qualifizierter Mietzinsrückstand vor. Aufgrund des Pauschalmietzinses sei das Erfordernis einer Vorschreibung entfallen. Der fehlenden Benützbarkeit des Bestandobjekts hätte der Beklagte mit einer Mietzinsminderung begegnen müssen. An der verspäteten Mietzinszahlung für September 2009 treffe den Beklagten daher ein grobes Verschulden iSd § 33 MRG.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach den Feststellungen seien die Mietzinszahlungen in bar und allfällige Mietzinsmahnungen mündlich durch den Mitarbeiter der Hausverwaltung erfolgt. In rechtlicher Hinsicht sei daher davon auszugehen, dass der Beklagte bereits vor Zustellung der Räumungsklage mündlich, spätestens aber nach Kenntnis des gegenständlichen Verfahrens auch schriftlich gemahnt worden sei. Im Zeitpunkt der Klagszustellung habe daher ein qualifizierter Rückstand iSd § 1118 ABGB bestanden, der die Klägerin zur Auflösung des Bestandverhältnisses berechtige. Nicht erkennbar sei, weshalb die Mietzinse für Juli und August und letztlich auch für September 2009 mit einer Verspätung von einem dreiviertel Jahr bezahlt worden seien. Die Beweislast für das Fehlen des groben Verschuldens iSd § 33 MRG treffe den Mieter. Der Beklagte habe dazu kein Vorbringen erstattet.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung auch des Räumungsbegehrens anstrebt.
Mit ihrer ‑ durch den Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragte die Klägerin, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Beurteilung der Vorinstanzen zum Vorliegen eines qualifizierten Mietzinsrückstands des Beklagten als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.
1. Der Beklagte weist mit Recht auf einen Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens hin.
Geht das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung ab, so liegt eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor (RIS‑Justiz RS0043057; RS0043461). Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung Tatsachenannahmen zugrunde legt, die das Erstgericht nicht oder nicht in dieser Ausprägung getroffen hat oder die vom Berufungsgericht unrichtig wiedergegeben werden (RIS‑Justiz RS0043026).
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zwar nicht andere Feststellungen als das Erstgericht getroffen oder relevante Feststellungen nicht übernommen. Allerdings hat es die (unbekämpften) Feststellungen des Erstgerichts unrichtig interpretiert. Damit ist das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen, was eine Korrektur seiner Entscheidung zur Folge hat.
Die Feststellung des Erstgerichts, wonach „allfällige Mietzinsmahnungen“ mündlich durch die Mitarbeiter der Hausverwaltung erfolgt seien, beschreibt nicht mehr als die übliche Vorgangsweise. Ebenso üblich war es, dass die Mietzinse in bar gezahlt wurden und der Beklagte eine Quittung erhielt. Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass der Beklagte wegen der zugrunde liegenden Mietzinse mündlich gemahnt worden wäre. Dementsprechend ist das Erstgericht von einer Mahnung des Beklagten durch Zustellung der Klage ausgegangen.
Vollkommen haltlos ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass auch die Mietzinse für Juli und August 2009 mit einer Verspätung von einem dreiviertel Jahr bezahlt worden seien. Nach den Feststellungen waren die entsprechenden Zahlungsbestätigungen für den Beklagten zufolge Austauschs der Schlösser in den Geschäftsräumlichkeiten durch die Hausverwaltung Ende September 2009 nicht zugänglich. Dazu hat das Erstgericht ausdrücklich festgehalten, dass der Beklagte die Miete für Juli und August 2009 bezahlt hatte. Dabei geht es klar ersichtlich von jeweils fristgerechten Zahlungen aus.
2.1 Nach § 1118 zweiter Fall ABGB kann der Bestandgeber die frühere Aufhebung des Vertrags fordern, wenn der Bestandnehmer nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Zinses dergestalt säumig ist, dass er mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat. Lehre und Rechtsprechung verstehen diese Bestimmung dahin, dass der Aufhebungsgrund gegeben ist, wenn der Bestandnehmer trotz erfolgter Mahnung bis zum nächsten (auf die Mahnung folgenden) Zinstermin in Rückstand bleibt, sodass eine neuerliche Zinszahlung fällig geworden ist, bevor die eingemahnte vollständig entrichtet wurde (RIS‑Justiz RS0020914; 3 Ob 25/11i mwN). Es muss somit bei Beginn der folgenden Zinsperiode bzw zum nächsten Zinszahlungstermin nach der Mahnung noch ein zumindest teilweiser Rückstand aus der früheren, eingemahnten Zinsperiode bestehen. Da für die fristgerechte Zahlung des Mietzinses der gesamte Fälligkeitstag (Tag der gehörigen Mietzinszahlung) zur Verfügung steht, schadet die Zahlung des eingemahnten Rückstands am folgenden Fälligkeitstag nicht. Wirksam eingemahnt kann überdies nur ein Mietzins werden, der bereits fällig ist (RIS‑Justiz RS0021152).
2.2 Nach dem vom Erstgericht ermittelten Tatsachensubstrat bestand ein Mietzinsrückstand nur für September 2009. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine mündliche Mahnung in Bezug auf diesen Mietzins nicht unterstellt werden. Das Erstgericht hat daher zu Recht die Mahnung auf die zugrunde liegende Klage bezogen.
Nach der Rechtsprechung ist in der Zustellung einer Räumungsklage (jedenfalls) auch eine Einmahnung iSd § 1118 ABGB zu erblicken, sofern darin die Mietzinsschuld hinreichend konkretisiert ist (RIS‑Justiz RS0021229 [T6]; vgl auch RS0020918). Im Fall einer Mahnung durch die Klagszustellung oder die Behauptung weiterer Zinsrückstände während des Verfahrens (vgl RIS‑Justiz RS0021212) wird in der Fortführung des Räumungsprozesses nach dem Entstehen eines qualifizierten Zinsrückstands der konkludente Ausspruch einer Aufhebungserklärung gesehen (RIS‑Justiz RS0020978). Ist das Räumungsbegehren im Zeitpunkt der Klagszustellung nicht berechtigt, so können Zinsrückstände das Räumungsbegehren nur dann rechtfertigen, wenn sie wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens qualifiziert iSd § 1118 zweiter Fall ABGB waren. Das Räumungsbegehren ist in diesem Fall nur dann berechtigt, wenn der qualifizierte Rückstand zum Zeitpunkt der Abgabe der Auflösungserklärung (oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses) noch bestanden hat (8 Ob 96/08p; 3 Ob 25/11i).
Die zugrunde liegende Klage wurde dem Beklagten am 7. 6. 2010 zugestellt. Mangels vorheriger (mündlicher oder schriftlicher) Mahnung bestand zum Zeitpunkt der Klagszustellung noch kein qualifizierter Mietzinsrückstand. Aufgrund der Zahlung des ausständigen Mietzinses am 1. 7. 2010 ist der Beklagte nicht nach der Mahnung mit der rückständigen Zinsschuld länger als bis zum nächsten Zinstermin in Rückstand geblieben. Damit bestand auch im erstinstanzlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt ein qualifizierter Zinsrückstand. Dies bedeutet, dass der Beklagte nicht in den vom geltend gemachten Auflösungstatbestand vorausgesetzten Leistungsverzug geraten ist.
2.3 Insgesamt vermag die festgestellte verspätete Zahlung des Mietzinses für September 2009 eine Auflösung des Bestandvertrags nach § 1118 zweiter Fall ABGB nicht zu rechtfertigen.
Auf die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Abwendung der Räumung nach § 33 MRG gegeben wären und der Beklagte dazu ein (ausreichendes) Vorbringen erstattet hat, kommt es nicht an.
3. Zusammenfassend ergibt sich: Erfolgt die Einmahnung iSd § 1118 ABGB erst durch die Klagszustellung und ist das Räumungsbegehren in diesem Zeitpunkt daher noch nicht berechtigt, so können Zinsrückstände das Räumungsbegehren nur dann rechtfertigen, wenn sie wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens qualifiziert iSd § 1118 zweiter Fall ABGB waren und der Bestandnehmer nach der Mahnung mit der rückständigen Zinsschuld für eine vorangegangene Periode länger als bis zum nächsten Zinstermin in Rückstand geblieben ist. Die Zahlung des eingemahnten Rückstands am folgenden Fälligkeitstag schadet nicht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Aus diesem Grund waren die Urteile der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision im Sinn einer Abweisung auch des Räumungsbegehrens abzuändern.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Bei gänzlicher oder teilweiser Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts in der Hauptsache hat der Oberste Gerichtshof über die gesamten Kosten des bisherigen Verfahrens selbständig und ohne Rücksicht auf die bisher ergangenen Entscheidungen zu erkennen (RIS‑Justiz RS0107860; 3 Ob 25/11i).
Gegenstand des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens war nur mehr das (als Eventualbegehren erhobene) Räumungsbegehren. Für dieses besteht gemäß § 10 Z 2 lit c RATG eine zwingende Bewertung mit 2.000 EUR. Die Bemessungsgrundlage für die Berufung und die Revision war entsprechend herabzusetzen. Dem Beklagten wurde schon für das Berufungsverfahren die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis c ZPO bewilligt. Damit musste er keine Pauschalgebühren für seine Rechtsmittel aufwenden.
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